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Ballschrank

Wenn der Pleitegeier droht

Oliver Fritsch | Donnerstag, 19. Februar 2004 Kommentare deaktiviert für Wenn der Pleitegeier droht

Bernd Seib (taz 19.2.). „Friedhelm Funkel war milde gestimmt. Der Willi hat doch gar keine Möglichkeit, seine Mannschaft anders spielen zu lassen, stellte er fest, was in den vorangegangenen anderthalb Stunden vor allem eines bedeutet hatte: Abwehr. Selten hat man ein Heimteam derart defensiv agieren sehen wie Eintracht Frankfurt gegen den 1. FC Köln. Doch FC-Trainer Funkel schien vor allem froh, dass nach dem 1:1 das Krisengerede verstummt ist. Sein Gegenüber nahm das Ergebnis dagegen in gewohnt trockener Manier auf: Wie waren gut organisiert, sagte Willi Reimann lapidar. Als Reimann im vergangenen Sommer in Frankfurt anheuerte, mangelte es dem Club genau daran noch gehörig – an Organisation. Ich hatte das Vergnügen, das Chaos im Verein am eigenen Leib mitzuerleben – durch unterschiedliche Ansprechpartner bei meinen Vertragsverhandlungen, erinnert sich Reimann. Umso überraschender ist, was der 52-Jährige seither bewirkt hat: Ein sicherer Mittelfeldplatz war angepeilt, nun findet sich die Eintracht auch nach dem 21. Spieltag auf einem Aufstiegsrang wieder (…) Schöner Fußball ist für mich, zu gewinnen, hat Reimann einmal gesagt. Getreu dieser Maxime präsentiert sich sein Team in dieser Saison. Traditionelle Eintracht-Eigenschaften wie latenter Größenwahn und die Fähigkeit, zwar virtuos, jedoch weitgehend jenseits aller Effizienz den Ball zirkulieren zu lassen, sucht man vergebens. Kommen Sie mir nicht mit dem Spruch: Sie haben schön gespielt, aber verloren. Das kann ich nicht hören, sagt Reimann. Folge: kaum einmal, dass die Eintracht ihre Anhänger bislang mit spielerischen Delikatessen angefüttert hätte. In der Regel geht man in Führung und kann sich fortan auf die Defensive verlassen. Dort verrichten vor allem zwei Spieler vorzügliche Arbeit, die Reimann noch von früheren Engagements her kennt und die er für wenig Geld nach Frankfurt geholt hat: Abwehrchef Jens Keller, in Köln zu Saisonbeginn ausgemustert, und der kongolesische Nationalspieler Jean-Clotaire Tsoumou-Madza, zuvor in der sächsischen Oberliga beim OFC Neugersdorf, bilden die überragende Innenverteidigung der Liga.“

Thomas Kilchenstein (FR 19.2.). „Reimanns Vorstellung von perfektem Fußball ist ein 1:0, kein 4:3. Schnörkellos, einfach, klar – so wie Reimann selbst. Und so stellt der 53-jährige Westfale auch seine Mannschaft ein: Sie spielt exakt das, was sie kann. Nicht mehr und nicht weniger. Und fährt damit nicht schlecht. Im Augenblick kann sie eben besser verteidigen als angreifen. Eine sehr gute Defensive muss derzeit reichen, sagt auch Kapitän Jens Keller. Wenn dann freilich ein vermeidbarer Gegentreffer fällt, ist die Eintracht nicht mehr in der Lage zuzulegen. Das Positive: Sie bricht aber auch nicht ein. Was Eintracht Frankfurt bleibt, ist, sich irgendwie durchzulavieren, ein Tor selbst zu schießen und diesen Vorsprung dann mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Dass die Gastgeber damit am Montag schon nach knapp zwei Minuten nach Markus Beierles Führung begannen, war womöglich ein bisschen früh. Im Grunde aber sieht so das Erfolgsrezept in der zweiten Liga aus: kompakt stehen, die Räume im Mittelfeld eng machen, viel laufen. Denn: In der Abwehr werden die Spiele entschieden, weswegen es selbst einer durchaus reifen Mannschaft wie dem 1. FC Köln nicht gelingt, ein Frankfurter Kollektiv zu schlagen, das dem Gegner kaum Möglichkeiten gestattet. Dies ist durchaus eine Qualität.“

Ralf Weitbrecht (FAZ 19.2.). „Mut, Begeisterung, Disziplin. Diese Tugenden wollte der Kölner Trainer Funkel bei seinen Rekordspielern in Frankfurt ausgemacht haben. Und auch die Fußballfreunde in der Großbaustelle Waldstadion sowie das Millionenpublikum vor den Fernsehschirmen – das DSF konnte sich dank 2,13 Millionen Zuschauern über die beste Saisonquote freuen – dürften zufrieden gewesen sein. Selbst wenn es den Minimalisten der Eintracht, die seit zehn Spielen nie mehr als einen Treffer pro Begegnung erzielten, nicht vergönnt geblieben ist, den großen Aufstiegsfavoriten erstmals in der zweiten Liga zu besiegen. Der pralle Fußballabend, goutiert von etlicher politischer und sportlicher Prominenz, hat Appetit auf das Saisonfinale gemacht. Es wird schwer sein, uns von der Spitze zu verdrängen, behauptete der Kölner Fußballehrer Funkel. Aber wir haben großen Respekt vor dem, was die Eintracht in dieser Saison geleistet hat. Ein Lob, das zwangsläufig zu Willi Reimann führt, dem Architekten des sportlichen Erfolgs. Mit nur einem Stürmer ausgestattet, der prompt sein erstes Tor für die Eintracht erzielte, hatte der Frankfurter Trainer auch gegen Köln ein weiteres Mosaiksteinchen seiner umsichtigen Führungsarbeit gesetzt. Aufstieg? Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann, so der vorsichtige Reimann. Schließlich bin ich doch kein Hellseher. Reimann liebt es lieber erdig als himmlisch. Er weiß, daß er gerade am sensiblen Fußballschauplatz Frankfurt wirklich nur von Spiel zu Spiel schauen darf.“

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Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 19.2.). „Christoph Metzelder hat Bekanntschaft mit dem Pleitegeier gemacht. Handfest und theoretisch zugleich. Beim Fototermin hielt der Fußballprofi mit ziemlich spitzen Fingern ein Poster mit einem reichlich grimmig dreinblickenden Greifvogel in der Hand. Was tun, wenn der Pleitegeier droht? war auf dem Papier zu lesen. Metzelder, dessen Berufssparte nicht im Verdacht steht, zu den materiellen Sorgenkindern des Landes zu zählen, warb als Schirmherr der Schuldnerberatung für junge Leute. Das Problem der Überschuldung wird der Zweiundzwanzigjährige nach Lage der Dinge nie haben, aber bundesweit sind namentlich 850 000 Jugendliche verschuldet, Tendenz steigend. Das Thema wird tabuisiert. Ich weiß aber noch ganz gut, daß vieles an Eltern und Lehrern vorbeiläuft, begründet der ehemalige Meßdiener sein Engagement (…) Geld schießt keine Tore, ist eine gern zitierte Binsenweisheit. Andererseits: Wer viel verdient, muß auch viel leisten, lautet eine Gegenrechnung, die von denen auf den Rängen aufgemacht wird. So gesehen, stehen die Ballartisten immer in der Schuld der Kundschaft. Der Nationalspieler Christoph Metzelder hat schon im frühreifen Alter Bekanntschaft mit dieser Schuldnerrolle gemacht. Mit dem Druck, der von ihr ausgeht, der lähmen, zur Verkrampfung führen kann. Das sind Luxusprobleme, verglichen mit jenen armen Schluckern, die nicht mehr wissen, wie sie von den Schulden runterkommen sollen und bei der anonymen Beratung im Internet eine Anlaufstelle haben. Metzelder will mehr als nur seinen Namen geben.“

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