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Effenbergs Abschied

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Effenbergs Abschied

Christian Eichler (FAZ 04.05.02) bedauert den Abschied einer schillernden Figur. „Natürlich hat Effenberg es immer allen leicht gemacht, ihn nicht zu mögen. Allzu demonstrativ zeigte er gern, wie wenig ihn die öffentliche Meinung interessierte, manchmal wie ein Halbwüchsiger, der stets beweisen muss: Was ihr denkt, ist mir egal. Manche nennen das Pubertät, manche Persönlichkeit. Aber rufen nicht immer alle nach den Typen, die der Fußball braucht? Wer sie will, muss aushalten, dass es Typen wie Effenberg sein können – der Kicker als Gegenentwurf zum Kuscheltier. Ohne ihn wird Deutschland langweiliger.“

Stefan Effenberg, Mittelfeldspieler des FC Bayern München, schlug in einem Playboy-Interview vor, das Arbeitslosengeld zu kürzen, was nicht nur bei Gewerkschaftern einen Sturm der Empörung auslöste.

Martin Hägele (NZZ 23.04.02) fragt „Wie verabschiedet Bayern die Reizfigur?“. „Die Chefs von Deutschlands wichtigstem Fußballklub gehen mittlerweile davon aus, dass jenes Thema, das die ganze Republik, aber auch ihren Verein gespalten hat, mit jedem Tag mehr an Brisanz verliert. Man werde Stefan Effenberg gebührend verabschieden, sagt Trainer Hitzfeld, „obwohl es mir sehr weh getan hat, dass es so gekommen ist“. Ähnlich empfindet wohl auch Effenberg selber, ganz bestimmt im persönlichen Gespräch seinem Mentor gegenüber – nur öffentlich kann das einer seines Schlages nicht zugeben. Es war unklug von Effenberg, sich auf seine letzten Tage in Deutschland in eine gesellschaftspolitische Diskussion über Arbeitslose einzulassen. Erst recht im Playboy. Multimillionäre sollten nicht noch ihren Senf dazu geben zu solch ohnehin schon brisanten Sozialdebatten. Zumal diese auch jene Klientel betreffen, die Professionals wie Effenberg erst reich und wichtig (?) gemacht hat.“

„Stefan Effenbergs Abschied gerät zur moralischen Geschichte“, schreibt Philipp Selldorf (SZ 22.04.02). „Ob die gemeinsame Geschichte Stefan Effenbergs und des FC Bayern gut oder schlecht endet, wird sich im Gegensatz von Idealismus und Pragmatismus auflösen. Realpolitisch, also sportlich betrachtet, gäbe es keinen Grund mehr für Ottmar Hitzfeld, den Kapitän in einem der beiden letzten Spiele einzusetzen. Die Mannschaft gewinnt auch ohne ihn, offensichtlich spielt sie sogar besser. Aber der Idealismus, auf den sich die Münchner oft berufen und der Werte wie Dankbarkeit und Loyalität einschließt, kann es natürlich nicht zulassen, dass der Kapitän der seit 25 Jahren erfolgreichsten Bayern-Elf seinen Abschied vom Klub erzwungenermaßen daheim auf dem Sofa in Pullach erlebt – bewacht von der Polizei, weil irgendjemand mit einer Bombe gedroht hat, wie immer.“

Evi Simeoni (FAZ 20.04.02) ist aufgefallen,“dass der kickende Sympathieträger Stefan Effenberg nun wirklich langsam zum alten Eisen gehört – und zwar deswegen, und das klingt nur paradox, weil er immer noch nicht erwachsen geworden ist. Denn Leute, die wie die Made im Speck sitzen und aus dieser fetten Position heraus laut tönend sozialkritische Parolen von sich geben, solche verwöhnten Salon-Revolutionäre sind längst aus der Mode.“

Christian Zaschke (SZ 20.04.02) findet, dass Effenberg einen „Ehrenkodex“ verletzt hat, „welcher besagt, dass man die Fans nicht vorführt“. „Er entfernt sich von den Menschen, die den Fußball anschauen wollen und bezahlen sollen. Er steht als Symbol für die Entfremdung des Fußballs von seinen Fans (…) Die meisten Menschen schwiegen. Lass ihn reden. Ein Fußballer. Doch sie machen sich Gedanken. Sehen Effenbergs Gesicht, diese Härte, hören Effenbergs Worte, diese Häme, und fragen sich, was sie eigentlich noch mit dieser Welt des Fußballs zu tun haben. Einer Welt, die ihre Spiele ans Bezahlfernsehen verkauft und ihre Spieler zu vielfachen Millionären macht. All dies haben die Menschen, die den Fußball trotzdem lieben, ertragen, weil Neid ein Wort ist, dass sie nicht kennen.“

Philipp Selldorf (SZ 20.04.02) erkennt im „Ausmaß seiner (Effenbergs, of) gedankenlosen Arroganz“ ein historisches Vorbild: „Kaiser Nero in jungen Jahren“. „Es gibt viele Fußballfans in Deutschland und viele Leute, die mit Fußball nichts am Hut haben, die ihm gern Geschenke machen würden: zum Beispiel eine stinkende Kröte oder eine giftige Viper. Effenberg hat sich oft unbeliebt gemacht während seiner Karriere, aber selten solchen Schaden angerichtet wie mit seinem im Playboy geäußerten Vorschlag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit: „Ich würde die Stütze auf ein Minimum herabsetzen, sodass jeder arbeiten muss.“ Effenberg glaubt nämlich, dass „viele vom Arbeitslosengeld so gut leben, dass sie keine Lust haben, morgens früh aufzustehen und bis in die Abendstunden zu buckeln“. Nur eine unsinnige, primitive Privatansicht? Schon, aber weil Effenberg der hoch bezahlte Kapitän des FC Bayern ist, wird seine Aussage nicht durch das Prinzip der Meinungsfreiheit neutralisiert (…) Mögen Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge die Ignoranz Effenbergs und den Schaden für den Ruf des Klubs auch verfluchen. Aber dass die Bayern sich immer schon die umstrittenen Persönlichkeiten des deutschen Fußballs geleistet haben, beruht auf Methode – sie prägen sein Bild und schaffen den Gegensatz der Meinungen, der das Interesse wach hält.“

Das Streiflicht (SZ 20.04.02) findet „es nicht ganz unpassend, wenn ein Opel-Manager nun in der Bildzeitung behauptet, Stefan Effenberg denke „über den Tellerrand hinaus“. Was für ein Teller mag das sein, über dessen Rand einer wie Effenberg hinausdenkt? Es ist, um in Bildern weiterzuarbeiten, die soziale Hängematte, die nach gängiger Ansicht längst das Ende der Fahnenstange erreicht hat. „Effe“ hatte im Playboy, dem Magazin für Sozialfragen, die These riskiert, vielen Arbeitslosen gehe es so gut, dass sie keine Lust mehr hätten, früh aufzustehen und bis abends zu buckeln. „Zu buckeln wie Effenberg“, ergänzten die Arbeitslosen und ihre Freunde mit bitterem Hohn, und seitdem richten sich vier Millionen Stinkefinger „gen Himmel“ (so Gaby Ott aus Kankelau in einem Brief an die AZ).“

Alexander Steudel (Die Welt 18.04.02) zu Effenbergs Image. „Die Herzen, die sich ihm nach dem Champions-League-Sieg 2001 geöffnet hatten, sind verschlossen. Das Faszinosum Effenberg funktioniert nur im Erfolg, und den Menschen Effenberg haben die Fans sowieso immer skeptisch gesehen (…) Selbstkritik ist nicht die große Stärke des 33-Jährigen, was wiederum – paradox – seine große Stärke ist: Auf dem Platz ließen Arroganz und Härte die Gegner nicht selten vor Angst erstarren, Effenberg tritt auch nach dem 15. Fehlpass auf, als führe seine Mannschaft im WM-Finale 4:1.“

Roland Zorn (FAZ 18.04.02) über die Ausführungen Effenbergs. „Dass sich hier einer, dessen privilegierte Laufbahn allmählich ausklingt, deutlich irrt und mit Vorurteilen hausieren geht, könnte Effenbergs Privatsache sein, wenn er seine Stammtischparolen bei sich behalten hätte. So aber verbreiten sich die Worte aus dem geistigen Mittelfeld eines künftig selbst von der Arbeitslosigkeit bedrohten Balltreters in einem Augenblick, da der Fußball an seiner Verschwendungssucht zu knabbern hat. Daß Bayern München dem früheren Nationalspieler großzügigerweise geschätzte vier Millionen Euro per annum überweist, ist für Deutschlands größten und betuchtesten Verein kein Zahlungsproblem; wohl aber krankt der Fußball längst an den von den Effenbergs dieser Welt mit ihrer Maßlosigkeit in Gang gesetzten Preisspirale.“

Auch die NZZ (18.04.02) geht hart mit dem „Arbeitsverweigerer“ Effenberg ins Gericht. „Seit Jahren weigert er sich, seine Künste dem Deutschen Fussball-Bund und der Nationalmannschaft zur Verfügung zu stellen. Lieber – so hat er das mehrfach gesagt – kümmert er sich um seine Familie und legt die Beine hoch. Da entbehrt es nicht einer gewissen Skurrilität, wenn solch ein Herr beginnt, über die angebliche Nicht-Motivation von Arbeitslosen zu räsonieren und die Kürzung von Arbeitslosengeld verlangt, um die seinem Pseudo-Wissen nach Arbeitsunwilligen der Deutschen Post zuzuführen. Die findet, so weiß der ehemalige Postbeamte in einer Illustrierten zu berichten, nicht genügend Arbeitswillige. Seltsam nur, dass die Deutsche Post, seitdem sie an der Börse notiert ist, Schalter schließt, Öffnungszeiten verkürzt und Filialen stilllegt.“

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