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Lybische Ambitionen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Lybische Ambitionen

Maik Grossekathöfer (Der Spiegel5.5.) schildert lybische Ambitionen. „Der Sohn des Revolutionsführers spricht ein Machtwort. Als Saadi Gaddafi eine Viertelstunde vor dem Anpfiff bemerkt, dass nur 5.000 Fans im riesigen Stadion des 11. Juni in Tripolis sitzen, ordnet er per Telefon an, den Preis für ein Ticket sofort von 50 Dinar auf 20 zu reduzieren. Schließlich spielt die libysche Nationalmannschaft, deren Star er ist, an diesem Abend gegen Argentinien – da sollen die Ränge voll sein. Wie sieht denn das sonst aus? Das Last-Minute-Angebot macht offenbar schnell die Runde. Mitte der ersten Halbzeit sind 60.000 Zuschauer in der Arena. Gaddafi junior trägt das Trikot mit der Nummer 11. Zwei Stunden später sitzt Saadi Gaddafi, der jüngste Filius des Despoten Muammar, im Saal Schahhat des Fünf-Sterne-Hotels Corinthia mit seinen südamerikanischen Gästen beim Gala-Diner. Drei Männer in weißen Gewändern bringen mit einem Dudelsack und Bongotrommeln Folklore zum Vortrag. Auf drei Leinwänden werden pausenlos Dias gezeigt: Gaddafi beim Torschuss, Gaddafi mit Pokal, Gaddafi jubelnd. Der Mann mit dem Backenbart, der in Libyen wegen seiner Ausbildung bloß Ingenieur genannt wird, schneidet mit dem argentinischen Mannschaftskapitän Juan Pablo Sorín eine Torte an. Saadi Gaddafi ist ein guter Gastgeber. Jedem Spieler überreicht er einen Pokal mit persönlicher Gravur. Dem Stürmer Javier Saviola schenkt er noch eine goldene Rolex – der Profi in Diensten des FC Barcelona ist Gaddafis Liebling. Saviola bedankt sich artig. An der Wand hinter ihm hängt ein Plakat mit der Aufschrift Friends get together. Die Freundschaft zur argentinischen Nationalelf hat Saadi Gaddafi, 29, eine Million Dollar gekostet. Das Länderspiel vorigen Mittwoch bildet den vorläufigen Höhepunkt eines bizarren Werbefeldzugs der libyschen Diktatorenfamilie. Im Auftrag seines Vaters versucht Saadi mit sportlichem Engagement die internationale Isolation des Wüstenstaats aufzubrechen. 1992 verhängte die Uno Sanktionen gegen Libyen – als Reaktion auf den Anschlag gegen einen Pan-Am-Jumbo, der vier Jahre zuvor über dem schottischen Lockerbie explodiert war. 270 Menschen kamen ums Leben. Im April 1999 wurde das Embargo ausgesetzt. Libyen hat unter den Repressalien extrem gelitten, sagt Gaddafi junior. Jetzt müssen wir all unseren Reichtum, all unser Potenzial dazu nutzen, um ein positives Bild von uns zu entwickeln. Und dafür gibt es nichts Besseres als Fußball. Die Scheckbuch-Diplomatie hat inzwischen eine Menge illustrer Profiteams ins nördliche Afrika gelockt. Werder Bremen war bereits da, demnächst kommt der FC Liverpool, und den Kontakt zu Karl-Heinz Rummenigge hat Saadi Gaddafi auch schon aufgenommen. Bayern München steht wie Schalke 04 auf seinem Wunschzettel ganz weit oben. Aber es reicht ihm nicht, nur Gastgeber für zwei Tage zu sein. 2010 will Gaddafi die Weltmeisterschaft ausrichten (…) Dass Afrika die WM 2010 bekommen soll, ist zwar ausgemacht. Aber mit Marokko, Südafrika und Ägypten sind starke Kandidaten im Rennen. Welchen Vorteil hat Libyen den anderen afrikanischen Aspiranten gegenüber? Gaddafi: Wir haben keine Krankheiten im Land. Die zivilen Defizite des Ölstaats verschweigt er: Medien unterliegen der Zensur, politische Parteien gibt es nicht, Oppositionelle werden ohne weiteres inhaftiert. Gaddafi ist Vizepräsident des libyschen Fußballverbandes, aber er verkörpert den heimischen Fußball auch auf dem Platz. Er ist Kapitän des Erstligisten al-Ittihad Tripolis, agiert als dritte Sturmspitze, will sich aber künftig auch als Regisseur im Mittelfeld probieren. Als Einziger in der Mannschaft hat er einen Stammplatz sicher, und natürlich bestimmt nur er selbst, ob er ausgewechselt wird. Seine Entscheidungen werden nicht diskutiert, sagt Ittihad-Trainer Giuseppe Dossena. Es lohnt sich nicht, ihm zu widersprechen. Schließlich ist er auch Eigentümer und Präsident des Clubs. Was passiert, wenn man seinen Kommandos nicht Folge leistet, musste im September Nationaltrainer Francesco Scoglio erfahren. Zwar führte der Italiener das Team innerhalb von acht Monaten in der Weltrangliste um 16 Plätze nach oben. Aber weil er sich weigerte, Gaddafi in der Qualifikation zum Afrika-Cup einzusetzen, wurde er gefeuert. Saadi sei als Spieler wertlos, wettert Scoglio. Er ist eine totale Null. Der Sohn des großen Revolutionsführers sieht das selbstverständlich anders. Beim Training der Nationalmannschaft stolziert er wie ein Löwe über den Rasen. Seine Fußballstutzen sind hochgezogen wie bei keinem anderen. Selbst wenn er im Gras liegt und die Beinmuskeln dehnt, scheint er irgendetwas Wichtiges zu tun. Doch Gaddafi ist kein begnadeter Kicker. Er ist ein Fußballer von Vaters Gnaden. Als im Juli 1996 aufgebrachte Fans das Spielfeld stürmten, weil der Schiedsrichter Gaddafis Team bevorzugte, eröffneten Saadis Leibwächter das Feuer. Heute mag sich an das Ereignis, bei dem mindestens acht Menschen starben, niemand mehr erinnern. Stattdessen legen ihm die Mitspieler im Strafraum den Ball ebenso uneigennützig wie präzise auf, damit er ihn bequem ins Tor befördern kann. Wenn Saadi Gaddafi Freistöße übt, wirft sich der Torwart schon in eine Ecke, bevor der Ball unterwegs ist. Da jede körperliche Attacke einer Majestätsbeleidigung gleichkäme, halten die Gegenspieler dezent Abstand. Kein Wunder, dass der Stürmer mit 17 Treffern in der vergangenen Saison Torschützenkönig wurde.“

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