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Nachschuss

Moritz, R. – Vorne fallen die Tore. Fußball-Geschichten von Sokrates bis Rudi Völler

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Moritz, R. – Vorne fallen die Tore. Fußball-Geschichten von Sokrates bis Rudi Völler

Aus der ebenso vielfältigen wie beliebigen, zumeist ärgerlichen bis mitleiderregenden Fülle von Anthologien über den Fußballsport, ragen die von Rainer Moritz zusammengetragenen Geschichten um das runde Leder sicherlich überaus positiv heraus. Moritz, ein Fußballfan (kaum nachvollziehbar: 1860), der im Nebenberuf den Hoffmann Campe Verlag leitet, hat Anekdoten und Anmerkungen mehr oder weniger berühmter und ballsicherer Mitmenschen aus den letzten zweitausend Jahren Ball- und Fußgeschichte ausgewählt und ebenso kompetent wie liebevoll (um nicht zu sagen: hingebungsvoll) kommentiert.

Die Fülle der von Moritz auf 275 Seiten ausgebreiteten und chronologisch geordneten verbalen Steil-, Rück- und Fehlpässe kann hier nicht annähernd vorgestellt werden. Allerdings sei angemerkt, dass nahezu jede Seite das Lesen lohnt. Selbstverständlich kann man mit der Lektüre auf jeder beliebigen Seite beginnen, die ersten Passagen zum chinesischen Fußball gehören ohnehin nicht zu den Höhepunkten der Sammlung. Neben Ausführungen von Historikern und Sinologen zur Entstehung des Fußballs (mit China und England als üblichen Verdächtigen), Wehklagen von Schiri Wack, existentielle Fragen wie „Frauen und Fußball“, deutschen und österreichischen Erinnerungen an die „Schmach von Cordoba“, Anmerkungen zur Namensgebung im Alternativ-Fußball, Don Camillo´s Zorn über die Niederlage seines Teams gegen Peppone´s kommunistische Balltreter oder den Noten des Beckenbauer-Evergreens „Gute Freunde“, finden sich unter anderem auch zahlreiche Oden von Dichtern an herausragende Kicker. Als noch immer unübertroffen erscheint dabei neben Eckart Henscheids in Hessen unvergessener Huldigung an Bum Kun Cha (damals Eintracht Frankfurt) sicherlich Friedrich Torbergs Gedicht über den Wiener Ausnahmespieler Mathias Sindelar: „… Er spielte Fußball, und er wusste vom Leben außerdem nicht viel. Er lebte, weil er leben musste, vom Fußballspiel fürs Fußballspiel. Er spielte Fußball wie kein zweiter, er stak voll Witz und Phantasie. Er spielte lässig, leicht und heiter. Er spielte stets. Er kämpfte nie …“.

Ansonsten wächst in diesem Band zusammen, was auf den ersten Blick kaum zusammengehört: Sokrates (der Grieche, nicht der Brasilianer) und Völler, Bausenwein und Beckenbauer, Hornby und Herberger, Derwall und Sartre, Bierhoff und Grass, Rilke und Rummenigge, Hansi Müller und Christian Kracht, Uli Stein und Peter Handke, Ror Wolf und Sepp Maier. Und diese Auszählung ließe sich noch über etliche Zeilen verlängern. Was die Fußball-Geschichten zusammenhält sind ohne Zweifel die treffsicheren Kommentare von Rainer Moritz(Kostprobe: „Maier gab seinen Abschied, um seinen Lebensabend als ´Original´ zu begehen“ oder „Klassische Strophenformen scheinen ohnehin geeignet, das Ballgeschehen adäquat zu erfassen…“).

Abschließend seien auch noch zwei meiner persönlichen Highlights des Bandes verraten: Auf den Seite 132 und 133 wird geschildert, wie Riegel-Rudi Gutendorf seine Schalker 1969 mit einem Sprach-Crashkurs an der Gelsenkirchner Volkshochschule auf ein Europokalspiel bei den Shamrock Rovers vorbereiten wollte. Und an „Stan“ Libuda scheiterte. Auf den Seiten 223 bis 226 wird ein gemeinsamer Auftritt des bajuwarischen „Trio infernale“ (Trainer Lorant, Präsident Wildmoser und „Waldi“ Hartmann) in der TV-Sendung „Blickpunkt Sport“ aus dem Jahr 1992 nachempfunden.

Bleibt nur noch die Frage, was uns so magisch zum Fußball hinzieht. Die einzig überzeugende Antwort stammt wohl vom Journalisten Christoph Biermann: „Fußball leert den Kopf. Radikal und komplett. … Für neunzig Minuten gibt es kein Grübeln und keine Gedanken, die über das Spiel hinausgehen. … Das unterscheidet Fußball von allen anderen kulturellen Veranstaltungen. In Musik, in Bildern oder Büchern versinke ich nie, eher fliegen die Gedanken davon. Nur im Fußball gehe ich verloren“ (Seite 14). Das hätte wohl Loddar Matthäus nicht prägnanter formulieren können.

Kritisch kann ich nur anmerken, dass mir in den Fußball-Geschichten ein paar Sätze von Cesar Luis Menotti über Maradona fehlen, dafür aber auch Bayern-Sympathisanten zu Wort kommen und über etliche Zeilen Gurkensalat als Lieblingsspeise von Bernd Schuster präsentiert wird. Dafür habe ich aber wenigstens keinen Beitrag von Walter Jens entdeckt.

Die überaus gelungene, ebenso ICE- wie strandtaugliche Aufmachung des kleinen Bandes unterstreicht den champions-league-tauglichen Gesamteindruck. You´ll never walk alone – if you got this book.

Jürgen Schwier

Moritz, R. (Hrsg.). (2002). Vorne fallen die Tore. Fußball-Geschichten von Sokrates bis Rudi Völler. Verlag Antje Kunstmann.

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