indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Bundesliga

Oliver Fritsch | Samstag, 27. März 2004 Kommentare deaktiviert für Bundesliga

Thomas Schaaf, „Baumeister des Gesamtgebildes Werder Bremen“ (FAZ) – Jens Lehmann, mehr Sein als Schein (FAZ) – FR-Interview mit Karl-Heinz Rummenigge u.v.m.

Baumeister des Gesamtgebildes Werder Bremen

Über Thomas Schaaf ist erstaunlich wenig zu lesen. Frank Heike (FAZ 27.3.) schafft Abhilfe: „Dröge, maulfaul, staubtrocken, öffentlichkeitsscheu, störrisch, spröde, schwerfällig, unterkühlt, humorlos. Man könnte sich noch ein paar mehr Adjektive dieser Richtung ausdenken, die zum veröffentlichten Bild von Thomas Schaaf paßten. Die oben aufgelisteten Zuschreibungen entstammen einer zufälligen Auswahl aus Artikeln über ihn. Vor allem humorlos fehlt fast nie. Doch irgendwann zuletzt – es ist schwer, genau zu sagen, wann, etwa seit einem Jahr vielleicht – haben neue Worte die alten abgelöst. Wer Schaaf zuletzt beschrieb, benutzte eher die Konstruktionen hintergründig, besonnen, geduldig, akribisch. Und sehr oft auch: humorvoll. Schaaf hat das bemerkt. „Ich denke, daß sich das veröffentlichte Bild von mir gerade wandelt.“ Er gibt ganz gern Interviews, auch, weil ihn die Überlegungen des anderen interessieren, und er nimmt seine Darstellung in den Medien wahr. (…) Es sagt viel über ihn, daß er bei den Vertragsverhandlungen mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Jürgen Born, lieber über bessere Trainingsplätze gesprochen hat als über Geld. Schaaf verlängerte bis 2006. Er sieht sich als Baumeister des Gesamtgebildes Werder Bremen. Immer wieder führte und führt er Talente an die Bundesliga heran. Er hat große Qualitäten im Umgang mit jungen Spielern – bei ihm hat sich fast jeder weiterentwickelt: Claudio Pizarro, Torsten Frings, Frank Baumann, Paul Stalteri, Fabian Ernst, Nelson Valdez. Noch nie hat Schaaf einen Spieler öffentlich kritisiert. Wie er sich in der vergangenen Serie trotz aller Fehler vor Torwart Pascal Borel stellte, wirkte verbohrt. Aber Profis zahlen dieses Vertrauen durch Leistung oder zumindest Loyalität zurück. Schaaf kann auch mal weghören, wenn Monsieur Micoud zu divenhaft daherkommt, wenn Senhor Ailton wieder irgend etwas quer sitzt. Er kann verzeihen, so dem wiederholt alkoholauffälligen Razundara Tjikuzu oder Alexander Walke, um den es eine Haschisch-Affäre gab. Schaaf überläßt seinen Spielern die Show, die Bühne, die Mikrophone. Natürlich spricht er als ehemaliger Profi auch ihre Sprache. Und er hört ihnen zu. Das lobt Verteidiger Valérien Ismaël. Selbst der kaum einmal zum Einsatz gekommene ehemalige Stürmer Marco Reich sagt: „Ich bin froh, Schaaf kennengelernt und unter ihm trainiert zu haben.“ Über seine Taktik doziert Schaaf nie. Dabei wäre sie in dieser Saison etwas fürs Lehrbuch.“

Jörg Marwedel (SZ 27.3.) stellt fest, dass in Bremen nun anders gerechnet wird: „Manchmal kommen die Zeichen des Booms ziemlich grell daher, manchmal wirken sie eher hinter den Kulissen, und manchmal spiegeln sie sich in nackten Zahlen wider. Was die grelle Seite angeht, so hat die Bremer Friseurinnung soeben angeboten, die Haare aller Werder-Fans in vereinsgemäßes Grün zu färben. Kostenlos, versteht sich, denn womit lässt sich derzeit mehr Aufmerksamkeit erzielen als mit dem designierten Deutschen Fußballmeister? Eher versteckt, aber umso heftiger hat das Gezerre der Bremer Gastwirte eingesetzt, die sich eine Schankgenehmigung sichern wollen für die diskret geplante Meisterfeier vor dem Rathaus am 23. Mai, auf die eine Woche später – einen Sieg gegen Alemannia Aachen vorausgesetzt – noch eine DFB-Pokal-Fete folgen könnte. Zieht man die jüngsten Zahlen hinzu, die Werders Mediendirektor Tino Polster dieser Tage gern mitteilt, besteht kein Zweifel mehr: So verrückt auf ihren Fußballklub wie anno 2004 waren die hanseatischen Fans noch nie, nicht einmal in den seligsten Momenten der guten, alten Rehhagel-Ära. Seit November hat sich die Mitgliederzahl verdoppelt, von 6400 auf 13 000. Vor nicht einmal zwei Jahren waren es noch 2900. Die letzten vier Heimspiele im Weserstadion (43 000 Plätze) sind fast ausverkauft, was den Zuschauerschnitt dieser Saison auf die Rekordmarke von beinahe 37 000 schnellen lässt. Im Meisterjahr 1992/93 waren keine 20 000 im Schnitt gekommen. Zugegeben, auch die neuen Daten sind bescheiden im Vergleich zu München, Dortmund oder Schalke. Gleichwohl deuten die enormen Wachstumsraten auf einen erstaunlichen Mentalitätswandel hin in einer Stadt, deren Bürger wegen ihrer Nähe zur Küste und ihres oft eher gebremsten Temperaments gern als „Fischköppe“ verspottet werden. Und die Ursachen dafür liegen nicht allein in den bezaubernden Auftritten der Werder-Profis auf dem Rasen, sie sind auch das Resultat eines gekonnten Zusammenspiels zwischen den Sektionen Sport und Marketing. Längst wird diese Erlebniswelt von professionellen Werbefeldzügen, modernen Internetauftritten und Schulaktionen flankiert. Nie war Werder präsenter, nie hat sich der Klub so frisch dargeboten wie etwa mit der Kampagne „Ich will Dich!“ – einer Anlehnung an Rekrutierungsplakate der amerikanischen Armee („Uncle Sam wants you“), bei der Trainer Thomas Schaaf, Kapitän Frank Baumann und Regisseur Johan Micoud um neue Mitglieder buhlen. Vor allem aber: Nie war die Chance für Werder größer, gleich zwei Schritte auf einmal zu machen im Wettlauf mit dem wirtschaftlich überlegenen Branchenführer FC Bayern.“

Stehertyp

Die meisten Fußball-Journalisten, besonders im TV, sind überfordert, das Torwartspiel zu beurteilen – besser: sie haben keine Ahnung. Christian Eichler (FAZ 27.3.) analysiert die Torwartfrage Deutschlands kennerhaft und trennt Sein und Schein: „Der erste Eindruck: distanziert, abwartend, mancher sagt: arrogant. Vielleicht müssen Torhüter so sein, dem Gegenüber immer erstmal etwas Abwehrendes zeigen. Der Fliegertyp im Tor tut das eher aggressiv, der Stehertyp durch entnervendes Lauern. Jens Lehmann ist ein Stehertyp, einer, der den Schritt lieber dann macht, wenn noch keiner auf den Torwart schaut, weil der Stürmer den Ball noch hat; dessen Parade dann nicht so spektakulär aussieht, als wenn er vorher einen Schritt weniger machte und dann einen Meter weiter flöge. Lehmann ist der lauernde Typ. Nicht aus Unsicherheit, aber: Sicherheit geht vor. Berufskrankheit. Im Gespräch löst der Anschein der Arroganz sich in wenigen Minuten auf. Doch weil das Fernsehen dem sprechenden Menschen nur ein paar Minuten gibt, ist das öffentliche Bild des Jens Lehmann von diesem ersten Eindruck geprägt. Wer ihm in diesen Wochen im Trainingszentrum des FC Arsenal begegnet, draußen am nördlichen Autobahnring um London, trifft einen nachdenklichen Mann: einen, der weiß, daß er sein Glück gemacht hat; der dennoch mehr will, nur nicht weiß, wie – alles, was er anstellt, könnte das Falsche sein. Er mag nicht darüber reden, doch überall begegnet ihm die ewige K-Frage: die Kahn-Frage. Kahn hat den Platz im Nationalteam abonniert. Lehmann hält sich für besser. Er nörgelte ein bißchen herum, sagte zwei anzügliche Sätze über das Privatleben des Rivalen. Schon hatte er ein Problem, das er nicht kommen sah. Lobbyarbeit war nie Lehmanns Stärke, er machte nie die Spielchen mit der Boulevardpresse mit, verprellte viele mit undiplomatischer Art. Einer ohne Lobby steht mit jedem Fehler allein. Kahn hat für seine cholerischen Einlagen – Kung-Fu mit Chapuisat, Dracula-Kuß für Herrlich, den Karnickelgriff bei Brdaric – kein einziges Mal die Rote Karte erhalten. Lehmann bekam sie schon dafür, daß er Leute anbrüllte. So forderten viele auch diesmal Rot: den Rausschmiß aus dem Nationalteam. Rudi Völler kam nach London und zeigte Gelb. (…) „Er macht einen Superjob“, sagt Wenger. „Er ist schnell, impulsiv, verbessert sich ständig, hat guten Einfluß auf unsere Abwehrorganisation.“ Fehler macht er natürlich auch. „Zwei in der Saison“, räumte Lehmann ein, gegen Leeds und Kiew; in der Champions League gegen Chelsea kam noch einer dazu – alle beim Ausputzen vor dem Strafraum. Berufsrisiko: Wer rauskommt, riskiert, schlechter auszusehen als auf der Linie. „Es kommt besser an, wenn man spektakulärer hält, weil die Öffentlichkeit das Spektakel mag“, sagt Lehmann. „Doch die Kunst ist, mitzuspielen, mitzudenken, als Teamspieler die Fehler der anderen auszubügeln.“ Auch wenn das von vielen Zuschauern nur bemerkt wird, wenn es schiefgeht.“

FR-Interview mit Karl-Heinz Rummenigge

FR: Reden wir nicht lange drum herum: Sie wollen den Spielern ans Geld, die Gehälter um 15 bis 20 Prozent senken.
KHR: Das stimmt. Aber das betrifft nur auslaufende Verträge. Damit haben wir bereits vor einem Jahr begonnen. Wir haben immer sehr hohe Gehälter gezahlt, aber wir müssen auch marktkonform denken. Wir sind schließlich eine AG. Und die Tendenz ist eindeutig. Die Gehälter gehen nach unten, und dem werden auch wir uns nicht verschließen.
FR: Ist der Fußballmarkt arbeitgeberfreundlicher geworden?
KHR: Wesentlich. Wenn ich das vergleiche mit den Jahren 1998 bis 2001, das waren ja ganz verrückte Zeiten. Da haben wir alle reichlich Kröten schlucken müssen.
FR: Sind die Zeiten für die Clubs wieder so gut wie vor dem Bosman-Urteil?
KHR: Die Kurse für Spieler sind in der Post-Bosman-Ära zwischen 20 und 30 Prozent per annum gestiegen. Das kann man in ein, zwei Jahren nicht wettmachen. Aber die Tendenz ist eindeutig. Die Preise fallen.
Der FC Bayern hat nicht nur weniger eingenommen, er hat auch seinen eigenen Ansprüchen nicht genügt.
FR: Wir können unter der Maßgabe, Zweiter zu werden, ein Jahr ohne Titel überstehen. Wir müssen uns direkt für die Champions League qualifizieren. Nur dann bleibt kein finanzieller Schaden. Wir dürfen nicht so arrogant sein und glauben, jedes Jahr ein Titel sei die Norm. Wir möchten das, klar. Das allein wird für uns kommende Saison Antrieb sein, wieder volles Rohr anzugreifen.
FR: Befürchten Sie, dass der VfB Stuttgart Sie noch abfängt?
KHR: Wir müssen kämpfen. Wir haben ein warnendes Beispiel vor Augen: Dortmund.
FR: Bringt Sie die schwache Leistung gegen Hertha BSC am vergangenen Samstag ins Grübeln?
KHR: Die Leistung in dieser Saison insgesamt gibt Anlass dazu. Wir sind nicht zufrieden.
FR: Im Frühjahr 2004 präsentiert sich die Mannschaft als relativ blutarmer Haufen. Da ist kein Leben drin.
KHR: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft einfach eine Lücke. Die müssen wir schließen. Und zwar schnell.
FR: Fehlt ein Leader?
KHR: Es braucht immer zwei, drei Häuptlinge auf dem Platz. Wir haben bei den Feldspielern ein Problem in der akzeptierten Hierarchie. Ein Häuptling muss Topleistung bringen, um von den anderen akzeptiert zu sein.
FR: Sie meinen Michael Ballack.
KHR: Wir haben uns schon vorgestellt, dass er diese Führungsrolle übernehmen wird. Aber wie man sieht, fällt ihm das nicht so leicht.
FR: Zuletzt hat ihn Uli Hoeneß an den Pranger gestellt. War das abgesprochen?
KHR: Das war ganz spontan. Er hat sich wohl über ihn geärgert und wollte ihn über die Öffentlichkeit wachrütteln.
FR: Mittlerweile wird ja sogar schon vom Fehleinkauf gesprochen. Wie lange braucht einer wie Ballack, um endlich die Rolle mit Leben zu erfüllen, die ihm zugedacht ist?
KHR: Eigentlich braucht ein guter Spieler dafür vielleicht drei Monate. Zidane hat in Madrid zwei, drei Monate gebraucht, dann war er der absolute Anführer. Topspieler brauchen nur kurze Zeit, weil sie individuell stark genug sind, die Zügel in die Hand zu nehmen.
FR: Ist Ballack ein Topspieler?
Wir hatten uns vorgestellt, Effenberg hört 2002 auf, Ballack kommt. Aber dieser Wechsel ist aus heutiger Sicht nicht ganz unproblematisch über die Bühne gegangen.
FR: Glauben Sie noch an Ballack?
KHR: Ich glaube, wir müssen sehr schnell mit mehreren Diskussionen aufhören. Es ist doch ein Alibi, ob er eine Nummer sechs ist oder eine Nummer zehn ist. Das ist doch kalter Kaffee. Auch wenn einer linker Verteidiger spielt, kann er eine Führungsrolle einnehmen. Das hat Bixente Lizarazu doch gezeigt. Das entscheidende Argument ist und bleibt die Leistung. Und die wird nicht nur von uns, sondern auch von der Öffentlichkeit kritisiert.
FR: Was wird mit Trainer Ottmar Hitzfeld? Geht er? Will er weg?
KHR: Es ist keine einfache Entscheidung für uns, das gebe ich zu. Wir verbinden mit ihm große Erfolge. Auf der anderen Seite ist der Status quo nicht befriedigend. Egal was passiert, er bleibt der erfolgreichste Trainer in der Geschichte des FC Bayern. Wir werden ihn stets als Persona grata behandeln.
FR: Wird die Entscheidung dadurch erschwert, dass Sie ein freundschaftliches Verhältnis zu Hitzfeld pflegen?
KHR: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis, aber eine gewisse Distanz muss man schon aus Gründen der Professionalität wahren.
FR: Stimmt das Gerücht, dass Felix Magath bereits als Trainer ausgeguckt ist?
KHR: Egal, ob was dran ist oder nicht: Er ist ein interessanter Trainer. Seine Entwicklung ist zweifellos positiv, und jetzt muss man mal abwarten.

Ulrich Hartmann (SZ 27.3.) beschreibt Jeff Strasser, Borussia Mönchengladbach: „Mit so viel Ehrgeiz kann er sogar zum Erlöser einer ganzen Mannschaft werden, wie am vorigen Samstag beim 3:0 gegen den Hamburger SV. Aber er war auch schon oft der Buhmann, wenn ihm kapitale Fehler unterlaufen sind. Jeffinho, hat ihn in Kaiserslautern die Boulevardpresse nach einem großen Spiel einmal genannt – „und drei Tage später haben sie geschrieben, ich wüsste nicht mal, ob der Ball rund oder eckig ist“. Strasser, der sein Handwerk im Fußballinternat des FC Metz erlernt hat, bewegt sich als Spieler immer zwischen Himmel und Hölle. In einer offensiv schwächelnden Mannschaft wie Borussia Mönchengladbach, in der vor allem die Zuverlässigkeit der Abwehr über Erfolg und Misserfolg entscheidet, ist er so etwas wie der Indikator für den Zustand des Teams, und als solcher kann er sich nicht allzu viele Höflichkeiten im Umgang mit den gegnerischen Stars erlauben. „Ich bin nicht der Sympathischste auf dem Platz“, räumt er lächelnd ein.“

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

111 queries. 0,594 seconds.