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Bremen feiert ausgelassen, „die Mediterranisierung der norddeutschen Tiefebene“

Oliver Fritsch | Montag, 10. Mai 2004 Kommentare deaktiviert für Bremen feiert ausgelassen, „die Mediterranisierung der norddeutschen Tiefebene“

„schöner geht’s nicht“ (FAS); „danke, SV Werder“ (SZ); „die Welt sieht seit Samstag, 17.15 Uhr, etwas schöner aus Uhr“ (FTD); „Werder Bremen, Meister mit Stil“ (NZZaS); „grün-weiße Sause, ein Tisch mitten ins Bayern-Herz“ (FAZ); „die Low-Budget-Mannschaft aus Bremen ist zum Kronjuwel der Liga geworden“ (FAZ); Verbeugung vor Thomas Schaaf, „man kann sagen, dass schon lange nicht mehr so viel Trainer in einem Titel steckte“ (BLZ) und Klaus Allofs; Bremen feiert ausgelassen, „die Mediterranisierung der norddeutschen Tiefebene“ (SZ) – „noch Fragen? die Münchner haben alle ihre Antworten für die Saison erhalten“ (FAS); FC Bayern München bleibt „die Rolle des Getränkelieferanten“(NZZaS); „FC Mutlos“ (FR); „Ottmar Hitzfeld erinnert an Helmut Kohl“ (FTD); „Pannen-Olli“ (FAZ) – Jupp Heynckes, „ein Kind des Bökelbergs“ (SZ) – HSV rehabilitiert sich – Eintracht Frankfurt ohne Herz und Mumm, „selten ist ein Abstieg undramatischer und emotionsloser über die Bühne gegangen“ (SZ) u.v.m.

Bayern München – Werder Bremen 1:3

Zum Erfolg gehört Demut und Bescheidenheit

Martin Hägele (NZZ 10.5.) erklärt den Unterschied zwischen Bremen und Bayern: „Deutschland ist sich einig: Es gibt keine idealere Mannschaft als Werder Bremen, um Rekordmeister FC Bayern den deutlichen Bescheid zu geben, dass die Nation genug hat vom Regime der Herrschaften in München. Die sympathischen und skandalfreien Werder-Professionals werden nun als Gegenentwurf des Starensembles dargestellt. Zum Beispiel auf Stufe Torhüter. Hier Keeper Kahn, der gerade seine Biografie („Oliver Kahn, Nummer 1“) auf den Markt wirft und sonst seinen feuerroten Ferrari zum Training steuert, in den entscheidenden Partien dieser Saison aber harmlose Bälle nicht festhalten kann. Da Andreas Reinke, schon vor Jahren aussortiert im 1. FC Kaiserslautern, der in einem alten VW-Bus aus dem spanischen Murcia ins Weserstadion gekommen war, gewissermassen auf Probe und ganz bestimmt als billige Arbeitskraft. Und nun bringt sich dieser Reinke ins Spiel für die EM in Portugal. Nach seiner vor zwei Wochen bei Rudi Völler eingereichten Eigenbewerbung wurde Reinke zwar vom eigenen Klub zurückgepfiffen, doch das Sicherheitsrisiko Kahn kann allerspätestens seit Samstag niemand mehr übersehen. Der Beleg für den Triumph der „leisen Papageien“, wie die in ihren grellbunten grün-orangen Trikots gekleideten Bremer auch genannt werden, über die herangezüchteten Paradiesvögel vom FC Bayern? Um den Erfolg von Werder und vielleicht auch das Besondere an diesem klug herauszustellen, wurde Valerien Ismael ins „Sportstudio“ des ZDF geschickt. Der 28-jährige Abwehrchef hat die Gunst der Stunde nicht genutzt, um in eigener Sache für ein Début in der Equipe tricolore zu plädieren, obwohl die Europameister einen wie ihn in ihrer überalterten Abwehrreihe gut gebrauchen könnten. Stattdessen hat sich Ismael bei Trainer Thomas Schaaf und Manager Klaus Allofs bedankt „für die Chance, Deutscher Meister zu werden“. Zum Erfolg gehöre auch Demut und Bescheidenheit, so Ismael, im Lauf der Saison sei das Selbstbewusstsein entsprechend gewachsen, „so dass wir den Kopf gerade auf den Schultern tragen“. Am Ende des Interviews erhoben sich die Zuschauer für eine minutenlange standing ovation – was es in dieser Sendung seit Jahren nicht mehr gegeben hat. Man kann nur richtig gross werden, wenn man mal ein Kleiner war und sich wieder hochgekämpft hat; und diese Erfahrung steht in der Vita der meisten Bremer.“

Tage, an denen man gnädig sein kann, sind große Tage

„München und Bremen? München ist das Gegenteil von Bremen“, behauptet Holger Gertz (SZ 10.5.) auf Seite 3: „Diese Meisterschaft war eine besondere, weil am Ende Süd gegen Nord kämpfte und reich gegen, nun ja, weniger reich. Weil es zwei alte Rivalen miteinander zu tun hatten, die Münchner mit den Bremern, die Großen mit den Kleinen, das Ganze unterlegt von den Poltereien des fleischigen Münchner Managers Uli Hoeneß auf der einen und den Sticheleien des spitzgliedrigen Bremer Senators Willi Lemke auf der anderen Seite. Die einen können sich den Stürmer Makaay für 19 Millionen kaufen, soviel kostet die ganze Mannschaft der anderen nicht. Die einen werben auf ihren Trikots für eine international verbindende Telekommunikationsfirma, die anderen für ein Bekleidungsunternehmen des eher mittleren Preissegments, demnächst für einen Discounter der eindeutig günstigsten Kategorie. Eigentlich hat Werder Bremen keine Chance. Aber Werder Bremen hat die Meisterschaft gewonnen, ausgerechnet in München. Bayern-Torwart Kahn krabbelte dem Ball hinterher wie ein Kleinkind einer davonrollenden Rassel. Hoeneß, auf der Bank, versuchte, sich in sich selbst zu verstecken. Ballack spielte wie sein verschollen geglaubter, talentfreier Zwillingsbruder. Die Bremer hätten höher gewinnen können, aber sie waren gnädig. Tage, an denen man gnädig sein kann, sind große Tage. Am Ende ist Thomas Schaaf, der Trainer, allein über den Platz gegangen wie damals Franz Beckenbauer, der Teamchef, nach der WM 1990. Beckenbauer trug einen Anzug, Schaaf einen flauschigen grauen Pullover, Schaaf-Fell genannt. Ein Pullover, der zu Bremen passt, wie der Trainer zu Bremen passt. Perfekt. Thomas Schaaf redet nicht sehr viel. Die Bayern reden alle immer sehr viel. Das mögen die Bremer Fans nicht. Auf dem Trainingsplatz beim Weserstadion ist längst nicht so viel los wie in München an der Säbener Straße, wo jeden Tag Hunderte auf ein paar junge Männer mit Gelfrisuren und Sonnenbrillen warten. Bayern ist Hollywood, Bremen ist immer noch ein bisschen Dorfplatz, mit Fahrradständern für die Spieler, die mit dem Fahrrad kommen. Es klingt wie ein Klischee, aber es ist so, und vielleicht muss man gar nicht sagen, dass Bremen Meister geworden ist trotz seines in jeder Beziehung kleineren Zuschnitts, sondern gerade deswegen. (…) Als nächstes? Pokalsieger vielleicht, und dann? Bei Borussia Dortmund hat es auch mal so angefangen wie bei Werder, irgendwann passte alles, die Leute bemalten die Straßen schwarz-gelb, aber dann wurden die Dortmunder fast so erfolgreich wie die Bayern, fast so arrogant und geldbäuchig und unbeliebt. Alles ändert sich, auch das macht der Erfolg, allerdings: Nobeldiscos wie das Münchner P 1 wird es Bremen nicht geben. Der Bayern-Torwart Kahn ist oft im P1. Der Werder-Torwart Reinke – beschenkt mit der inneren Ruhe eines pensionierten Braunbären – kennt nicht das P1. „P1?“ hat er mal gesagt: „Ist das nicht der Parkplatz am Weserstadion?““

Die Wunder häufen sich

Michael Horeni (FAZ 10.5.) fügt hinzu: “Werder Bremen demonstrierte im nordischen Winkel, wie es sich unter dem Diktat scheinbar erdrückender Marktmacht auch mit vergleichsweise wenig Mitteln hervorragend leben läßt. Sportlicher Sachverstand – und der Mut, sich darauf zu verlassen – hat bei Werder unter Trainer Thomas Schaaf und Manager Klaus Allofs einen Triumph reifen lassen, der keineswegs selbstverständlich ist und auch auf manchen Hauptdarsteller wie ein „Wunder“ wirkt. Auf die Langzeitwirkungen von Wundern zu bauen bleibt für die Zukunft jedoch weitaus unsicherer, als auf ein dickes Bankkonto zu vertrauen. Dennoch wird nicht nur in Deutschland diese Spielzeit in die Fußball-Annalen eingehen als die Renaissance der Randlagen. Über die Boomjahre hinweg drehte sich der Fußball immer schneller nur noch um die Fußball-Weltstädte mit dem besonderen Kick, ob sie nun Madrid, München oder Manchester heißen. Die nationalen Titel waren kaum mehr als ein Appetitanreger für diejenigen erfolgsverwöhnten Klubs, die schon über die Primera División, die Bundesliga oder die Premier League hinausgewachsen schienen und deren Ambitionen sich stetig weiter über Europa ausbreiteten. In der „G 14″ versuchten die Fußball-Könige Europas auch immer stärker, ihren politischen Einfluß zu erweitern, und nichts schien den Aufstieg dieser Herrscherklasse bremsen zu können. In dieser Saison aber wurde die Dominanz der großen europäischen Fußball-Allianz erschüttert. (…) Die Wunder häufen sich also. Daß sie in Zeiten dreistelliger Millionenumsätze überhaupt noch möglich sind, ist vielleicht der größte Gewinn, den Triumphe im Geiste Werder Bremens für den Fußball und seine Fans abwerfen.“

Tag der Befreiung

Axel Kintzinger (FTD 10.5.) atmet auf: „Der 8. Mai ist ein schöner Tag, um das Böse zu besiegen. „Tag der Befreiung“ sagen deshalb viele zu diesem Datum, und nur Revanchisten definieren es als „Tag der Kapitulation“. Bezogen auf den FC Bayern passt beides. Ballack, Kahn und Co. mussten an eben einem 8. Mai vor dem intelligenteren, schöneren – sprich: besseren Fußball von Werder Bremen kapitulieren. Und befreit wurde die Welt wenigstens in diesem einen Fall von dem quälenden Umstand, dass es so oft die Falschen sind, die oben stehen. Dass dieses Land von einer unfähigen Regierung gepeinigt wird und von der sicheren Erkenntnis, die Opposition würde es keinen Deut besser machen. Dass in Washington noch immer viel zu wenig auf den überfälligen regime change hinweist. Dass die Straßen von immer mehr „Cayenne“-Kisten verunziert werden, diesem Design-Verbrechen ausgerechnet im Namen Porsches. Und eben dem Missstand, dass eine Fußballmannschaft so schlecht spielen kann wie sie will und trotzdem Meister wird – wenn sie nur Bayern München heißt. Die Welt, falls sie es denn nötig hat, wird dadurch zwar nicht gerettet. Aber sie sieht seit Samstag, 17.15 Uhr, ein ganzes Stück schöner aus.“

Die Champions 2004 brauchen sich nicht länger als die Robin Hoods zu fühlen

Martin Hägele (NZZaS 9.5.) vergleicht die Meisterschaft mit den drei Meisterschaften der Bremer Geschichte: „Wenn sich die kleinste deutsche Hansestadt nun zum vierten Mal als Regierungssitz der Bundesliga feiert, ist alles anders als 1965, 1988 und 1993. Der erste Titel im zweiten Jahr der Profi-Klasse war selbst für die Beteiligten eine Überraschung, obwohl er einem bis heute gültigen Prinzip zu verdanken war: „Eisenfuss“ Höttges und dessen Kameraden konnten hervorragend verteidigen; und in der grün-weissen Diaspora funktionierte schon damals Teamwork besser als etwa in Köln, Dortmund oder München, wo gerade die ersten Stars der neuen Branche gefeiert wurden. Die zwei letzten Triumphe dagegen stehen für die Epoche Otto Rehhagel und den Geist des Übervaters, der geprägt war vom fussballerischen Klassenkampf und einem Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Metropolen: Werder bezog seine Sympathien und die vor allem in Cup-Spielen wundersam freigelegten Kräfte aus einer gewissen Asterix-Mentalität. Die Champions von 2004 aber brauchen sich nicht länger als die Robin Hoods des dritten Jahrtausends zu fühlen, die sich auch für eine verarmte Verwandtschaft an den Pfeffersäcken in Gestalt des FC Bayern München gerächt haben. Und der Erfolg gehört nicht wie gewohnt erst mal dem Volkstribun Rehhagel, sondern allen in den papageifarbigen Trikots. Gerade in der entscheidenden Phase der Meisterschaft hat die Mannschaft gezeigt, dass sie nicht abhängig ist von den Frontfiguren des Bremer Flaggschiffs; als Goalgetter „007-Ailton“ und der „Weser-Zidane“ Johan Micoud schwächelten, übernahm der grosse Rest der Besatzung die Verantwortung für den ordentlichen Abschluss des Coups. Dessen Planer, der Trainer Thomas Schaaf und Sportdirektor Klaus Allofs, stehen jetzt als Paradebeispiel für zwei absolut normale Menschen und pfiffige Manager.“

Allofs riskiert viel bei Einkäufen, Schaaf in seiner Art, Fußball spielen zu lassen

Frank Heike (FAS 9.5.) beschreibt das Wirken Thomas Schaafs und Klaus Allofs’: „In Allofs und Schaaf haben sich kongeniale Partner gefunden, die auch im Mißerfolg zueinander standen und stehen. Einen Streit zwischen den beiden verschiedenen Männern ist kaum vorstellbar. Das liegt auch daran, daß sie von Anfang an zusammenpaßten und sich als Meisterprofis kannten. Warum sollte das Zusammenspiel des Linksaußen mit dem rechten Verteidiger nicht auch in verantwortlicher Position klappen? Allofs sagt rückblickend: „Bei Thomas und mir war von vornherein klar, daß wir uns nicht in die Quere kommen und er meine Mitarbeit ausdrücklich wünscht. Bei einem Trainer, der schon Jahre da ist, wäre es schwieriger geworden.“ Noch heute wird jeder Transfer zwischen den beiden stundenlang besprochen. Oft gibt es vier oder fünf Kandidaten für eine Position, und erst, wenn beide überzeugt seien, stellt Allofs (der Stürmer), der ja auch Mitglied der Geschäftsführung ist, den Kollegen den Wunschspieler vor (und nennt die benötigte Summe, woraufhin die Sparkommissare bei Werder oft die Brauen heben). Schaaf wiederum schätzt Allofs Denke, die ihm (dem Verteidiger) selbst vollkommen fremd ist: „Klaus hat immer die Vision gehabt, sich auch an die schwierigsten Verhandlungen heranzuwagen. Manchmal sagt er vor Verhandlungen mit hochkarätigen Spielern: ,Ach, vielleicht ist es aussichtslos, aber ich versuch‘ das einfach mal!‘“ Das ist die Allofssche Arbeitsweise: auch einmal den riskanten Gedanken wagen. Wie bei Cesar, bei Micoud, bei Ismael. Jetzt bei Klose. Allofs riskiert also viel bei Einkäufen, Schaaf in seiner Art, Fußball spielen zu lassen: Daraus ist in dieser Meistersaison der Unterhaltungsfußball a la Werder geworden. Immer waren es Schaaf und Allofs zusammen, die die Neuen holten: Allofs führte die ersten Gespräche, gern auf französisch, Schaaf vermittelte jedem das Gefühl, absolut notwendig für seine erste Elf zu sein. Dabei gibt es eine klare Rollenverteilung in bezug auf Mannschaft und Öffentlichkeit, die man auf dem ersten Blick gar nicht wahrnimmt, wirkt doch der redegewandte Allofs in Anzug oder modischem Pullover so smart und der früher wortkarge, leicht lispelnde Schaaf in Kapuzenjacke eher zurückhaltend und barsch: die Spieler schwärmen von Schaafs uneitler Art, sie mögen das Undogmatische, Pragmatische, Zupackende an ihm. Die Fans lieben seine Auftritte, wenn er die Welle mit ihnen zelebriert. Allofs hingegen ist kein Mann fürs Volk. Wenn es Kritik der Anhänger an Werder gab und gibt, bekam nur Allofs sie ab – etwa dafür, daß er nach Spielen noch nie in die Kurve gegangen ist. Unpopuläre Entscheidungen fallen ihm nicht schwer: keine neuen Verträge für Volkes Lieblinge Herzog oder Verlaat. Die harte Pokerei um Klasnic und Lisztes. Hier hat Allofs an Format gewonnen. Er sagt: „Am Anfang war ich zu eigenbrötlerisch. Jetzt bin ich teamfähiger. Aber bei Transfers muß ich am Ende den Kopf hinhalten.“ Zum Sympathieträger hat sich Schaaf entwickelt – ausgerechnet der Mann, der scheinbar zum Lachen in den Keller geht.“

Ludger Schulze (SZ 10.5.) klopft Schaaf auf die Schultern: “Seit 20 Jahren zählt Werder zur Sahneschicht der Bundesliga, unterbrochen nur von einer turbulenten Phase der Selbstfindung, die nach einem 14-jährigen Regnum unter Otto Rehhagel zwangsläufig einsetzen musste. Vor fünf Jahren aber fand sich das Trio Klaus Allofs, Manager, Jürgen Ludger Born, Präsident, und Thomas Schaaf, Trainer. Born, Hanseat und Banker, aber keinesfalls s-teif, sondern mit Witz und Schlagfertigkeit ausgestattet; Allofs, der rheinische Realo mit Charme; und Schaaf, der „Baumeister mit staubtrockenem Humor“ (dpa). Ihr Geschäftsprinzip gründet auf dem sportlichen Erbe Rehhagels: kontrollierte Offensive, kalkuliertes Risiko. Das perfekt abgestimmte Zusammenspiel könnte als Modell für moderne Führungskunst dienen, unaufgeregt, uneitel, zielstrebig und immer mit einer Zunge sprechend. Mit ruhiger Hand hat die Troika der Stoiker eine Mannschaftsmischung gefunden, der die ungeteilte Sympathie des Fußballpublikums gehört, und man fragt sich, wieso es ausgerechnet ihr gelingt, so viele Volltreffer aus dem Transfertopf zu ziehen: weil sie neue Spieler über Jahre beobachten und sich im Urteil nicht durch die Tagesform eines Kickers blenden lassen.“

Familiäre Grundsätze

Roland Zorn (FAZ 10.5.) auch: „Am Samstag ist er mit Werder Bremen deutscher Meister geworden; am Sonntag hat er seine Tochter Valeska angefeuert, die deutsche Korbballmeisterin werden wollte. Eben noch in der großen Welt des Profifußballs als Trainer des Jahres gefeiert, gesellte sich Thomas Schaaf tags darauf wie selbstverständlich zu den kleinen Helden des Amateurismus. Der 43 Jahre alte Familienmensch hat sich die Fähigkeit bewahrt, sein Leben nach seiner Façon ohne jede Showallüre zu gestalten. Weil ihm die Familie so viel bedeutet, hat er es verstanden, auch im Hochleistungsklima eines Bundesliga-Spitzenklubs familiäre Grundsätze gelten zu lassen. Wer mit Schaaf zu tun hat, lernt einen Menschen und Fachmann kennen, für den vor allem Werte wie Ehrlichkeit, Verläßlichkeit, Gerechtigkeit und Glaubwürdigkeit zählen. Gelassen und in sich ruhend, hat der in Mannheim geborene, in Bremen aufgewachsene und schon im Kindesalter für den SV Werder kickende Schaaf damit ein Binnenklima geschaffen, das die kollektiv überzeugende Leistung des neuen Meisters beflügelte. „Ein Klasseerfolg der Mannschaft“, sagte Schaaf, als er seinen Anteil am vierten Titelgewinn der Bremer kommentieren sollte.“

Altbremer Werte

Christof Kneer (BLZ 10.5.) ergänzt: “Thomas Schaaf ist jetzt ein Meistertrainer, auf den Tag genau fünf Jahre nach seinem Dienstbeginn in Bremen, und das ist immer noch so erstaunlich, dass selbst Schaaf die Videokamera zückte, um es glauben zu können. Es ist erstaunlich, weil man dachte, dass Meistertrainer aussehen müssen wie der Edelmann Ottmar Hitzfeld. Oder wie Matthias Sammer, der das Temperament erfunden hat. Oder wie Otto Rehhagel, der vermutlich die ganze Bundesliga erfunden hat, zumindest, wenn man Otto Rehhagel glaubt. Thomas Schaaf ist und hat nichts von alledem. Er ist ein unspektakulärer, mit Verschmitztheit begabter Stoiker und als Meistertrainer die beste Besetzung, die sich denken lässt. Man kann wohl sagen, dass schon lange nicht mehr so viel Trainer in einem Titel steckte. Es ist Schaafs Elf, die da spielt, und wer ihn noch als Fußballer kennt, könnte das für eine Verwechslung halten. Schaaf ist Werderaner seit 1972, er war ein anständiger Rechtsverteidiger, aber dass er als Spieler unter Trainer Rehhagel schon mal Meister war (1993), lag eher an der Werder-Elf jener Tage, deren Erfolg er nicht groß störte. Man muss Schaaf bewundern für die Art, in der er seine Vergangenheit mit der Gegenwart mischt. Es ist ja nicht wahr, dass er ein Rehhagel light ist. Wahr ist, dass er ein paar altbremer Werte hinübergerettet hat ins Heute; er ist ein großer Kümmerer, aber weniger militant als Rehhagel, der seine Sportler gern zur Ehe oder zur CDU bekehrte. Schaaf ist kein Prediger, er praktiziert die Fairness. Er findet das Herz seiner Profis, aber deren Hirn weiß stets, dass das der Vorgesetzte ist, der sie auswechselt, wenn sie ihn enttäuschen. Schaaf hat im Team ein Wohlfühlklima installiert, das einem Leistungsklima nicht widerspricht. Aber die Wahrheit ist auch, dass der vermeintliche Biedermann als Trainer ein Brandstifter ist. Thomas Schaaf hat eine fast romantische Ader für das schöne Spiel, und er hat fünf Jahre gebraucht, um mit Sportdirektor Klaus Allofs ein Team zu bauen, das so abenteuerlich direkten Fußball spielen kann, dass man es manchmal kaum glauben mag.“

Jörg Marwedel (SZ 10.5.) lobt Allofs: „Weil er keiner der Marktschreier in dieser lauten Branche ist, wurde Klaus Allofs lange unterschätzt, was ihm durchaus lieb war. „Ich mag es, wenn man mich nicht so richtig einschätzen kann“, sagt er über sich, er tüftele lieber im Stillen an schwierigen Lösungen. Andererseits reklamiert er das Recht für sich, dem vorsichtigen, vom bremischen Kaufmannsgeist geprägten Klubvorstand „auch unvernünftige Gedanken“ vorzutragen. Einer davon war die Idee, fünf Millionen Euro Ablöse in den Nationalstürmer Miroslav Klose zu investieren, um den Verlust des nach Schalke wechselnden Torschützenkönigs Ailton aufzufangen – ein Betrag, der in Bremen bis dato undenkbar war und entsprechenden Widerstand im Aufsichtsrat auslöste. Allofs hat sich schließlich durchgesetzt mit dem Argument, ein Stürmer, der erst 25 Jahre alt sei und bei der WM 2006 im eigenen Land für die Nationalelf stürme, stelle ein geringes Risiko dar. Da Werder auch noch das DFB-Pokalfinale erreicht hat und an der Champions League teilnimmt, eröffnen sich den Bremern ohnehin ganz neue Einnahme-Dimensionen. Klassenkampf-Parolen, wie sie Willi Lemke, sein Vorgänger als Manager und heutiger Aufsichtsrat, gern Richtung München schickte, hat der Pragmatiker Allofs schon vorher nie gepflegt. Lemkes jüngste Polemik gegen die Bayern hat er sogar verärgert als „persönliche Meinung“ zurückgewiesen und die Attacken seines Bayern-Kollegen Uli Hoeneß gegen die Bremer lieber lächelnd ignoriert. „Man muss schlau sein“, sagt Klaus Allofs, „dann kann man sogar das ganz große Geld besiegen.““

Die ganze Mannschaft sehr Kompliment

Andreas Burkert (SZ 10.5.) spricht mit Ailton: “Wenn nur eines zurückbliebe von dieser Meistersaison des SV Werder, es wären vielleicht die herrlichen Interviews mit Ailton Goncalves da Silva, den sie in Bremen Toni nennen. Der Farmerssohn aus Mogeiro, Brasilien, ist gerade seit ein paar Minuten Deutscher Fußballmeister, und nun geht es ordentlich mit ihm durch. Toni sprintet durch den Innenraum des Münchner Olympiastadions, er schreit und singt und zeigt den vielen tausend Bremer Fans eine labbrige Meisterschale aus Papier. Ailton lächelt dazu vor Glück, dass es ihm fast den markanten Kiefer sprengt, auch übergießt er seinen Trainer und den Klubmanager ziemlich respektlos mit Champagner. Vorhin haben die drei auf dem Rasen noch ganz eng beieinander gestanden, und Ailton, der jetzt nicht recht weiß, wohin mit seinen großen Gefühlen, hat in den Armen von Thomas Schaaf und Klaus Allofs geweint wie ein Junge nach dem ersten Löffel Lebertran. „Der Toni“, wird Trainer Schaaf später sagen, „hat einen gebraucht, dem er um den Hals fallen kann, und da stand ich gerade“. Nur, Zufall ist das nicht gewesen. Die Tränen, „alles vorbei“, sagt Ailton jetzt in seinem herrlichsten Meisterinterview, sein 3:0 gegen den FC Bayern, hebt er an, „schön Tor, eh, schöne Schiss, sehr gut Spieler, nich nur Ailton, Entschuldigung, die ganze Mannschaft sehr Kompliment. Thomas Schaaf is sehr gute Mann, sehr gute Trainer, und Thomas natürlich is eine sehr junge Trainer, und das erste Mal Deutscher Meister, mit Trainer, ne? Sehr gute Kommunikaciân mit Thomas, und is heute gesagt in Hotel gestern, Thomas sagt Ailton, diese Spiel, da is für dich, konzentriere Jung“!, muss Tor schießen, Feuer machen!! Klar ich muss Tor schießen, fur Thomas Schaaf, fur Bremen, fur meine Familie, für aaaaaalles, muss Deutscher Meister, in Portugies: Campiones!“ Das alles sagt und schreit und predigt der Toni jetzt. Dann geht er erstmal duschen, und TV-Kameras werden dabei seine makellose Torjägerfigur aufnehmen. In ihrer vollen Pracht.“

Die Mediterranisierung der norddeutschen Tiefebene

Ralf Wiegand (SZ 10.5.) schildert die Stimmung in Bremen: „Um 21.30 Uhr begannen die Zuschauer, einen Countdown rückwärts zu zählen, sie fingen mal bei 30 an, einfach so. Und um exakt 21.31 Uhr waren die Fußballer von Werder Bremen aus München kommend endlich gelandet. Wo? Mitten in einem Käfig voller Narren. Das Ausmaß der Begeisterung, die Norddeutschland befallen hat wie ein Angriff mit Lachgas, ist mit dem Wort „durchgeknallt“ unzureichend beschrieben. Im Nahverkehrszug zwischen dem niedersächsischen Achim und dem nahen Bremen wurde bei der Anfahrt zum Hauptbahnhof der Hansestadt statt der üblichen Ortsdurchsage eine Werder-Hymne eingespielt; dafür fiel die Fahrkartenkontrolle aus. Die Mediterranisierung der norddeutschen Tiefebene nahm ihre Fortsetzung auf den Straßen, die anscheinend ausschließlich von Autos befahren werden durften, die mindestens einen Insassen auf dem Dach transportierten. Dieser war mit wenigstens einer Fahne auszustatten. Weggetretene Fans breiteten auf Kreuzungen grün-weiße Gebetsteppiche aus und verneigten sich gen Weserstadion. Polizisten lächelten. Autos hupten. Bier floss, Glas klirrte. Bremen löste sich auf in die Bestandteile einer Festivität, die es mit jeder Sause auf den Ramblas von Barcelona, im Vergnügungsviertel von Istanbul oder dem Gassengewirr von Athen hätte aufnehmen können. Henning Scherf, der Bürgermeister dieser für einen Tag nördlichsten Stadt des Mittelmeeres, hatte sich das aberwitzige Treiben ganz aus der Nähe angeschaut, mitten unter den Bürgern auf dem Domshof. Der Mann misst gut zwei Meter, er konnte sich auch über die 25 000 Köpfe hinweg einen Überblick verschaffen. Scherf trug ein Werder-Trikot und einen Werder-Schal, und auf die Wange hatte längst jemand die grün-weißen Vereinsfarben gepinselt, als er am Abend einen letzten Rundgang durch die wogende Menge wagte, was einem strengen Abstinenzler wie Scherf vorgekommen sein muss wie einem Eisbären ein Ausflug in die Sahara. In einer ruhigeren Minute vermutete der Erste Mann der Stadt hinter der Ekstase „den Sieg der Kleinen über die Großen. Das hat sich so lange entwickelt, und nun bricht es aus“. Siege über die Bayern werden in Bremen eben für alle Zeiten wertvoller sein als das köstlichste Knipp oder das reinste Beck“s. In der Auseinandersetzung mit dem reichen Riesen überwindet die Stadt ihren Komplex, der aus Armut entsteht, einer Arbeitslosigkeit, die ostdeutsche Höhen erreicht, und aus einem Wetter, das die Bremer gerne noch schlechter reden, als es tatsächlich schon ist. In München ist von allem mehr da – Werder aber ist für die Bremer der Zaubertrank, der alle Menschen der Stadt wenigstens für den Moment größer und stärker macht als die Legionen im Süden. (…) Sogar der Gegner hatte mit dem Ernstfall gerechnet: Sonntag Morgen begrüßte die Leser des sieben Mal die Woche erscheinenden Weser Kurier eine halbseitige Anzeige des FC Bayern München mit Glückwünschen zur Meisterschaft, vierfarbig. Schon Mitte der Woche hatten die Bayern die Annonce geschaltet und schärfste Sanktionen angedroht, sollte der spekulative Zweckpessimismus an die Öffentlichkeit gelangen. Bayern gratuliert ganz Bremen und zahlt dafür auch noch Geld – an diesem Tag war wirklich alles möglich. “

Alle im Verein waren ein Werkzeug von Rehhagel

Jan Christian Müller (FR 10.5.) ergänzt: “Heinz Fricke schlürft genüsslich an seinem grünen Tee: „Ich spüre dieses Kribbeln, hier in Bremen nochmal richtig großen Fußball zu sehen.“ Der Sportchef des Weser-Kurier wird im September 65, dann wäre eigentlich Schluss. Er hat längst alles erlebt mit Werder Bremen, dem neuen deutschen Fußballmeister: Das erste Tor der Bundesliga durch Timo Konietzka fiel 1963 in Bremen. Fricke war dabei. Er hat aufgepasst, als der Frankfurter Torwart Pahl den Ball versehentlich ins eigene Netz warf, er hat hingeschaut, als der Bremer Stürmer Reinders einen Einwurf über den Münchner Keeper Pfaff hinweg aus 35 Metern ins Tor wuchtete, er hat zugeguckt, als Werder-Stopper Siegmann dem Bielefelder Stürmer Lienen 1981 den halben Oberschenkel bis zum Muskel mit seinen Lederstollen aufriss und Verteidiger Kutzop 1986 den für die Meisterschaft entscheidenden Elfmeter gegen die Bayern an den rechten Pfosten setzte. Seit 41 Jahren berichtet Heinz Fricke liebevoll distanziert über Werder Bremen. „Die Leute sind alle furchtbar aufgeregt“, erzählt er, „denn hier fokussiert sich alles auf Werder.“ Kaum einer weiß das besser als Jens Eckhoff. Der 36-Jährige drückt sich mit ausgebreiteten Armen im lachsfarbenen Sakko in das lachsfarbene Sofa in seinem Büro. Seit fast einem Jahr ist er Bausenator der seit 1995 bestehenden großen Koalition. Er war schon immer umtriebig. Hat in den 80ern als Abiturient versucht, American Football in Bremen zu etablieren. Das führte mal kurz in die erste Liga. Später war er Manager beim ehemaligen Frauen-Handballmeister TuS Walle. Die spielen jetzt irgendwo in der vierten Spielklasse. Oder in der fünften. Eckhoff hat sich auch mal dran gemacht, das traditionsreiche Volleyballturnier in der Stadthalle zu retten. Das gibt es nicht mehr. Keine Chance. Irgendwie ist das exemplarisch. „Eigentlich“, sagt Eckhoff, „fing es mit Borgward Anfang der 60er Jahre an.“ Der Autobauer ging Pleite, genau wie die Werften, in den 80ern die AG Weser und in den 90ern der Bremer Vulkan. Jakobs wurde von Kraft geschluckt, Eduscho von Tchibo, Becks von der belgischen Brauerei Interbrews. Eckhoff sagt: „Vieles, womit sich ein Bremer identifizieren konnte, worauf er stolz war, gehört ihm nicht mehr.“ Außer Werder, der Monokultur. Der nächstbessere Fußball-Club der Stadt spielt kommende Saison in der Verbandsliga. Vierte Liga. (…) In den 14 Jahren unter dem großen Otto Rehhagel war das noch anders. „Alle im Verein waren ein Werkzeug von Rehhagel“, sagt Zeitungsmann Fricke. Es gab keine Medienarbeit, nur Willi Lemke. Aber der durfte nichts aus dem Inner Circle rauslassen, sonst bekam er Ärger mit Otto. Der Allmächtige führte Mannschaft und Umfeld wie eine Sekte. Das Feindesland begann an der Kabinentür. Es gab einen Zuschauerschnitt von kaum 20 000 und weniger als 3000 Mitglieder. Inzwischen sind es fast 14 000, und das über drei Jahrzehnte sorgsam ausgebaute, nun mehr als 42 000 Zuschauer fassende Stadion ist ständig ausverkauft. „Die Menschen haben bei 14 Prozent Arbeitslosigkeit eine Sehnsucht nach etwas Positivem“, berichtet Fischer. Bremen sei „wirtschaftlich, politisch und sportpolitisch eine vernachlässigte Region“. Als Austragungsstätte für die Fußball-WM 2006 flog das malerisch an der Weser liegende Stadion aus dem Kandidatenkreis. Franz Böhmert hat das bis heute nicht verwunden. Der Werder-Aufsichtsratschef witterte ein Komplott aus der Münchner Ecke um Franz Beckenbauer und schaut sich aus Protest seitdem kein Länderspiel mehr an. Zufrieden rührt er im Kaffee und blickt aus den Panoramafenstern der Business-Lounge. Als Rehhagel 1995 zu den Bayern ging, ist für Böhmert eine Welt zusammengebrochen. Erst Allofs und Schaaf gelang es, eine neue, eine wieder funktionierende Werder-Welt zu schaffen. Schaaf hat zeit seiner Laufbahn kaum Interviews geben müssen, weil er nichts zu sagen hatte und weil Rehhagel das nicht wollte. Jetzt ist er der coolste Typ der Republik und muss sieben Interviews am Tag geben. Er sagt dann fast immer das Gleiche, aber er macht das überaus geschickt.“

Frank Heike (FAS 9.5.) porträtiert Johan Micoud: „Vielleicht war die Ohrfeige gegen einen „Bild“-Reporter der Wendepunkt in Johan Micouds Laufbahn bei Werder Bremen. Denn danach blies dem zuvor kultisch umjubelten Regisseur der Wind plötzlich eiskalt ins Gesicht – von den Medien natürlich, aber auch von den Fans und seinen Vorgesetzten entfacht. Sportdirektor Allofs wies ihn auf französisch zurecht. M. Micoud hatte verstanden und besann sich aufs Fußballspielen. Und das kann er ja so gut, daß er wieder im Kader der französischen Nationalmannschaft steht. Inzwischen weiß der immer etwas geheimnisvoll und divenhaft daherkommende Micoud auch, wo Bremen liegt und wie das Wetter ist: Ein Südfranzose aus Cannes wie er habe Bremen doch kurz vor dem „ewigen Eis“ verortet, sagte Allofs nach den Vertrags-gesprächen mit Micoud im Frühherbst 2002. Beim ersten Besuch an der Weser schien aber – oh Wunder! – die Sonne, und la famille Micoud samt Frau und zwei Kindern war gleich viel geneigter, es in Bremen zu versuchen, wo entschieden viel mehr Geld zu verdienen war als in Parma: Denn dort, beim inzwischen pleite gegangenen FC, gab es schlichtweg gar nichts mehr. Nun hat der beste Mittelfeldspieler der Liga die Bremer zusammen mit Ailton und Ismael zur Meisterschaft geführt. Für den aufreizend aufrecht laufenden, so torgefährlichen Mann der vorderen Mitte im Werder-Karo ist das nur ein Schritt auf dem Weg zum großen Ruhm: Johan Micoud braucht die europäische Herausforderung, um dauerhaft für Frankreich zu spielen.“

Gratulationen FR

Selbstüberschätzung

Elisabeth Schlammerl (FAZ 10.5.) schreibt über gestopfte Mäuler: „Der Protagonist des Prologs verstummte und trat eilig ab. Nach wortreichen Wochen hatte Uli Hoeneß am Samstagnachmittag nichts mehr zu sagen, denn für eine Nebenrolle, noch dazu eine im Bremer Meisterstück, hat der Manager des FC Bayern München kein Talent. Und zuschauen wollte er schon gar nicht, wie sich Werder der rotweißen Bühne bemächtigte, um dort eine grünweiße Titelsause zu veranstalten. Als letzte Aktion ließ er eisgekühlten Champagner in des Gegners Kabine bringen. Eine noble Geste, allerdings haben die Münchner dafür in dieser Saison, die für sie eine ohne Titel ist, ohnehin keine Verwendung mehr. Es war wie ein Stich mitten ins Bayern-Herz, daß die Meisterschaft zwar in München, aber nicht zugunsten der Münchner entschieden wurde. Allerdings gab es niemanden in den Reihen des manchmal zu Selbstüberschätzung neigenden FC Bayern, der irgendeinen Zweifel hegte, daß die richtige Mannschaft den Titel gewonnen hat. Alle sprachen von einem „verdienten Meister Werder Bremen“. Die Münchner mußten dem Team von Trainer Thomas Schaaf schon zwangsweise Respekt zollen, denn sie waren nicht nur an diesem Spieltag kein ebenbürtiger Gegner, sondern in der gesamten Saison. Weder spielerisch, kämpferisch noch psychisch. Vor allem bessere Nervenstärke hatten die Bayern im Endspurt der Meisterschaft für sich reklamiert und wurden am Samstag eines Besseren belehrt. Speziell Torhüter Oliver Kahn, der Werder Bremen mit seinem haarsträubenden Fehler den Weg zum vorzeitigen Titelgewinn geebnet hatte. Wäre aber die Mannschaft tatsächlich so gefestigt und so stark, wie sie sich in den vergangenen Wochen gerne geredet hatte, hätte sie sich nach dem 0:1 gewehrt, sich gegen die Niederlage gestemmt. (…) Wenn eine Mannschaft, die mit derartig hochveranlagten Spielern besetzt ist, es nicht schafft, ihre Klasse auszuspielen, nie ihr Potential auszuschöpfen vermag, liegt wohl einiges im argen. Zum einen scheint es atmosphärische Störungen in der Mannschaft zu geben, zum anderen doch ein paar Verschleißerscheinungen bei Hitzfeld. Womöglich hat die Diskussion um seine Person und die Bekanntgabe seines Abschieds 2005 Spuren hinterlassen bei der Mannschaft.“

Marko Schumacher (NZZaS 9.5.) sieht das ähnlich: „Der Bayern-Schlussmann, der einst als weltbester Torhüter galt, ist mittlerweile vornehmlich dafür bekannt, dass er in den wirklich grossen Spielen verlässlich danebengreift. Nun lag es allerdings nicht an Kahn alleine, dass die Bayern vor allem in der ersten Halbzeit eine Lehrstunde im modernen Fussball erhielten. Ideenlos, pomadig, ohne Herz – so präsentierte sich die Mannschaft in diesem entscheidenden Spiel und wurde dafür von perfekt organisierten Bremern gnadenlos bestraft.“

Hitzfeld erinnert an Helmut Kohl

Marc Schürmann (FTD 10.5.) empfiehlt den Rücktritt oder die Entlassung Ottmar Hitzfelds: „Nichts und niemand funktionierte. Roy Makaay vergab frei vor dem Tor. Kahn, der noch posaunt hatte, er kassiere in den letzten Saisonspielen überhaupt kein Gegentor mehr, patzte – wie schon in den entscheidenden Spielen gegen Madrid und Aachen. Jens Jeremies und Thomas Linke wirkten so verängstigt, als hielten sie die Bremer für verkleidete Rumänen. Die Fans pfiffen mitunter die eigene Mannschaft aus und wurden so ihrem Ruf gerecht, weniger Liebhaber zu sein als Konsumenten. (…) Wie Hitzfeld den Zeitpunkt seines Abgangs verpasst hat und am Ruhm klammert, erinnert er an Helmut Kohl. Der Erfolgstrainer, der noch nie entlassen wurde, will München offenbar mit einem Titel verlassen. Also kann er jetzt nicht abtreten. Gerade die Niederlage gegen Bremen hat aber gezeigt, dass ein Umbau dieser schwerfälligen, herzlosen Mannschaft fällig ist: Alte Stützen wie Jeremies, Linke, Hassan Salihamidzic oder Bixente Lizarazu bröckeln oder fallen sowieso weg. Sollte Hitzfeld diesen Umbau in der kommenden Saison meistern: Es wäre eine seiner größten Leistungen. Denn das Abschiedsjahr eines Trainers ist für große Umbauten eine schlechte Zeit; zumal dies vor allem Geduld und Fehlertoleranz erfordert, aber nicht den Zwang verträgt, Titel zu gewinnen. Und so leidet Hoeneß derzeit auch unter der Last, Hitzfeld möglicherweise hinauswerfen zu müssen. Diskret zur Tür geleitet hat er ihn schon.“

Hitzfeld leugnet jeden Anlass, sein eigenes Wirken zu überprüfen

Philipp Selldorf (SZ 10.5.) addiert: „Bis Samstag, 15.30 Uhr, befand er sich im Einklang mit der Klubführung. Ob aber die folgenden 90 respektive 45 Minuten diese Voraussetzung verändert haben, wird jetzt wieder die delikateste Frage in München sein. Das Spiel gegen Bremen hatte entlarvenden Charakter, selten hat man eine Bayern-Mannschaft in einer bedeutenden Partie so prinzipiell unterlegen, so hilf- und konzeptlos erlebt. Uli Hoeneß rang sich nach Spielschluss noch ein zartes Lächeln ab, bevor er Klaus Allofs und Thomas Schaaf gratulierte, dann verschwand er im Untergrund des Stadions, düster dreinblickend, die Lippen aufeindergepresst, als ob er ein Schweigegelübde abgelegt hätte. 110 Kilogramm lebendes TNT schritten da über den Teppich, doch der fällige Wutausbruch blieb aus. Stumm stand er anschließend unter den Verlierern in der Kabine, „dann ist er einfach gegangen“, erzählte Verteidiger Kovac, und nun fragt man sich, wen der Zorn und die Enttäuschung des Managers treffen mag. Da Hoeneß auch gestern außer für seinen Hund (besonders den) und die Familie nicht zu sprechen war, wird sich die Antwort erst aus den Ermittlungen der nächsten Tage ergeben. Die Indizien vom Samstag sprechen gegen die Mannschaft, die mit ihrer luftleeren Darbietung den Manager nach seinem aggressiven Forechecking gegen Werder Bremen ziemlich albern dastehen ließ. Aber sie belasten auch den Trainer, schwerer als jemals vorher in schweren Stunden, da ihm die Vereinsführung jedesmal zugesichert hat, seinen Posten nicht in Frage zu stellen. Am Samstag erlebten die Verantwortlichen, wohin die Schwindsucht der Spielkultur das Team gebracht hat. Gegen die „taktisch besseren“ Bremer habe sich die Mannschaft „kampflos ergeben“, kritisierte der Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge kühl und fand ein vielseitig interpretierbares Bild, um die einseitige Partie zu beschreiben: „Bei Werder Bremen hat die Fackel gebrannt, und wir haben entweder vergessen, sie anzuzünden oder sie war bereits abgebrannt.“ Ottmar Hitzfeld, der amtlich zuständige Feuerwerker, hielt sich mitten in der Münchner Untergangsstimmung tapfer und aufrecht, aber es waren nicht nur Professionalität und Erfahrung, die ihm diese Unbeugsamkeit gestatteten. Hinzu kommt eine an Sturheit grenzende Unbeirrbarkeit. Hitzfeld leugnet jeden Anlass, sein eigenes Wirken zu überprüfen.“

Wären sie beim FC Bayern mutig, würden sie ihre Vorstandsleute auswechseln

Joachim Mölter (taz 10.5.) geht noch weiter: „Beim FC Bayern (und übrigens auch beim DFB) müssten sie sich allmählich von dem Glauben verabschieden, Kahn sei ein Weltklasse-Torwart. Konsequenterweise sollten sie auch gleich den bald 35-Jährigen verabschieden und ihn mitsamt Uli Hoeneß in den Vorruhestand schicken. Vor allem Uli und Olli sind es ja gewesen, die das Image des FC Bayern geprägt haben in den vergangenen Jahren: mit ihrer Aufgeblasenheit, ihren Sprüchen. Am Samstag hat sich gezeigt, dass sie damit nicht mehr ankommen. Hoeneß hatte ja am vorigen Wochenende angedroht, sein FC Bayern werde Bremen „niedermachen und wegfegen“; und Kahn hatte am Freitag nachgelegt. „Es sieht so aus, als ob die Worte in Bremen nicht angekommen sind, sondern nur uns nervös gemacht haben“, sagte Mittelfeldspieler Michael Ballack am Samstagabend und deutete damit an, dass Manager und Kapitän die Mannschaft entweder gar nicht mehr erreichen mit ihren Worten – oder zumindest anders, als sie es sich vorstellen. Uli und Olli müssen jedenfalls aufpassen, dass sie in der Unterhaltungsbranche Profi-Fußball künftig nicht als Komiker firmieren, als Dick und Doof zum Beispiel. (…) Nach dem Gewinn der Champions League vor drei Jahren haben die Bayern-Bosse einen Umbruch angekündigt, allmählich aber bricht die Mannschaft ein. Gut, man ist Bundesligazweiter, die Champions League ist wieder in Reichweite. Aber in dieser Saison haben sie erstmals seit langem keinen Titel gewonnen. Und wen holen sie nun als große Stütze? Es ist doch sowieso eine Mär, dass der erfolgreichste Klub Deutschlands auch immer die besten Spieler verpflichtet und die größten Talente entdeckt. Aber für einen Roy Makaay hat Uli Hoeneß schon zehn Stürmer verpflichtet vom Kaliber eines Rudolfo Valencia, den sie in München „Entlauber“ nannten, weil er beim Torschusstraining die Blätter von den umstehenden Bäumen wegfegte. Bei Mittelfeldmann Michael Ballack haben die Bayern-Verantwortlichen erst in diesem Winter anhand alter Videoaufzeichnungen entdeckt, dass der in seiner großen Zeit bei Bayer Leverkusen auf einer ganz anderen Position spielte. Die späte Erkenntnis hat freilich niemanden davon abgehalten, weiter an Ballack rumzunörgeln und ihn vollends zu verunsichern. Wären sie beim FC Bayern mutig, würden sie ihre Vorstandsleute auswechseln. Oder ihnen wenigstens die Superlative abgewöhnen. Dem Rekordmeister täte es nur gut, wenn er mal eine Zeit lang etwas bescheidener und demütiger aufträte.“

Die Herrlichkeit vergangener Jahre ist zur Selbstherrlichkeit mutiert

Jörg Hanau (FR 10.5.) kritisiert Oliver Kahn: „Der Vulka(h)n implodiert. Keine selbstgerechten Interviews, der Kapitän stellt sich weder vor noch über die Mannschaft. Und das aus gutem Grund. Wie ein Anfänger hatte er sich dem Ball entgegen geworfen und Ivan Klasnic das Spielgerät vor die Füße bugsiert. Ein grober Patzer. Ein folgenschwerer obendrein. Und nicht der erste in dieser Saison für den großen Blonden mit dem Anspruch auf Unfehlbarkeit. Erst der Stellungsfehler gegen Alemannia Aachen im DFB-Pokal, dann der Fauxpas in der Champions League gegen Real Madrid. Im entscheidenden Moment, in den ganz wichtigen Spielen, ist auf einen zumeist übermotivierten Kahn kein Verlass mehr. Das WM-Finale von Yokohama war nur der Anfang einer Serie, deren Ende nicht abzusehen ist. Folgen muss der nun auch unter die Schriftsteller („Nummer eins“) gegangene Karlsruher aber offenbar nicht fürchten. Jeder x-beliebige Torwartkollege würde von seinem Trainer nach vergleichbaren Fehlern auf die Bank verbannt. Kahn aber darf weiter die Nummer eins spielen. Ob in München – „Ironie des Schicksals, dass unser bester Mann diesen Fehler gemacht hat“ (Trainer Ottmar Hitzfeld) – oder in der Nationalmannschaft – „Wir haben kein Torwartproblem, da muss er jetzt durch“ (Teamchef Rudi Völler) –, Kahn taugt angeblich nicht zum Sündenbock für verlorenes Terrain. Zumindest nicht laut offizieller Lesart. Hinter verschlossen Türen aber rumpelte es zumindest bei den Bayern gewaltig. Schon früh in der Saison war Kahn ob seiner schwachen Leistungen und privaten Eskapaden in die Chefetage zitiert worden. Mit Argwohn verfolgten die Bayern-Bosse die Schlagzeilen im Boulevard. Kein Tag, an dem nicht in fetten Lettern über Kahns Liebesleben zu lesen war. So lange die Leistung stimmte, hielten die Vorstände Ruhe. Als Kahn aber parallel zu seinem schlagzeilenträchtigen Leben zu schwächeln begann, rummste es an der Säbener Straße. Der Kapitän war längst nicht mehr Bestandteil der Mannschaft. Die Marke Kahn hatte sich verselbstständigt. Ähnliches gilt für den zweiten Führungsspieler, der den Ansprüchen nicht genügt: Michael Ballack. Die Demontage durch Werder Bremen am Samstag war denn auch sinnbildlich für den desolaten Zustand des FC Bayern München anno 2004. Ballack versteckte sich, wo und wann er nur konnte. Und die Leitfigur in Sachen Ehrgeiz erstarrte nach der Halbzeit zur Salzsäule auf der Linie. Ein trauriges Bild, das dieser FC Mutlos nicht nur am Samstag abgegeben hat. Der Niedergang des einst so ruhmreichen Rekordmeisters allein an Kahn und Ballack festzumachen, wäre aber so unlauter wie falsch. Die Herrlichkeit vergangener Jahre ist zur Selbstherrlichkeit mutiert. Die Ballacks, Pizarros und Santa Cruz‘ machen allenfalls noch vor dem Spiegel eine gute Figur. Mitunter scheint es, als seien sie mehr mit ihren Frisuren denn mit ihrem eigentlichen Job auf dem Rasen beschäftigt. Das zu erkennen, schmerzt den Manager besonders. Hoeneß‘ Versuch, mit seinen wortgewaltigen Ankündigungen unter der Woche den Gegner klein und damit seine Mannschaft groß und stark zu reden, ging gnadenlos in die Hose. Von der Bank aus musste er wort- und tatenlos mitansehen, wie seine ehemals so stolzen Bayern Beamtenfußball arbeiteten. „Niedermachen“ und „wegfegen“ sollten die Bayern die Norddeutschen. Damit jeder sieht, wer die beste deutsche Mannschaft ist. Jetzt weiß es wirklich jeder.“

Roland Zorn (FAZ 10.5.) fühlt mit: „Vermutlich hätte Oliver Kahn wieder einmal viel dafür gegeben, wenn sie im Münchner Olympiastadion einen unterirdischen Gang hätten, der direkt von seinem Arbeitsplatz im Tor in die Kabine führen würde. Aber der Kapitän des FC Bayern mußte vorbei an den Fotografen, an den Kameras. Die Objektive waren auf ihn gerichtet, auf den größten Verlierer unter den Verlierern, als er nach der Gratulation an Werders Meistertrainer Thomas Schaaf mit starrem Blick in den Katakomben verschwand. Langsam kennt Kahn zwar das Gefühl des Versagens, aber damit umzugehen weiß der Perfektionist nicht. (…) Einen Tag nach der Partie gegen Real Madrid hatte sich Kahn damals gestellt. Am Sonntag brachte er die Kraft dazu offenbar nicht mehr auf, er verschwand nach dem Training durch die Seitentür. Kahn weiß, was nun auf ihn zukommt, so kurz vor der Europameisterschaft. Seine Stellung als Nummer eins in der deutschen Nationalmannschaft wird nun wieder in Frage gestellt werden. Er kann sich zwar auf Rudi Völler verlassen, der sagt: „Ollis Fehler ist nicht der Grund dafür, daß Bayern nicht Meister geworden ist. So ein Fehler passiert im Fußball, das wirft ihn nicht um.“ Kahn dürfte aber auch beim Teamchef ein wenig Kredit verspielt haben und vom Sockel des Unantastbaren gestürzt sein. Schon die kleinste Unsicherheit in Portugal würde eine neue Torwart-Diskussion entfachen. Beim FC Bayern macht Kahn niemand verantwortlich für die Niederlage gegen Bremen.“

Hamburger SV – VfB Stuttgart 2:1

Ich habe noch nie erlebt, daß ein ganzes Stadion bei einem Heimspiel gegen einen ist

Frank Heike (FAZ 10.5.) schildert die Rehabilitation der Hamburger Profis: „Als der Versöhnung erster Teil beendet war, durfte Sergej Barbarez ohne Polizeischutz, dafür umringt von bettelnden Fans, zu seinem Auto gehen. Jugendliche standen vor dem Spielerausgang der AOL-Arena und reichten den Profis des Hamburger SV Stifte entgegen. Es war alles wieder gut zwischen dem HSV und seinen Anhängern, zumindest vorläufig. Die Fans hatten der Mannschaft von Klaus Toppmöller ein unvergeßliches Erlebnis beschert, als sie vor Anpfiff der Partie gegen den VfB Stuttgart gellend pfiffen, während der Stadionsprecher die Aufstellung verlas. „Ich habe noch nie erlebt, daß ein ganzes Stadion bei einem Heimspiel gegen einen ist“, sagte Stefan Beinlich später kopfschüttelnd. Doch die konzertierte Fanaktion ging noch weiter. Der Ärger über das 0:6 in Bremen war so groß, daß der mittlere Fanblock leer blieb, zumindest die ersten dreieinhalb Minuten lang. „Dieser Block ist euer Lohn“, hatten sie auf ein Plakat geschrieben. Auch danach war die Bereitschaft zu pfeifen sehr groß, und als Nico-Jan Hoogma den ersten schlimmen Fehlpaß spielte, erreichte die Anti-HSV-Stimmung ihren unangenehmen Höhepunkt. Die Profis hatten dafür kein Verständnis; sie gingen nach dem Spiel nicht zu ihren Fans, um für die Unterstützung zu danken. Auch Sportchef Dietmar Beiersdorfer fand die Fanreaktion überzogen.“

1. FC Kaiserslautern – VfL Wolfsburg 3:2

Kurtl, was hast verbrochen?

Martin Hägele (taz 10.5.) berichtet ein gefühlsreiches Spiel: „Vermutlich sind Frau Ernst und die Lebensgefährtin von Timo Wenzel furchtbar erschrocken, als sie sahen, wie sich ihre Männer in den Pfützen wälzten und dabei auch noch liebkosten. Keine Sorge beim anderen Geschlecht, bitte schön, aber zu solch einem öffentlichen Wasserakt kann es schon mal kommen, wenn zwei Freunde und 37.000 Zuschauer zusammen glücklich und dankbar sind. Der 37-jährige Thomas Ernst, den alle „Gustl“ rufen, ist vor einem Jahr als Ersatztorwart des VfB Stuttgart nach Kaiserslautern gezogen. Sein elf Jahre jüngerer Kumpel Wenzel, ein solider Stopper, wurde im Winter verpflichtet – als letzter Versuch des Traditionsklubs, sich gegen den Abstieg aus der Bundesliga zu versichern. Dieser Auftrag könnte nun erfüllt sein, nach großem Kampf und einem Rückstand, den der für den verletzten Stammkeeper Wiese eingesprungene Ernst durch einen Blackout vorm 1:1 mitverschuldet hatte. Bevor Wenzel über den Torwart herfiel, ist der eine halbe Ewigkeit vor seinem Kasten gesessen, auf dem durchgeweichten Rasen, und es war ihm anzusehen, dass er weder das Wasser noch die Kälte gespürt hat. Ernst sah sehr ernst aus, als ob er betete. Später hat er im Fernsehen gesagt, dass „dieses Spiel das wichtigste meiner Karriere war“. Und Wenzel erzählte den Reportern, wie er nur eine Minute nach dem Fauxpas seines Freundes den Ball beim 1:2 aus den Netz geholt und nach vorne gekickt habe in der festen Überzeugung, „wir packen das noch. Weil es nicht sein kann, dass wir gegen die wegen einem Torwartfehler und einem Sonntagsschuss verlieren.“ Denn vielen unter den letzten treuen FCK-Fans war es in dieser 66. Minute so ergangen wie dem Trainer Kurt Jara, der sich fragte: „Kurtl, was hast verbrochen?“ Alle Vorzeichen an diesem schicksalsträchtigen Nachmittag hatten nämlich für die Hausherren gesprochen. Fritz-Walter-Wetter, das Terrain eine tückische Seenplatte, nichts für fußballerische Ästheten und Freunde der gepflegten Ballzirkulation. In solch einer Wasserschlacht helfen nur lange Bälle auf große Kerls, die dann per Kopf treffen oder die Kugel im Strafraum-Wühlkampf halt irgendwie über die Torlinie stochern. Dem technisch eher schwerfälligen und generell recht langsamen FCK-Ensemble liegt diese Spielart, mit dem Tschechen Vratislav Lokvenc besitzen sie einen Spezialisten für Tore solcher Machart. Als weitere Vorteile der Gastgeber zählten der bekanntlich publikumsfreundliche Unparteiische Jürgen Jansen und der Joker Miroslav Klose auf der Ersatzbank.“

Borussia Mönchengladbach – Schalke 04 2:0

Ulrich Hartmann (SZ 10.5.) notiert die Identitätssuche Jupp Heynckes’: „Jupp Heynckes hatte alles gesagt, was es zum Spiel zu sagen gab, da fiel einem Reporter noch eine Frage ein: „Und, Herr Heynckes, ein letztes Wort zum Bökelberg?“ Danach ging es dann sehr, sehr lange nicht mehr um die Gegenwart, um Schalkes 100. Geburtstag, das frische 0:2 und um die verpasste Uefa-Pokal-Teilnahme. Es ging um den jungen Fußballer Heynckes, um Mönchengladbach, den Bökelberg, die gute alte Zeit. Erinnerungen in Grün-Weiß-Schwarz statt in Königsblau. Der 59-jährige Schalker Trainer erzählte ausführlich vom Mythos jenes Stadions, in dem am Samstag zum vorletzten Mal Bundesliga-Fußball gespielt wurde und in dem seine Karriere begann. „Der Borussia habe ich alles zu verdanken“, sagte Heynckes rührselig, als stünde er bei der Oscar-Verleihung auf der Bühne, und während er nicht unzufrieden wirkte angesichts der soeben erlittenen Niederlage, die den Mönchengladbachern im Kampf um den Klassenerhalt geholfen hat, dachte er laut darüber nach, was nun nötig sei, um den Ligaverbleib zu sichern, und was die Gladbacher diesbezüglich am Samstag in Dortmund wohl ausrichten könnten. „Im Westfalenstadion haben wir immer ganz gut ausgesehen“, sagte Heynckes. „Also wir, damit meine ich die Gladbacher.“ Man sieht: Auch die abgeklärtesten Branchenprofis sind nur Menschen. In Jupp Heynckes stecken tausend Erinnerungen an den Bökelberg, und in denen verschwindet so eine Momentaufnahme, ein Spiel wie am Samstag, ganz schnell. Besser als der Gastgeber hatte Schalke gespielt, hatte 62 Prozent Ballbesitz, bekam aber einen lächerlichen Elfmeter gegen sich ausgesprochen, der zum 0:2 führte, und der Heynckes veranlasste, in der Pause den Schiedsrichter Florian Meyer anzuschnauzen. „Unverschämtheit“, hat Heynckes hartnäckig gehustet, aber als das Spiel vorbei war, sprach aus Heynckes ein Kind des Bökelbergs, einer, der dort zehn Jahre Fußballer und acht Jahre Trainer war und dessen Foto überlebensgroß im Rücken der Haupttribüne zwischen Block D und Block E hängt, in einer Reihe mit den Helden der Gladbacher Historie.“

Bayer Leverkusen – 1. FC Köln 2:0

Goatbusters

Jörg Stratmann (FAZ 10.5.) teilt Leverkusener Ambitionen mit: „Der siebte Sieg im neunten Spiel nacheinander ohne Niederlage hat Calmund wieder Aussicht auf die rosigen Seiten des Geschäfts beschert. „Für den Verein, für das Image, für die Bayer AG und für die Sponsoren“ sei es wichtig, sagte er, „daß wir im UI-Cup nicht nur durch die Botanik tingeln müssen“. Alles andere würde er dagegen am liebsten mit „einer großen Decke“ verbergen. Dazu sollten auch die Bemühungen des „Arbeitskreises Stimmung“ gehören. Von weltmännischer Werbung für den Klub, der sich so gern wieder als „Global Player“ sähe, konnte keine Rede sein. Das aufwendig inszenierte Spektakel vor Spielbeginn wirkte noch witzig. In Anlehnung an die Gespensterjäger „Ghostbusters“ wurden da Leverkusener „Goatbusters“ angekündigt, die dem FC-Maskottchen Geißbock den Garaus machen sollten. Anschließend glitten die organisierten Fans auf der Nordtribüne der bislang so familienfreundlichen BayArena nur noch ins Ordinäre ab. Das Spiel selbst war schnell vergessen. Zu überlegen hatten die Leverkusener die Absteiger im Griff. Und unbeholfen, wußten die Kölner die allmähliche Unkonzentriertheit der Gegner nie zu nutzen. Bayer-Torhüter Butt geriet nur in den Mittelpunkt, als er in der 86. Minute in Richtung des Kölner Strafraums trabte, um einen Strafstoß auszuführen. So hatte es Augenthaler bestimmt. Mittelstürmer Berbatow indes ergriff den Ball mit derart anrührendem Blick, daß Torhüter und Trainer nachgaben. Der harmlose Schuß des Bulgaren, vom Kölner Ersatztorhüter Bade festgehalten, war dann jedoch „mit Sicherheit sein letzter Elfmeter“, sagte Augenthaler.“

hannover 96 – Eintracht Frankfurt 3:0

Selten ist ein Abstieg undramatischer und emotionsloser über die Bühne gegangen

Ingo Durstewitz (SZ 10.5.) erlebt ein Déjà-Vu: “Das letzte Mal, dass die professionellen Balltreter aus Frankfurt sehenden Auges einen Schritt über die Klippe gesetzt haben und ungebremst in den Abgrund gestürzt sind, liegt fast auf den Tag genau drei Jahre zurück. Damals, am 12. Mai 2001, ist die Eintracht im Alles-oder-Nichts-Spiel in Wolfsburg demontiert worden, lag nach einer halben Stunde und auch nach 90 Minuten 0:3 zurück. Nach der kostenlosen Vorführung ist einem gewissen Rolf-Christel Guie-Mien, in Frankfurt einst als Saltokönig verehrt, sein in den Fanblock geworfenes Trikot wieder vor die Füße gepfeffert worden, und ein paar Mitspieler haben auf der Rückfahrt im Mannschaftsbus in trauter Runde Karten gezockt. So, als wäre nichts geschehen. Ein Aufschrei der Empörung ging seinerzeit durch Frankfurt, es war eine Zeit, in der die Liebe zum liebsten und zugleich meist gehassten Kind der Stadt erloschen schien. Geschichte wiederholt sich nicht? Heute, im Frühjahr 2004, gleichen sich die Bilder, nur die Protagonisten sind andere. Am Samstagnachmittag sind die 14 Fußballspieler aus Hessen der Lächerlichkeit preisgegeben worden, sie sind in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover, nur 93 Kilometer entfernt von der niedersächsischen Provinzhauptstadt Wolfsburg, unter die Räder gekommen, ebenfalls 0:3. Der dritte Abstieg scheint bei sechs Punkten Abstand zur am Rettungsanker hängenden Konkurrenz besiegelt. Interessiert es die Spieler? Nico Frommer tippt nach dem Duschen vergnügt auf seinem Handy herum, Ervin Skela flachst mit den Kontrahenten aus Hannover, die bald keine mehr sein werden, Henning Bürger hält ein Schwätzchen und Sven Günther blickt derart angestrengt in den blau-grauen Himmel, als erwarte er eine Erleuchtung. Markus Kreuz, der brave Mittelfeldmann, sagt treuherzig: „Tja, äh, also: Das war“s dann wohl.“ Selten ist ein Abstieg undramatischer und emotionsloser über die Bühne gegangen. So leidenschaftsarm wie die Profis hinterher auftraten waren sie auch zuvor zu Werke gegangen. In einer Partie mit Endspielcharakter kickten die Frankfurter lustlos ihren Stiefel herunter.“

FR-Interview mit Heribert Bruchhagen, Vorstandsvorsitzender Eintracht Frankfurts

Norddeutsch by nature

Dietrich zur Nedden (taz 10.5.) beschreibt die Höhepunkte Hannovers: „Die hinteren Reihen der Liga lichten sich, Eintracht Frankfurt wird als zweiter Aufsteiger die Rückkehr in die Etage drunter kaum noch verhindern können. Die Theorie gönnt den Frankfurtern zwar noch eine Galgenfrist, aber niemand, der die Mannschaft am Samstag gesehen hat, traut ihr zu, dass sie den Abstand von sechs Punkten auf Platz 15 noch wettmachen kann. „Es wäre fahrlässig, wenn wir nicht unsere Restchance sehen würden“, meinte der enttäuschte Eintracht-Manager Bruchhagen, aber es fehle „an vielen Dingen, die den Klassenerhalt rechtfertigen würden“. War Hannover so stark oder Frankfurt so schwach? Beides. Von Beginn an initiierten die Hannoveraner einen Angriff nach dem anderen, kombinierten direkt und variabel, sodass sich mancher auf den Rängen die Augen rieb: So energisch, so gut hatte man die Roten lange nicht gesehen. Woran lags? Ewald Lienen, zu dessen Lieblingsvokabeln Aggressivität, Konzentration und Leidenschaft gehören, hatte der Kreativität zu neuer Blüte verholfen. An der hatte es in den vergangenen Begegnungen weiträumig gemangelt. Trotz der vielfältigen Möglichkeiten der Gastgeber schlug der Lautstärke-Pegel bis zur 42. Minute nur dann in extreme Höhen aus, wenn der jeweils aktuelle Zwischenstand aus München aufleuchtete. „Norddeutsch by nature“ jubelte die ausverkaufte Arena bei jedem Werder-Treffer dem neuen deutschen Meister zu. Entsprechend war stimmungsmäßig alles vorbereitet für das erlösende 1:0.“

Hertha BSC Berlin – Borussia Dortmund 6:2

Javier Caceres (SZ 10.5.): „Es gibt Ovationen und Ovationen. Am Samstag, kurz nach fünf, waren im Berliner Olympiastadion sowohl diese als auch jene zu sehen. Als Artur Wichniarek nach 66 Minuten vom Platz schritt, erhoben sich die Zuschauer in aufrichtiger Anerkennung, und Wichniarek, der das vorentscheidende 4:1 erzielt hatte, sagte später: „Es ging mir runter wie Öl.“ Als indes Marcelinho ausgetauscht wurde, elf Minuten vor dem Schlusspfiff, erhoben sich die Zuschauer anders: ergriffen, dankbar. Denn einerseits hatte Marcelinho brilliert und sich an drei der vier Toren beteiligt, die in seinem Beisein fielen. Andererseits galt es auch, das Übergeordnete zu würdigen, des Brasilianers Anteil daran, dass Berlins Hertha nun fast gerettet ist. Verletzungsbedingt hatte Spielgestalter Marcelinho fast die gesamte Hinserie verpasst, in der Rückrunde hat er sieben Tore erzielt und dreizehn Scorer-Punkte gesammelt. Nach der Vorrunde stand Hertha auf einem Abstiegsplatz; in der Rückrundentabelle steht Hertha auf einem Mittelfeldplatz.“

Internationaler Fußball am Wochenende: Ergebnisse, Tabellen, Torschützen, Zuschauerzahlen NZZ

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