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Ballschrank

Kein Meister des vorzeitigen Genießens

Oliver Fritsch | Mittwoch, 12. Mai 2004 Kommentare deaktiviert für Kein Meister des vorzeitigen Genießens

Friedhard Teuffel (FAZ 12.5.) erfreute sich am Spiel des Meisters. „Nach einer solchen Halbzeit hätte die Pause eigentlich nicht gereicht für Trainer Ottmar Hitzfeld, um seine Spieler zu loben, so furios war ihre Leistung. Sie wäre wohl nicht einmal ausreichend gewesen für eine angemessene Dankesrede, so vollendet war der Genuß, den seine Mannschaft ihm und dem Publikum bereitet hatte. Doch nicht einmal diese großartige erste Halbzeit im Berliner Olympiastadion konnte etwas ändern an Ottmar Hitzfelds Kabinenphilosophie. Nicht einmal fünf Tore, nicht einmal der imposante Gestus, mit dem seine Spieler die Partie beherrscht hatten. Hitzfeld wählte eine sachliche Analyse und bereitete die Mannschaft auf die bevorstehenden 45 Minuten vor: Ich habe ihr gesagt, daß sie auch in der zweiten Halbzeit nicht lockerlassen darf. Man muß versuchen, daß die Mannschaft nicht auseinanderfällt. Der FC Bayern München ist also kein Meister des vorzeitigen Genießens und Hitzfeld kein Meister der Vorfreude. Als Meister der Spielfreude ist der FC Bayern München beim Sieg gegen Hertha BSC Berlin aufgetreten, besonders in der ersten Halbzeit, und in der zweiten als Meister der Rücksicht. Rücksicht auf die Berliner Mannschaft, die offenbar nicht vollständig den Glauben an die eigenen Stärken verlieren sollte, weil ihr noch zwei wichtige Spiele bevorstehen. Und Rücksicht auf die 59.000 Zuschauer im ausverkauften Berliner Olympiastadion, damit sie aus dem Staunen zurück in den Fußballalltag finden und der einmaligen Leistung der Münchner gewahr werden konnten.“

Nervöses Ruckeln und Zuckeln an der feinen Ballonseide

Michael Jahn (BLZ 12.5.) sah einen wütenden Verlierer. „Am liebsten hätte sich Huub Stevens vor Wut seinen Trainingsanzug vom Leibe gerissen, aber er beließ es beim nervösen Ruckeln und Zuckeln an der feinen Ballonseide. Sein Ärger entlud sich nicht an seiner Dienstkleidung, sondern zuerst am prominenten Personal. Exakt 40 Minuten waren absolviert im ganz besonderen Endspiel (Stevens) zwischen Hertha BSC und dem bereits feststehenden Deutschen Meister Bayern München, als Berlins Trainer wütend eine Auswechslung signalisierte: Weltmeister Luizao musste runter. Nur eine Minute später traf es mit Marko Rehmer einen Weltmeisterschafts-Zweiten. Auch der Abwehrspieler musste nach desaströsem Auftritt unmittelbar vor der Pause einen Spießrutenlauf in Kauf nehmen – vorbei an den enttäuschten Fans. Das war nötig für die Mannschaft, begründete Stevens hinterher lapidar das ungewöhnliche Wechselspiel.“

So weit ist es nun schon gekommen

Andreas Burkert (SZ 12.5.) ist enttäuscht. “So weit ist es nun schon gekommen, wenige Minuten vor dem Ende einer Partie, für die sich das Hauptstadtpublikum fein gemacht hatte. Viele hatten sich vor dem Anpfiff ihre Hauptstadtgesichter freiwillig blau und weiß anmalen lassen, die apfersten Hertha-Gänger duellierten sich auf einer Bühne vor dem Südportal im Wurstwettessen. Der FC Bayern München ist angereist, Festtagsstimmung in der großen Kapitale mit den großen Erwartungen, und nun das: Michael Ballack, FC Bayern, nimmt ein weites Zuspiel auf, besser: er streichelt den Ball zu Boden, legt ihn vor und vorbei an Keeper Gabor Kiraly; ein kurzer Blick noch und zwei, drei flinke Schritte, ein Flachschuss mit links. Ein schöner Treffer, dieses 6:2, wie auch der letzte des Tages von Marcelinho, Hertha BSC. Macht zusammen 3:6. Dreizusechs. Das Hauptstadtpublikum? Klatscht, applaudiert den Münchner Meisterspielern. So weit ist es nun schon gekommen. 3:6 gegen den hier besonders unbeliebten FC Bayern (…) Kiraly lud später die Schuld auf sich. Er sagte: „Ich hätte alle sechs Tore halten können. Jeder, der das sieht, fragt sich: Was ist mit diesem Torwart? Ich habe das Gefühl, dass ich heute alle Leute verarscht habe.“ Das wäre zu einfach, wenn nur der ungarische Keeper mit der Berliner Schnauze schuld gewesen wäre am seltsamen Durcheinander.“

Friedhard Teuffel (FAZ 12.5.) über den Mann des Tages. „Lange sah es in dieser Saison so aus, als könne Giovane Elber in fremden Stadien keine Tore schießen. Wie ein Kabarettist erschien er, der sein Programm nur vor dem eigenen Spiegel beherrscht, auf seiner Tournee aber plötzlich den Text vergißt. Das war merkwürdig, denn Elber tritt schließlich schon neun Jahre in Folge in der Bundesliga auf, und wenn der Brasilianer auch kein leibliches Kind der Bundesliga ist, dann doch immerhin ein adoptierter Sohn (…) Und wenn ihm die Torjägerkanone noch jemand wegschnappt – das wäre kein Problem für mich. Aber ein wenig ungerecht wäre es schon, weil er so sehr zur Bundesliga gehört und inzwischen 130 Tore geschossen hat, macht im Durchschnitt vierzehn pro Saison. Einen letzten Versuch könnte er noch im nächsten Jahr unternehmen, denn nach vielen Überlegungen und auch einem zwischenzeitlichen Gefühl der Unzufriedenheit hat sich Elber entschieden, seinem Vertrag entsprechend bis 2004 für den FC Bayern zu spielen. Eine Runde, eine letzte, möchte Elber noch durch die Bundesliga drehen. Und wenn es in dieser Saison nicht klappen sollte mit dem Einzeltitel und auch in der nächsten Saison nicht, wird sich die Ligaleitung sicher noch etwas für den Brasilianer einfallen lassen. Eine Prämie für zehnjährige Betriebszugehörigkeit und eine Urkunde für treue Verdienste sowieso, aber vielleicht wird sie ihn auch noch zum Ehren-Torjäger ernennen. Als ungekrönter Torschützenkönig darf Elber die Bundesliga auf keinen Fall verlassen.“

Gebiet des Ehemaligenhassens

Christof Kneer (BLZ 12.5.) schreibt über die Reaktionen der Berliner Fans auf die Rückkehr Deislers. “Das Spiel zwischen Hertha und dem FC Bayern war ein Spiel mit einer klar vorgegebenen Logik. Alles, was Sebastian Deisler weh tut, tut Berlin gut, so hieß die Botschaft, die von den Rängen herunterhallte. Vor dem Spiel hatte die Hertha noch nicht so recht gewusst, ob sie das überhaupt kann: ehemalige Spieler hassen. In Berlin haben sie noch nicht so viel Erfahrung damit, sie haben das noch nie richtig geübt. Seit sie wieder in der ersten Liga spielen, haben sie erst eine überragende Begabung gehabt, die ihnen vom Feind abgeworben wurde, Deisler eben. Immerhin erwies sich Herthas Anhang schon als recht textsicher; er brachte all die einschlägigen, geschmacklosen Gesänge zu Gehör, die das Bundesliga-Vokabular für solche Fälle bereitstellt. Es ist schon traurig, dass Leute so die Augen zumachen, sagte Deisler. Er meinte wohl: Dass sie seine früheren Verdienste so schnöde ignorieren konnten. Man kann also bilanzierend sagen, dass es die Hertha auf dem Gebiet des Ehemaligenhassens schon relativ weit gebracht hat. Man kann aber auch sagen, dass wirkliche Experten nicht sonderlich beeindruckt waren. Ich hab gar nichts gehört, spöttelte Oliver Kahn später, das waren doch keine Pfiffe, das war doch lächerlich. Er hat natürlich gut reden, der Kahn, der alte Pfifferoutinier. Der weiß sogar, wie sich Bananen anfühlen und Golfbälle, weshalb ihm die Leiden des jungen Deisler vorgekommen sein mögen wie ein ganz entspannter Wochenend-Spaziergang.“

Das Spiel aus Deislers Sicht FR

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