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Bundesliga – 33. Spieltag

Oliver Fritsch | Montag, 17. Mai 2004 Kommentare deaktiviert für Bundesliga – 33. Spieltag

„bayrische Offenbarung“ (FAS) – „Leverkusener Partykiller machen sich Werders Erschöpfung zunutze“ (FAZ) – „sorglose Lauterer“ (FAS) – „Feiertag für Borussen“ (FAZ) – Frankfurts „Kampf ums dritte Wunder“ (SZ) u.v.m.

VfB Stuttgart – Bayern München 3:1

Ludger Schulze (SZ 17.5.): „Zu offensichtlich sind die Zerfallserscheinungen der Mannschaft, Abnützungsvorgänge belasten die Zusammenarbeit. Nach sechs Jahren erreichen des Trainers Vorgaben nicht mehr Ohr und Einsichtsvermögen der Spieler – ein Erosionsprozess, wie er in vielen Bereichen menschlichen Zusammenwirkens oft unabwendbar ist. Abseits aller Lippenbekenntnisse ist das Team des FC Bayern seinem Coach bei allen wichtigen Anlässen dieser Spielzeit nicht gefolgt. Seit dem Gewinn der Champions League 2001 ist in der sportlichen Entwicklung ein gewaltiger Rückschritt festzustellen, trotz der Aber-Millionen, die ins Personal investiert wurden. Aus diesen Erkenntnissen die Konsequenz einer Trennung abzuleiten, liegt im Ermessen der Führungskräfte des Klubs. Sie haben die Pflicht, das Ansehen Hitzfelds zu erhalten, mehr aber stehen sie in der Verantwortung für das Wohl des Vereins. Das gesammelte Schweigen von Vorstandschef Rummenigge und Manager Hoeneß lässt den Schluss zu, dass der Trainer geschützt werden sollte, bis eine für alle akzeptable Lösung gefunden ist. Das Vorpreschen des Aufsichtsratvorsitzenden Franz Beckenbauer („Es muss etwas passieren . . . Hitzfeld war ein guter Trainer . . . Magath hat bewiesen, was er kann“) ist ein kleiner Schritt für den Plauderer aus Kitzbühels Bergen, aber ein großer auf dem Weg zur Demontage eines Fußball-Lehrers. Dessen Würde und Autorität zu wahren, wäre das Mindeste gewesen, was ihm die Bayern zum Abschied hätten mitgeben müssen.“

Die taz (17.5.): „Der Jubel, den am Samstag die Fans des VfB Stuttgart entfachten, war so laut und mächtig, dass er noch lange nachhallte und unwillkürlich die Erinnerung an die großen Siege des Herbstes rief, die Festtage in der Champions League, die die jungen und wilden Helden von den Roten aus Bad Cannstadt zu Himmelsstürmern werden ließen. Der stolze Präsident Erwin Staudt träumte damals davon, den Bayern zu trotzen und den VfB langfristig zum Rivalen auf Augenhöhe zu hieven. „Ich sehe keine Grenzen für diese Mannschaft“, meinte zu jener Zeit auch Felix Magath, der Trainer dieser neuen deutschen Spitzenmannschaft, die aus der Not heraus geboren wurde. Mittlerweile stellt der VfB die halbe Nationalmannschaft, die Protagonisten treten in Werbespots im Fernsehen auf, die „Marke VfB“, von der der ehemalige IBM-Manager Erwin Staudt gerne redet, steht in Zeiten der Agonie für jugendlichen Aufbruch. Doch diese Marke ist nicht stark genug, um in der Realität des globalisierten Haifischbeckens Fußball den Großen zu trotzen. Dies muss Erwin Staudt in diesen Tagen schmerzlich feststellen. Selbst als er letzte Woche den Österreicher Walter Schachner als Erben Magaths ins Spiel brachte, sollte der tatsächlich Hitzfeld-Nachfolger bei den Bayern werden, blieb es ein netter Versuch, das Heft des Handelns in die eigenen Hände zu nehmen. Als Staudt am Samstag im noblen Hotel am Stuttgarter Schlossgarten drei Stunden vor dem Spiel mit den Bayern-Größen Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß speiste, beschlich ihn jedenfalls das sichere Gefühl, Felix Magath bereits an die Bayern verloren zu haben. „Ich spüre das starke Interesse an Magath aus dem Umfeld der Bayern“, sagte Staudt nach der Henkersmahlzeit und fügte kleinmütig hinzu: „Magath will einen Verein trainieren, mit dem er hoch hinaus kann.“ Magath seinerseits zog nach der Partie Vollspann ab. Als er in der Pressekonferenz gefragt wurde, ob dies sein letztes Heimspiel im Daimler-Stadion gewesen sei, sagte der Mann, dessen Vertrag bis 2005 läuft: „Das kann ich nicht beantworten.“ Es sind Antworten wie diese, die den einstigen Schwaben-Messias in der Gunst der Fans sinken lassen. Nach einer SWR-Umfrage wollen nur noch zwei von drei Befragten, dass Magath in der nächsten Saison Trainer am Neckar bleibt. Die Fans sind das Gezetere leid, auch wenn am Samstag kein Pfiff und kein Transparent gegen Magath im Stadion zu hören oder zu sehen war. Aber was wäre bei einer Niederlage los gewesen?“

Christian Eichler (FAZ 17.5.): „Welch ein seltsames Schauspiel: ein Tag der glücklichen Verlierer und der unglücklichen Sieger. Für gewöhnlich schätzt der Zuschauer die klare Interessenverteilung, die Fußball von manchen Geschäften in Politik oder Wirtschaft unterscheidet: Ein Resultat sollte nie gleichzeitig beiden nützen. Am Ende einer Spielzeit aber verwischen sich diese Konturen. (…) Daß die Fußballgefühlswelt dennoch in Ordnung blieb, daß auch am 33. Spieltag vergebene Siege schmerzten und Verlierer Verlierer blieben, ist ein Münchner Verdienst. Ob bei den „Löwen“, die seit der Wildmoser-Affäre alles falsch machten, bis hin zum finalen Elfmeter des ungeübten Kioyo, ob bei den Bayern, die sich Platz zwei, dem kleinsten ihrer immer weiter reduzierten Saisonziele entgegenschleppen: Was die Vertreter der alten deutschen Fußballhauptstadt bieten, ist ein Bild des Jammers und des mißlungenen Krisenmanagements. Kein Titel, damit könnten die Bayern noch leben, doch droht ihnen mehr verlorenzugehen: erst die spielerische Linie, dann der Siegeswille, längst auch die Wirkung auf die Gegner – kaum je ging von einer Bayern-Elf im Saisonfinale so wenig Bedrohliches aus. Weiter auf der Liste drohender Verluste: ein Stadionpartner; zwei Derbys pro Spielzeit; damit die sichersten sechs Saisonpunkte; ein Erfolgstrainer; ein funktionierendes Betriebsklima aus äußerer Arroganz und innerer Stärke; nicht zuletzt eine Aura der Autorität. Denn vor allem die Autoritäten des Rekordmeisters haben gelitten: ein Kapitän, der nicht mehr richtig zupackt und am Samstag die Handschuhe wegwarf; ein Trainer, den man zum Auslaufmodell stempelt; ein Manager, auf dessen Säbelrasseln kein Gegner mehr hörte und, schlimmer, auch kein Untergebener; und eine Führungsetage, der nicht nur in der Trainerfrage die Glaubwürdigkeit ausgeht.“

Peter Heß (FAZ 17.5.): “Die Stimme verriet ihn nicht. Sie war einigermaßen fest, als Ottmar Hitzfeld die Sätze wiederholte, die ihm sein Pflichtgefühl schon die Woche über diktiert hatte: „Ich laufe nicht davon, wenn es schwierig wird. Ich stelle mich. Man muß optimistisch in die Zukunft schauen. Ich kommentiere nicht die Kommentare von Präsidiumsmitgliedern.“ Die Augen aber und die Hände offenbarten nach dem 1:3 beim VfB Stuttgart, welch innerer Druck den Trainer des FC Bayern quält. Auf fast schon masochistische Art geduldig, analysierte er die Niederlage, der Blick seltsam wäßrig, die Hände oftmals hinter dem Rücken aneinandergepreßt. (…) „Es geht an keiner Mannschaft spurlos vorüber, was sich bei uns abgespielt hat“, sagte Oliver Kahn. „Das hat Ottmar Hitzfeld nicht verdient.“ Kahns übergroßer Ehrgeiz litt nicht unter der Münchner Trainerdiskussion. Er kam in Stuttgart durch ein Verhalten zum Ausdruck, das an seinen Nationalmannschaftsvorgänger Uli Stein erinnerte. Nach dem 0:3-Rückstand legte sich Kahn auf den Rasen, als wollte er die Arbeit verweigern. Dann zog er die Torwarthandschuhe aus und warf sie auf den Rasen. Hitzfeld hatte auch dafür Verständnis. Der erfolgreiche Trainer schluckt und schluckt und schluckt, was ihm die Umgebung so antut: die Spieler, die nicht mehr siegen, sondern bei den Schiedsrichtern meckern; Beckenbauer, der ihn zur Disposition stellt; die Vereinsführung, die sich schon mit VfB-Präsident Staudt trifft, um die Verpflichtung von Nachfolger Felix Magath zu sondieren. Staudt verhehlt gar nicht mehr, daß der Wechsel bevorsteht. Er spüre ein starkes Interesse, meldete er nach einem gemeinsamen Mittagessen mit den Münchner Kollegen. Und er stellte klar, Magath keine Steine in den Weg legen zu wollen: „Wir hoffen, daß er seine hervorragende Arbeit bis 2005 fortsetzt. Falls nicht … Wir sind gut mit Magath.“ Der VfB scheint sich damit abgefunden zu haben, mit einem neuen Trainer und Teammanager die verheißungsvolle Zukunft zu gestalten. Auch aus Spielerkreisen ist zu hören: „Hoffentlich bleibt er, aber wenn er zu den Bayern geht, dann hat er es sich verdient.“ Die Bayern gelten immer noch als die größte Verlockung im deutschen Fußball – auch für Felix Magath. Der Trainer sagte zwar kein Wort zu seinen Absichten, aber wenn er eine Mission oder Verpflichtung beim VfB fühlte, hätte er längst allen Gerüchten den Nährboden entzogen.“

Ludger Schulze (SZ 17.5.): „Hoch im Norden stürzte sich Valérien Ismaël nach dem Anschlusstreffer von Werder Bremen auf den im Netz zappelnden Ball, als müsse er die Weltkugel im letzten Moment vor dem Zugriff zerstörerischer Außerirdischer retten. Auf schnellstem Wege wollte der Abwehrchef das Spielgerät zum Wiederanstoß befördern, um doch noch eine Wende in der Partie gegen Bayer Leverkusen zu erzwingen. 630 Kilometer südlich drehten die Spieler des FC Bayern München nach Claudio Pizarros Treffer zum 1:3 in der 77. Minute gelangweilt ab und trotteten gen Mittelkreis wie Kirchgänger zur Maiandacht. Die Mannschaft in Rot, die seit Jahrzehnten den ungeschriebenen Schriftzug „Mir san mir und uns kann keiner“ auf dem Trikot trug, fügte sich achselzuckend in die Niederlage gegen den VfB Stuttgart wie in ein unvermeidliches Schicksal. Aufbäumen? Pah, ein in Lethargie erstarrtes Team von fußballerischen Untoten hat verraten, was seine Vorgänger seit den Zeiten von MaierBeckenbauerMüller als Wesensmerkmal vor sich her trugen: Siegermentalität, Unbeugsamkeit, Galligkeit bis zum Schlusspfiff.“

Werder Bremen – Bayer Leverkusen 2:6

Frank Heike (FAZ 17.5.): „Pfiffe für den Meister. Das halbe Stadion pfiff die gehätschelten Lieblinge der vergangenen Woche aus. Niemand hatte das erwartet. Vorher waren die Straßenbahnen voller glücklicher, grünweißer Bremer. Frauen hatten sich das „W“ auf die Wangen gemalt und trugen grünweiße Perücken, jeder hatte sich eines dieser fröhlich-bunten orange-grünen Trikots übergezogen, und wer aus der Masse herausstechen wollte, nahm das majestätische schwarze Trikot mit den goldenen Rückennummern, das Werder nur beim 2:0 in Wolfsburg getragen hatte. Vor dem Weserstadion wurden T-Shirts mit dem Pokal drauf verkauft, Meisterschalen aus Plastik für fünf Euro und Meister-T-Shirts in allen Formen und Farben. Im Ostertorviertel hatte jeder Copy-Shop, jeder türkische Gemüsemann eine handgeschriebene Botschaft ins Fenster gehängt: „Herzlichen Glückwunsch zur Meisterschaft!“ Kurz: Das letzte Heimspiel der Saison gegen Bayer 04 Leverkusen sollte eine fette Abschlußparty werden. Alle waren in bester Feierstimmung. Und dann führte Leverkusen nach zwölf Minuten 2:0. Als Carsten Ramelow allein im Bremer Strafraum stand, die Konfusion dort aber nicht ausnutzte und an den Pfosten schoß, wirkte es schon fast wie ein Gnadenakt für den deutschen Meister. Die Fans pfiffen. „Wir woll‘n euch kämpfen seh‘n“, kam es von den Rängen. Dann traf Franca zum 3:0. Komischerweise war das ein Zeichen, das jeder verstand unter den 42 500 im Weserstadion: Heute würde Werder verlieren, zum ersten Mal nach 29 Pflichtspielen, zum dritten Mal seit dem legendären 0:4 in Pasching im Juli 2003. Innerhalb von Sekunden drehte die Stimmung von verärgert über egal zu freudetrunken: Das Stadion bejubelte fortan seine Meister unabhängig vom Geschehen auf dem Rasen. Die Saison der Superlative war ja auch zu schön, um sie sich von dieser einen Partie verderben zu lassen.“

Jörg Marwedel (SZ 17.5.): „Das Theater der erfüllten Träume bot seine bunteste Aufführung: Artisten mit orange und grün gefärbten Haaren, die im 90-minütigen Vorprogramm den einen oder anderen schönen Trick mit dem Ball darboten; Kanonen, die grün-weißes Konfetti in den Himmel des Weserstadions jagten; Rudi Völler, der mit einer riesigen silbernen Schale auf die Bühne schritt wie ein Zirkusdirek-tor, der seinen Künstlern die Belohnung für eine sensationelle Show übergibt; populäres Liedgut über den neuen Deutschen Meister, der „vom Weserstrand kommt“ und dem zu Ehren weitere Stücke umgedichtet oder gar neu komponiert wurden; ein an Krücken humpelnder Akrobat Krisztian Lisztes, der trotz verletzungsbedingten Auftrittverbots sein grün-orangenes Papageien-Trikot mit der Nummer „8″ übergestreift hatte und vom „schönsten Tag meiner Karriere“ stammelte; ein draller Brasilianer namens Ailton, der die blinkende Meisterschale nicht mehr hergeben wollte und zwischen Lachen und Weinen hin und her geschüttelt wurde; und dazwischen der Darsteller Valérien Ismaël, der das Spektakel mit einer Handkamera filmte, damit er sich das „tolle Erlebnis mein ganzes Leben angucken kann“. So war das am Samstag, dem 15. Mai 2004, als die Spieler von Werder Bremen 42 500 Fans im brodelnden Weserstadion zum vierten Mal in der Vereinsgeschichte die wertvollste Trophäe des deutschen Fußballs präsentierten. Aber es hatte noch eine andere Realität gegeben an diesem Nachmittag, an dem ganz Bremen einem neuen Höhepunkt des seit gut einer Woche ausgerufenen Ausnahmezustands entgegen schwappte. Es war die schnöde Realität des Fußballs, und die hatte vorgeführt, dass Leistungssport und ausschweifendes Leben ein so harmonisches Paar abgeben wie ein Alkoholiker und eine Abstinenzlerin.“

Frank Hellmann (Tsp 17.5.): „Es bedurfte schon eines stillen Moments, damit einer die unwirkliche Werder-Welt treffend beschrieb. Dieter Burdenski, Werders Torwarttrainer und einer der Überlebenden der Rehhagel-Ära, brachte im turbulenten Treiben des völlig überfüllten Bremer Rathauses den verbalen Volltreffer des Tages an. „Das hat es noch nie gegeben“, sagte Burdenski mit leiser Stimme, „und das wird es auch nie wieder geben.“ Bremen berauscht sich in nie da gewesener und nie erlebter Begeisterung am vierten nationalen Titel. Der Bürgermeister, der Zwei-Meter-Mann Henning Scherf, hat sich die Werder-Raute auf die Wange gepinselt, die Nachbarn von Thomas Schaaf haben in dessen Wohnort Stuhr-Brinkum Häuser und Laternen grün-weiß dekoriert, in dessen Garten einen Mast eingebuddelt und eine Fahne gehisst und die Kleiberstraße kurzerhand in „Thomas-Schaaf-Straße“ umbenannt. In Bremen fahren die Spieler am Sonntag mit staunenden Augen im Autokorso durch überfüllte Straßen, an denen die Begeisterung überbordet. Immer wieder müssen die Spieler die glänzende Meisterschale vor dem Zugriff Unbefugter schützen, weil wildfremde Menschen auf die Autos klettern, nur um Hand und Mund an die silbrige Schale zu legen. „Das Größte, was Werder Bremen bisher geleistet und erlebt hat“, sagt Vereinspräsident Klaus-Dieter Fischer drinnen im Rathaussaal voller Stolz, während draußen auf dem Balkon Ailton nach dem auf „Der Deutsche Meister kommt vom Weserstrand“ umgetauften Song der Barden Klaus & Klaus schunkelte. Mehr als 100 000 Menschen jubelten am Sonntag auf Bremens Straßen, 50 000 waren es auf dem Marktplatz am Fuße des Rolands. „Wir haben es geschafft, Werder intensiv in die ganze Bevölkerung einzubringen. Dieser Verein lebt intensiver und ist attraktiver als je zuvor“, sagt Geschäftsführer Klaus Allofs beim Blick auf euphorisierte Menschenmassen.“

Sven Bremer (FTD 17.5.): „Es gab schon viele großartige Fußballer in Bremen. All die Bodes, Eilts, Herzogs und Rufers. Sie wurden von den Werder-Fans geachtet, bewundert und verehrt. Aber „Toni“ wird geliebt. Auch am Samstag haben die Zuschauer – trotz der peinlichen 2:6-Niederlage gegen Leverkusen – vor allem ihn gefeiert: Ailton Goncalves da Silva. Obwohl es das letzte Heimspiel des Torjägers für Bremen war. „Eigentlich musst du den Roland weghauen und Toni auf den Marktplatz stellen“, sagte Werders Vorsitzender der Geschäftsführung, Jürgen L. Born, wenig zimperlich im Umgang mit dem eigentlichen Bremer Wahrzeichen. „Werder Bremen, in momento bisschen guck“, hatte Ailton in einem Interview im Winter geäußert. Was heißen sollte „Mal schauen, wohin Werders Weg führt.“ Jetzt ist Werder Bremen Deutscher Meister, und Ailtons Weg führt nach Gelsenkirchen. In der kommenden Saison spielt er des lieben Geldes wegen für den FC Schalke. Und trotzdem lieben und feiern ihn die Fans in Bremen. Im Moment ist der Stürmer der glücklichste Mensch der Welt, aber auch der traurigste. Weil er Meister ist und weil er Bremen verlässt. Aber genau so ist „Toni“. Glück und Leid liegen bei ihm nicht weit auseinander. Das Leid eines großen Jungen, der nie richtig lesen und schreiben lernte. Das Glück, dass er so viel Talent zum Fußballspielen besaß.“

Eintracht Frankfurt – VfL Bochum 3:2

Michael Horeni (FAZ 17.5.): ““Die Mannschaft hat unheimlich viel Moral gezeigt. Auch wenn wir zwei schwere Verletzungen hinnehmen mußten, haben wir noch eine theoretische Chance auf den Ligaerhalt“, sagte der in Frankfurt stark umstrittene Trainer Willi Reimann, der vor der Partie von einem über 50 Meter großen Transparent eindeutig unfreundlich begrüßt worden war: „Ohne Konzept und System – Reimann muß gehen.“ Nun aber, nach einer überzeugenden Leistung, wird vom Frankfurter Publikum vor dem letzten Spieltag zumindest die Tatsache, daß Reimann in seiner Trainerkarriere noch nie abgestiegen ist, erfreut in die Indizienkette aufgenommen, die den Wunderglaube bei der Eintracht weiter stärken soll. „Wir wissen ja, was in Frankfurt alles möglich ist“, sagte Preuß, der an diesem Tag überragende Spieler, über die anerkannten „Wundermacher“ aus Frankfurt. 1999 rettete sich die Eintracht in der Schlußminute durch Fjörtofts Treffer zum 5:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern. Im Vorjahr kehrte der Klub durch Schurs Tor in der Nachspielzeit zum 6:3 gegen Reutlingen in die Bundesliga zurück. Und als weiteres Wunder ist die Rettungsmission 2000 unter Felix Magath, die ebenfalls am letzten Spieltag erfolgreich beendet wurde, noch in bester Eintracht-Erinnerung.“

Ingo Durstewitz (FR 17.5.): “Binnen einer Woche haben die Profis der Eintracht die bemerkenswerte Wandlung von minderbemittelten Prügelknaben zu leidenschaftlichen Hoffnungsträgern vollzogen. Kickten die Frankfurter in Hannover wie leicht orientierungslose Spaßfußballer nach durchzechter Nacht an einem Sonntagmorgen im Frankfurter Ostpark, so warfen sie gegen Bochum alle unabdingbaren Abstiegskampf-Tugenden ins Rennen: Herz, Wille, Bereitschaft, Einsatz. Erklärungen aber für die Leistungsschwankungen greifen ins Leere. Vielleicht, weil sich Unerklärliches nicht so leicht erklären lässt.“

Christoph Biermann (SZ 17.5.): „Reimann war hernach wieder einmal knurrig, weil er sein Team und seine Arbeit nach wie vor falsch eingeschätzt findet. In den Tagen vor dem Spiel fand er sein Team von den Zeitungen niedergeschrieben. „Wer danach hätte optimistisch sein sollen, müsste auf einem anderen Stern leben“, sagte er. Woraus man den Schluss ziehen muss, dass die Eintracht vom andern Stern ist, denn von Pessimismus war ihr wenig anzumerken. Reimann und die Presse, in Frankfurt werden sie wohl keine Freunde mehr werden. Jedenfalls wirkte Peter Neururer neben dem Frankfurter Kollegen so entspannt, als hätten Sieger und Besiegter die Rollen getauscht.“

1860 München – Hertha BSC Berlin 1:1

Christian Zaschke (SZ 17.5.): „Noch während der Ball flog, sank Francis Kioyo auf die Knie. 89. Minute, TSV 1860 München gegen Hertha BSC Berlin, Spielstand 1:1. Schiedsrichter Stefan Trautmann hatte den Sechzigern einen Elfmeter zugesprochen, nachdem der Berliner Arne Friedrich erst Rodrigo Costa im Rückwärtslaufen umgerempelt und anschließend Martin Stranzl mit dem Fuß am Rücken getroffen hatte. Kioyo war vier Minuten zuvor eingewechselt worden. Schon vor der Partie hatte er zu Roman Tyce gesagt: „Wenn ein Elfmeter kommt, traue ich mich.“ Nun war der Elfmeter da, Kioyo legte sich den Ball zurecht, er nahm einige Schritte Anlauf und jagte die Kugel links am Tor vorbei, weit vorbei. Francis Kioyo sank auf die Knie. 48 000 Menschen im Münchner Olympiastadion blickten fassungslos auf den Rasen. In der Fankurve der Hertha erhob sich Gesang. Einige Ehrengäste verließen kopfschüttelnd das Stadion, in dem es jetzt wieder lauter wurde, weil die Menschen ihre Wut herausbrüllten. Kioyo, auf den Knien, schloss die Augen, er legte sich die rechte Hand auf den Kopf. Dann fiel er vornüber der Länge nach auf den Rasen und vergrub sein Gesicht in den Händen. Vermutlich hat er gar nicht bemerkt, dass Herthas Torwart Christian Fiedler sich danach zu einer so hässlichen wie unsportlichen Geste hinreißen ließ. Er beugte sich zum liegenden Kioyo, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn, dazu schrie er den regungslosen Stürmer an. Kioyo reagierte nicht, es wirkte, als habe er das Bewusstsein verloren. Er blieb einfach liegen, im Sechzehnmeterraum, im brüllenden Stadion, allein. Sollte der TSV 1860 am kommenden Wochenende aus der Ersten Liga absteigen, wird der reglos trauernde Francis Kioyo das Bild dieses Abstiegs sein.“

Gerald Kleffmann (SZ 17.5.): „Er war nicht aufzuhalten, er redete und redete. Über den geglückten Klassenerhalt, klar. Über seine Gedanken („Wir haben in der ersten Halbzeit noch mehr wie ein Absteiger gespielt als 1860″), seine Gefühle („Ich bin sehr froh, dass wir uns den Krimi gegen Köln am letzten Spieltag erspart haben“). Über den Gegner, dem er – obwohl noch nicht abgestiegen – Erfolg für die Zweite Liga wünschte. Gerald Vanenburg, der neben ihm sitzende Trainerkollege, lächelte. Er wusste: Es war nicht böse gemeint. Hans Meyer hatte in der Euphorie die Tabelle falsch eingeschätzt, schnell schob er hinterher: „Das darfst du nicht ins falsche Ohr kriegen, ihr dürft nicht aufgeben.“ Meyer stockte, einige Reporter blickten sich erleichtert an – zu früh gefreut. Meyer setzte zu einem letzten Vortrag an und teilte zwei gefühlte Stunden später mit, man dürfe ihn zwar nicht auf Schultern durch das Brandenburger Tor tragen, aber durch „Bad Hersfeld, bei mir im Garten“. Erst jetzt geschah das Wunder: Der Quasselkönig hörte auf zu reden.“

Borussia Dortmund – Borussia Mönchengladbach 3:1

Jörg Stratmann (FAZ 17.5.): „Zwischenzeitlich hatten sie unterschiedliche Arbeitsplätze einnehmen müssen: Der eine durfte trotz einiger Temperamentsausbrüche auf der Bank bleiben, der andere mußte schon Mitte der ersten Halbzeit zur Strafe für eine Unbeherrschtheit die Tribüne aufsuchen. Doch als sich Trainer Matthias Sammer und sein Mönchengladbacher Kollege Holger Fach nach dem aufreibenden Spiel in den Kellergängen des Westfalenstadions wiedertrafen, mußten sie beide über den seltsamen Verlauf des Nachmittags lachen. Draußen feierten Verlierer und Sieger gleichermaßen mit ihren Fans. Und drinnen fragte Sammer nach einer kurzen Umarmung: „Ist das nicht komisch?““

Schalke 04 – 1. FC Kaiserslautern 4:1

Ulrich Hartmann (SZ 17.5.): „An der Ausfahrt vom Parkplatz der Arena AufSchalke lauerten nämlich die Fans, jene Anhänger, in die Kaiserslauterns Trainer sein Vertrauen setzt. Einige schmissen sich mutig vor den Bus und schrieen nach der Mannschaft, und als sich endlich die Tür öffnete, kletterten die Spieler und der Trainer heraus. Kurt Jara, der zuvor noch betont hatte, dass er diese Mannschaft nicht selbst zusammen gestellt habe, dass man von dieser Mannschaft auswärts nicht mehr erwarten dürfe, weil ihr das defensive Mittelfeld fehle und dass nur in der heimischen Trutzburg am Betzenberg alles gut werden könne, dieser Mensch mischte sich nun in die Menge und rief: „Ich weiß ja, dass wir scheiße gespielt haben.“ Damit war eigentlich alles gesagt zum lethargischen Auftritt der Lauterer sowie zur tabellarischen Zuspitzung. Nicht weiter zu erörtern vermochte Jara indes, warum sich sein vom Abstieg bedrohtes Konglomerat nur selektiv und sehr vorübergehend im erhöhten Pulsfrequenzbereich bewegt hatte und nach dem frühen Rückstand in sich zusammenfiel wie ein Souffle in kalter Zugluft. „Ich habe diese Mannschaft so zur Verfügung gestellt bekommen“, sagte Jara in der Pressekonferenz, denunzierte gar Profis wie Timo Wenzel oder Thomas Drescher („Mit solchen Fußballern sollen wir in Schalke gewinnen?“) und erinnerte demütig und unschuldig an den 4. Februar, als er in Kaiserslautern den Trainer Eric Gerets ersetzt hatte. „Jara raus!“, schrieen am Samstagabend die ersten Fans, doch der Betroffene verriet ihnen im Tumult vor dem Bus großzügig, wo sie die Linderung ihrer Wut würden erfahren können: „Wer hat diese Mannschaft denn zusammengestellt?“, rief er aufgebracht in die Menge, „haltet euch an den Jäggi, der hat doch die Spieler geholt!““

Internationaler Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ

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