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Schoko-Tabelle

Oliver Fritsch | Dienstag, 25. Mai 2004 Kommentare deaktiviert für Schoko-Tabelle

José Camacho, neuer Trainer Real Madrids – Gérard Houllier in Liverpool entlassen – Grazer AK gewinnt das Double in Österreich u.v.m.

Camacho kann mit großen Sympathien bei den Anhängern rechnen

Walter Haubrich (FAZ 25.5.) stellt den neuen Trainer Reals Madrids vor: „José Camacho kommt zugute, daß er seine Spielerlaufbahn bei Real Madrid begann. In etwa 700 Spielen als linker Verteidiger errang er zehn spanische Meisterschaften und zweimal den UEFA-Pokal. Auch in der Nationalmannschaft hatte er seinen Stammplatz als linker Außenverteidiger. Von 1998 bis 2002 trainierte er die spanische Nationalmannschaft, die trotz guter Spiele bei der Weltmeisterschaft in Japan und Korea mit einigem Pech nicht unter die letzten Vier kam. Camacho, dem es mehr auf die Leistung und die Disziplin ankommt als auf das Geld, verzichtete auf die angebotene Verlängerung des Vertrages und zog sich von der Nationalmannschaft zurück. Sein letzter Erfolg war der Sieg im portugiesischen Pokalendspiel mit Benfica Lissabon gegen den Meister und Champions-League-Finalisten FC Porto. Camacho kann ähnlich wie del Bosque zunächst einmal mit großen Sympathien bei den Anhängern von Real Madrid rechnen. Als Spieler war er durch seine Offenheit und seinen kämpferischen Einsatz überaus beliebt. Für den Vereinspräsidenten Pérez stellt sich jetzt die Frage, ob seine Politik der teuren Einkäufe und hohen Spielergehälter auch dann noch akzeptiert wird, wenn die Mannschaft nicht mehr so erfolgreich ist. Wer so viel ausgibt, muß jedes Jahr zumindest einen Titel holen..“

Über den defensiven Stil ärgerten sich die Fans je länger, je mehr

Nach der Entlassung blickt Martin Pütter (NZZ 25.5.) auf die Zeit Gérard Houlliers in Liverpool zurück: „Als Houllier, der in jungen Jahren lange als Lehrer in Liverpool gearbeitet hatte, 1998 als Co- Trainer an der Seite von Roy Evans an die Anfield Road gekommen war, herrschten dort noch die „Spice Boys“. Diese Gruppe von Spielern um Steve McManaman, Robbie Fowler, David James und Jamie Redknapp genoss das Leben ausserhalb des Fussballfelds etwas zu sehr. Doch kaum war der Franzose nach dem Abgang von Evans allein am Ruder, nahmen die Trinkgelage, die Modevorführungen (Torhüter James ging einer Karriere als Model nach) und die Nachmittage auf der Pferderennbahn ein Ende. Houllier gab den Spielern nicht nur taktische Anweisungen, er machte auch Vorschriften bezüglich Ernährung und Freizeitgestaltung und liess zudem das Trainingsgelände komplett modernisieren. Mit Erfolgen belohnt wurde dies vor allem 2001, als die Mannschaft fünf Trophäen gewann (Liga-, FA-, Uefa-Cup, Charity Shield und Uefa- Supercup). Zudem rückte die Equipe in der Meisterschaft kontinuierlich in der Tabelle empor, bis an die zweite Stelle in der Saison 2001/02 – obwohl Houllier einen grossen Teil dieser Saison wegen einer Herzoperation verpasst hatte. Danach aber folgte das in Liverpool als blamabel empfundene Ausscheiden in der Champions League gegen den FC Basel und das Abrutschen auf den fünften Platz in der Meisterschaft. Noch mehr schmerzte jedoch, dass die Reds nie in der Lage schienen, den Teams von Manchester United, Arsenal oder Chelsea Paroli zu bieten. Und über den defensiven Stil, den Houllier der Mannschaft verordnete, ärgerten sich die Fans je länger, je mehr. Deshalb wurden auch die Rufe nach seinem Abgang lauter.“

Schoko-Tabelle

Michael Smejkal (SZ 25.5.) freut sich über das Double des Grazer AK: „Der letzte Schuss war bezeichnend für die gesamte Saison. Sean Dundee, einer aus dem reichhaltigen Wiener Fundus international ausgemusterter Profis mit gepflegter Abschluss-Gage vor der überfälligen Pensionierung, trat den letzten Elfmeter im Pokalfinale Austria Wien gegen GAK – und scheiterte als einziger von zehn Schützen. Damit gewann der Grazer AK in Salzburg auch das österreichische Cup-Finale (5:4 im Elfmeterschießen nach dramatischem 3:3 nach Verlängerung). Es war die Höchststrafe für die Wiener Austria, hatten sich die Grazer doch drei Tage zuvor schon den Meistertitel gesichert. Den Rest besorgte das Zahlenwerk der Uefa: Weil Österreichs Klubs in den vergangenen Jahren im Europacup nicht gerade erfolgreich werkten, hat Österreich zur kommenden Saison nur genau einen Vertreter in der Champions League-Qualifikation – eben den GAK. Für die Wiener Violetten, die mit dem Anspruch auf Erfolge in der Königsklasse angetreten sind und den Titel in der heimischen Liga nur als Zulassungs-Voraussetzung betrachtet hatten, heißt es jetzt: zurück an den Start. Ein halbes Dutzend Trainer, gut 50 Neuverpflichtungen und geschätzte 200 Millionen Euro in den letzten sechs Jahren reichten gerade einmal für einen Uefa-Cup-Startplatz – genau einen Rang vor dem lustigen Dorfklub SV Pasching, der mit zirka 15 Prozent des Budgets der Wiener Austria auskommt. Die immer gleiche Konsequenz: jetzt kommen neue Spieler. Doch damit nicht genug. Ausgerechnet der eigene Ex-Trainer führte die vermeintliche Startruppe nach allen Regeln der Kunst vor. Walter Schachner, als Stürmer noch liebevoll „Schoko“ gerufen, als Trainer fast verbissen am Erfolg arbeitend, wurde im September 2002 von Frank Stronach bei der Wiener Austria vor die Tür gesetzt. Nicht dass man mit Schachners Arbeit unzufrieden gewesen wäre, es war nur damals der schillerndere Christoph Daum gerade verfügbar. Schachner ging wutentbrannt zum Grazer AK. Das war noch nie die erste Adresse in Österreichs Fußball, auch wenn Klaus Augenthaler dort seine Trainer-Laufbahn begann. Zum Zeitpunkt der Übernahme durch Schachner waren die Grazer Tabellenletzter – mehr noch: Es fehlten Charisma, Ausstrahlung und Erfolg. Schachner trieb den GAK bis an die Spitze und gewann in dieser Zeit genau zwei Drittel aller Partien. Christoph Daum trieb er wöchentlich zur Rage, in dem er in den Medien stets die Schoko-Tabelle vorrechnete: Seit den fast zeitgleichen Übernahmen von Daum in Wien und Schachner in Graz machte Schachner stets mehr Punkte mit einer weit unterlegenen Mannschaft. Seit September 2002 hat Wien drei Trainer und zwei Sportdirektoren gebraucht, Daums Nachfolger Joachim Löw wurde erst im Frühjahr vor die Tür gesetzt. Er habe das Niveau nicht gehoben, hieß die lapidare Begründung. Doppelt bitter: Bei Löws Abgang standen die Austrianer noch auf Platz eins der Tabelle, nun steht man mit leeren Händen da.“

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