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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Sammer, Stielike; Mourinho

Oliver Fritsch | Donnerstag, 27. Mai 2004 Kommentare deaktiviert für Sammer, Stielike; Mourinho

„Porto siegt eiskalt“ (FTD) – Dortmunder Kritik und Stuttgarter Interesse an Matthias Sammer – vor dem Beginn der U21-EM – Tsp-Interview mit Horst Heese, Maltas Trainer – Robert Enke, Torwart-Geschichte mit offenem Ausgang u.v.m.

Porto siegte eiskalt

FTD (27.5.) berichtet Portos Sieg über Monaco: „Wenn zwei Mannschaften im Endspiel der Champions League stehen, deren Name wenig Glanz verströmt und deren bekannten Stärken eher in der Verteidigung liegen, darf kaum ein rassiger Kick erwartet werden. Aber: Der AS Monaco hatte auf dem Weg in dieses Finale gestern Abend in der Arena „AufSchalke“ europäische Branchenriesen wie Real Madrid und den FC Chelsea hoch geschlagen, der Halbfinalist La Coruña war gar mit 8:3 unter die Räder gekommen. Und auch José Mourinho, der Trainer des FC Porto, hatte vor Spielbeginn Hoffnung gemacht: „Wir dürfen nicht nur auf das Ergebnis schauen“, sagte er, „wir müssen auch dem Fußballspiel die Referenz erweisen.“ Die Hoffnungen auf ein gutes Spiel wurden zwar nicht ganz erfüllt – der FC Porto bestieg mit dem 3:0 über den AS Monaco aber dennoch verdient den Thron des europäischen Vereinsfußballs. Erstmals seit 1987 triumphierten die Portugiesen in der Königsklasse des Fußballs. Es war kein Triumph der Leidenschaft – und wenn, dann der Leidenschaft für ein intelligentes System und taktische Disziplin. Porto siegte eiskalt.“

NZZ-Spielbericht

morgen mehr über das Champions-League-Finale

Also wie immer, im Bundesliga-Getriebe

Freddie Röckenhaus (SZ 27.5.) legt sein Ohr auf Dortmunder Schienen: „Dortmunds Trainer wird geschickt und von verschiedenen Seiten unter Druck gesetzt. Und wird zum Spielball verschiedenster Interessen und Intrigen. Fest scheint zu stehen, dass die BVB-Chefetage mit Gerd Niebaum und Michael Meier den Trainer lieber heute als morgen loswürde. Immerhin hat Sammer mit der beinahe ruinös teuren Mannschaft (Gehaltskosten: an die 60 Millionen Euro) zweimal hintereinander das lebensnotwendige Saisonziel Champions League verpasst. Zudem hat er in seiner Amtszeit eine ganze Reihe von teuren Stars verschlissen, die den Klub Unsummen kosten: Von Ikpeba über Bobic, bis zu Oliseh und Amoroso. Andere Spieler, wie Rosicky, Ricken oder Kehl haben in Sammers Ägide rasant an Niveau und Marktwert verloren. (…) Neben Sammer-Gegnern gibt es durchaus treue Sammer-Fans in der auseinander fallenden Mannschaft. Sammers Kabinen-Ansprachen werden gerühmt, seine taktischen Qualitäten und die mangelnde Souveränität im Umgang mit kritischen Spielern wird allgemein bemängelt. Im Kader hat man mehr noch Sportdirektor Michael Zorc als einen Hauptschuldigen ausgeguckt. Zorcs Ansehen bei einer Reihe wichtiger Spieler ist offenbar am Nullpunkt angelangt. Die rege Debatte unter den BVB-Fans über Sammer und Zorc, hat für das Klub-Management zumindest einen angenehmen Akzent: Über die chaotische Finanzpolitik des Klubs wird einstweilen nur am Rande diskutiert. Trainer und Sportdirektor sind schuld – haltet den Dieb. Alles also wie immer, im Bundesliga-Getriebe.“

Richard Leipold (FAZ 27.5.) fügt hinzu: “Als börsennotiertes Unternehmen ist der Fußballklub Borussia Dortmund den Umgang mit charttechnischen Widerstandslinien gewohnt. Neuerdings muß sich neben der kaufmännischen Geschäftsführung auch Cheftrainer Matthias Sammer mit einer solchen Linie auseinandersetzen. Nachdem der Klub zum wiederholten Mal ein wichtiges Ziel verfehlt und sich nicht einmal für den UEFA-Pokal qualifiziert hat, steht der lange als sakrosankt geltende Fußball-Lehrer in der Kritik wie noch nie in seiner Trainerlaufbahn. Gerd Niebaum, der Präsident des BVB, spricht von einer „seit zwei Jahren erkennbaren sportlichen Abwärtslinie“. Diese gegenüber einer Regionalzeitung geäußerte Wertung wurde in einem Teil der Medien als Abrücken des Präsidenten vom Trainer gedeutet. (…) Sammers Vorgesetzte haben eine „schonungslose Analyse“ angekündigt. Innerhalb eines Jahres haben die Borussen-Profis dreimal in jenen Spielen versagt, in denen es um viel Geld und Prestige ging. Neben einem sperrigen Umgang mit den Medien wird Sammer zum Vorwurf gemacht, daß er es nicht verstanden hat, teuer eingekauften und zuweilen extravaganten oder sensiblen Profis wie Amoroso, Rosicky oder Oliseh Teamfähigkeit zu vermitteln. Bei all diesen Mängeln scheint der Verbleib Sammers in Dortmund aber nicht ausgeschlossen.“

Michael Ashelm (FAZ 27.5.) schildert die Hoffnungen des deutschen Fußballs bei der U21-EM: „Statt gewohnt kritischer Auseinandersetzung fordert Uli Stielike jetzt eine positive Grundhaltung. „Es wäre schlecht, wenn wir nicht optimistisch in dieses Turnier gehen würden“, sagt der Fußball-Lehrer. Gerade erst ist die Bundesligasaison beendet und der größte Druck verpufft, da muß der 49 Jahre alte Fußball-Lehrer innerhalb weniger Tage alle Aufmerksamkeit der vermeintlich besten deutschen Talente auf ein neues, hochgestecktes Ziel lenken: das erfolgreiche Abschneiden der deutschen Nachwuchsauswahl bei der „U21″-Europameisterschaft im eigenen Land. Stielikes Mission ist durch die Gastgeberrolle des DFBs in großem Maße aufgewertet, steht dadurch aber auch unter besonderer Beobachtung. Der Verband sieht seine Chance, dem breiten Publikum zu zeigen, daß die Millionen-Investitionen in die Nachwuchsarbeit lohnend angelegt sind, daß der deutsche Fußball über eine ganze Reihe begabter Jungprofis verfügt und gar nicht so schlecht dasteht wie vermutet. Nach der Qualifikation der deutschen Elf in einem umkämpften Play-off-Finale gegen die Türkei und einigen wechselvollen Testergebnissen im Vorfeld des Turniers kommt es jetzt auf den Ernstfall an. Für DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder hat die Aufgabe „höchste Priorität“. Daß der Verband seine hoffnungsvollsten Talente zu Hause aufspielen lassen kann, dafür wird als Ausrichter sogar ein Defizitgeschäft in Kauf genommen; das große WM-Turnier 2006 im eigenen Land wirft eben seine Schatten voraus. Alle Anstrengungen werden unternommen, um den Fans Geschmack zu machen und den Nachwuchskickern, von denen der eine oder andere in zwei Jahren weltmeisterschaftstauglich sein soll, eine populäre Plattform zu bieten. Käme Stielikes Mannschaft unter die besten drei Nationalteams, würde dies auch bedeuten, daß der DFB nach 16 Jahren wieder mit einer Mannschaft bei einem olympischen Fußballturnier vertreten wäre. „Wir alle wollen nur eines erreichen: Athen ist unser großes Ziel“, sagt Hanno Balitsch, der Kapitän vom Bundesligadritten Bayer Leverkusen. Wenn auch jetzt schon abzusehen ist, daß bei einer Qualifikation für Olympia im August Freigabediskussionen mit den Vereinen drohen.“

Wie der abgeht, der Kleine!
Tsp-Interview mit Horst Heese, Maltas Trainer

Tsp: Bei Kickers Offenbach haben Sie Bekanntschaft mit dem jungen Rudi Völler gemacht.
HH: Ach, der kleine Rudi, der war zwei Jahre bei mir. Ich ließ ihn Linksaußen spielen, er war schnell und dribbelstark.
Tsp: Und heute ist aus dem kleinen Rudi der deutsche Teamchef geworden.
HH: Dass er ein besonderer Typ war, hatte ich gesehen. Er hat gern etwas riskiert. Dass aus ihm aber ein Weltklasse-Stürmer werden würde, der mal die Nationalelf trainiert, hätte ich nie gedacht.
Tsp: Hatten Sie zuletzt Kontakt zu ihm?
HH: Wir sehen uns auf Kongressen der Nationaltrainer – und natürlich, wenn unser italienischer Freund in Frankfurt eine Party schmeißt. Dann haben wir schon mal eine Flasche Roten aufgemacht.
Tsp: Stimmt es, dass Ihre Spieler damals Geigenmusik hören mussten?
HH: Und ob! Nach Abpfiff im Entmüdungsbecken musst du klassische Musik hören. Bei Mantovani kannst du erst entspannen. Dessen Musik hat eine Blutdruck senkende Wirkung. Vor dem Spiel im Bus gab’s dafür „Rocky“ zu hören.
Tsp: Und wie sind Sie auf die Idee gekommen, Schweine zu züchten?
HH: Als mich die Nürnberger 1981 rauswarfen, wollte ich nichts mehr mit Fußball zu tun haben. Ich legte mir ein Reetdachhaus zu und ging in die Landwirtschaft. Nebenbei habe ich bei einer Fußballschule gearbeitet …
Tsp: … bei der Sie übersehen haben sollen, dass Maren Meinert, die spätere Nationalspielerin, kein Junge war, oder?
HH: Ja, stimmt. Ich habe gesagt: Mensch, ist das ein Bombentyp! Wie der abgeht, der Kleine! Später haben sie mir gesagt, dass der Typ ein Mädchen ist. Die Maren trug ganz kurze Haare, es ist halt passiert.

Wer zum Friseur gehen will, kann natürlich zum Friseur gehen, kein Problem

Das Streiflicht (SZ 27.5.) vergleicht zwei große Deutsche: „Schon wieder ein deutscher Schicksalstag. Sonntag erst haben wir unseren neuen Bundespräsidenten bekommen. Heute Abend nun: das Benefizspiel gegen Malta, in Freiburg. Das ist der Hammer! Und wieder werden alle Deutschen, jedenfalls alle Deutschen frohen Herzens, gebannt vor dem Fernsehkasten sitzen – einsam, zweisam, dreisam, oder auch in großer Runde. Noch klingen die goldenen Köhler-Worte in uns allen nach: Mehr Ideen! Mehr Fröhlichkeit! Und Liebe zum Land! Doch nun tritt schon ein anderer Redner vor uns hin, es ist Rudi Völler, der Bundestrainer, und er spricht aus dem Trainingslager im Schwarzwald. Sein Statement gipfelt in dem schönen Satz, seine Schützlinge, die deutschen Fußballspieler betreffend: „Wer zum Friseur gehen will, kann natürlich zum Friseur gehen, kein Problem.“ In diesem Augenblick weiß man, dass es viele Gründe gibt, unser Land zu lieben, aber einen ganz besonders: Rudi. Der Satz klingt, wie auch die Köhler-Sätze, schlicht – und hat doch große Tiefe. Denn Völler sagt hiermit ja auch: Wer nicht zum Friseur gehen will, muss nicht zum Friseur gehen. Kein Problem. Das war nicht immer so in Deutschland. Jetzt aber ist Deutschland ein freies Land, von der Sohle bis zum Scheitel. Köhler und Völler, der Bundespräsident und der Bundestrainer: Wir zögern nicht, die beiden ein Traumpaar zu nennen. Onkel Horst und Tante Käthe: Bei ihnen ist Deutschland in guten Händen. (…) Bundespräsident und Bundestrainer – das ist ein noch fast unerforschtes, gleichwohl magisches Thema. Das Wunder von Bern, 1954: Heuss und Herberger, zwei Baden-Württemberger, zwei Männer aus Urgestein. Das Wunder von München, 1974: Scheel und Schön, zwei luzide Kahlköpfe. Das Wunder von Rom, 1990: Weizsäcker und Beckenbauer, der Freiherr und der Kaiser. Über das Paar Rau und Ribbeck (EM 2000) gehen wir lieber schnell hinweg! Und denken freudig an Köhler und Völler, Völler und Köhler: Schon der Zusammenklang ihrer Namen (diese Fülle des Wohllauts!) macht uns zuversichtlich für die EM 2004. Wer die Zeichen der Geschichte zu lesen versteht, dem fällt die Prognose nicht schwer: Deutschland wird am 4. Juli Europameister. Zumindest ist dies eine sehr gute Idee. Jetzt schnell noch zum Friseur. Und dann ins Dreisamstadion.“

Da bin ich doch nicht ich selbst

Hab ich’s nicht gesagt? Torwart-Sachverständiger Ronald Reng (Zeit 27.5.) erzählt die Geschichte Robert Enkes: “Morgens kauft er sich am Kiosk vor seiner Wohnung zwei Sportzeitungen. Er sieht das Foto gleich, es ist auf der Titelseite der einen Zeitung, rechts im Eck, er fragt sich, warum sie ausgerechnet dieses genommen haben, das Bild ist ein halbes Jahr alt. Er erkennt sich darauf kaum wieder. Das Foto zeigt ihn im weißen Hemd, zwei Knöpfe offen, es muss ein heißer Tag gewesen sein, natürlich: Istanbul im August. Er ist gerade als Neuzugang beim türkischen Spitzenklub Fenerbahçe Istanbul vorgestellt worden, die eine Hand hat er an der Vereinsfahne, mit der anderen spreizt er den Daumen der Kamera entgegen zum Zeichen, Klasse, dass ich hier bin, stark, dass ich für Fenerbahçe spielen werde. Und sein Gesicht sagt alles andere. Die Wangen rot, der Mund offen, die Augen gehetzt. Wie auf der Flucht. „Schau dir das Bild an“, sagt Robert Enke. „Da bin ich doch nicht ich selbst.“ Er reißt die Seite heraus, um sie aufzuheben. Das Foto erinnert ihn, wie verloren, fremd und bedrängt er sich in der Türkei vom ersten Moment an fühlte. Wenn er das Bild anschaut, weiß er, dass seine Entscheidung richtig war. Selbst wenn er der Einzige sein sollte, der das glaubt: Robert Enke, 26, einer der besten Torhüter Deutschlands, mit unglaublichen Reflexen. Im August vergangenen Jahres unterschreibt er einen Vertrag bei Fenerbahçe Istanbul, der ihm über eine Million Euro brutto im Jahr garantiert – und kündigt den Kontrakt nach nur einem Meisterschaftsspiel fristlos; wegen eines Gefühls: dass er dort nicht glücklich würde. Sein Agent sagt ihm, er solle bitte nicht überstürzt handeln, Christoph Daum, Fenerbahçes Trainer, sagt, Eingewöhnungsprobleme seien das, nicht mehr, Mensch, in drei, vier Wochen sehe die Welt ganz anders aus. Doch Enke hat seine Entscheidung schon getroffen. Am nächsten Tag verlässt er Istanbul, im vollen Bewusstsein, dass das Geld futsch ist und die Karriere im schlimmsten Fall auch. Er weiß, er wird wegen der Frist für Vereinswechsel mindestens ein halbes Jahr arbeitslos sein und es danach nicht leicht haben, wieder im großen Fußball unterzukommen. In der Welt des Fußballs ist das eine mutige und eine einsame Entscheidung. Ein Fußballprofi tut so etwas nicht. Das sagt ja wohl schon das Wort: Profi. Professionell sein heißt ja immer auch, Gefühle zu verdrängen, weiterzumachen. Und wenn es auf dem Fußballplatz nicht läuft, sich halt auf die Ersatzbank zu setzen, heimlich zu beginnen, nach einem neuen Verein zu suchen und in der Zwischenzeit still das Gehalt abzukassieren. „Viele haben gesagt, der Enke hat sie nicht mehr alle, und klar, wenn man es nüchtern betrachtet, kann man es so sehen“, sagt er. „Aber“, er deutet mit einem Kopfnicken auf das Zeitungsfoto, das er auf den Wohnzimmertisch gelegt hat, „ich war dort so unglücklich. Ich hätte in Istanbul nie gut gespielt.“ (…) Fenerbahçe ist ein Ausweg. Er hat sich immer gesagt, in der Türkei spiele er nicht, diese überdrehte Leidenschaft, diese Brutalität gegenüber Verlierern, die Unzuverlässigkeit bei der Bezahlung. Er hat keine Alternativen. In Bitburg trifft er Fenerbahçes Trainer Daum, sie leeren eine Flasche Wein, „ich hab’s mir schöngeredet: deutsches Trainerteam, gutes Geld, probier’s halt mal.“ Die türkischen Zeitungen schlagen auf ihn ein, ehe er das erste Spiel gemacht hat: Was wolle ein Ersatztorwart bei Fener? Er kann die Zeitungen nicht lesen, aber er weiß von der Antipathie, die sich mit seinem eigenen Widerstreben mischt: Die wollen mich nicht, ich will sie nicht, was mache ich hier? Der Gedanke kommt immer wieder zurück: Ich will hier nicht sein. Im ersten Saisonspiel geht es gegen einen Aufsteiger, er hält nicht schlecht, aber nervös, irgendwann ein langer Ball, er rennt raus, kommt zu spät, wird überlupft. Am Ende steht es 0:3. Münzen, Feuerzeuge, Flaschen fliegen ihm um die Ohren. Er weiß: Hinter seinem Tor stehen die eigenen Fans. „Eigentlich habe ich die Entscheidung schon während des Spiels getroffen: Das ist es nicht wert.“

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