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Verkatert schon vor dem Finale

Oliver Fritsch | Freitag, 28. Mai 2004 Kommentare deaktiviert für Verkatert schon vor dem Finale

„Bremer und Aachener sind schon vor diesem Abschlussball verkatert“ (Tsp) – „Endstation für den Bremer König der Gefühle“ (FAZ) – SZ-Interview mit Hennig Scherf, Oberbürgermeister Bremens, über sein Verhältnis zu Fußball – „Rückschläge sind für Jörg Berger nur Etappen einer aufregenden Vita“ (FAZ) u.v.m.

Bremer und Aachener sind schon vor diesem Abschlussball verkatert

Die Falschen stünden im Finale, meint Friedhard Teuffel (Tsp 29.5.): „Der DFB-Pokal darf sich seine Finalteilnehmer leider nicht aussuchen, sonst hätte er sich vielleicht für den Hamburger SV entschieden und den VfL Wolfsburg. Für die wäre der Pokalsieg etwas ganz Außergewöhnliches, sie hätten ihn in den vergangenen Wochen als ihre einzige Geliebte angepriesen, weil sie von der Bundesliga so enttäuscht worden sind. Stattdessen spielen nun Werder Bremen und Alemannia Aachen gegeneinander. Für die Bremer ist der Pokal nur im Doppel mit der Meisterschaft einmalig, weil sie beides zusammen noch nie in einer Saison gewonnen haben. Und für die Aachener ist er nur ein Becher des Trostes nach dem verpassten Aufstieg in die Bundesliga. In den vergangenen Tagen haben beide Klubs noch zusätzlich in Frage gestellt, ob sie für dieses Saisonabschlussfest die richtigen Gäste sind. Der Pokal verlangt schließlich Harmonie nach jeder hektischen Bundesligasaison. Aber Bremer und Aachener sind schon vor diesem Abschlussball verkatert.“

Andreas, hör’ doch mal auf mit dem Quatsch!
SZ-Interview mit Hennig Scherf, Oberbürgermeister Bremens, über sein Verhältnis zu Fußball

HS: Also Ihr Lieben, worüber wollen wir reden?
SZ: Über Fußball natürlich.
HS (singt und gießt heißes Wasser in eine Kaffeetasse): Deutscher Meister ist nur der SVW, nur der SVW!
SZ: Wo Sie sich gerade heißes Wasser einschenken – wie kommt man mit diesem Getränk und ohne Bier durch Werders Festwochen, in denen die ganze Stadt im Delirium liegt?
HS: Wunderbar, denn dadurch vermeidet man das Delirium. Ich brauche, um in Stimmung zu kommen, kein Stimulans. Es ist auch eine Frage der Kondition. Als Werder das Spiel gegen Bayern gewonnen hat, habe ich von Anfang an auf dem Domshof gestanden, und es war wirklich knüppelvoll. 30 000, 35 000 – die standen da wie gepökelt. Ich habe eine volle Stunde gebraucht, um an meinen Platz zu kommen. Nach dem Spiel bin ich noch dreieinhalb Stunden hier rumgetigert – und dann mit zehntausend Leuten zu Fuß zum Flughafen gegangen. Das war wunderbar. Wir haben gesungen und gemacht, und dann sind alle wieder zurück gepilgert. Nach zehn Stunden bin ich völlig entspannt und locker nach Hause gegangen.
SZ: Eine Woche später, bei der offiziellen Feier, tranken die Werder-Spieler auf „Ihrem“ Rathaus-Balkon Bier aus Gläsern so groß wie Fässer. Auch da ließen Sie sich nicht verführen?
HS: Die Jungs waren unheimlich gut drauf und haben Jokus gemacht. Der Reinke hat sein Bier über die Balkonbrüstung ausgespuckt, da habe ich gesagt: „Andreas, hör’ doch mal auf mit dem Quatsch.“ Dann haben wir getanzt, ich mit Valérien Ismael – nach einer Stunde merkte ich, der hört gar nicht mehr auf. Der hüpfte wie ein Gummiball. Später habe ich mich mitten durch den Marktplatz gewühlt, bis ich hinten auf der Bühne gelandet bin. Da haben sie mich ,Marmor, Stein und Eisen bricht“ singen lassen. (Singt: Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht.) Ich weiß nicht, wann ich nach Hause gekommen bin. Aber ich kann das wunderbar aushalten, weil ich keinen Alkohol trinke.
SZ: Ihre Droge ist der Fußball?
HS: Die Droge sind die begeisterten Menschen. Das ist dann kein Fußballspiel mehr, sondern da geht es darum: Wie feiert man mit so einer bunten Truppe? Die feiern ja anders, als ich das machen würde. Ich bin so“n Typ, der am liebsten die deutsche Kammerphilharmonie kommen lassen würde, und dass wir dann tanzen, am liebsten Polka und Menuett, und dass wir gemeinsam klatschen und singen – aber schön. Das ist meine Art zu feiern, aber das ist bei so einer Riesenmenge eine exotische Vorstellung.
SZ: Werder hat schon viel gewonnen, aber so extrem wie in diesem Jahr war die Freude noch nie. Wie erklären Sie sich das?
HS: Es gibt viele Gründe. Die Werderaner sind ja nicht die reichsten und die größten oder die, die am aggressivsten auftreten. Sie haben eine tolle Mannschaft, aber keine Superstars. Die Spieler kommen zum Teil aus der eigenen Jugend oder haben, wie Ailton, lange gebraucht hat, um gut zu werden. Wir lieben ihn alle, weil er so ein netter Kerl ist. Er ist nicht die klassische brasilianische Diva, sondern irgendwie ein großer netter Junge, der völlig außer sich ist vor Begeisterung, allerdings auch furchtbar tief in den Keller fallen kann, wenn es nicht so gelaufen ist – ein Emotionsbrocken eben.
SZ: Den meisten Applaus bekommt ausgerechnet der ruhige Thomas Schaaf.
HS: Ja, mein lieber Thomas, der war Klassenkamerad von meiner ältesten Tochter Caroline – so lange kenne ich den schon. Sie hat immer gesagt: ,Thomas, mach“ erst Abitur.“ Er hat ja schon als Schüler einen Profivertrag gekriegt, mit 17 Jahren. Da hat er gesagt: ,Caroline, ich glaube, Fußball ist meine Sache.“ Sie hat Abi gemacht, ist Ärztin geworden und jetzt Hochschullehrerin in London – und Thomas ist Kult.
(…)
SZ: Vergangenen Montag war Kanzler Gerhard Schröder hier, weil Estland ein Gemälde zurückgegeben hat. War Werder ein Thema?
HS: Gerhard wollte beim Abendessen unbedingt Thomas Schaaf dabei haben. Da kam der Thomas ganz allein, und irgendwann holte er aus einer Plastiktüte ein Werdertrikot, ein grün-oranges mit dem Namenszug „Acker“ und der Neun drauf, für Schröder. Für den estnischen Ministerpräsidenten Juhan Parts hatte er auch eines mit der Nummer Zehn dabei. Parts spielt jetzt noch Fußball, in der dritten Liga glaube ich. Gerhard sagt, viel besser als er. Aber Parts ist ja auch jünger.
SZ: Schaaf im Kreise der großen Politik. Wie funktioniert das?
HS: Thomas macht das gut. Der gibt nicht an, drängt sich nicht auf, ist bescheiden. Der kann Englisch! Er war mit meiner Caroline im Englischkurs, da war er noch nicht so gut. Aber er lernt immer weiter und ist gewachsen in der Aufgabe. Aus dem ist ein hochintelligenter, hochkommunikativer Sympathieträger geworden, der sich richtig sicher bewegt. Wir haben zusammen am Tisch gesessen, wir duzen uns ja, weil wir uns so lange kennen. Ich habe ihn genau beobachtet – es war nicht ein falscher Ton dabei. Wir haben uns alle gefreut über ihn. Neben ihm saß Wulf Herzogenrath, der Direktor der Kunsthalle. Das ist ein Kunstbesessener, der redet lieber über Dürer – das kann Thomas auch. Wunderbar!
SZ: Die Sozi-Connection bei Werder lebt also weiter?
HS: Das haben die Bayern angeschoben. Die Bayern haben ja immer so feindselige Veranstaltungen mit den Werderanern gemacht. Uli Hoeneß und Willi Lemke waren die Oberhelden, die haben keine Gelegenheit ausgelassen, sich zu kränken. Da hieß es immer: Bayern ist CDU und Werder SPD. Aber Otto Rehhagel hat zum Beispiel immer für die CDU und für Helmut Kohl Wahlkampf gemacht, und er war hier hochbeliebt. Otto ist nicht SPD, Otto ist Werder. Der Verein ist kein SPD-Verein, ganz und gar nicht. In meiner Jugendzeit war das der bürgerliche Verein. Ich war damals gegen Werder und für den Bremer SV, das war der Arbeiterverein, da waren meine Kumpels. Leider haben die nie so gut gespielt.

In Momento Werder Breme bisschen guck

Christof Kneer (BLZ 29.5.) schildert die Liebe zwischen Ailton und Bremen: “Das war aber ein lustiger Dolmetscher, der da ans Tageslicht trat. Das heißt, von Tageslicht konnte keine Rede sein, es war ja Bremen hier, aber immerhin war es so, dass sich der Regen zur Feier des Tages für eine weniger militante Variante entschieden hatte. Hinein in die Düsternis trat also dieser Dolmetscher, ein knubbeliger Kerl mit grausam kariertem Sakko, und er grinste so heiter, dass man fast vergessen hätte, dass man nicht seinetwegen hier war. Wo war denn nun dieser Ailton, dieser Stürmerstar, von dem noch nie jemand gehört hatte? Hatte der Transfer wieder nicht geklappt? Es hat ein Weilchen gedauert damals, bis man verstand, dass der Dolmetscher gar nicht der Dolmetscher war. Bei dem Knubbel handelte es sich um Ailton persönlich (…) Es zählt zu Ailtons Qualitäten, dass er bis heute unterschätzt wird. Natürlich mögen ihn die Leute, weil er aussieht, als sei er aus einer Hand voll Lederbällen zusammengenäht. Sie mögen ihn, weil er die lustigsten Interviews der Fußballgeschichte gibt („in Momento Werder Breme bisschen guck“) und weil er von jedem Heimatflug so viele Flausen mitbringt wie ins Handgepäck passen. „Wenn ihm einer sagt, ich hab einen Kumpel in Barcelona, kommt er angerannt und sagt: He, ich hab ein Angebot von Barca“, sagt Werders Vorstandschef Jürgen L. Born. Er mag seinen Ailton, und er weiß auch, wie zäh er ist. „Der Kerl hat eine ungeheure Leidensfähigkeit“, sagt Born. Ailton hat den frühen Magath überstanden, und als sein Kumpel Claudio Pizarro die Stadt verließ, wurde er nur besser. Das Geheimnis von Ailton ist, dass er Ailton ist. Er ist ein Widerspruch in sich, das macht ihn echter als alle anderen. Er ist ein Söldner und gleichzeitig ein großer Junge. Er ist verwegen und rührend, manchmal überfordert und doch von sich überzeugt. Ailton ist ein Schelm, der nichts Böses dabei denkt. Er macht seine Vorgesetzten rasend, wenn er zum tausendsten Mal den Trainingsauftakt schwänzt, aber sie wissen auch, dass er in Brasilien ein halbes Dorf unterstützt. Man kann schon jetzt sagen, dass Stadt und Verein nicht mehr dieselben sein werden ohne ihn. Ailton hat gezeigt, dass man kein Effenberg sein muss, um eine Mannschaft im Innersten zusammenzuhalten. Werder ist wenig störanfällig gewesen in dieser Saison, nicht trotz, eher wegen Ailton. „Sein Optimismus hat aufs ganze Team abgefärbt“, sagt Born, „wenn ein Rückschlag kommt, nehmen sie sich ein Beispiel an ihm: kurz trauern, schnell aufstehen.“ Es ist auch Ailton zu verdanken, dass Werder im Herbst nicht vom Weg abkam, ausgerechnet ihm, der in dieser sorgfältig austarierten Elf als Einziger nach seiner privaten Chaostheorie spielen darf. „Als Ailton und Krstajic ihre Wechsel nach Schalke verkündeten, war zu spüren, dass die Saison auf der Kippe steht“, sagt Zeiffer. „Dass sie professionell weiter gespielt haben, war entscheidend für den Titel.“ Ailton Goncalves da Silva hat Bremen verändert, man kann das nicht anders sagen. Der kühle SV Werder sieht heute aus wie Ailton: Er ist zum Knuddeln und kunterbunt rund. „Ein Tier ist endgültig ausgestorben: die graue Maus“, sagt Born. Ailton hat Werder ein Stück von seinem Image gegeben. Er hat Werder eingesüdet, an guten Tagen ist Bremen die nördlichste Stadt Brasiliens. Von 3 000 auf 15 000 sind die Mitgliedszahlen hinaufgeschossen in zwei Jahren, und ins Stadion kommen viele nur wegen dieser hinreißenden Hochgeschwindigkeitsdribblings, die man live sehen muss, um sie zu glauben.“

Tränen und Freude, das sind die Pole seines Lebens

Frank Heike (FAZ 29.5.) porträtiert Ailton: „Unter Thomas Schaaf wurde Ailton zum besten Bundesligastürmer der vergangenen Jahre: 88 Tore in 169 Bundesliga-Spielen. „Schaaf ist wie ein Vater. Ich würde am liebsten für immer in Bremen bleiben“, hat Ailton in dieser Serie gesagt. Doch das hat er sich selbst verbaut. Ailtons Worte darf man ohnehin nicht immer so ernst nehmen. In einem Moment, in dem er einmal nicht dem Gefühl vertraute, sondern an Millionen dachte, unterschrieb er im Herbst 2003 den Vertrag bei Schalke. Dann setzte er die Miene des knallharten Profis auf: „Ich muß an meine Zukunft denken.“ Die Fans waren am Boden zerstört. Schon häufig hat sich der Brasilianer als Verwandlungskünstler in der Welt der Gefühle gezeigt. Mal ist er der forsche, der fordernde, am Profit orientierte Profi. Dann wieder der von Selbstzweifeln geplagte, gläubige Mensch mit den großen Gefühlsausbrüchen. Manchmal denkt man, er setze seine Emotionen ein, wie es gerade paßt: die Liebe zu Werder und zu Bremen – und doch ein Vertrag in Gelsenkirchen? Vaterlandsliebe, der große Traum, einmal für Brasilien zu spielen – um sich dann für viele Millionen nach Katar zu verkaufen? Nicht immer ist er gut beraten gewesen. Aber was soll man von einem wie Ailton auch noch alles erwarten? Vielen reicht es doch, wenn einer die Massen über Jahre so erfreut mit seinen Toren, seinen Eskapaden, seinen Sperenzchen bei Auswechslungen, seinem putzigen Deutsch, seinen Tränen und mit dem Rührstück aus der Heimat. Ailton ist eben auch ein schlichtes Gemüt mit großem Herzen. Bis heute kann er nicht richtig lesen und schreiben. Aber der Gefühlsmensch, dem die Sympathien zufliegen, hat auch seine dunkle Seite. Die wurde sichtbar, als bekannt wurde, daß er seine Frau geschlagen hatte. Nicht nur einmal, aber Rosalie versöhnte sich trotzdem wieder mit ihm. Daß zuletzt in kurzer Folge Mutter und einer seiner Brüder starben, wußten nur Eingeweihte. Er widmete ihnen auf Münchner Rasen mit verweinten Augen die Meisterschaft. Tränen und Freude, das sind die Pole seines Lebens.“

FR-Interview mit Jörg Berger

FR: Herr Berger, Sie haben den Ruf, der letzte Strohhalm zu sein. Stört Sie das ewige Retter-Image und der damit verbundene Vorwurf, niemals oben mitspielen zu können?
JB: Nein, dieses Image stört mich nicht. Im Gegenteil: Es ist ja genauso etwas, wenn man Vereine vor dem Abstieg bewahrt, anders ausgedrückt: saniert. Wenn du eine Mannschaft übernimmst, die ganz unten steht, dann musst du sehr konsequent sein. Und wenn du dann oben bist, ist es anders. Ich habe es dann versäumt, den Hebel umzulegen und etwas lockerer und kompromissbereiter zu sein. Und eines habe ich dabei gelernt: In der Phase des Erfolgs werden die meisten Fehler gemacht.
FR: Sie haben den Aufstieg am letzten Spieltag verpasst. Hinterlässt das einen schalen Beigeschmack?
JB: Weil wir die Sensation nicht geschafft haben? Wir haben ein, zwei Tage gebraucht, das zu verarbeiten, natürlich waren wir enttäuscht, verärgert, aber die Saison ist doch nicht verkorkst. Unsere Zielsetzung war ja: Im ersten Jahr nicht abzusteigen, im zweiten Jahr sich zu konsolidieren, im dritten den Aufstieg anpeilen. Doch im zweiten Jahr waren wir nun schon Sechster. Wir haben eigentlich ein Jahr übersprungen. Auch wenn wir jetzt nicht Pokalsieger werden, war es trotzdem ein tolles Jahr. Und nächstes Jahr werden wir dann versuchen aufzusteigen.
FR: Ist dies jetzt mit der Alemannia der krönende Abschluss Ihrer Trainer-Karriere?
JB: Meine Wunsch war immer, einmal in einem Pokal-Finale dabei zu sein. Ich will jedoch, bevor ich aufhöre, noch einmal in die Bundesliga.
FR: Haben Sie noch einen anderen großen Traum, vielleicht Bayern München zu trainieren oder den FC Barcelona?
JB: Nein, da bin ich realistisch genug. Ich kann mich auch einschätzen, ich weiß, wo meine Stärken liegen, und ich weiß, bei welchen Vereinen ich die einbringen kann. Ich habe auch bei meinen Überlegungen, zu welchem Verein gehe ich, Fehler gemacht. Zweimal ins Ausland zu gehen, das war ein Fehler…
FR: Sie trainierten den FC Basel und Bursaspor aus der Türkei …
JB:….das war ein Fehler, ganz klar. Ich durfte niemals zu Vereinen gehen, die in den letzten Jahren nichts erreicht hatten. Deren Erwartungen an deutsche Trainer und Spieler waren nicht zu realisieren. Ich war immer bereit, bei meinen Entscheidungen im Leben und im Sport Risiko zu gehen, dabei macht man aber auch Fehler.
FR: Herr Berger, hat Sie Ihre Krebs-Erkrankung verändert?
JB: Ja. Nun werde ich nach Beispielen gefragt, aber so einfach kann man das nicht beantworten. Aber ein Krankheit, noch dazu so eine schwere, verändert Menschen. Ich weiß noch, wie toll ich es fand, wieder arbeiten gehen zu können. Man lernt, dass es Augenblicke im Leben gibt, die man als selbstverständlich ansieht, die es aber nicht sind.
FR: Glauben Sie, dass so etwas auch auf die Mannschaft abgefärbt hat?
JB: Das kann ich schwer beurteilen. Ich glaube aber, dass die Krankheit dazu beigetragen hat, dass alle gemerkt haben: Der Berger ist ein Kämpfer und denkt positiv. Weil ich so war und offen mit der Krankheit umgegangen bin, bin ich auch wieder so schnell gesund geworden.

Rückschläge sind für Berger nur Etappen einer aufregenden Vita

Roland Zorn (FAZ 29.5.) zollt Jörg Berger Respekt: „Berger war seinen Spielern einen Schritt voraus. Gedanklich. Der Trainer von Alemannia Aachen, der als einer der nervenstärksten im deutschen Fußball gilt, ist nach dem verpaßten Aufstieg in die Bundesliga „schnell zur Tagesordnung übergegangen“. Die ist ja immer noch attraktiv und verheißungsvoll genug, denn wer erreicht schon ein Endspiel um den DFB-Pokal? Der 59 Jahre alte Sachse war in den vergangenen Jahren zwar ständig in Berlin, wenn es um den letzten großen Pokal der Saison ging – aber immer als Genießer der fröhlichen und festlichen Atmosphäre im Berliner Olympiastadion. An diesem Samstag ist Berger erstmals aktiv beteiligt am Pokalfinale, das wie so oft im Zweikampf Klein gegen Groß entschieden wird. Seine Alemannia bekommt es immerhin mit dem neuen deutschen Meister Werder Bremen zu tun. Mutig wie Berger sein ganzes Leben lang war, erschreckt ihn die Vorstellung, in der Davidsrolle das Duell mit dem grün-weißen Goliath aufnehmen zu müssen, nicht die Spur. Im Gegenteil: Der wie immer braungebrannte und entspannt ausschauende Coach ist von der Chance des Underdogs in Gelb und Schwarz überzeugt (…) Für Berger jedoch kann kein Tag im Fußball mehr so glücklich oder traurig verlaufen, um darüber die Prioritäten des Lebens zu vergessen. Dieser Mann hat 16 Vereine kennengelernt – und die wahren, gefährlichen Abenteuer jenseits der Stadien mit Chuzpe und viel Glück überstanden. So glückte ihm, dem DDR-Auswahltrainer, 1979 auf einer Jugoslawien-Reise die Flucht aus dem steingrauen Sozialismus, obwohl ein Zöllner den daheim schon längst als Abweichler enttarnten Berger erkannte. Wieder einmal ließ Berger seinen sächsischen Charme, gepaart mit der Furcht des Abtrünnigen, spielen und gewann. Als aber die Ärzte Ende 2001 Darmkrebs diagnostizierten, half auch kein Charme mehr. Der meistentlassene Trainer im deutschen Profifußball (sechsmal) und Grundsanierer maroder, abstiegsbedrohter Klubs war erschüttert. Aber nur kurz. Mit Hilfe seiner Ärzte, seiner Frau Chris und seines positiven Naturells kam Berger mit der Erkenntnis davon, daß der Fußball tatsächlich die wichtigste Nebensache der Welt sein kann. Der Krebs war im Frühstadium entdeckt und besiegt worden. Im Februar 2003 kehrte Berger zurück auf seinen Platz in Aachen. Rückschläge wie der von Karlsruhe sind deshalb für einen wie ihn nur Etappen einer aufregenden Vita. „Du wirst gelassener“, sagt Berger nach den Monaten, in denen er seinen Kampf zwischen Leben und Tod gewann, „du wirst toleranter und bewertest gewisse Momente anders.“ Heute genießt er seine berufliche Mission wie eine schicksalsgewollte „Zugabe“.“

Bernd Müllender (BLZ 29.5.) berichtet Kritik an Berger: „Bergers Trainerschaft mutete oft seltsam an, etwa seine Nibelungentreue zu Abwehrmann George Mbwando. Dem hatte Berger nach dem Halbfinale gegen Mönchengladbach (als er mit einem nicht geahndeten Handspiel in der Schlussminute den Sieg fast vermasselt hätte) mitgegeben: „Der spielt bei mir nie mehr auf dieser Position.“ Danach aber lief Mbwando wieder als Stopper auf. Mehrfach waren zuletzt die Übungsstunden ausgefallen, weil Berger anderweitige Termine hatte. Schon früher, etwa in seiner Zeit beim Karlsruher SC, war Berger durch ähnliche Absenzen aufgefallen. Dass der 59-Jährige bei der EM für das ZDF in Portugal arbeitet, hilft einer optimalen Saisonvorbereitung auch nicht gerade. Im Fanforum herrschen plötzlich Frust und Fatalismus. Vor Wochen war glücklich, wer bei Ebay für 150 Euro eine Finalkarte erwerben konnte, jetzt bieten einzelne Aachener Fans Tickets zum Selbstkostenpreis an. Dabei sind die Tivolisten Zeugen eines kleinen Fußballwunders geworden. Der Klub war vor zweieinhalb Jahren komplett am Boden: bei 4,5 Millionen Euro Schulden, nach Schwarzgelddeals, Steuerbetrug und der peinlichen Kofferaffaire, drohten abwechselnd Insolvenz und Abstieg. Jetzt kommt im Uefa-Cup im besten Fall Real Madrid zur Alemannia.“

taz-Interview mit Jörg Schmadtke, Sportdirektor Alemannia Aachens

taz: Sie wurden zuerst viel belacht. Über eine Anzeige im „kicker“ hatte Alemannia einen Sportdirektor gesucht.
JS: Ja, das war absolut unüblich. Offen hat zwar keiner gelacht, aber es wurde sehr belächelt. taz: Und kaum waren Sie hier, saßen Sie nach zehn Tagen im Notvorstand des Vereins. Haben Sie da nicht gedacht, in welchem Chaos bin ich hier gelandet, nichts wie weg?
JS: Wo bin ich hier, hab ich schon gedacht. Aber hinschmeißen wollte ich nicht. Diese brisante Situation war eine Herausforderung, es war ja mein erster Job als Sportdirektor. Da hab ich unheimlich gelernt; als Erstes, wie man Spieler aus der U-Haft holt. [Mark Rudan, Schwarzgeldbetrüger in der „Kofferaffäre“, Anmerk. d. Red.] Das weiß sicher kaum wer von meinen Kollegen. Oder ich komm hier ins Clubhaus, da steht der Staatsanwalt vor mir: Wo wollen Sie hin? Ich arbeite hier. Wer sind Sie? Der Sportdirektor, ich möchte in mein Büro. taz: Manche nennen Sie arrogant. Und Sie polarisieren gern, schon damals, Mitte der 80er, mit Ihrem grellen lila-gelben Torwarttrikot.
JS: Ich war außer Sepp Maier der Erste mit so einem Trikot. Da kann man schon anecken. Aber ich mach, was ich will, wenn ich davon überzeugt bin. Dann gehe ich auch weit und vertrete das sehr hartnäckig. Mit Argumenten kann man mich immer überzeugen, aber besser als meine müssen sie schon sein.
taz: Nun gilt die Drecksbranche Fußball mit ihren vielen Tricksereien nicht eben als Hort gepflegten gedanklichen Austauschs.
JS: Drecksbranche – och nee. Fußball ist ein Produkt und ein Spiegelbild der Gesellschaft. Manche Nuance ist vielleicht ausgeprägter, und manchmal wird auch mit Halbwahrheiten gearbeitet.
taz: Sie sagen von sich: „Ich bin ein guter Manager.“ Und: „Ich wäre ein hervorragender Trainer.“ Haben Sie auch Fehler gemacht?
JS: Natürlich. Sicher war da auch der eine oder andere Spieler, der nicht so toll war.
taz: Und diese Woche? Erst der dämlich verpasste Aufstieg – und dann die Sache mit Kapitän Kalla Pflipsen. Der nennt es „stillos“ und „die größte Enttäuschung meiner Karriere“, weil er aus der Zeitung erfahren hat, dass Alemannia nicht mehr mit ihm plant. Der Haussegen hängt dramatisch schief!
JS: Der Fall Pflipsen ist denkbar schlecht gelaufen, alles Timing kaputtgegangen. Da muss ich mich bespucken lassen und mir Stillosigkeit vorwerfen. Ich trage die Verantwortung für die Indiskretionen im Verein, und ich habe mich bei Pflipsen entschuldigt. Natürlich hat das alles Auswirkungen auf die Stimmung, ganz klar. Bei mir hinterlässt das Theater tiefere Wunden als der Nichtaufstieg.

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