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Keine Lücke für die portugiesischen Traumtänzer im griechischen Abwehrdispositiv

Oliver Fritsch | Montag, 5. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Keine Lücke für die portugiesischen Traumtänzer im griechischen Abwehrdispositiv

“keine Lücke für die portugiesischen Traumtänzer im griechischen Abwehrdispositiv” (NZZ) / “es gibt Tage, an denen ist der Fußball völlig unberechenbar, aber manchmal hat man ihn auch im Gefühl” (BLZ) / “Tonnen schwer lastete der Druck einer euphorisierten Nation auf elf portugiesischen Schulterpaaren” (SZ) u.v.m.

Portugal-Griechenland 0:1

Keine Lücke für die portugiesischen Traumtänzer im griechischen Abwehrdispositiv

Peter B. Birrer (NZZ 5.7.) hat es geahnt: “Nach dem von Griechenland gewonnenen Viertelfinal gegen Frankreich und dem ebenfalls erfolgreich verlaufenen Halbfinal gegen Tschechien hatten nur die Utopisten damit gerechnet, anlässlich des Endspiels im Estádio da Luz einem Spektakel bewohnen zu können. Das war es nicht, bei weitem nicht, weil die letzte Partie der Euro 2004 allzu sehr von Realitätssinn und Nüchternheit geprägt war. Es war abermals erstaunlich, wie sich die von Trainer Otto Rehhagel bestens disponierte Mannschaft wehrte. Sie praktizierte – wie gehabt – in der eigenen Platzhälfte eine enge Manndeckung, schloss den Raum und versperrte den Weg zum Tor. Bisweilen schien es, als würden die Portugiesen auf eine weisse Wand rennen, ohne durchschlagenden Erfolg, mit wenig Ideen und Bewegung zunächst, so dass die Aufgabe für den Aussenseiter nicht die schwierigste wurde. Und was dem Abwehrspiel der Griechen vor allem förderlich war, war dessen Ruhe und Abgeklärtheit. Kaum einmal verlor ein Hellene den Ball zur Unzeit, kaum einer zeigte sich unsicher, und wenn einmal nichts mehr half, wurde der Ball im weiten Bogen weggedroschen. Es war zu erwarten, dass der Final für die Einheimischen um so schwieriger würde, je länger das Resultat 0:0 lautete. Das Team von Trainer Luiz Felipe Scolari wurde denn auch unruhig, dann und wann sogar richtiggehend nervös und machte über weite Strecken keine Anzeichen, den griechischen Torhüter Antonios Nikopolidis ernsthafter Gefahr aussetzen zu können. Im Gegenteil: Das portugiesische Offensiv-Viereck, bestehend aus Deco, Figo, Pauleta und Cristiano Ronaldo, tat sich sehr schwer. Deco war der Deco dieser EM, einmal sehr gut, dann wieder aufreizend langsam und mit dümmsten Ballverlusten; Figo liess sich wiederholt zurückfallen, brachte aber keinen Rush zu einem Ende; Cristiano Ronaldo tänzelte wie gewohnt, sah seine Versuche aber ebenfalls schon vor dem Strafraum abgewehrt, und Pauleta hatte im Sturmzentrum nicht eine gute Szene. Nach Henry, Trézéguet, Zidane, Baros und Koller fanden auch die portugiesischen Traumtänzer keine Lücke im griechischen Abwehrdispositiv.“

Es gibt Tage, an denen ist der Fußball völlig unberechenbar, aber manchmal hat man ihn auch im Gefühl

Auch Barbara Klimke (BLZ 5.7.) hat Griechenlands Erfolg kommen sehen: “Wie die Tschechen, so bemühte sich auch Portugal um gepflegten Kombinationsfußball, aber wieder waren Rehhagels Griechen humorlos genug, um deren Verdienste um den Ball einfach zu negieren. Den ersten Defensivriegel hatten sie schon in der gegnerischen Hälfte installiert, und das war schon genug gegen diese Portugiesen. Figo drehte effektfreie Pirouetten, auch die Dribblings von Ronaldo endeten vorzeitig. Am Ende konnten die Griechen nicht anders, als sich von den zahnlosen Gastgebern zu eigener Offensive inspirieren zu lassen; nach 16 Minuten kam Angelos Charisteas nach einer fast tschechischen Kombination nur um eine Kickschuhspitze zu spät. Selten hat man schöner verfolgen können als in diesem Finale der Euro 2004, dass Ästhetik kein Wert an sich ist. Gewiss, die Portugiesen waren gut zum Ball, sie streichelten ihn liebevoll, aber außer Zärtlichkeiten wussten sie wenig mit ihm anzufangen. Sie brachten ihn viel zu selten dorthin, wo er hingehört, in Gegners Strafraum nämlich, und je länger das so ging, desto mehr schien es den Griechen ein Anliegen zu sein, dem versammelten Europa zu zeigen, dass sie auch ein bisschen streicheln können. Immer wieder tauchten sie munter vor Portugals Tor auf. Es gibt Tage, an denen ist der Fußball völlig unberechenbar, aber manchmal hat man ihn auch im Gefühl. In diesem Finale war das wieder so; man hat förmlich spüren können, dass vielleicht bald wieder so ein Eckball hineinfliegen würde wie gegen Tschechien. Er kam tatsächlich geflogen.“

Jan Christian Müller (FR 5.7.) ergänzt: “Der vom Malergesellen zum König von Griechenland aufgestiegene Rehhagel hatte zum Entsetzen aller Freunde der Schönspielerei in den Spielen zuvor immer einen zähen Defensiv-Kleister angerührt, in dem nacheinander die großen Ballzauberer aus Spanien, Frankreich und Tschechien hängen geblieben waren. Gegen Portugal hatte der listige Taktiker seinen Helden zwar wieder eine schöne Manndeckung verordnet, aber vor allem die Offensivkräfte Angelos Charisteas und Zisis Vryzas erschreckten die portugiesische Abwehr immer mal wieder. Kein Wunder also, dass die griechischen Fans sich im ausverkauften Stadion äußerst selbstbewusst und lautstark bemerkbar machten. Gegen Ende der ersten Halbzeit wurden die Portugiesen immer stiller. Dabei hatten die Gastgeber durchaus die Offensive gesucht.”

Tonnen schwer lastete der Druck einer euphorisierten Nation auf elf Schulterpaaren

In der SZ (5.7.) lese ich: “Cristiano Ronaldos Tränen, die traurigen Augen von Luis Figo, Rui Costa am Boden, den verschwimmenden Blick auf etwas Unerreichbares in der Ferne gerichtet – und auf der anderen Seite die jubelnden Griechen, die noch beim Freudenausbruch dirigiert wurden von ihrem einzigen Star, dem Trainer Otto Rehhagel. Dieses Szenario im Lissaboner Estadio da Luz beendete, nicht mehr ganz überraschend, das Endspiel und die EM. Ein hoch verdienter Sieg der als krasse Außenseiter ins Turnier gestarteten Griechen, der nicht nur auf unbeugsamer Wehrkraft aufgebaut war, sondern auch auf der Angst der unterlegenen Mannschaft, die in fast jeder Minute zu spüren war. Griechenland hat Einzigartiges geleistet – für Portugals Künstler aber war diese letzte Pflichtaufgabe zu groß: Sie hätten ja siegen müssen. Endlich ein besonderes Finale. Eines, an dessen Ende eine neue Identität auf einen der Teilnehmer wartete: Für immer auf der internationalen Fußball-Landkarte zu stehen. Daneben stand auch der vielleicht richtungsweisende Stilentscheid für den modernen Fußball auf dem Spiel: Wer obsiegt, die spielerische Brillanz der vom brasilianischen Weltmeister Scolari trainierten Portugiesen oder die Stärke des griechischen Abwehrzements, angerührt von dem (neben Referee Markus Merk) verbliebenen deutschen Relikt bei dieser EM, Rehhagel? Diese Personalie hat dafür gesorgt, dass binnen kürzester Zeit und dank der großartigen Energieleistung des unverwüstlichen Griechen-Teams auch der Defensivfußball urdeutscher Prägung eine atemberaubende neue Wertschätzung erfahren hat: Otto Rehhagel, der Trainer, dessen Stärken und Schwächen im deutschen Fußball seit einem Vierteljahrhundert bekannt sind, wird in der Heimat als neuer Heilsbringer stilisiert. Die Griechen jedenfalls setzten ihre Taktik fort – und durch: Schon die Tschechen hatten sie müde rennen lassen, um sich irgendwann (damals in der Verlängerung) blitzartig aus der Deckung zu wagen. Das war der Generalplan, und auch das Finale folgte dieser Dramaturgie. Rehhagels Hünen hielten ihre Positionen und zogen einen dichten Abwehrriegel um den Strafraum auf, in der gewohnten, bestaunenswerten Perfektion. Die Portugiesen suchten darin von Anfang an erkennbar kopflos nach einer winzigen Lücke. Das griechische Angriffsspiel bot das Gewohnte: Lauern auf gegnerische Fehler, schneller Vorstoß – und Fehler gab es öfter. Denn Portugal startete übernervös, Tonnen schwer lastete der Druck einer euphorisierten Nation auf elf Schulterpaaren. Die Griechen indes hatten ihr Soll bei den Lieben daheim bereits mit dem Finaleinzug übererfüllt.“

Christoph Biermann (SZ 5.7.): “In den Tagen vor dem Finale war die Begeisterung über die Euro 2004 etwas abgeflacht, und nicht wenige Fans in Deutschland hatten mit kaum verhohlener Aversion darauf reagiert, dass sich Griechenland fürs Finale qualifiziert hat. Otto Rehhagel sollte das so wenig persönlich nehmen wie die griechischen Fans. Denn so sehr man dem Außenseiter für seine Leistungen Respekt zollen muss, standen Otto der Partyschreck und sein Team doch für eine Gegenbewegung des Turniers. „Moderner Fußball ist, wenn man gewinnt“, hat Rehhagel zwar mehrfach gesagt, doch war es für neutralen Zuschauer kaum ein Vergnügen, der hellenischen Betonmoderne zuzuschauen. Legitim ist sie angesichts des Mangels an individuellem Talent allemal gewesen, und zudem bildete die Besetzung des Endspiels in Lissabon eine erstaunliche Parallele zum Finale der Champions League. Wobei allerdings Griechenland eher den Part des FC Porto und der AS Monaco den des portugiesischen Teams eingenommen hat. Denn der FC Porto unter José Mourinho stand zweifellos für einen wohlorganisierten Ergebnisfußball, während sich Monaco auf dem Weg in die Arena AufSchalke zumindest teilweise in Angriffsräusche hineinsteigern konnte. In allen Fällen blieben aber die nominell großen Mannschaften auf der Strecke. (Und wer will, kann auch noch den Titelgewinn von Werder Bremen einreihen.) 2004 ist jedenfalls nicht das Jahr der Stars, sondern das der Teams.“

morgen mehr über das Finale und den Europameister Griechenland

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