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Deutsche Elf

Streit ums WM-Quartier

Oliver Fritsch | Freitag, 24. September 2004 Kommentare deaktiviert für Streit ums WM-Quartier

Streit ums WM-Quartier – „Schon jetzt hat die Debatte ein Stadium erreicht, in dem es keine Lösung mehr gibt ohne Flurschaden“, bedauert Thomas Kistner (SZ 25.9.): „Der Hauskrach bringt immerhin Licht in die Frage, wem das Vaterland den Coup wirklich zu verdanken hat: Franz Beckenbauer, dem Kaiser für Bild und Basisteile der Nation – oder hatte der nur das Scheinwerferlicht absorbiert, damit im Schatten die üblichen Verdächtigen der Deutschland AG aktiv werden konnten, von Bayer bis Daimler? Was immer für den WM-Zuschlag notwendig gewesen sein mag, der Geist von gestern beginnt in der Flasche zu rumoren. (…) Deutschland will ein hoffnungsfrohes Team in die WM schicken, nur das zählt. Insofern hat die Debatte schon jetzt eine Grenze erreicht, an der das Publikum hellhörig wird, oder gar stutzig. Das kann keiner wollen: Einblicke in die oft brutale Wirtschaftskulisse hinter dem Profisport sind wirklich das Letzte, was sich der Heile-Welt-Betrieb Fußball leisten kann.“

2006 ist Rückzahltag

In einem zweiten Text berichtet Thomas Kistner (SZ 25.9.), Ko-Autor der Spielmacher, die Rolle von Bayer und der Wirtschaft beim Zuschlag für die WM 2006: „Was ist so wichtig am Standort Leverkusen, dass der DFB dafür zentrale Klinsmannsche Erfolgsprämissen sabotieren will? (…) Bis heute geht die Mär, Franz Beckenbauer habe die WM, das größte globale Gesellschaftsereignis, dank seiner Golf- und Charmierkünste ins Land geholt. Wer das glaubt, glaubt auch an den Weihnachtsmann: Beckenbauer punktete auf dem Diplomatenparkett, die Weichen wurden natürlich anderswo gestellt. Kurz vor der Wahl beim Weltverband Fifa an jenem 6. Juli 2000 war ein fast hysterisches Massenengagement der deutschen Großindustrie in Fernost zu bestaunen. Den WM-Zuschlag erhielt der DFB nur dank der asiatischen Stimmen aus Katar, Saudi-Arabien, Südkorea und Thailand. Die vier waren in letzter Sekunde zu einem Deutschland-Block verschweißt worden, den nicht mal mehr Südafrikas Nelson Mandela aufbrechen konnte, der kurz vor der Wahl den Emir von Katar, Thailands König und andere Würdenträger um Hilfe bat. All dies nur für Beckenbauer, den golfenden Werber? Tatsächlich gab es verblüffende Geschäftsaktivität unmittelbar vor der Zürich-Wahl: Der Deutschland AG war ein effizientes Timing gelungen beim Ankurbeln und Ankündigen von milliardenschweren Asien-Geschäften, besonders den Sponsoren Bayer und DaimlerChrylser. (…) Milliarden-Zusagen für Thailand und Südkorea, Waffen für die Saudis – alles verhandelt in den Tagen vorm WM-Entscheid. Ob die eisern pro Deutschland gestimmten Fifa-Emissären aus Seoul und Bangkok der Dank der heimischen Wirtschaft ereilte? Hierzulande könnte es sich nur im umgekehrten Sinne verhalten – den Dienst fürs Vaterland haben gewisse Firmen schon erbracht. Der Verdacht, dass 2006 Rückzahltag ist, drängt sich auf, wenn sich die Nationalelf bei der WM partout unter einem Firmenlogo präsentieren soll – koste es offenbar, was es wolle.“

Wer gebietet Klinsmann Einhalt? Das fragt sich zur Zeit mancher im Verband

Droht Theo Zwanziger mit Rücktritt? „Jürgen Klinsmann beherrscht den Diskurs“, stellt Roland Zorn (FAZ 25.9.) fest: „Tatsächlich steht ein Rücktritt vor dem Amtsantritt als geschäftsführender, von 2006 an alleiniger DFB-Präsident nicht auf Zwanzigers Agenda. Der Mann hat gerade erst angefangen, nach der Macht im DFB zu greifen. Daß sein noch vorgesetzter Kollege Mayer-Vorfelder bisher kein öffentliches Wort zur eindeutigen Unterstützung des Kollegen aus Altendiez gesagt hat, gehört zum diffusen Stimmungsbild vier Wochen vor dem DFB-Bundestag. Der DFB-Präsident hat im Stil des alten Politikers lediglich verlauten lassen, daß er einen Konsens anstrebe und für einen runden Tisch plädiere. Daß Klinsmann, ein als Spieler und Stürmer im Zweifel egoistisch bis zur betonharten Sturheit handelnder Profi, diesen Wesenszug auch als Verantwortlicher der Nationalmannschaft beibehalten hat, daran zweifelt Mayer-Vorfelder sowenig wie Zwanziger. Nur sagt er es nicht so laut wie der Schatzmeister, der sich im Duell der Worte mit dem sportlich auf Anhieb erfolgreichen Trainer Klinsmann die ersten Beulen eingehandelt hat. Das wiederum mag Mayer-Vorfelder nicht allzu sehr schmerzen, ist doch der nach der mißratenen Europameisterschaft beinahe um sein Führungsamt gebrachte Präsident auf Zeit gerade wieder dabei, ein paar Pluspünktchen zu sammeln und ein Stück von dem alten Einfluß – den ihm nicht zuletzt Zwanziger genommen hat – zurückzuerobern. Wer gebietet Klinsmann Einhalt? Das fragt sich zur Zeit mancher im Verband, wo nicht jeder gut auf den mit Menschen zuweilen kalt umspringenden Reformator zu sprechen ist.“

Präpotenter Projektmanager im Bundestrainer-Gewand

Auch Wolfgang Hettfleisch (FR 25.9.) sorgt sich wegen der Machtfülle Klinsmanns: „Macht-Instinkt und Sendungsbewusstsein des präpotenten Projektmanagers im Bundestrainer-Gewand haben die Verbandsbosse im Frankfurter Stadtwald anfangs wohl verblüfft. Dass der bislang als vorsichtig geltende Zwanziger nun in Sachen WM-Quartier 2006 auf Konfrontationskurs zu Klinsmann geht, ist ein klares Signal. Dabei geht es nur vordergründig um die Frage, ob die BayArena in Leverkusen das richtige Übungsterrain für eine erfolgreiche Titelhatz bietet oder welche Anfahrt zum Training sinnvoll und zumutbar ist. Die Frankfurter Fußball-Holding will der fortschreitenden Verselbständigung der prestige- und gewinnträchtigen Nationalmannschafts-GmbH nicht länger tatenlos zusehen. Mal sehen, wie der risikofreudige Geschäftsführer Klinsmann reagiert. Bislang hat er in der neuen Firma noch jedes Stop-Schild umstandslos überfahren.“

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