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Internationaler Fußball

Einer der letzten Idealisten der Branche

Oliver Fritsch | Montag, 27. September 2004 Kommentare deaktiviert für Einer der letzten Idealisten der Branche

Peter Hartmann (NZZ 27.9.) kommentiert die Demission Rudi Völlers: „Völler, einer der letzten Idealisten der Branche, der von 1987 bis 1992 selber für die Römer stürmte, hat die italienische Realität von heute ziemlich unterschätzt. Die AS Roma gilt als das Paradigma für Grössenwahn und Auswüchse des Calcio – mit dem greisen, präpotenten Präsidenten Sensi, der unter dem Dach der luxemburgischen Holding „Roma 2000“ den unvorstellbaren Schuldenberg von 600 Millionen Euro anhäufte; mit den unkontrollierbaren, undurchsichtigen Ultra-Häuptlingen, die das letzte Derby gegen Lazio zum Platzen brachten; mit Lohnzahlungs- Rückständen bis zu neun Monaten; mit gefälschten Bürgschaften zur Erschleichung der Lizenz. Der Metropolen-Klub hängt an der Nabelschnur der Bank Capitalia, in der Fussballverbandspräsident Carraro im Verwaltungsrat sitzt, und überlebt – anders als etwa Napoli oder zuvor Fiorentina – auch dank politischer Protektion.“

25 Tage Albtraum

Birgit Schönau (SZ 27.9.) fügt hinzu: „25 Tage, die längsten vielleicht im Leben des Rudolf Völler. Eine Stadt, seine zweite Heimat, wie er selber sagt, die ihn enthusiastisch aufnahm wie einen verlorenen Sohn. Eine Fankurve, die dieselben Lieder für ihn sang wie vor 15 Jahren. Eine Mannschaft, die zwar mit Emerson und Samuel zwei wichtige Spieler verkauft hatte, aber doch ein Riesen- potenzial besaß. Die im Vorjahr die beste Abwehr hatte, den besten Sturm, und damit Meisterschaftszweiter geworden war. Und dann das. 25 Tage Albtraum. (…) Völler muss die Jungs ganz anders behandeln, grummelte es in den Kaffeebars. Strenge muss her. Ist er Deutscher oder nicht? Römer schicken ihre Kinder gern zur Deutschen Schule, weil sie meinen, dort würden ihnen Manieren beigebracht. Und doch kippte die Stimmung nach dem Unentschieden gegen Lecce, die Mannschaft des früheren Roma-Trainers Zdenek Zeman, eines individualistischen, leicht verschrobenen Tschechen. Völler muss weg, sagten die ersten in den Bars. Ein anständiger Mann, gewiss, und ein großartiger Fußballspieler seinerzeit. Aber er kann sich nicht durchsetzen. Die machen doch mit ihm, was sie wollen. So hatte Rom, wo die Gnadenlosigkeit der Arena seit 2000 Jahren Tradition hat, den Daumen schon halb gesenkt, als Völlers Mannschaft, begleitet von ein paar Tausend Tifosi, nach Bologna fuhr, ihrem Untergang entgegen. Es war eine peinliche Vorstellung. Drei Tore kassiert, vom Schiedsrichter gehätschelt, selbst als nur noch neun Gegner auf dem Platz waren, spielte die Roma wie „eine lasche, falsch aufgestellte Mannschaft ohne Rückgrat“.“

Dirk Schümer (FAZ 27.9.) ergänzt: „Sportdirektor Franco Baldini, der den früheren Roma-Spieler Völler geholt hatte, nahm die herbe Enttäuschung ritterlich und gab sich selbst die Schuld am Mißverständnis dieses Arbeitsverhältnisses: „Am besten würde ich selbst zurücktreten. Rudi hätte etwas mehr Zeit nötig gehabt, die Spieler richtig kennenzulernen.“ Offenbar war es aber genau das, was Völler vermeiden wollte, weil er bereits genug von der Disziplinlosigkeit und Eitelkeit mancher Profis abgestoßen war. Umgekehrt verschont Italiens Presse aber auch den deutschen Trainer nicht mit Kritik. So schrieb die „Gazzetta dello Sport“ über den erbärmlichen Auftritt: „Eine derart ungeordnete Roma ist auch Völlers Werk.“ Auch der „Corriere della Sera“ warf Völler die verkehrte Spielerauswahl und Mängel bei der Taktik vor. Auf der anderen Seite weiß man auch in Italien Völlers Anstand und Geradlinigkeit weiter zu schätzen – besonders in einem Fußballgeschäft, „wo man sonst nur seine Rechte, nicht aber die Pflichten kennt“, wie ein Kommentator bemerkte. Mit seinem freiwilligen Abgang verzichtet der Deutsche, der einen Jahresvertrag unterschrieben hatte, auf ein Gehalt von 2,6 Millionen Euro und behält angesichts dieser mittlerweile als „untrainierbar“ geltenden Mannschaft seine Würde.“

Die Macht der Starspieler

Christian Zaschke (SZ 27.9.) vergleicht die Fälle Heynckes, Camacho und Völler: „In allen drei Fällen waren es die Spieler, die sich gegen den Trainer gewendet haben. Völler stellte fest, dass seiner Mannschaft die Disziplin fehlt, und offenbar hatte der 44-Jährige nicht die nötige Autorität, diese Disziplin herzustellen. Auch Camacho, 49, der Trainerkategorie der harten Hunde zuzurechnen, sollte dem Ensemble von Real Madrid eine Linie verpassen. Der brasilianische Verteidiger Roberto Carlos merkte dazu an: „Wer auf den Tisch haut, verletzt sich die Hand oder zerstört den Tisch.“ Womit er sagt, dass er nicht gewillt sei, sich eine Linie verpassen zu lassen. Auf Schalke hatten die Spieler keine Lust mehr auf den autoritären Stil von Heynckes, 59. Man schreibe das Jahr 2004, hieß es, aber Heynckes sei ein Mann der alten Schule, er habe die Spieler nicht mehr erreicht. Das lässt sich in allen drei Fällen sagen, die Trainer erreichten die Spieler nicht, und das hat den einfachen Grund, dass die Spieler nicht erreicht werden wollten. (…) Aus den drei Fällen lässt sich lesen, wie enorm die Macht der Starspieler in Großprojekten wie Madrid, Rom und auch Schalke geworden ist. Wenn sie sich nicht trainieren lassen wollen, scheitert das Projekt, und ein Druckmittel hat der Trainer nicht.“

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