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Die Lage ist längst nicht so dramatisch, wie sie dargestellt wird

Oliver Fritsch | Freitag, 8. Oktober 2004 Kommentare deaktiviert für Die Lage ist längst nicht so dramatisch, wie sie dargestellt wird

Vor der Bilanzierung in Dortmund: „die Lage ist längst nicht so dramatisch, wie sie dargestellt wird“ (Gerd Niebaum, FR) / „wer starke Kreativität zu seinen Gunsten nutzt, macht seine Aktie zur Zockeraktie“ (Analyst Christoph Schlienkamp, SZ) / „mit dem Wort Finanzkrise sollte man vorsichtig sein“ (Lutz Meyer, Finanzexperte, FAZ)

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Gerd Niebaum im Interview mit Felix Meininghaus (FR 8.10.)
FR: Borussia Dortmund ist europaweit Rekordhalter im Kartenverkauf und weist gleichzeitig eine Rekordverschuldung auf. Wer trägt die Schuld für diese ungeheure Diskrepanz?
GN: Sie können doch aus einer Bilanz nicht nur die Passivseite lesen, sondern müssen auch die Aktivseite berücksichtigen. Unserer Verschuldung steht ein entsprechend hohes Vermögen gegenüber. In der Öffentlichkeit werden die Zahlen aus der Passivseite herausgelöst, ohne unser Eigenkapital zu berücksichtigen, das nach der Kapitalerhöhung 100 Millionen Euro betragen wird. Ich will nichts schön reden: Wir haben einen hohen Verlust, aber die Lage ist längst nicht so dramatisch, wie sie dargestellt wird.
FR: Das haben Sie bislang nicht überzeugend darstellen können.
GN: Natürlich werden wir kritisch beobachtet, weil wir an die Börse gegangen sind, was ein Pilotprojekt bedeutete. Zudem haben wir sehr viel Geld in Steine und Beine investiert. Wir sind international nicht vertreten und haben uns deshalb einen ganz strikten Sparkurs verordnet, den wir einhalten.
FR: Die Personalkosten waren vergangene Saison mit 70 Millionen Euro dreimal so hoch wie etwa beim VfB Stuttgart. Haben Sie zu lange über Ihre Verhältnisse gelebt?
GN: Solche Zahlen sind definitiv falsch. Dennoch ist die Frage berechtigt. Wir haben eine teure Mannschaft unterhalten, die für die Champions League ausgelegt war. Die haben wir in der vergangenen Saison verpasst und deshalb ein Problem.
FR: Nun laufen die laut einer großen Tageszeitung „dringend notwendigen Reparaturmaßnahmen nach verschwenderischen Jahren“?
GN: Es waren üppige Jahre, keine verschwenderischen.
FR: Das sehen die Beobachter aber anders.
GN: Man kann kritisieren, dass wir eine teure Mannschaft für einen bestimmten Wettbewerb unterhalten haben. Am Ende ist das wie bei einer Firma, die einen Großauftrag verliert. Wenn Sie den Transrapid bauen sollen und plötzlich wird Ihnen dieser Auftrag entzogen, dann haben Sie Probleme und müssen abspecken. Das tun wir.

Andreas Rüttenauer (taz 8.10.) kritisiert die Verzettelung der Dortmunder: „Als die Borussia 2000 an die Börse ging, hat die Geschäftsführung verkündet, dass man nicht nur im sportlichen Bereich Geschäfte machen wolle. Wer sich das Unternehmen vor der Bilanzpressekonferenz angesehen hat, stellt schnell fest, dass auch in den Bereichen, die nicht direkt mit dem Fußball zu tun haben, nicht gerade erfolgreich gearbeitet wurde. Ein Beispiel dafür ist die Sports & Bytes GmbH. Mit Hilfe der IT-Firma wollten die Borussen im Bereich sportaffiner Internetangebote Geld verdienen. Bevor die Borussen ihr Engagement starteten, erstellte diese Homepages von Spielern und Vereinen aus ganz Deutschland. Doch viele Kunden sind abgesprungen, als Borussia einstieg. Ein Verein wie der TSV 1860 München lässt sich nun mal ungern von einer Firma darstellen, die einem Ligakonkurrenten gehört. Heute ist Borussia Dortmund selbst einer der letzten verbliebenen Großkunden von Sports & Bytes.“

Wer starke Kreativität zu seinen Gunsten nutzt, macht seine Aktie zur Zockeraktie

Christoph Schlienkamp, Analyst, im Interview mit Freddie Röckenhaus (SZ 8.10.)
SZ: Was wäre zu tun, um die Borussia bald aus der Verlustzone zu holen?
CS: Der reine Fußballfan sollte sich darauf einstellen, dass der Spielerkader des BVB sicherlich kleiner, das heißt preiswerter werden muss. Dort muss man dramatisch einsparen. Es könnte absolut richtig sein, das Westfalenstadion zurückzukaufen. Kapitalanleger erwarten einfach eine gewisse Substanz, dazu gehören Immobilien. Man wird auch Schritte tun müssen, wie etwa die Eintrittspreise zu erhöhen, die Fantrikots müssen vielleicht teurer werden.
SZ: Um das Westfalenstadion zurückzukaufen, muss der BVB voraussichtlich rund 100 Millionen und mehr aufwenden. Mindestens 25 Prozent mehr, als es beim Verkauf eingebracht hat.
CS: Das ist genau das, was man dem Management vorwerfen muss. Dieser Ausflug, das Stadion erst teilweise zu verkaufen, dann zurückzukaufen, dann wieder zu verkaufen, es nun wieder zurückzuholen. Das ist wirtschaftlich fatal. In anderen Fällen müsste das Management für so eine Politik den Hut nehmen. Der Aufsichtsrat hätte einschreiten müssen. Generell stellt sich beim BVB die Frage: Was ist die langfristige Strategie? Wo soll das alles hin? Man hat immer den Eindruck, es wird unter hohen Verlusten mal dies, mal jenes ausprobiert.
SZ: Der BVB hat in seinen letzten Geschäftsberichten meist alle möglichen Sondereffekte benötigt, um eine halbwegs passable Bilanz zu erreichen. In diesem Jahr ist diese Kosmetik nicht mehr erfolgreich gewesen. Was hält man in Anleger- und Bankenkreisen davon?
CS: Bilanzkosmetik ist negativ belegt. Wer starke Kreativität zu seinen Gunsten nutzt, macht seine Aktie zur Zockeraktie. Gefragt sind Substanz und ein verlässliches Management. Beides gibt es bei Borussia Dortmund seit Jahren nicht. Der Anleger wünscht sich faire Durchschaubarkeit aller wichtigen Geschäftsvorgänge. Beim BVB gibt es diese Transparenz nicht.

Mit dem Wort Finanzkrise sollte man vorsichtig sein

Lutz Meyer, Finanzfachmann und Berater, sagt im Interview mit Henning Peitsmeier (FAZ 8.10.) über die Lage in Dortmund: „Mit dem Wort Finanzkrise sollte man vorsichtig sein. Dennoch muß der BVB die Kosten senken. Damit steht der Verein nicht allein. Wir propagieren seit Jahren, daß die Kosten der Fußballklubs, insbesondere die Personalkosten, stärker an den sportlichen und somit wirtschaftlichen Erfolg geknüpft sein müssen. (…) Der Jahresabschluß zum 30. Juni 2003 wies ein Eigenkapital von 149 Millionen Euro aus. Sollte der Verlust für das Geschäftsjahr 2003/2004 wie angekündigt 67 Millionen Euro betragen, würde sich das Eigenkapital auf 82 Millionen Euro reduzieren – der BVB wäre somit auch ohne Kapitalerhöhung nicht überschuldet. (…) Grundsätzlich ist eine Anleihe eine legitime und in der Wirtschaft verbreitete Finanzierungsalternative. Die in der Öffentlichkeit emotionsgeladene Diskussion über einen Verkauf der Zukunft wäre sachlich nur begründet, wenn die durch das Darlehen gewonnenen Mittel nicht wirtschaftlich vernünftig verwendet werden.“

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