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Bundesliga

Hierarchieflacher Fußball, raumgreifender Kombinationsfußball

Oliver Fritsch | Montag, 15. November 2004 Kommentare deaktiviert für Hierarchieflacher Fußball, raumgreifender Kombinationsfußball

Die Spiele des 13. Spieltags: Wolfsburgs „hierarchieflacher Fußball“ (taz) – Hannover erteil Mainz „Lektion in raumgreifendem, schnellem, präzisem Kombinationsfußball“ (FAZ) – Bielefelder „Systemfußball“ (FAZ) – „Ordnung und Arbeit“ (FAZ) in Mönchengladbach u.v.m.

………….

VfL Wolfsburg-VfB Stuttgart 3:0

Hierarchieflacher Fußball

Peter Unfried (taz 15.11.) hält Wolfsburg für einen soliden Tabellenersten: „Wolfsburg ist „die Stadt des Spitzenreiters“. Das ist fester Teil des Titelkopfs der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung (…) Es sei ein gutes Zeichen, findet Pablo Thiam, der gleichzeitig Taktikverantwortlicher und eine Art Pressesprecher der Mannschaft ist, „wenn du gegen eine Mannschaft, die taktisch so weit ist wie der VfB, taktisch und spielerisch bestehst.“ Auch ein gutes Zeichen: Es wird derzeit in der Liga über Taktik geredet. Das hängt mit dem Erfolg des Kollektiv- und Systemfußballs der Aufsteiger zusammen. Wenn man so will, ist Wolfsburg auch ein Aufsteiger, und das Gerüst des Aufstiegs soll neben der neuen Innenverteidigung hierarchieflacher Fußball sein. Am Samstag war er ohne den gesperrten Weltklassespieler Andres d’Alessandro unbestreitbar noch flacher – was die Hierarchie betrifft, aber auch das spielerische Niveau und die Kreativität. Zu sehen war, was das Arbeiter-Mittelfeld Karhan-Sarpei-Thiam abzuliefern in der Lage ist: emotionsarmen, aber defensiv gut organisierten, fehler- und chancenarmen Fußball. So nahm man VfB-Lenker Hleb aus dem Spiel – und war besser als der VfB, der zwar auch emotionsarmen und defensiv gut organisierten, schließlich aber fehleranfälligen Fußball ablieferte.“

Kunst der Improvisation in einem Meer aus Widersprüchen

Javier Cáceres (SZ 15.11.) ist verdutzt: „Auch die letzte Sequenz der Partie trug irrationale Züge, oder wie anders soll man es nennen, wenn der Protagonist nach dem Ende des Spieles fluchend in die Kabine flüchtet? Zwei Weltklassetore hatte Martin Petrov erzielt, dadurch das 3:0 gesichert und die Green Card für die Tabellenspitze erneuert – und doch stob er wie in Rage davon. Später, als ihm die Journalisten ähnlich schmeichelten wie vor zwei Wochen, als er vier Tore erzielt hatte, war von dem Zorn freilich nichts mehr zu spüren. Eher war es, als entledige sich der genialische Bulgare der Zurückhaltung, die er, wie der Rest der Wolfsburger Mannschaft, mit sich herumtrug wie andere Leute einen Bußgürtel voller nach innen gekehrter Spitzen. „Wir haben nie von Platz eins gesprochen, aber schauen Sie auf Bremen in der letzten Saison . . .“, sagte also Petrov, und so, wie er seine Worte ausklingen ließ, schien es, als wolle er die Auslassungspunkte regelrecht mitdiktieren. Das wirkte seltsam wie fast alles an diesem Samstag, an dem allein der Umstand, dass das Spiel Petrov zum Protagonisten erwählte, keine Herausforderung an die Logik darzustellen schien: Wen auch sonst als den unberechenbarsten aller Akteure auf dem Platz? Wie Filme der Dogma-95-Bewegung sperren sich Wolfsburgs Spiele jeder dramaturgischen Vorhersehbarkeit. Skript? Wofür? Ist die Kunst der Improvisation in einem Meer aus Widersprüchen nicht viel spannender?“

Schalke 04-Hertha BSC Berlin 1:3

Schalke nimmt’s gelassen, stellt Christoph Biermann (SZ 15.11.) fest: „Schalke 04 verlor zwar, die schöne Serie von sechs Siegen riss ab, doch niemand auf den Rängen des Stadions pfiff. Ralf Rangnick musste in seinem elften Pflichtspiel zum ersten Mal eine Niederlage hinnehmen, und trotzdem wurde die Schalker Mannschaft fast mit Ovationen in die Kabine verabschiedet. „Unsere Zuschauer haben eben Ahnung“, sagte Gerald Asamoah. Die Geschehnisse der zweiten Schalker Heimniederlage bargen allerdings auch wenig Geheimnisse. Unübersehbar für fast jeden im Stadion war, dass die Gastgeber sich mühten, Schwung entwickelten und Chancen herausspielten, ihnen aber die körperliche und damit geistige Frische fehlte.“

Stefan Hermanns (Tsp 15.11.) widmet sich dem Sieger: „Der Sieg gegen den Tabellenzweiten war zwar überraschend, passte aber in die bisherige Geschichte dieser Saison. Mit spielstarken Mannschaften hat Hertha weniger Schwierigkeiten als mit den vermeintlich Kleinen der Liga. Von den Vereinen, die in der Tabelle vor ihnen stehen, haben die Berliner nur gegen die Bielefelder verloren – und die spielen ein ähnliches System wie Hertha: mit einem breiten Mittelfeld und nur einer echten Spitze.“

Werder Bremen-Bayer Leverkusen 2:2

Der Schiedsrichter hatte wohl das Bayer-Kreuz in der Tasche

Zu früh abgepfiffen, Jörg Marwedel (SZ 15.11.)? „Der Aufreger des Tages blieb Schiedsrichter Brych vorbehalten. Hatte in der Vorwoche sein Kollege Hermann Albrecht die angezeigte Nachspielzeit so lange überzogen, bis Hertha der Ausgleich gelang, pfiff Brych diesmal – trotz fünf Auswechslungen und einer anderthalbminütigen Verletzungspause Krzynoweks – ab, bevor die 90. Minute abgelaufen war. Die Reaktion fiel nicht nur beim Publikum derbe aus. „Der Schiedsrichter hatte wohl das Bayer-Kreuz in der Tasche“, mutmaßte Andreas Reinke. „Ich fühle mich verarscht“, sagte Thomas Schaaf.“

Viele Kleinigkeiten

Frank Heike (FAZ 15.11.) gibt zu bedenken: “Es ist nicht nur Fortune, die fehlt: Die Fahrigkeit in der Abwehr, schon beim späten Ausgleich in Berlin zu bestaunen, setzte sich fort – Ismaël, der mit Frank Baumann die dieses Mal oft konfuse Innenverteidigung bildete, hat selten schwächer für Werder gespielt. Es sind viele solcher Kleinigkeiten, die dazu führen, daß der deutsche Meister Werder Bremen sechs Punkte hinter Platz eins steht. Zwei Sekunden Fußball mehr oder weniger spielen da keine Rolle.“

Wir sind Männer, wir trinken doch nicht nur Fanta

Sven Bremer (FTD 15.11.) hat ein gutes Gedächtnis (oder einen guten Archivar): „Ob am 8. November 1975 im Hause Brych die Sportschau geschaut wurde, ist nicht überliefert. Der kleine Felix dürfte eh nichts mitbekommen haben. Er war erst drei Monate alt, als Wolf-Dieter Ahlenfelder die erste Halbzeit zwischen Werder und Hannover nach einer knappen halben Stunde abpfiff. Ahlenfelder unterstellte man damals („Wir sind Männer, wir trinken doch nicht nur Fanta“) einen über den Durst getrunken zu haben. Felix Brych sollte man das nicht unterstellen. Der Schiedsrichter war stocknüchtern, als er mit seinem finalen Pfiff für die wohl zweitkürzeste Halbzeit im Weserstadion seit Ahlenfelders Fauxpas sorgte.“

Hannover 96-FSV Mainz 2:0

Lektion in raumgreifendem, schnellem, präzisem Kombinationsfußball

Nicht nur Michael Eder (FAZ 15.11.) lässt sich von Hannover überzeugen: „Die Überraschungsmannschaft der bisherigen Saison mußte einen Rückschlag hinnehmen, seit ihrer Bundesliga-Premiere beim VfB Stuttgart am ersten Spieltag hatten die Rheinhessen nicht mehr so schwach gespielt. Trainer Jürger Klopp verzichtete auch darauf, wie die meisten Mainzer die Niederlage an einer Szene aufzuhängen, als Schiedsrichter Helmut Fleischer ein reguläres Tor von Conor Casey aus unerfindlichen Gründen nicht anerkannt hatte. „Wir werden es nie erfahren“, sagte Klopp zum verbreiteten Mainzer Lamento, das Spiel hätte ohne Fleischers Fehlentscheidung einen anderen Ausgang genommen. Was die ersatzgeschwächten Mainzer statt dessen erfuhren, war vor allem in der zweiten Halbzeit eine Lektion in raumgreifendem, schnellem, präzisem Kombinationsfußball, der nur eine kleine Schwäche hatte: ein paar Tore zuwenig, gemessen an der Zahl der hübsch herausgespielten Chancen. (…) Von den Abstiegsrängen ist Hannover nach einem Drittel der Saison nun so weit entfernt, daß dieses Thema für den Rest der Saison erledigt sein sollte.“

1. FC Kaiserslautern-Borussia Dortmund 1:0

In der Pfalz sind sie ein Stück weiter

Martin Hägele (SZ 15.11.) macht sich Sorgen um Dortmund: „Niemand kann mehr erkennen, dass Wörns in der vergangenen Saison die besten Zweikampfwerte der Liga aufgewiesen hat, und Kehl eine Silbermedaille von der WM 2002 zuhause aufbewahrt. Beide agieren langsam, sie sind Risikofaktoren. Während Wörns die Angst anzusehen ist, versucht Kehl durch Aggression seine Hilflosigkeit zu kaschieren. Van Marwijks Legende, dass der BVB nur wegen eines unberechtigten Elfmeters verloren habe, hilft da kein Stück weiter. Der Strafstoß, den der äußerst unsichere Referee Wagner verhängte, war höchst zweifelhaft. Die Niederlage gegen einen fußballerisch schwächeren Gegner haben sich die Dortmunder jedoch selbst zuzuschreiben. Weil sie nicht jene Mittel einbrachten, die solche Partien gemeinhin entscheiden: Mut, Selbstvertrauen oder gar Leidenschaft. (…) In der Pfalz sind sie längst ein Stück weiter. Mittlerweile hat sich das Publikum damit angefreundet, dass auch in dieser Saison im Betzenberg-Theater nichts anderes als das Schauspiel Abstiegskampf geboten wird. Nach dem katastrophalen Start wurden die Erwartungen unter Schmerzen aufs Nötigste reduziert. Am Samstag hat der lange Zeit kritisierte Trainer Kurt Jara Beifall bekommen.“

SC Freiburg-Arminia Bielefeld 2:3

Systemfußball

Vorbild Bielefeld – Peter Penders (FAZ 15.11.): „Während die Freiburger gegen alle drei Aufsteiger verloren haben und ihre letzten acht Partien mit sieben Niederlagen endeten, weiß die Arminia kaum noch, wohin mit ihrem Glück. Im Pokal das Viertelfinale erreicht, als Tabellensiebter derzeit bester Neuling und schon nach dreizehn Spieltagen am anvisierten Halbzeitziel von 20 Punkten angekommen – die notorische Fahrstuhlmannschaft scheint es sich derzeit kommod in der höchsten Spielklasse einrichten zu wollen. Der Aufsteiger ist derzeit die auswärtsstärkste Mannschaft der Liga, und auch das hätte jeder vor ein paar Monaten für unmöglich gehalten. (…) Gelobt und bestaunt wird überall der Systemfußball, den Rapolder der Arminia verordnet hat. Auch in Freiburg verhalf diese taktische Schulung der Arminia wieder zum Erfolg, obwohl das System zwischenzeitlich Lücken gezeigt hatte. Denn das ist das Gefährliche am ballorientierten Pressing, mit dem der Neuling den Gegner bekämpft – kleinste Risse können ein vermeintliches Bollwerk wie ein Kartenhaus zusammenstürzen lassen.“

Borussia Mönchengladbach-1. FC Nürnberg 2:1

Ordnung und Arbeit

Claus Dieterle (FAZ 15.11.) beschreibt Dick Advocaats Realismus: „Der gebremste Gladbacher Vorwärtsgang trägt Advocaats Handschrift. Auch wenn der gestrenge Fußball-Lehrer auf die Dauer durchaus höhere Ansprüche hat, richtet er sein System an den Spielern aus, die er hat, und läßt – einstweilen jedenfalls – Ergebnisfußball spielen. Aggressives Forechecking, hinten dichtmachen, und vorne auf die Schnelligkeit von Neuville setzen. (…) Die disziplinierte Gladbacher Defensivstrategie war ein Beleg dafür, wie man einen Gegner mit Ordnung und Arbeit allein in Schach halten kann. Diese Primärtugenden sind aber nur ein Baustein in Advocaats Formel: „Qualität und Arbeit bringen Erfolg. Arbeiten können wir alle, und wenn auch ein bißchen Qualität dazukommt, können wir auch was erreichen.“ Das klingt nach personellen Nachbesserungen.“

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