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Interview

Das ist ja der Karlheinz Förster, nur einen halben Kopf größer

Oliver Fritsch | Donnerstag, 23. Dezember 2004 Kommentare deaktiviert für Das ist ja der Karlheinz Förster, nur einen halben Kopf größer

Jürgen Klinsmann mit Ludger Schulze (SZ 23.12.)
SZ: Um Oliver Kahn gab es zuletzt viel Verdruss. Es heißt, in Kreisen der Mannschaft sei es nicht gut angekommen, dass er als einziger Spieler seine Lebensgefährtin mit auf die Asien-Reise genommen hat.
JK: Es ist wichtig, dass diese Dinge zwischen den Beteiligten behandelt werden. Wir haben ja diese Freiräume geöffnet, damit jeder in seiner Freizeit mit wem auch immer Kaffee trinken kann. Und wenn er das mit seiner Freundin tut, ist mir das total egal. Ich würde mich auch freuen, wenn mein Vater dabei wäre. Aber nach dem, was seit Monaten auf ihn einstürzt, wird bei ihm alles noch genauer beobachtet. Jeder Spieler sollte die jeweilige Situation erkennen, in der wir uns gerade befinden. Oliver Kahns Konflikt mit den Medien kostet wahnsinnig Energie. (…)
SZ: Fußball-Deutschland hat jahrelang über einen Mangel an Talenten geklagt. Wo hat man da hingeschaut?
JK: Weiß nicht. Vielleicht hat die Sache auch eine Eigendynamik entwickelt. Thomas Hitzlsperger und Moritz Volz sind immerhin Stammspieler bei Aston Villa und FC Fulham. Bei Robert Huth war das eine spontane Entscheidung aus der Not. Er ist ja zumeist noch Reservist beim FC Chelsea, und dann kommt der daher und fegt alle weg. Was ist denn hier los?, haben wir uns gefragt. Aus meinem früheren Erleben hab ich gedacht: Das ist ja der Karlheinz Förster, nur einen halben Kopf größer. Der lässt keinen laufen! Um es noch einmal zu betonen: Wir setzen bei den jungen Leuten auf die Stärken und versuchen, Schwächen zu korrigieren. Es hat keinen Sinn, einem wie Mertesacker vorzuhalten, er habe wenig Erfahrung. Die Konsequenz daraus ist eine riesige Eigenmotivation.
SZ: Uns scheint es, als nähme diese Generation ihren Beruf auch ernster als andere zuvor. Ende der achtziger Jahre gab es mal einen Vorfall, als Teamchef Franz Beckenbauer einen freien Abend einräumte, und einige Spieler dann in zweifelhaftem Zustand im Morgengrauen heimkehrten. Das ist bei den heutigen Spielern kaum vorstellbar.
JK: Und die sind damals auch noch im DFB-Trainingsanzug in die Kneipe gegangen statt mit eigenen Klamotten. Undenkbar jetzt. Der Profisport hat sich in allen Bereichen stark gewandelt, es herrscht viel mehr Eigenverantwortung. Fitness, Technik, Taktik, also der fußballerische Bereich, plus Regeneration, Ernährung und Lebensstil, das ist ein komplexes Bild geworden. Das hat die heutige Spielergeneration begriffen und verhält sich entsprechend. Ein Athlet kann heute problemlos bis 35, 40 top sein. Die Leichtathletik mit Linford Christie, der amerikanische Basketball mit Karl Malone oder John Stockton, diese Beispiele zeigen, dass man seine Karriere lang führen kann. Wenn ich mir aber zwei Nächte bis morgens um fünf um die Ohren haue, bin ich halt platt und verliere vielleicht den Anschluss. Die heutige Generation hat das verstanden, und sie besitzt eine ganz andere Berufsauffassung als unsere Generation. Deswegen können wir ihnen auch Freiräume lassen, weil wir uns nicht sorgen müssen, dass sie über die Stränge schlagen. (…)
SZ: Wo steht die Mannschaft international?
JK: Unter den besten sechs bis acht Teams der Welt, mit Potenzial nach vorne, bei jedem einzelnen Spieler. Ich sehe Argentinien und Brasilien ganz vorne, in Europa brauchen wir uns vor keinem zu verstecken. Nach Nedved sind die Tschechen im Umbruch, die Franzosen nach Zidane, die Portugiesen nach Figo und Rui Costa, die Holländer experimentieren auch, und die Engländer sind permanent im Umbruch. Unsere Zuversicht besteht darin, dass wir eine große Stärke in der Breite besitzen.
SZ: Und wofür steht diese Nationalmannschaft?
JK: Sie steht für Agieren, für Identifikation, für eine positive Denkweise, für ein Stück Lebensfreude. Wenn man Spaß an einer Sache hat, kann man sich ihr ganz hingeben.

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