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Ball und Buchstabe

Wagenburg-Strategie

Oliver Fritsch | Dienstag, 1. Februar 2005 Kommentare deaktiviert für Wagenburg-Strategie

Wie im wilden Westen – Klaus Hoeltzenbein (SZ 1.2.) beschreibt die Verteidigungstaktik des DFB: „Alle Pferde stopp! Wagen zusammenfahren! Frauen und Kinder in die schützende Mitte! Dieser Wagenburg-Strategie scheint auch der DFB mit seinen angeschlossenen Profis und Vereinen zu folgen. Alle reagieren mit eidesstattlichen Erklärungen, mit dem allerorten wiederholten Bekenntnis, niemand sei schuldig, bevor etwas bewiesen sei, und drohen jedem Vorverurteiler mit der Kraft ihrer Anwälte. Das ist eine juristisch korrekte Strategie, befremdlich ist nur eines: die Zusammenrottung in der Hoffnung, dass der Sturm bald vorüber ist. (…) Die Staatsanwaltschaft Berlin wird ihre Gründe haben, warum sie dem DFB die Akteneinsicht zunächst verwehrt. Womöglich fürchtet sie, die Kameraderie in der Wagenburg sei stärker als der Wille, möglichst schnell, möglichst viel, möglichst alles zu erfahren.“

Datenbereinigung

Sind Sie sicher, dass Sie diesen Datensatz in den Papierkorb verschieben wollen? Ja – Nein – Abbrechen. Thomas Kistner & Klaus Ott (SZ 1.2.) stören sich am Online-Publikationsverhalten: „Immer neue Ungereimtheiten. So stellte der DFB unter die Nachrichten seiner Homepage im Internet bereits am 29. August 2004 eine Meldung („Volker Roth weist Kritik an Hoyzer zurück“), in welcher der Chef des Schiedsrichter-Ausschusses einige Zeitungsberichte geißelte. In denen war behauptet worden, Hoyzer sei in der Halbzeit in der Paderborner Kabine gewesen. Dabei soll er gesagt haben: „Spielt ihr mal so weiter, den Rest erledige ich.“ Roth erklärte damals auf den DFB-Seiten im Internet, Hoyzer sei weder in der Paderborner Kabine gewesen, noch habe er besagte Äußerung gemacht. Pikant aus heutiger Sicht, dass Roth mitteilte, eine Befragung vorgenommen zu haben: „Diese Tatsache wird von den beiden Schiedsrichter-Assistenten Ralf Brombacher und Stephan Kammerer und dem Paderborner Schiedsrichter-Betreuer Günter Hoppe bestätigt.“ Diese Mitteilung, die eine frühe, intensive Beschäftigung des DFB mit dem Fall Hoyzer belegt, ist mittlerweile von der DFB-Website getilgt worden. Die rückwärtsgewandte Datenbereinigung ergibt für einen Verband, der angeblich umfassend aufklären will, keinen Sinn. (…) Offenbar wurden im Online-Angebot des DFB noch weitere Schiedsrichter-Meldungen aus der damaligen Zeit gelöscht.“

Zwei weitere Hintergrundberichte aus der SZ ( Seite 1 und Sport)

In der Rolle des Getriebenen

Michael Horeni (FAZ 1.2.) vermisst eine Strategie beim DFB: “Von koordinierten Bemühungen im deutschen Fußball, den Schaden zu begrenzen, konnte auch nicht die Rede sein, als der nationale WM-Sponsor Oddset am Montag zur eigenen Verteidigung anhob – und damit gleichzeitig den DFB angriff. Nach einer Reihe von Mißverständnissen und Pannen unter Partnern fühlte sich der Wettanbieter genötigt, den Schriftverkehr mit dem DFB aus dem vergangenen August offenzulegen, worin ausdrücklich von „großen Einsätzen“ und möglichen „Unregelmäßigkeiten“ bei zwei Partien unter Hoyzers Leitung die Rede ist. Theo Zwanziger war schnell bemüht, von einem „Konflikt“ mit dem WM-Partner zu sprechen, der für den Verband keiner sei. (…) Das Dilemma des DFB dieser Tage ist offensichtlich. Nachdem das Verfahren vorrangig in staatlichen Händen liegt, sich aber vor den Augen einer hochgespannten Öffentlichkeit abspielt, gerät der Verband allzu leicht in die Rolle des Getriebenen.“

In der Szene als Heimschiedsrichter bekannt

Martin Hägele (NZZ 1.2.) befasst sich mit dem Gerücht um Jürgen Jansens Verwicklung: „Noch ist dieser Fall nur theoretisch in der Bundesliga angekommen. Verhindern lässt sich freilich nicht, dass nun viele Journalisten in Film- und sonstigen Archiven nach Auffälligkeiten fahnden. Dass sie dabei früh auf die Partie 1. FC Kaiserslautern gegen den SC Freiburg vom 27. November 2004 stiessen, war zwangsläufig. Damals hat der in der Bundesliga-Szene als Heimschiedsrichter bekannte Jansen Kaiserslautern einen Penalty geschenkt, und dem spielentscheidenden Treffer zugunsten der Pfälzer war ein „Rambo“-Foul von Jancker vorausgegangen. Doch solche Indizien können freilich genauso gut ungerecht sein.“

Funktionäre sollten in einer Krise wissen, was Sachstand ist

Christopher Keil (SZ/Medien 1.2.) hat Christiansen geschaut und sich über Gerhard Mayer-Vorfelder gewundert: „Funktionäre müssen keine Heiligen sein. Aber sie sollten in einer Krise erstens wissen, was Sachstand ist und zweitens nicht das Gefühl fördern, als habe die Krise auch mit ihnen zu tun. Dieses Gefühl hatte man bei Mayer-Vorfelder. Beinahe wie zum Beweis verschickte die Staatliche Lotterieverwaltung in Bezug auf Mayer-Vorfelders Lamento bei Christiansen, der DFB sei vom staatlichen Wettbetrieb Oddset nicht hinreichend über einen Betrugsverdacht informiert worden, eine öffentliche Entgegnung in vier Punkten. Man hat oft viele Zweifel, aber kaum einen, dass Mayer-Vorfelder nichts mehr im Fernsehen und beim DFB zu erledigen hat. Dass Sabine Christiansen die Sendung störte, statt sie zu ordnen, sei erwähnt.“

Neigung zur Skandalisierung

Wolfgang Hettfleisch (FR/Medien 1.2.) kritisiert die Berichterstattung über den Wettskandal: „Erstaunt konzedierte der halbierte DFB-Präsident Mayer-Vorfelder in der ARD-Quasselrunde Christiansen, sein Gegenüber Alfred Draxler, Stellvertretender Chefredakteur und Ex-Sportchef der Bild, sei ja besser informiert als er. Was „MV“ nicht sagte: Auch Bild ist bislang allenfalls halb so gut informiert wie das Flaggschiff der so genannten Qualitätszeitungen, die SZ. Die Münchner haben Thomas Kistner, Klaus Ott und Hans Leyendecker an die Wettfront beordert. Die zählen allesamt zur ersten Garde des Blatts, was belegt, welcher publizistische Stellenwert den mutmaßlichen Schiebereien im deutschen Berufsfußball beigemessen wird. Aus der Perspektive der Medienkritik wirft die Berichterstattung über den Wett-Skandal unterdessen die Frage auf, ob solche Unterscheidungen in den Redaktionen im täglichen Ringen um Aufmerksamkeit und angesichts einer wachsenden Neigung zur Skandalisierung noch gemacht werden. Viele Medien, auch solche von ausgesucht seriösem Ruf, hantieren in der Affäre um gekaufte Pfiffe und Tore mit zumindest bedenklichen Begriffen.“

Jeder versucht in diesem Skandal seine eigene Wahrheit zu ermitteln

Wer schmeißt denn da mit Lehm? Ralf Wiegand (SZ 1.2.) zweifelt an der Paderborner Anschuldigung, der Hamburger SV sei in den Betrug verwickelt: „Wilfried Finke scheint den Auftritt zu genießen. Es ist zehn vor zehn, der Präsident des SC Paderborn 07 e.V. sitzt in der Mitte eines langen Tisches im Vereinsheim und beobachtet entspannt, wie um ihn herum Mikrofone aufgebaut und Kameras verkabelt werden. Fotografen knien vor ihm nieder und schießen Bilder, was eines der Blitzlichtgewitter verursacht, die in bedeutungsschweren Momenten immer aufziehen. (…) Finkes Pressekonferenz ähnelt der eines Staatsanwaltes, der gleichzeitig Verteidiger und Richter ist. Jeder versucht in diesem Skandal seine eigene Wahrheit zu ermitteln. Der Verband, das Schiedsrichterwesen, die Vereine, die Staatsanwaltschaft – im Wettlauf um die Wahrheit muss man offenbar eigene Fakten schaffen, bevor es ein anderer tut.“

Provinzfürst

Waren das wirklich schon 15 Minuten? Richard Leipold (FAZ 1.2.) widmet sich dem Ruhm Wilfried Finkes: „Ein Möbelhändler aus Ostwestfalen überbringt schlechte Nachrichten (…) Fast schien es, als würde Finke die Aufmerksamkeit der Medien ein wenig genießen. Wie gelöst behauptete er, der Verein habe keinen Schaden genommen. Mehr noch: Der Provinzfürst legte sich mit dem angesehenen Bundesligaklub Hamburger SV an.“

Ein umstrittener Pfiff muss durch das Spiel getragen und immer wieder neu verteidigt werden

Christoph Schröder (FR/Feuilleton 1.2.) macht uns mit der Soziologie des Schiedsrichter-So-Seins (oder so) bekannt: „Fußball und Schiedsrichterwesen sind zwei in sich geschlossene Systeme mit vollkommen unterschiedlich angeordneten Strukturen und Interessenlagen, innerhalb derer es nur dann zu strukturellen Kopplungen kommt, wenn in einem der beiden Systeme interne Regeln verletzt werden. Oder, ohne Luhmann: Der Schiedsrichter greift in das Fußballspiel ein, wenn die Fußballregeln missachtet werden; das Fußballspielen wird für das Schiedsrichterwesen von Relevanz, wenn von Seiten der Fußballspielenden dem Schiedsrichter Verletzungen interner Vorgaben (Unbestechlichkeit, Neutralität) vorgeworfen wird. Dass das System Schiedsrichter Regelverletzungen in das System Fußballspielen hineinträgt, ist ein immer wieder geäußerter Vorwurf („Schiebung!“), der sich nun plötzlich als Tatsache erweist – die beidseitig größtmögliche Ungeheuerlichkeit. Denn der prinzipielle Unterschied zwischen dem Fußball- und dem Schiedsrichterwesen besteht darin, dass hier die clevere Schummelei wenn nicht gefördert, so doch geduldet wird, dort hingegen Tabu ist. Auch darin bestehen Spannung und Reiz des Spiels. Der Schiedsrichter ist einsam. Sicher, man läuft zu dritt auf den Platz, man demonstriert Teamgefühl, und ist doch im Zweifelsfall auf sich allein gestellt, auf innere Vorgänge zurückgeworfen, die von äußeren Vorgängen ausgelöst werden. Einen Fehlpass bügelt ein Mitspieler aus, ein umstrittener Pfiff muss durch das Spiel getragen und immer wieder neu verteidigt werden.“

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