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Der deutsche Vereinsfußball hat sich eine falsche Schonhaltung auferlegt

Oliver Fritsch | Samstag, 26. Februar 2005 Kommentare deaktiviert für Der deutsche Vereinsfußball hat sich eine falsche Schonhaltung auferlegt

„Starke Bayern, schwache Bundesliga“ – das schlechte Abschneiden der Bundesliga-Vereine im Europapokal ist für Roland Zorn (FAZ 26.2.) auch ein Grund, die Winterpause in Frage zu stellen: „Ohne Chuzpe, ohne Eroberergeist ist im Fußball gar nichts zu gewinnen. So produziert man nur Langeweile und programmiert Niederlagen. Wozu soll eine lange Winterpause dienen, wenn dabei vor allem Müdigkeit in den Augenblicken der internationalen Bewährungsproben herauskommt? Die Belastung der Spieler solle abgebaut werden, sagen die Befürworter des wochenlangen Fußballstillstands. Wenn dann aber gleich der erste Belastungstest gegen Teams schiefgeht, die im Winter nahezu pausenlos am Ball geblieben sind, stimmt etwas nicht. Der deutsche Vereinsfußball hat sich eine falsche Schonhaltung auferlegt.“

Wenn’s drauf ankommt, sind sie platt

Auch Ludger Schulze (SZ 26.2.) erschrickt: „Die Bundesliga ist schlechter als ihr Ruf; alle, die sie schon wieder auf dem Weg zu den brillanten Siebzigern wähnten, sind kühl ins Reich der Phantasten verwiesen worden. Gerade in dieser Sportart können deprimierende Resultate einer Kette von unglücklichen Umständen geschuldet sein, jederzeit umkehrbares Tagesgeschäft. Doch diesmal hält der aufmerksame Beobachter einen roten Faden in der Hand: in der letzten Viertelstunde, wenn sich die Waage eines Spiels auf die eine oder andere Seite neigt, tauchten die deutschen Teams in der Atem- und Kraftlosigkeit unter. Mit anderen Worten: Wo früher mal die Kondition verankert war, herrscht heute Leere. (…) Der tiefe Respekt vor den Deutschen und ihrer Fähigkeit, gegen jede Wahrscheinlichkeit wieder aufzustehen, ist der Erkenntnis gewichen: Wenn’s drauf ankommt, sind sie platt. Durchschnitt halt, im Fußball wie anderswo.“

Phantasiearmut, Fußballsachbearbeitersphäre und Nullwachstum

„War das eine Spitzenmannschaft der Bundesliga?“, fragt Roland Zorn (FAZ 26.2.) besorgt nach dem 0:2 Stuttgarts gegen Parma: „Der VfB, unter Felix Magath im Vorjahr noch eine vitale Bereicherung der Champions League, ist mit Sammer nach flottem Beginn einen großen Schritt zurück in die Phantasiearmut und Fußballsachbearbeitersphäre gegangen. „Wir hatten nicht die nötige Ruhe, Geduld und Souveränität“, qualifizierte der Sachse die ungenügenden Bemühungen seiner Mannschaft. Ruhe, Geduld – gerade das erwarten die Fans, verwöhnt von dem Fußball, den der aggressive, offensive Magath seinen Spielern einst einbleute, von ihrem VfB nicht. Inzwischen aber scheint der Verein für Bewegungsspiele nach schwachem Start in die Rückrunde in einer gefährlichen Stagnation zu verharren: Nullwachstum auf dem Cannstatter Wasen.“

Qualitätsproblem

Von Martin Hägele (NZZ 26.2.) heißt es dazu: „Es macht den Anschein, als müssten die Stuttgarter jetzt dringend zum Umbruch ansetzen. Und wenn die wirtschaftlich tüchtige und gewissenhaft denkende Crew um Erwin Staudt ihre sportliche Situation ehrlich überdenkt, muss sie auch Sammer ein paar unangenehme Fragen stellen. Warum redet Sammer einen Abstiegskandidaten der Serie A stark, der wahlweise mit Jugend- und Reservespielern antritt, weil er seine Besten für den nationalen Wettbewerb schonen will? Und was versteckt sich hinter der Erklärung des Trainers vom „psychologischen Problem“? Vermutlich handelt es sich vielmehr um ein Qualitätsproblem und um die Tatsache, dass die einst „jungen Wilden“ unter ihrem Lehrmeister Felix Magath drei Jahre lang über ihre Verhältnisse gelebt haben. Dies gelang deshalb, weil die Spieler ungeheure Leidenschaft und dank ihrer vorzüglichen Kondition auch das nötige Selbstbewusstsein auf den Platz gebracht hatten.“

Zu wenig Risikobereitschaft

Oliver Trust (FR 26.2.) fügt hinzu: „Trotz des „gesunden Weges eines guten Hausvaters“, muss sich Staudt mitunter vorhalten lassen, er verkenne als erfolgreicher Wirtschaftsmanager Realitäten des Profigeschäfts, die mehr Risikobereitschaft verlangten. Durch diese Politik, so meinen Kritiker, leide der sportliche Fortschritt, auch weil der VfB in Matthias Sammer einen Trainer habe, der mit allzu ängstlicher Vorsicht eher bremse. Selbst Kapitän Zvonimir Soldo deutet neben einem psychologischen ein Qualitätsproblem im Kader an. Auch der nach München abgewanderte Felix Magath forderte die Schwaben einst auf, sie müssten sich zwischen der Spitze und einem Leben im Halbschatten entscheiden.“

Blockade

„Schalke 04 verpasst erneut auf deprimierende Art den Anschluss ans europäische Spitzenniveau“, urteilt Christoph Biermann (SZ 26.2.): „Im 50. Uefa-Cup-Spiel verlängerte sich die bedenkliche Serie von Schalker Misserfolgen auf internationalem Niveau. „Es ist frustrierend, was in den letzten Jahren passiert ist“, sagte Sand, der das vielfältige Scheitern fast komplett miterlebt hat. Dem Gewinn des Uefa-Cups 1997 folgte eine einigermaßen erfolgreiche Spielzeit im Jahr danach. Seitdem jedoch scheint der Klub jenseits von Qualifikations- und Vorrunden eine Blockade entwickelt zu haben. (…) „Für mich ist es das größte Ziel, dass wir uns für die Champions League qualifizieren“, sagte Rangnick. Wer jedoch die Spiele der Champions League verfolgt hatte, konnte sich Schalke in diesem Umfeld kaum vorstellen.“

Woche mit erheblichem Imageschaden

Gregor Derichs (BLZ 26.2.) befasst sich mit den finanziellen Folgen für Schalke: „Das Ausscheiden hat den wirtschaftlichen Druck auf die Schalker erhöht. Die schlechteste Vorstellung, seitdem Ralf Rangnick Trainer wurde, war der negative Höhepunkt einer Woche mit erheblichem Imageschaden. Dass der Schuldenberg 110 Millionen Euro beträgt, mussten die Gelsenkirchener bestätigen. Trotz des dauerhaften Verlustes, der im Spielbetrieb erzielt wird, sei die Lage unter Kontrolle, versicherten Schatzmeister Josef Schnusenberg und Rudi Assauer tapfer. Allerdings räumte auch Schnusenberg ein, dass das eingegangene Risiko beträchtlich ist. Dass es in Dortmund ganz genauso begonnen hat? Das wollen die Schalker nicht wahrhaben.“

Umwertung aller Werte

Bernd Müllender (taz 26.2.) lobt die Aachener trotz ihrer Niederlage: „Als Alemannia Aachens Spieler steingesichtig ihre Kulturbeutel zum Bus schleppten, hatte sich im Alkmaarderhout zu Alkmaar ein Kulturbruch sondergleichen ereignet: Fans des heimischen AZ hatten vereinzelt applaudiert. Und das nicht mal ironisch. Beifall für deutsche Fußballer in Holland – eine Umwertung aller Werte, vorher so unvorstellbar wie schmackhafte holländische Tomaten. (…) Gäbe es jenseits der alten Feindesstadt Köln und seiner Geißbock-Gänger jemanden, der die Aachener verspotten wollte, würde das so gehen: Warum säen sie mit Geschick, lassen die Früchte der Arbeit gedeihen, aber „fahren die Ernte nicht ein“ (Jörg Schmadtke)? Weil es Kartoffelkäfern, so Alemannias alter Spitzname, wesenseigen ist, die Ernte zu vernichten.“

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