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WM 2006

Der Bundestrainer als Führungsperson muss sich neutral verhalten

Oliver Fritsch | Donnerstag, 31. März 2005 Kommentare deaktiviert für Der Bundestrainer als Führungsperson muss sich neutral verhalten

Soziologe und Autor Norbert Seitz im Interview mit Moritz Müller-Wirth (Zeit 31.3.) über das Risiko der Nähe von Politik und Fußball
Zeit: Als Fritz Walter 1953 vor dem Länderspiel gegen Österreich in Köln dem Bundespräsidenten die Mannschaft vorstellte, sprach Heuss den Halbstürmer Max Morlock mit den Worten an: „Und Sie sind sicher der Torwart?“ Und Morlock antwortete in staatsmännischem Pflichtbewusstsein: „Ja, Herr Bundespräsident, ich bin der Torwart.“
Zeit: Wird es gefährlich für einen Politiker, wenn er sich mit der eigenen Mannschaft so stark identifiziert, dass auch Niederlagen mit ihm assoziiert werden?
NoS: Wir hatten 1982 die ganz schwierige Situation für den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Die Nationalmannschaft war ganz übel beleumundet. Erinnert sei an das schlimme Foul von Toni Schumacher gegen den Franzosen Battiston und den üblen Spruch hinterher: „Ich bezahl ihm gerne seine Jacketkronen.“ Oder vorher der anrüchige Nichtangriffspakt im Spiel gegen Österreich. Nie war die deutsche Mannschaft mehr verhasst als 1982. Und da musste der Kanzler mit Italiens Staatspräsident Sandro Pertini zum Finale Italien gegen Deutschland ins Bernabeu-Stadion. Schmidt hat sich diplomatisch geschickt aus der Affäre gezogen, der Mannschaft alles Gute gewünscht, allerdings auch hinzugefügt, er hoffe, dass sich diese Vorkommnisse nicht wiederholen.
Zeit: Im Gegensatz zu Schmidt rühmen sich einige Politiker öffentlich damit, Zugang zur Kabine der Nationalmannschaft zu haben.
NoS: Ich würde das auch ganz negativ sehen. Das hat etwas Männerbündisches – „Männerschweiß verbindet“, hat Thomas Helmer einmal gesagt. Ich glaube nicht, dass man so weit gehen sollte. (…)
Zeit: Es gab immer Spieler, die sich auch politisch geäußert haben und äußern. Beispiele dafür sind Uli Hoeneß und Jürgen Klinsmann. Eignen sich in der heutigen Zeit Spieler als Wahlkampfhelfer? Der Bundestrainer selbst wird sich enthalten. Aber wären Politiker eigentlich gut beraten, sich im Zuge der WM Fußballer als Repräsentanten ihrer Partei zu angeln?
NoS: Ich fürchte, dass die Versuchung der Parteien sehr groß sein wird, sich Spieler für ihre Kampagnen zu angeln. Karl Allgöwer vom VfB Stuttgart hat in den achtziger Jahren mit seinem schwarzen Vereinschef Mayer-Vorfelder schwer Ärger bekommen, als er öffentlich für die SPD warb. Ich glaube im Übrigen nicht, dass eine Unterstützung durch Künstler oder Sportler viel bewirken wird.
Zeit: Spieler können sich engagieren, wenn es ihrer Überzeugung entspricht?
NoS: Selbstverständlich. Aber der Bundestrainer als Führungsperson muss sich neutral verhalten, auch Vereinsbosse sollten das tun. Uli Hoeneß ist mit seiner Parteinahme für die CSU immer viel zu weit gegangen.
Zeit: Michael Ballack hat gesagt, dass er sich zu politischen Themen überhaupt nicht äußern will. Wird er diese Linie als Kapitän des deutschen Teams 2006 durchhalten können?
NoS: Ich glaube kaum, denn bei jeder WM sind politische Fragen und Probleme aufgetaucht. Denken Sie an Deutschland 1974 und das Spiel gegen das damalige Militärjuntaland Chile vor aufgebrachten Fans oder an die erste innerdeutsche Paarung BRD/DDR in Hamburg. Erinnert sei auch an die WM 1978 im damals diktatorisch regierten Argentinien, als sich der Spieler des 1. FC Köln Herbert Zimmermann einen Fauxpas geleistet hat. Auf die Frage, ob er sich überhaupt eine Nachtruhe vorstellen könne, wenn in der Nachbarschaft Gefangene gefoltert würden, antwortete er: „Wieso? Wir haben ja die GSG 9 bei uns.“ In den fünfziger Jahren haben die Fußballer die Politik noch beschwiegen, was heute in der Mediengesellschaft nicht mehr durchzuhalten ist.

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