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Wasserprosa oder der Konversationswert eines Dachschadens

Oliver Fritsch | Donnerstag, 30. Juni 2005 Kommentare deaktiviert für Wasserprosa oder der Konversationswert eines Dachschadens

Gesammelt vom freistoss-Team

Der Wettergott hat so lange auf die Dachkonstruktion des Waldstadions gehämmert, bis diese nachgegeben und sich ein Schwall aufs Spielfeld ergossen hat.

Die Akklamation von oben fiel heftig aus. Mit dumpfen, tiefen Schlägen beklatschte der Himmel dieses Spiel und überzog das Stadion zusätzlich mit einem bizarr zuckenden Feuerwerk. Es war schnell vergessen, dass der Einbruch des Wassers in die abgedeckte Arena ein Feuchtbiotop an der Eckfahne entstehen ließ, dass er ein Dutzend Fotografen in die Flucht schlug und die Fifa zu einer eilig anberaumten Pressekonferenz zwang.

Gegen Ende der ersten Hälfte plätscherte die Partie im wahrsten Sinne des Wortes daher.

Einige Spieler fühlten den Regen indirekt: Sie rutschten. Das erwies sich glücklicherweise nicht weiter als Problem, die Spieler gewannen ihre Standfestigkeit zurück, was jedoch nicht zu mehr Spielfluss führte.

Sie werden zwar nass, sind aber sehr, sehr sicher. (Stadionsprecher)

Der kleine Wasserfall, der an der Eckfahne vor der Einfahrt Ost auf das Spielfeld prasselte, ergoss sich via Fernsehen in Millionen Wohnzimmer in aller Welt, und die für den Bau des Stadions Verantwortlichen hatten Mühe, glaubhaft zu versichern, dass sie sich trotz des Wassereinbruchs nicht wie begossene Pudel fühlten.

Schon in der Halbzeitpause musste die Feuerwehr prüfen, ob das Spiel weitergehen darf.

Wasserspielen von solch ursprünglicher Pracht, wie sie an den berühmten Fällen von Iguaçu zu bewundern sind, jener Grenzregion dieser beiden Länder Südamerikas. Wilde Strudel wechselten mit ruhigen Fließstrecken, auf schäumende Kaskaden folgten nie gesehene Turbulenzen. Das vom Dachschaden beförderte Naturschauspiel muss derart inspirierend gewirkt haben, dass meist die Brasilianer, seltener die Argentinier, wie entfesselt auf der wilden Welle ritten.

Nachdem sich eine gefährlich anmutende Wasserbeule gebildet hatte, versuchten Helfer verzweifelt mit Mistgabeln und Besen dem Sturzbach vom Dach einen Abfluss auf dem Rasen zu ermöglichen.

Insgesamt hat das Dach seine Bewährungsprobe bestanden. (Horst R. Schmidt)

Ohne Dach hätts keine zweite Hälfte gegeben, ganz klar. Wer hier gegen ein Dach argumentiert, das für eine solche Sintflut nicht gebaut ist, dem kann wohl kaum noch geholfen werden.

Nach einem heftigen Gewitter in der ersten Hälfte bildet sich eine dicke Wasserbeule auf dem Falt-Dach, durch einen Riss rauscht ein Wasserfall auf Platz und Tribüne. Peinlich…

Während in Frankfurt also vor allem das Wasser floss – vom Dach des Waldstadions ergoss sich ein Sturzbach just an einer Eckfahne – gab es im Leipziger Zentralstadion wieder einmal eine Torflut.

… und damit an den seltsamen Filmeffekt der „Truman-Show“ erinnerte, in der es auf Regieanweisung nur an einer Stelle regnet…

In der Halbzeit wurde passenderweise der Song „Raindrops are falling on my head“ gespielt.

Und dieses grandiose Gewitter – wie hat der Franz das wieder hingekriegt? –, das mit dem Anpfiff begann und mit dem Schlusspfiff endete.

31 Jahre nach der Wasserschlacht zwischen Deutschland und Polen nun also die Wasserbeule von Frankfurt. Mag sein, dass auch diesmal mit den Jahren aus einer Panne ein Imagegewinn wird. Bei der WM 1974 versagte die Drainage des Waldstadions, und der Rasen ähnelte einer Seenplatte. Peinlich, peinlich – und doch hatte Frankfurt ob dieses denkwürdigen Versagens drei Jahrzehnte lang eine hervorragende PR.

Wasserbeule an der Einfahrt Ost (Stadionsprecher)

Habe den Regen nur 20 km weiter südlich in Darmstadt erlebt, und kann sagen, dass so ein Gewitter nicht als Bemessungsgrundlage herangezogen werden kann. Das Dach hätte nicht geschlossen werden dürfen, was allerdings bei dem Gewitter einen Spielabbruch hätte provozieren können.

Die gestern noch zurückhaltenden Offiziellen werden einigen für dieses Desaster Verantwortlichen noch den Kopf waschen. Am schlimmsten aber ist der Imageschaden für Deutschland. Was Jahrzehnte an Produktqualität aufgebaut wurde, ging gestern binnen Minuten im wahrsten Sinn des Wortes den Bach runter.

Lieber ein Loch als gar kein Dach. (Carlos Alberto Parreira)

Es hat sich eine Wasserblase gebildet, die zu einer Sollbruchstelle geführt hat. (Horst R. Schmidt)

Im Vergleich zu ‚74 kann man den Frankfurtern doch zu ihren Fortschritten gratulieren.

Das Dach ist dicht, aber die Abflüsse können die Wassermassen nicht mehr fassen und somit läuft das halt „über“….. Da hat sich wohl jemand verrechnet.

Ein Riss in der Überdachung – genau über der Eckfahne – machte das Ausführen der Standardsituation zur Lotterie. Und auch die Zuschauer waren nicht mehr sicher. Der Stadionsprecher teilte mit, dass man leicht auf den Treppen ausrutschen könne und deshalb am Platz bleiben solle. Für die Argentinier wurde der tosende Wolkenbruch zum Symbol des Spiels.

Unsere Seele ist wieder reingewaschen. (O Globo)

Die „Mini-WM“ war eine hervorragende Werbung, sowohl für den Fußball als auch für die Mainmetropole. Daran kann auch das Wasser, das am in den Wein der Freude geströmt ist, grundsätzlich nichts ändern.

Das Publikum verließ die zwischendurch von Wassermassen attackierte, von Blitzstrahlen zusätzlich illuminierte und von Donnergroll umzürnte Arena wie benebelt vor Glück.

Adriano, der mit seinen Treffern Inter Mailand in der Serie A über Wasser hielt…

Den Sprühregen, der während des gesamten Spiels im Stadion hing, kam meiner Einschätzung nach dadurch zustande, dass soweit ich weiß zwischen Faltdach und Glasrinne ein schmaler Spalt offen bleibt. Ich komme zu dieser Annahme, weil die Seile, an denen das Faltdach aufgehängt ist, deutlich über dem Glasdach liegen müssen (da ja ansonsten das Faltdach gar nicht von alleine über das Glasdach geschoben werden könnte – es würde ja ständig hängen bleiben). Durch genau diesen Spalt konnte nun – so habe zumindest ich mir den feinen Wasserstaub erklärt – der Wind einen (geringen) Teil des Wassers, das sich in der Rinne angesammelt hatte, in das Stadion hineinpusten. Der Wassersack erweckte bei mir eher den Eindruck, als habe in dieser Ecke irgend etwas mit dem Zelt-Material nicht gepasst. Läge nämlich das Problem beim Ablauf (z.B. Fallrohre unterdimensioniert), dann hätte das Wasser nicht wieder zurück auf das Zeltdach fließen können (wo es den Wassersack bilden konnte), sondern wäre direkt durch den Spalt zwischen Glasrinne und Zeltdach in den Innenraum gestürzt. Dass sich der Wassersack auf dem Zeltdach bilden konnte, kann daher nur bedeuten, dass das Wasser die Glasrinne nie erreicht hat. Woran das liegt, ob das Material schlecht zusammengeschnitten wurde, beim hektischen Zuziehen des Daches irgendetwas gehakt hat, ein Spannseil zu sehr durchgehangen hat, oder ob das Gewicht des über die Plane abfließenden Wassers irgendwann zu groß wurde und die Plane daher nachgegeben hat, weiß ich nicht. Aber ich vermute sehr stark: Das Problem lag an der Plane in dieser Ecke und nicht am Wasserablauf.

Als Dragoslav Stepanovic aus dem Stadion in die Nacht trat, wies sein rosafarbenes Hemd Wasserflecken auf. „War das Dach überhaupt zu?“, spottete er.

Jetzt aber Schluss mit den Wasserstandsmeldungen.

Quellen, sofern nicht anders angegeben: SZ, taz, Berliner Zeitung Yahoo, Bild, FAZ, Financial Times, Tagesspiegel, Spiegel Online, fifaworldcup.com und das Board von stadionwelt.de

Bildstrecke aus Frankfurt, faz.net

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