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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Vulgär-Philosophie

Oliver Fritsch | Freitag, 29. Juli 2005 Kommentare deaktiviert für Vulgär-Philosophie

Die Konferenz „Visions of Football“ in München – Wolfgang Hettfleisch (FR 29.7.) verdreht die Augen: „Im Verlauf der zahlreichen Vorträge über Themen wie „Fußball und Gesellschaft“ oder „Fußball und Medien“ blieb rätselhaft, worin denn nun der tiefere Zweck des fußballerischen Promi-Defilées im Münchner Osten ein knappes Jahr vor dem WM-Auftakt bestehen sollte. Dabei mühte sich Sepp Blatter in seinem Vortrag über Fußball und Gesellschaft wie stets um Sinnstiftung. Nur selten hat der Schweizer dabei sein hinlänglich bekanntes Lied von der völkerverbindenden Kraft des Fußballs in missratenere Strophen gekleidet. Da erfuhren die staunenden Zuhörer, dass jeder Mensch als Fußballer geboren werde, weil die erste Bewegung des Kindes im Mutterleib nun mal ein Tritt sei. Mit Vulgär-Philosophie dieser Preisklasse – „Fußball ist eine Schule des Lebens“ oder „Fußballer werden bessere Menschen“ – ging es munter weiter.“

Wenn alle Menschen Fußball spielen würden, gäbe es keine Kriege

Philipp Selldorf (SZ 29.7.) befasst sich mit den Teilnahmegebühren, Joseph Blatters Selbstlob und einem großen Haufen Sozialromantik: „Mancher Gast wird womöglich versucht haben, sein Eintrittsgeld beim Lunch wieder hereinzuholen, aber bei einem Kostenbeitrag von 1250 Euro plus Mehrwertsteuer für die dreitägige Konferenz wäre das ziemlich ungesund geworden. Andere Vollzahler baten um Rückerstattung ihrer Abgabe, nachdem sie erfahren hatten, dass der Veranstalter im letzten Moment Freikarten verteilt und große Rabatte gewährt hatte, um die Reihen zu füllen. Sie fühlten sich auf den Arm genommen – ihr Geld bekamen sie trotzdem nicht zurück. Einen Kostenfall ergibt die missglückte Prestigeveranstaltung trotzdem, die fällige Bilanz wird den Verantwortlichen – bayerische Staatsregierung und Landeshauptstadt München – vom Rechnungshof präsentiert werden. (…) Der Fifa-Chef hielt ein Plädoyer für die Vergabe des Friedensnobelpreises an den Fifa-Chef Joseph Sepp Blatter – so musste man sein Referat über Fußball als gemeinschaftsstiftende „Schule des Lebens“ interpretieren. Beckenbauer ergänzte: „Wo gespielt wird, wird nicht gekämpft. Wenn alle Menschen Fußball spielen würden, gäbe es keine Kriege – aber es spielt nicht jeder Fußball.“ Visionen dieser Art füllten das angeblich wissenschaftliche Programm. Erst am Donnerstag stieg das Niveau, als Fachleute aus Marketing und Wirtschaftsforschung über „Business und Weltfußball“ debattierten. Die Adressaten aus der Fußball- und Sponsoringbranche waren nicht zugegen.“

Fußball wird erst dann aufregend, wenn er rollt

Roland Zorn (FAZ 29.7.) fasst zusammen: „Der Fußball, lautete die unausgesprochene Tagesbotschaft, wird erst dann aufregend, wenn er rollt – und nicht, wenn über ihn, und sei es am Stammtisch der Oberexperten, geredet wird.“

Luxus, Handstand und Bockspringen

Volker Stahl & Folke Havekost (SpOn 28.7.) schildern die Überfahrt der europäischen Teilnehmer der WM 1930: „Europas führende Länder gaben dem Gastgeber einen Korb. Die britischen Verbände waren 1928 schmollend aus der FIFA ausgetreten. In Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei, die bereits den Profifußball eingeführt hatten, weigerten sich die Vereine, ihre Spieler für zwei bis drei Monate abzustellen. Der am Amateurideal festhaltende DFB reiste nicht zu einem Turnier, an dem auch Berufsfußballer mitwirken durften. Wer aufbrach, erlebte Luxus: Die Kicker waren auf der „Conte Verde“ in Zwei-Personen-Kabinen der Ersten Klasse untergebracht. Für Fußballreisende war das 2400 Passagiere fassende Schiff mit großem Friseursalon und kleinem Turnsaal jedoch nicht gerade ideal. Leichtathletik, Gymnastik und Turnübungen waren die einzigen Möglichkeiten zum Training, das meistens auf die Zeit zwischen 6 und 8 Uhr beschränkt wurde, um die Mitreisenden nicht zu stören. So sprangen die Kicker im Morgengrauen Seil, übten Handstand und Bockspringen, spielten Curling, schwangen sich an den Ringen – oder ließen es auch bleiben, weil das Kartenspielen am Vorabend etwas länger gedauert hatte. An Zerstreuungen mangelte es nicht. Allabendlich fanden Tanz, Kino und Komödie statt, die Menükarte wurde als gesellschaftliches Ereignis in der Times abgedruckt. Man feierte die Feste, wie sie fielen, und war dabei nicht übertrieben wählerisch.“

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