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Bundesliga

Kollektiver Seufzer der Erleichterung

Oliver Fritsch | Montag, 26. September 2005 Kommentare deaktiviert für Kollektiver Seufzer der Erleichterung

2:0 gegen Bayern, nicht nur für Hamburg ein Sieg – Christian Eichler (FAZ 26.9.): „So hört es sich also an, wenn eine ganze Liga aufatmet – ein kollektiver Seufzer der Erleichterung quer durch Fußball-Deutschland, als Anzeigetafeln und Radios das 2:0 des HSV meldeten. Anders als in der Politik tun im Fußball dem Land keine stabilen Mehrheiten gut. Man will keinen, der jahrelang ungestört regiert. 15 Bayern-Siege hatten ein deutsches Stimmungsbild angerichtet, als wär’s die Verlängerung der Wahlnacht: Wie soll sich in diesem Land je was ändern? Das Gute am Fußball: Dort gibt es jede Woche wechselnde Mehrheiten. Folge der schleichenden Bequemlichkeit, die leichter Erfolg bewirkt; des stillen Glaubens an den Kontrollfußball in einer Liga, die mangels Klasse vom einzigen Klasseteam kontrollierbar schien. Es ist das Schöne für die Liga, daß sie Jahr für Jahr wenigstens einen hervorbringt, der die Bayern aus ihrer Lethargie reißt. Es ist das Schöne für die Bayern, daß es immer ein anderer ist.“

Erste Rendite

Jörg Marwedel (SZ 26.9.) erörtert die Frage nach der Dauer des Hamburger Erfolgs: „Die Wiederbelebung des einzigen Bundesliga-Gründungsmitglieds, das in allen 42 Spielzeiten dabei war, bedeutet Belebung für die Branche. Immerhin hat sich ein potenzieller Rivale, Borussia Dortmund, im Duell mit den Bayern unlängst lebensgefährlich verhoben; ein anderer, Schalke 04, ist womöglich dabei, in eine ähnliche Falle zu laufen. Auch der HSV ist beim Versuch, an die großen Erfolge der siebziger und achtziger Jahre anzuknüpfen, als man zwei Europapokale gewann und schon einmal der große nördliche Gegenpol der Bayern war, ein hohes Risiko gegangen. Rund 20 Millionen Euro haben Vorstandschef Hoffmann und Sportchef Beiersdorfer seit Sommer 2004 investiert, doch offenbar taten sie das mit Verstand und ernten jetzt die erste Rendite. Ein starker HSV wäre ein Hoffnungsträger der Liga in Europa.“

Zusammengehörigkeit

Frank Heike (FAZ 26.9.) ergänzt: „Der Hamburger SV hat eine Mannschaft zusammen, wie es sie schon lange nicht mehr gegeben hat. Jeder Profi schwärmt von der Zusammengehörigkeit. (…) Beim HSV ist eine Entwicklung zu beobachten, die Großes ahnen läßt. Das muß in dieser Serie nicht die Meisterschaft sein, dazu kommt von der Bank zu wenig, wenn die Stützen der Gesellschaft einmal ausfallen. Aber ein Platz unter den ersten drei könnte der HSV schaffen.“

Bildstrecke HSV-Bayern (2:0), faz.net

Dissonanz

Nach dem 2:0 gegen Hannover – Ulrich Hartmann (SZ 26.9.) spürt schlechte Vibrationen an der Schalker Vereinsspitze: „Es stimmt überhaupt nicht zwischen Ralf Rangnick und Rudi Assauer. Beide wurden unabhängig voneinander zu ihrem Verhältnis befragt, und was sie darauf antworteten, spricht eine klare Sprache: ‚Ich habe zu Rudi Assauer ein offenes und ehrliches Verhältnis’, sagte Rangnick, fügte aber hinzu: ‚Wie das umgekehrt ist, kann ich nicht beurteilen.’ Assauer wurde ebenfalls gefragt, wie sein Verhältnis zu Rangnick sei, und er sagte nach ein paar Sekunden Bedenkzeit mit der mimischen Untermalung von Unwohlsein: ‚Gut!’ Er sagte es so, als meinte er das Gegenteil und setzte noch einen drauf, als er gequält mitteilte: ‚Wir verstehen uns einigermaßen!’ Diese Dissonanz ist offenbar die Essenz all jener Debatten und Streitereien, die Schalke jüngst erschütterten. Sie ist just offen zutage getreten, nachdem die Schalker endlich wieder guten Fußball gespielt hatten und ihren Trainer noch auf dem Feld am liebsten demonstrativ in die Luft geworfen hätten. ‚Wir brauchen über den Trainer nicht zu diskutieren’, sagte Lincoln und brachte in seinem gebrochenen Deutsch einen schönen Satz zustande: ‚Er macht uns glücklich!’ Doch der Trainer ist stinksauer. Er war trotz des Erfolgs wütend, weil hinter den Kulissen mit harten Bandagen gekämpft wird. (…) Bekannt ist in Gelsenkirchen, dass Assauer ein gutes, effektives und äußerst eigennütziges Verhältnis zur Boulevardpresse pflegt. Doch innerhalb des Vereins zählt das Wort des Managers schon lange nicht mehr so viel wie früher.“

Anwalt

Richard Leipold (FAZ 26.9.) lobt die zwei Auftritte Lincolns: „Lincoln hatte wieder das große Ganze im Blick, als kreativer Kopf auf dem Rasen und als Advokat vor den Kameras. Das zuweilen statisch wirkende Spiel des FC Schalke bedarf dringend seiner Ideen. Nach dem Schlußpfiff sah Lincoln sich aber auch als Anwalt gefordert. Er hielt ein Plädoyer mit dem Tenor: Freispruch für Ralf Rangnick, der die Mannschaft nach dem 1:1 in Nürnberg selbst angeklagt hatte. Auf dem Spielfeld und in den Katakomben wurde deutlich, wie nah Lincoln seinem Trainer steht. Das erklärt sich vermutlich aus seinem beruflichen Werdegang. In Kaiserslautern gemobbt und schließlich vom Hof gejagt, hat der sensible Stratege die häßliche Seite des kickenden Gewerbes zur Genüge kennengelernt. Er weiß es offenbar zu schätzen, wie pfleglich Rangnick nach der Spuckattacke im Ligapokal mit ihm umgegangen ist. Nun zahlt Lincoln zurück, mit Worten wie mit Taten.“

Lust an der Macht

Till Schwertfeger (WamS 25.9.) befasst sich mit Macht und Einfluss Assauers: „Daß Assauers Worte trotz seines Machtverlusts schwerer ins Gewicht fallen, als der Schalker Führung lieb ist, liegt vor allem an der Bild-Zeitung, die mit dem boulevardfernen, taktikfixierten Rangnick nichts anzufangen weiß. Assauers Kritik in Eindhoven nahm das Blatt als Startschuß, um Front gegen Rangnick zu machen. In der Vorsaison auf Grund der sportlichen Erfolge quasi unantastbar, muß sich Rangnick seither als ‚Rangnix’ verspotten lassen. Den exklusiven Bericht über einen Spieleraufstand gegen den Trainer dementierte der Verein energisch. ‚Das ist komplett erfunden’, empört sich Ersatzkapitän Frank Rost. Der offensichtlich angeschlagene Manager dagegen wird mit Schlagzeilen wie ‚Assauer: Sieg im Machtkampf’ gestützt. Mit einigen leitenden Bild-Redakteuren verbindet Assauer eine lange Freundschaft – und die Lust an der Macht.“

Resignation

0:2 gegen Mönchengladbach – Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 26.9.) prognostiziert Arminia Bielefeld den wahrscheinlichen Abstieg: „So, wie die Arminen kickten, ist ihr Abstieg in die zweite Liga vorgezeichnet. Deshalb war es am Tage eins nach Herbstbeginn so etwas wie der Beginn der Eiszeit auf der ehemaligen Alm. Ein Wintereinbruch der Gefühle. Dem Bielefelder wird nicht mehr warm ums Herz, wenn er in diesen Stunden an seine Arminia denkt. Zur Halbzeitpause pfiff der gemeine Fan auf der Tribüne noch ziemlich ungehemmt, am Ende machte sich oben wie unten auf dem Rasen Resignation breit. Da rührte sich wenig. Die Elf ist schlicht und ergreifend nicht konkurrenzfähig.“

Trainerstimmen über den 7. Spieltag, sueddeutsche.de
Bildstrecke, sueddeutsche.de

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