indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Hamburger SV – Schalke 04 1:0

Oliver Fritsch | Montag, 31. Oktober 2005 Kommentare deaktiviert für Hamburger SV – Schalke 04 1:0

Rätsel

Alle grübeln über die Schwäche der Schalker, auch aus den Aussagen der Spieler und Offiziellen wird man nicht schlau. Daher fällt die Ursachensuche der Presse unterschiedlich aus. Peter Müller (WAZ) zeigt auf den Trainer: „Vieles stimmt nicht in der Mannschaft, und die Frage nach den Gründen muss sich vor allem Ralf Rangnick gefallen lassen; Manager und Teammanager haben schließlich nicht schlecht eingekauft.“ Philipp Selldorf (SZ) hingegen erstellt eine Mängelliste der Mannschaft: „Zur Verantwortung gerufen wird wie immer nur der Trainer, der sich als Ralf Rangnix oder Ralf Ratlos verspotten lassen muss. Noch zeigen sich die Verantwortlichen resistent gegen platte Polemik, aber können sie sich der Dynamik entziehen, wenn sich Schalke gegen Fenerbahçe samt dem Schreckgespenst Christoph Daum nicht durchsetzen kann? Dabei hat Rangnick jeden Anspruch auf Ratlosigkeit, die Lage ist unüberschaubar. Es gibt alle Sorten Probleme im weitgehend künstlerisch und damit einseitig orientierten Kader: notorisch torlose Stürmer (Kuranyi, Sand), rätselhaft verkümmerte Neulinge (Ernst, Bajramovic), ausgelaugte Größen (Kobiashwili, Lincoln) und allzeit launische Solisten (Altintop, Poulsen, Krstajic).“ Christian Eichler (FAZ) hat die Suche nach einer Erklärung bereits aufgegeben: „Schalke spielt wie eine Elf, in der die kritische Masse an Phlegma, an falsch verstandener Coolness überschritten ist. Ein Team, das nicht mitreißt, nicht mal sich selbst. Wie geht das? Jeder, der Fußball zum Spaß betreibt, mit wöchentlich wechselnden Mannschaftsmischungen, hat über dieses Rätsel der Fußballpsychologie schon mal gegrübelt. Von WM- bis Kneipen-Niveau gibt es Teams, die von der Addition des Könnens viel versprechen, dann aber einfach nicht funktionieren. Dann wieder kann es sein, daß ein einziger Wechsel daraus ein Kollektiv macht, in dem jeder über sich hinauswächst. Es ist das ewige Wunder mannschaftlich-menschlicher Chemie. Die diese Verbindung erzeugen müssen und sich Trainer nennen, ähneln eher mittelalterlichen Alchimisten als modernen Wissenschaftlern.“ Übringes, fast kein Wort über die Sieger.

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1. FC Köln – Bayern München 1:2

Atempause

Viele Themen: Erstens Uwe Rapolder, „sein Ende in der Domstadt ist wohl nur aufgeschoben,“ vermutet Manuel Krons (Handelsblatt): „Die Partie war eine dankbare Aufgabe. Wenn man sich auf ein Gesetz der Branche gleichermaßen gut verlassen kann, wie auf eine baldige Entlassung des Trainers, nach einer andauernden Trainer-Diskussionen, dann auf dieses: Man kann einem erfolglosen Trainer aus einem verlorenen Spiel gegen den FC Bayern keinen Strick drehen. Auf diese Weise wurde aus der Heimspielniederlage eine vorläufige kleine Atempause.“ Christian Löer (KStA) stört sich an der Schelte Rapolders gegen vorlaute Jung-Journalisten und wendet sie gegen ihn: „Rapolder hat seiner Konfliktsuche vorläufig die Krone aufgesetzt. (…) Er sollte versuchen, einen Zugang zur Jugend zu finden. Seine junge Mannschaft, der es an Führungsspielern fehlt wie kaum einer anderen in der Liga, scheint sich ihrem Trainer zwar nicht zu verweigern, doch wirkt sie mittlerweile, als habe sie Angst vor Rapolder. Als sei sie vielleicht nicht einmal zu schwach für die Bundesliga. Aber womöglich zu sensibel für ihren Trainer.“

Heckantrieb der Bayern

Zweitens: Lucio, der imposante Matchwinner: „Die Bayern haben einen Anführer, der nicht Ballack und nicht Kahn heißt und ein Weltmeister des Willens ist. Beinahe schon ein gewohnter Anblick, wenn er mit Eisenbeißer-Blick durchs Mittelfeld stampft, um eine Partie zu wenden: Lucio, der Heckantrieb der Bayern“, staunt die FAZ, und die SZ erkennt „Adrenalin im Überfluss“. Drittens Schiedsrichter Lutz Wagner, der „Sündengeißbock“ (taz). „Wagner hat volle 90 Minuten im Zweifel gegen Köln gepfiffen“, stampft der Kölner Stadt-Anzeiger mit dem Fuß. Viertens, der vermutete Abschied Lukas Podolskis aus Köln, der immer wahrscheinlicher wird und näher zu rücken scheint. Für Bild steht bereits fest: „Poldi – das Aus in Köln“, sich Rapolders Rüge des Kölner Stars verbittend: „Als gäbe es in Köln keine anderen Baustellen“ – seltsame Vorstellung vom Trainerdasein, ihm Kritik an einem schwachen und motzigen Spieler zu verübeln.

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Werder Bremen – Eintracht Frankfurt 4:1

Abgezockt, abgeklärt, einfach klasse

4:1 gegen Eintracht Frankfurt, mittlerweile keine Selbstverständlichkeit, in den Augen der Journalisten. Daher gibt es viel Lob für Werder Bremen, etwa Ralf Weitbrecht (FAZ): „Abgezockt, abgeklärt, einfach klasse eben, wie die Norddeutschen die Führung der Frankfurter konterten. Ein Team, zwei überragende Kräfte: stark, wie gerade Klose und Borowski der Mannschaft der Stunde begegneten. Die Hessen konnten nur bis zum Führungstreffer mithalten; dann setzte sich die ganze Klasse und Reife von Werder durch.“ Heinz Fricke (SZ) fügt Anerkennung hinzu: „Die Bremer haben zurzeit das Problem, dass sie eigentlich kein Problem haben. Klose hat zur alten Stärke zurückgefunden, Micoud die Phasen spontaner Lustlosigkeit überwunden. Und mit Borowski und Frings besitzt er im Mittelfeld Nebenleute, die in der derzeitigen Form auch im Nationalteam gesetzt sein müssten.“

VfB Stuttgart – Hertha BSC Berlin 3:3

Außer Kontrolle

Das spannenden Spiel mit „Happy-End zweiter Klasse für Giovanni Trapattoni“ (FAS) stärkt bei den Beobachtern den Eindruck, dass bei Stuttgart vieles außer Kontrolle geraten ist. Die Wende in der zweiten Halbzeit, „fast so etwas wie die Auferstehung von den Toten“ (StZ), wird auf ein Zusammenraufen der Mannschaft zurückgeführt – ausdrücklich nicht auf das Wirken Trapattonis: „Im Umfeld haben sie getuschelt, dass es eher nicht der Trainer war, der das Spiel in eine andere Richtung lenkte. Es waren wohl die Spieler, die, gereizt von den Pfiffen des Publikums, ein kollektives Aufbäumen verabredeten“, berichtet die SZ.

Der Grat zwischen Show und Klamauk ist schmal

Im Mittelpunkt der Berichte steht Trapattonis Redseligkeit auf der Pressekonferenz; auch sie wird ihm negativ ausgelegt, nämlich als Ablenkungsmanöver. Christof Kneer (SZ) amüsiert sich: „Der VfB wollte Kult werden mit Trapattoni, das hat er jetzt geschafft. Es ist nur ein bisschen anders als geplant. In der Branche hat längst ein heimlicher Trapattoni-Tourismus eingesetzt, aber die Leute kommen nicht mehr, um die taktischen Kunstwerke zu bestaunen, die der Meistertrainer auf den Rasen zaubert. Sie kommen, um Trapattoni beim Gestikulieren zu erwischen oder um diese eigenartig unterhaltsame Elf zu betrachten, die Trapattoni da trainiert.“ Oliver Trust (FAZ) wirft Trapattoni Kalkül vor: „Dem, was am Ende doch noch zum unterhaltsamen Krimi auf dem Feld taugte, folgte eine ebenso unterhaltsame Comedyshow im Nachprogramm. Die aber erfüllte einen anderen Zweck: Sie überdeckte, was in Stuttgart weiter gärt: die Frage, ob das Arbeitsverhältnis zwischen dem redseligen Maestro und dem VfB Stuttgart dauerhaft eine Chance hat. (…) Im Feuerwerk der Späßchen ging unter, was Trapattoni hinter der Maskerade wirklich umtreibt.“ Michael Kölmel (BLZ) konnte seinen Wissensdurst nicht löschen: „Ob sein Team gegen ihn gespielt hat, blieb ungefragt, ebenso, wieso er keine Stammelf hat, seine Abwehr Spaziergängern gleicht und ausgerechnet er keine Taktik findet. Nach einem Drittel der Saison. Um diese Wahrheiten drückte sich Trapattoni. Auch für Trapattoni gilt: Der Grat zwischen Show und Klamauk ist schmal.“

MSV Duisburg – VfL Wolfsburg 1:0

Gladiatoren der Moderne

Ulrich Hartmann (SZ) entlarvt einen Duisburger Etikettenschwindel: „Die oft geforderte Leidenschaft ist meist nur dann spürbar, wenn die Fußballer zu jener melodramatischen Musik auf den Platz schreiten, die der deutsche Filmkomponist Hans Zimmer vor fünf Jahren für den Hollywoodstreifen Gladiator komponiert hat. Wenn diese Sinfonie voller Pathos beim Einmarsch ertönt, dröhnen Schicksal und Wehmut aus jedem einzelnen Ton, und die Fußballer, die Gladiatoren der Moderne, schauen mit einer grimmigen Entschlossenheit drein, als ginge es tatsächlich ums Überleben. Doch wenn die Musik aus ist, herrscht ein anderes Klima. In Wahrheit hatten es die bisweilen staksig wirkenden Duisburger mit schläfrigen Wolfsburgern zu tun, und so genügten ihnen eine allenfalls durchschnittliche Leistung, um die Aktionsfläche als Sieger zu verlassen.“

1. FC Kaiserslautern – Bayer Leverkusen 2:2

Erfolglos, traurig

Schlechte Presse für beide Mannschaften und beide Trainer. Hartmut Scherzer (FAZ) bezweifelt ob Michael Henke und Michael Skibbe zum Trainer taugen: „Es ist ein Unterschied, ob einer jahrelang Hütchen aufgestellt hat, mit Verantwortung aber nichts am Hut hatte. Nun fügte es sich, daß die beiden erfolgreichsten Co-Trainer des letzten Jahrzehnts, die ihre Meriten als assistierende Übungsleiter eines exponierten Cheftrainers beziehungsweise Teamchefs erworben haben, sich als Chefs in der Bundesliga begegneten: Beide Aufsteiger verbindet auch die Erfolglosigkeit mit ihren Klubs (…) Der Effekt des Trainerwechsels ist in Leverkusen schon verpufft. Das 2:2 nach einem schlechten Fußballspiel hinterließ bei beiden Trainern dementsprechend schlechte Laune.“ Tobias Schächter (FR) blickt zurück auf schlechte Wochen für Kaiserslautern: „Es war für viele in der Pfalz traurig anzusehen, wie der FCK sich zuletzt selbst demontiert hat: Klägliche Leistungen, eine überflüssige Geldstrafe für Altintop, der Rauswurf von Sforza, schließlich die verbale Entgleisung Henkes in Erfurt. Am Samstag kamen nur noch rund 27 000 Menschen ins Fritz-Walter-Stadion. Mit 36 000 wurde kalkuliert.“

Borussia Dortmund – Borussia Mönchengladbach 2:1

Jugendleiter Kehl

Das sportliche Blühen der jungen Dortmunder dient den Chronisten als Kontrast zur wirtschaftliche Misere. „Trotz engem Korsett – der BVB hat Luft zum Atmen“, stellt die Stuttgarter Zeitung fest: „Das junge Team und das begeisterungsfähige Publikum sollen dafür sorgen, dass es trotz Millionenschulden weitergeht.“ Richard Leipold (FAZ) ist beeindruckt vom Dortmunder Nachwuchs unter Leitung Sebastian Kehls: „Kehl ist der Organisationschef eines Mittelfeldes, das in Dortmund Hoffnung weckt. Als Tomas Rosicky nach einer Stunde verletzt aufgeben mußte, standen Kehl die beiden jüngsten Profis der Mannschaft zur Seite: Neben dem von vornherein spielenden Nuri Sahin, siebzehn Jahre alt, zeigte der eingewechselte Marc-Andre Kruska, achtzehn Jahre alt, was er kann. Beiden ist eine für ihr Alter ungewöhnliche Spielintelligenz zu eigen. Sie vergeuden ihre Frische nicht mit übereifrigem Herumlaufen, sondern bemerken rasch, wo sich der Aufwand lohnt und wo nicht. Geführt vom Jugendleiter Kehl, wirken sie wie Hochbegabte, die in der Schule des Fußballs eine Klasse überspringen mußten, um sich nicht zu langweilen. (…) Kehl wirkt wie ein Tutor, der die Aufgabe hat, jungen Studenten zu helfen.“

BLZ-Spielbericht
Welt-Interview mit Sebastian Kehl

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