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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Rettigs Rücktritt, Rapolders Entlassung

Oliver Fritsch | Montag, 19. Dezember 2005 Kommentare deaktiviert für Rettigs Rücktritt, Rapolders Entlassung

Dunkle Unterseite

Andreas Rettig tritt zurück, Köln entlässt Uwe Rapolder und sende damit ein „vages Signal des Aufbruchs“, schreibt die FAZ. Die Berliner Zeitung beobachtet Köln „auf dem Weg in den Abstieg“. Christoph Biermann (SZ) erkennt Zeichen einer fatalen Entwicklung: „Die Umstände passen in ein neues Bild, das in den letzten Wochen an Kontur gewonnen hat: Kopfstoß und Schwalbe von Norbert Meier, die Ehrenrunde von Ralf Rangnick oder nun das Aus für Rettig und Rapolder sind Reaktionen darauf, dass der Druck auf die handelnden Personen in der Bundesliga weiter gestiegen ist. Dieser Druck wiederum ergibt sich aus der monumentalen Aufmerksamkeit, die Fußball in Deutschland erfährt. Er ist damit so etwas wie die dunkle Unterseite des in der Hinrunde erneut gebrochenen Zuschauerrekords. Die Protagonisten des Spiels stehen inzwischen fast allerorten dermaßen im Mittelpunkt des Interesses und oftmals auch der Kritik, dass ihre Arbeit immer schwerer wird. Heutzutage sind Klubs wie Köln oder Schalke so schwer zu leiten wie es vor fünf Jahren allein der FC Bayern war.“ Markus Völker (taz) kommentiert den Trend zum freiwilligen Rücktritt: „Die Ausdauerdisziplin des Aussitzens hat in Politik und Sport keine Anhänger mehr. Die neuen Macher sind belesen und sagen sich nach dem Studium der Werke Erich Kästners: ‚Was auch immer geschieht, nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.’ Zuletzt hat sich Rettig geweigert, ein Bad in dieser Brühe zu nehmen, in der verschiedene Ingredienzien verrührt sind, darunter eine besonders ätzende Zutat: die Sportseiten des Kölner Express. Rettig hat immer mal wieder Lackmuspapier in die Lurke gehalten und festgestellt, dass sich der pH-Wert drastisch verändert hat. (…) Durch den Kakao gezogen werden nun andere.“

Das alte Fußball-Deutschland hat zurückgeschlagen

Stefan Hermanns (Tsp) misst den Verlust Rapolder: „Für den deutschen Fußball war der gestrige Tag ein schlechter. Mit Rapolders Entlassung endet in der Bundesliga eine kurze Ära der Modernität, die eng mit seinem Namen verbunden war. Noch im Frühjahr wurde Rapolder in Bielefeld gefeiert, weil er mit einem unterdurchschnittlich besetzten Kader überdurchschnittlich erfolgreich war. Konzeptfußball wurde sein Prinzip genannt, wobei das Konzept darin bestand, individuelle Schwächen durch kollektive Geschlossenheit zu kompensieren. Dem Establishment ist diese theoretische Herangehensweise einer neuen Fußball-Intelligentia an ein einfaches Spiel immer suspekt gewesen, und in der vergangenen Woche hat das alte Fußball-Deutschland zurückgeschlagen: erst Assauer gegen Rangnick, dann Overath gegen Rapolder. Die Praxis hat wieder über die Theorie gesiegt.“

Michael Horeni (FAZ) empfiehlt den Kölnern Frankfurt als Vorbild: „Der Aufsteiger Köln hat die Zeit zu einem Neuaufbau in der zweiten Liga nicht genutzt, und um diesen Mangel zu illustrieren, ist ein Blick zur einstigen Skandalnudel Eintracht hilfreich. Die sportlichen und finanziellen Verhältnisse der beiden Traditionsvereine lassen sich recht gut vergleichen und auch die Perspektiven, die ihnen die neuen Arenen verschafft haben. Der Frankfurter Vorstandsvorsitzende Bruchhagen widerstand vor zwei Jahren jedoch der Versuchung, den damaligen Trainer Reimann zu entlassen, um die Aussicht auf den Klassenverbleib vage zu erhöhen und die Medienerwartungen zu erfüllen. Bruchhagen nahm den Abstieg in Kauf, setzte auf Solidität und ein Konzept mit vornehmlich jungen und deutschsprachigen Spielern. Er erntete Vertrauen, und das Ergebnis ist ein mittlerweile gefestigter Verein, der sich anschickt, sich nach vielen Krisenjahren wieder dauerhaft in der Bundesliga zu etablieren. Von diesem Ziel können die Kölner nur träumen.“

Raffpolder alaaf

Stefan Osterhaus (NZZ) forscht nach der Ursache: „Die Umstände des Scheiterns sind auch in einem Konflikt mit dem indisponierten Podolski zu suchen. Der Coach verlor die Machtprobe gegen den vom Boulevard gestützten Nationalspieler, und bisher hat kein Coach in Köln sein Team gegen die Meinungsmacht aufstellen können.“ Erik Eggers (FTD) nennet Rapolders Fehler: „Rapolder kritisierte nach Niederlagen einzelne Spieler scharf, und er legte sich zum Ärger der Fans auch mit Jungstar Podolski an – mit dem Höhepunkt, dass er Podolski einmal unter dem Vorwand erst zur Halbzeit brachte, der Spieler sei nicht fit gewesen. Nicht nur Podolski machte jedenfalls zuletzt einen sehr lustlosen Eindruck.“ Roland Zorn (FAZ) fügt hinzu: „Zweifellos hat der Coach einen erheblichen Anteil an der schwächsten Hinrunde in der Kölner Vereinsgeschichte. Und doch genoß Rapolder bei den Kölner Anhängern noch ein letztes Mal Vertrauensschutz. Häme und Pfiffe schlugen ihm dagegen seitens vieler Arminen-Fans entgegen. In Ostwestfalen hat man Rapolders Rumgeeiere rund um seinen Abschied nicht vergessen, zumal dabei eine Überdosis persönlicher Eitelkeit mit im Spiel war. ‚Raffpolder alaaf’ und ‚Laßt die Illusion U.R. da enden, wo sie begann’ – so hießen Spott-Transparente den breitschultrigen Coach mit dem silbrigen Haar herzlos willkommen. Was dann auf ihn zukam, war noch ungemütlicher und dazu hausgemacht. Während nämlich die Bielefelder in sich geschlossen und zum Äußersten entschlossen um den Sieg fighteten, ergaben sich die Kölner selbstgenügsam.“

Borussia Dortmund–Bayern München 1:2

Wohlwollende Laudatoren

Richard Leipold (FAZ) erlebt, das war in Dortmund mal anders, gönnerhaftes Verhalten der Bayern nach dem Spiel: „Dortmund gehört die Zukunft, Bayern die Gegenwart – Das ganz normale Bayernprogramm: Mit wenigen, aber genialen Zügen haben die Münchner das sportliche Schicksal auch gegen die anfangs forsche, später zumindest wehrhafte Borussia gezwungen. (…) Die Münchner nehmen solche Erfolge gelassen hin, ohne übermütig zu werden. Sie sind es gewohnt, die Punkte einzufahren und dem Gegner die Sympathiepunkte zu überlassen. In Dortmund sparten sie mit Qualitätsfußball, aber nicht mit Lob. In dem Gefühl, die Konkurrenz zu beherrschen, zeigten sie sich als wohlwollende Laudatoren. ‚Der BVB hat ein riesiges Spiel gemacht’, sagte Felix Magath. ‚Dieser Mannschaft gehört die Zukunft, mit ihr wird bald wieder zu rechnen sein.’“

VfB Stuttgart–Schalke 04 2:0

Trapattoni, der große Gewinner

Stuttgart spielt, trifft, siegt, und Bernd Dörries (SZ) reibt sich die Augen: „Es hatte in der ersten Spielhälfte wenig darauf hingedeutet, dass der VfB dieses Spiel gewinnen könnte. Im Vergleich zu den bisherigen Leistungen spielten sie in der zweiten Hälfte erschreckend gut. Es klappte wieder vieles, was den Verein in der Zeit unter Magath ausgezeichnet hatte: Schnelle Pässe, direkt nach vorne. Nach einem von Diskussionen um Giovanni Trapattoni geprägten Saisonbeginn geht der Verein auf einem Tabellenplatz in die Winterpause, der dem Minimalziel sehr nahe kommt. Außerdem gab es ein deutliches Zeichen, dass der VfB langfristig auf Trapattoni setzt. Sein Dolmetscher hat nun einen Werbevertrag mit einem großen Wörterbuchverlag, dessen Logo an seinem Hemdkragen steht. Es ist die Würdigung eines Mitarbeiters, den man oft besser versteht als seinen Chef.“ Klaus Teichmann (Welt) gratuliert dem Stuttgarter Trainer: „Trapattoni war der große Gewinner. ‚Ich wollte zu Beginn zu viel auf einmal ändern’, räumte er ein. Gleichzeitig verkündete er aber: ‚Wir haben gezeigt, daß wir eine optimale körperliche Verfassung haben.’ Er hatte den vielen Kritikern gezeigt, daß seine Trainingsmethoden nicht zu antiquiert oder lasch sind. Im Endspurt hatte sich seiner Meinung nach rentiert, daß seine Profis nun eben einen Tick frischer seien. Die Rückrunde wird zeigen, ob der Aufwärtstrend anhält und die Geschichte vom VfB und Trapattoni tatsächlich ein Happyend hat.“

Bayer Leverkusen-Hannover 96 0:0

Image-Schädling

Weniger Geld, weniger Erfolg, weniger Zukunft? Gregor Derichs (FAZ) macht sich große Sorgen um die Werkself Bayer Leverkusen: „Genauso entgeistert wie die Fans ist die Vereinsführung über die sich zuspitzende Krise. Enttäuschung und Ernüchterung herrschen beim viermaligen Bundesliga-Zweiten. Der Rückbau des einst expandierenden Vereins, der europaweit Anerkennung erlangte, klappt nicht wie geplant auf hohem Niveau. (…) Unter dem Bayer-Kreuz wird ein einstiges Flaggschiff des deutschen Fußballs systematisch abgetakelt. Viele Fans fürchten, daß der Luxusdampfer Bayer 04 als Wrack enden könnte. Für den Bayer-Konzern würde dies bedeuten, daß sich das einst attraktive PR-Instrument zu einem Image-Schädling entwickelt hat.“

Borussia Mönchengladbach-Eintracht Frankfurt 4:3

Zwischen Hölle und Himmel

Ulrich Hartmann (SZ) beschreibt seine Freude an der Verwandlung der Eintracht und an der Verwandlung der Borussia: „Die Frankfurter haben sich mit ansehnlichen Leistungen vom letzten Tabellenplatz auf den zehnten vorgearbeitet und dabei eine ästhetische Wandlung vollzogen wie ein Wurm, der seinem Kokon als Schmetterling entsteigt. Die Essenz ihres neuen Leistungsvermögens zeigten die Frankfurter in einer famosen ersten Hälfte. Bloß: Dass immer noch ein bisschen Wurm steckt in den Frankfurter Schmetterlingen, das wurde in der zweiten Hälfte offenkundig sowie bereits kurz davor, als Marcel Jansen nämlich wie aus dem Nichts das Anschlusstor erzielte, welches himmelschreiendem Unrecht entsprach, weil die Gladbacher dem berauschenden Spiel der Frankfurter zuvor nur primitiven Destruktivismus entgegengesetzt hatten. Doch nach einer energischen Unterredung im Untergeschoss des Stadions folgte die Komprimierung der Gladbacher Version von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, denn ebenso wie die Frankfurter besitzen auch die Rheinländer sowohl ein Gesicht des Grauens als auch eines der Freude und schwankten bereits zum zweiten Mal innerhalb eines einzigen Spiels zwischen Hölle und Himmel.“ Ralf Weitbrecht (FAZ) läuft den beiden Teams tanzend entgegen: „47 600 waren in den Fußballtempel auf der grünen Wiese gekommen – und niemand dürfte es bereut haben. Zu dicht, zu atemraubend, zu spektakulär war das, was die Profis ihrem Publikum anzubieten hatten. Die Eintracht zeigte von Beginn an Kombinationsfußball der Extraklasse. (…) Fünfundvierzig Minuten lang Frankfurter Fußball-Feinkost, fünfundvierzig Minuten lang Gladbacher Gala-Genuß.“

1. FC Kaiserslautern–VfL Wolfsburg 3:2

Wolfsburger Wappentier

Tobias Schächter (BLZ) sieht die Schlinge (oder ist es nur die Krawatte?) um Thomas Strunz’ Hals schließen: „Wolfsburg hat in Kaiserslautern so etwas wie sein persönliches Hartz VIII erlebt. Zum achten Mal hintereinander blieben sie ohne Sieg (…) Seit einem Jahr ist Strunz Manager in Wolfsburg. Nichts ist besser geworden seitdem, eher alles schlechter. Es ist offensichtlich, dass das Verhältnis zwischen der Mannschaft und Strunz gestört ist. Abmahnungen von Spielern des auch von Strunz falsch zusammengestellten Kaders waren zuletzt an der Tagesordnung. Aus gutem Grund ist Strunz offensiv darum bemüht, eine Trainerdiskussion zu vermeiden – Fach war sein Wunschtrainer, nachdem Vorgänger Erik Gerets nach einem zähen Machtkampf mit dem Manager gehen musste.“

Strunz hat vor Mikrofonen preisgegeben, dass Ersatzspieler Miroslav Karhan das Aufwärmen in der Pause mit den Worten „Ich hab keinen Bock“ verweigert haben soll. Uwe Marx (FAZ) hat die Worte in Wolfsburg schon mal gehört: „Die Offenheit des Wolfsburger Managers war bemerkenswert und verdächtig zugleich. So ungewöhnlich dieser Vorfall auch ist, üblicherweise werden solche Interna nicht publik gemacht. Die Wolfsburger kennen sich aus mit Bestrafungen in solchen Fällen. Ihren Spieler Hrgovic haben sie Ende November vom Training freigestellt. Der Bosnier hatte in einem Interview allzu offen bekundet: ‚Ich habe keinen Bock mehr hier.’ Manche Redewendungen setzen sich eben durch, egal, woher die Spieler kommen. Der Bock ist derzeit jedenfalls so etwas wie das Wolfsburger Wappentier.“ Christian Zaschke (SZ) schreibt gerne über Wolfsburg: „Wolfsburg und Karhan, das ist ein so seltsames wie inniges Verhältnis. Karhan war einst ein überaus geschätzter Mann in Wolfsburg, Kapitän sogar, das hat ihn über vieles hinwegsehen lassen. Aber dann kam der alternde Stefan Effenberg in die Stadt. 2003 geriet Effenberg im Training mit Karhan aneinander, er nahm ihn in den Schwitzkasten, woraufhin sich der Slowake beim nächsten Spiel auf der Tribüne wiederfand. Effenberg ging dann nach einer Weile wieder, und Karhan beschloss, doch noch ein wenig zu bleiben, schließlich war es doch gar nicht so schlecht hier, oder? Es gab das Rathaus ohne Balkon. Es gab all die Golfs, die durch die Straßen fuhren. Es gab die Adventsmeile, jedes Jahr. Doch manchmal, so muss es sein, ist da eine Stimme in Miroslav Karhan, die flüstert: Du bist Wolfsburg. Und es stimmt ja, ist die Stadt Wolfsburg nicht wie ein Fußballer, der von Effenberg in den Schwitzkasten genommen wird? Dem nachgesagt wird, er habe keinen Bock, sich warm zu machen?“

FR: Kaiserslautern ringt Wolfsburg mit großem Willen nieder und eint sich für den Abstiegskampf

Bildstrecke 17. Spieltag, sueddeutsche.de

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