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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Überdruss

Oliver Fritsch | Mittwoch, 25. Januar 2006 Kommentare deaktiviert für Überdruss

Thema heute: Was ist und bedeutet Fußball, wie darf man und wer soll über Fußball reden? Das Kulturprogramm zur WM 2006 hat Schriftsteller zu einer Diskussion und Lesung über Fußball geladen; die schlimmsten Befürchtungen haben sich zwar nicht bestätigt, doch Jürgen Kaube (FAZ/Feuilleton) warnt: „Wir werden des Geredes noch müde werden. Des Geredes dieser Art: Fußball ist eine Ersatzreligion. Nur im Fußball finden die Leute noch zu Gemeinsamkeiten. Fußball ist eine Weltsprache, die überall verstanden wird. Fußball ist Kunst. Und Krieg. Außerdem ist der Fußball seit einiger Zeit total kommerzialisiert. Und natürlich ist Fußball auch ein Spiegel der Gesellschaft. Fußball ist also, zusammengefaßt, ein Spiegel, der überall verstanden wird, weil die Leute einen Krieg als kommerzialisierte Kunst anbeten? Wenn man nur ganz unbekümmert um das ist, was aus den eigenen Redensarten folgt, ob sie irgendwie zueinander passen und ob man sie am Morgen nach dem Stammtisch noch gesagt haben möchte, kann man ewig so weiterplappern. In Berlin trafen sich Schriftsteller aus aller Herren Ländern, auch aus nicht zur Weltmeisterschaft qualifizierten wie Kamerun, Österreich und Ungarn, um über Fußball zu sprechen und vorzulesen, was ihnen zum Fußball eingefallen ist. Erfreulicherweise waren sie dabei meist zurückhaltend, was die genannten Redensarten angeht. Die Frage, was Fußball und Literatur gemeinsam haben, wurde zwar so gut wie jeder Podiumsdiskussion vorgesetzt. Die meisten Autoren antworteten darauf aber nüchtern.“ Harald Martenstein (Tsp/Feuilleton) prophezeit eine Übersättigung des Fußball-Talks: „Wie viele derartige Veranstaltungen es wohl noch geben wird, wie viel in diesem Jahr zum Thema Fußball geredet, gesendet, geschrieben wird, dann, bei der WM, zwei Stunden Vorrede vor jedem Spiel, zwei Stunden Nachbereitung nach jedem Spiel, da interviewen sie jeden, wirklich jeden, der eine Zunge besitzt oder ein Gehirn oder sogar beides, das wird der Hype des Jahrhunderts, da kommt eine Nebelwand aus Wörtern und Sätzen auf uns zu, ein Gebirge aus Gedanken, darunter nur wenige neue, und ob wir in dieser nebligen Gebirgslandschaft überhaupt noch den Fußball finden werden, lautet die große Frage, denn Fußball ist auf dem Platz, wie ein Fußballer es vermutlich ausdrücken würde. Vielleicht ist man, wenn es im Juni endlich losgeht, der ganzen Sache ja bereits überdrüssig und fährt, wenn man genug Kohle hat, zum Golfen nach Irland.“

Nils Minkmaar (FAS/Feuilleton) ergänzt: „Fußball hat nur noch einen behaupteten und anstrengend nostalgischen sozialen Stellenwert. Er gehört zu jenen Phänomenen, die laut überkommener, aber nie überprüfter Annahmen ‚die Menschen’ interessieren und begeistern, wie auch das ewige Eis, die alten Ägypter und Volksmusik. Niemand, den man kennt, mag so was, aber eben ‚die Menschen’. In Wahrheit könnte man doch immer dann im Boden versinken, wenn irgendeine peinlich stumme Runde durch eine Fußballgeschichte aufgelockert werden soll, denn das verdeutlicht nicht nur, daß es gerade peinlich still war, sondern auch daß die Umstehenden als ‚ganz normale Menschen’ wahrgenommen werden, daß sich der Fußballauskenner also mal auf unser Niveau begibt, um die Stimmung aufzulockern. Fußball funktionierte vielleicht in den fünfziger Jahren vor einem Publikum aus stummen, sich totschuftenden Kriegsheimkehrern und deren Söhnen (…) Nun soll eine ganze postmoderne Gesellschaft monatelang so tun, als sei 1954: die Jungs müssen nur siegen, dann rauchen auch die Schornsteine der Werften im Ruhrpott wieder.“

Nur für völlig Ahnungslose ist Fußball Popkultur

Dagegen verfasst Jürgen Kaube (FAZ/Feuilleton) eine sehr bemerkenswerte Präambel der Fußball-Kultur und rechtfertigt die vielfältigen Aneignungsformen der Fußballrezeption: „Fußball ist nicht nur ein Spiel, sondern auch ein Gewebe von Geschichten, Symbolen, Deutungen – also Kultur. Um das zu wissen, muß man kein Akademiker sein: Jede kommentarfreudige Kneipenrunde bestätigt es auf ihre Weise. Kultur ist also keine Zutat zum Sport, sondern eine Möglichkeit, den Fußball wahrzunehmen. (…) Es wird immer wieder versucht, durch den Gegensatz von Intellekt und Emotion ein vorgeblich akademisches und jedenfalls ‚verkopftes’ Interesse am Sport gegen das der allermeisten Zuschauer auszuspielen. Anschauungen ohne Begriffe sind aber blind. Wer die Abseitsregel nicht begreift, sieht Entscheidendes nicht, soviel werden auch Verächter der ‚Verkopfung’ zugeben. Doch von der Abseitsregel zur Viererkette, von dieser zum Spielaufbau und vom Spielaufbau zurück zu den Mannschaftsaufstellungen, den Trainerhandschriften, aber auch zu den ökonomischen Umständen des Spiels ist es jeweils nur ein Schritt. Man muß keinen dieser Schritte gehen, aber sich dafür zu interessieren tut dem Vergnügen gewiß keinen Abbruch. (…) Fußball ist Kultur, Fußball ist populäre Kultur, aber nur für völlig Ahnungslose ist Fußball Popkultur.“

Auseinandersetzung

Von wegen Fußball ist ein pädagogisches Instrument sozialen Lernens – Thomas Steinfeld (SZ/Feuilleton) stellt klar: „Was es tatsächlich mit dem Fußball auf sich hat, lässt sich an Sechsjährigen beobachten, und zwar in dem Augenblick, in dem einer kommt und den wirren Haufen kleiner Kinder in zwei Mannschaften teilt und etwas Ballähnliches in die Mitte legt. Dieses Ding funktioniert wie ein Magnet, mit zwei Polen, die einander abstoßen. Solange dann das Spiel währt, stehen sich zwei einander entgegen gesetzte Subjekte gegenüber. Und immer wird das Gleiche geschehen, bei Jugendlichen, bei Erwachsenen, bei alten Herren – ein Ball, zwei Mannschaften, und es beginnt eine Auseinandersetzung, bei der von vorneherein klar ist, dass dieses Spiel nicht im Entferntesten etwas mit Freundschaft und Fairness, mit Gemeinsinn und gegenseitiger Achtung zu tun haben kann. Warum sonst freut sich der Anhänger einer Mannschaft, wenn der Schiedsrichter ein Foul der eigenen Mannschaft übersieht, warum sonst spielt das demonstrative Hinfallen, das Klagen, Fuchteln und Sich-Beschweren im Fußball eine so große Rolle? Auf fatale Weise überlappt sich die Weltmeisterschaft mit dem weichgespülten Patriotismus der unerträglichen Kampagne ‚Du bist Deutschland’. Angesichts dessen nimmt sich der Umstand, dass die Nationalmannschaft bei weitem nicht die beliebteste deutsche Equipe ist, sondern dass die Fans ihr, anders als ihrer Vereinsmannschaft, jede Niederlage substantiell übel nehmen und mit sofort erlöschender Begeisterung beantworten, beinahe wie ein Trost aus.“

Unterhaltungspornograph

Ein Etikett für Kerner – Erik Eggers (FR): „Es ist nicht so lange her, dass die sonst so vornehme Zeit, gar nicht fein, den ZDF-Chefzeithistoriker Guido Knopp als ‚Geschichtspornographen’ bezeichnete, weil er jedes Thema mit der identischen Ästhetik verhackstücke, egal ob nun Auschwitz, Hitlers Frauen oder die Fußball-Weltmeisterschaft 1954. In diesem Sinne wäre Johannes B. Kerner als Unterhaltungspornograph zu bezeichnen. Auch er dreht seine Gesprächspartner durch den immergleichen Fleischwolf.“

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