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Bundesliga

Wir sind eine Elite im Sport, da sind Werte gefragt

Oliver Fritsch | Montag, 30. Januar 2006 Kommentare deaktiviert für Wir sind eine Elite im Sport, da sind Werte gefragt

1. FC Nürnberg–Hamburger SV 2:1

Ein zweites Bremen – nur größer und wirtschaftlich potenter

Roland Zorn (FAZ) glaubt an, na ja, nicht unbedingt an den Weihnachtsmann, aber nach wie vor an eine spannende Saison: „Nach dem ersten Erfolg der Münchner Serienmeister im zweiten Teil der Spielzeit und der ersten Auswärtsniederlage des HSV sogleich das Finale aller Hoffnungen auszurufen, den Titelverteidiger doch noch einzuholen, bedeutete Kapitulation. Und Kapitulationen vernichten auch den Rest eines Wettbewerbs, der dem Publikum Freude machen soll. Daß der FC Bayern die besten Spieler, die beste Mannschaft, den besten Manager, vielleicht auch den besten Trainer hat – akzeptiert. Deswegen verbieten sich trotzdem Demut, Resignation, Selbstaufgabe.“ Jörg Marwedel (SZ) beruhigt die Verlierer: „Der Aufbruchstimmung wird der Rückschlag von Nürnberg wenig anhaben können. Zu groß ist der Boom um den HSV, zu ausgehungert sind die Fans nach zwei Jahrzehnten Mittelmaß. Zu stabil erscheint das Fundament, das Bernd Hoffmann und Dietmar Beiersdorfer in nur drei Jahren gelegt haben mit dem Ziel, ein zweites Bremen zu werden – nur größer und wirtschaftlich potenter. Ihre Politik ist nicht ohne Risiko. Die namhaften Zugänge werden die zuletzt prächtig funktionierende Mannschaft einem Schütteltest unterziehen; interne Turbulenzen sind nicht auszuschließen. Die Metamorphose von der grauen Maus zum Tiger ist manchmal schmerzhaft wie eine Geburt. Und sie ist ein Drahtseilakt für einen Klub, der laut Bilanz mit mehr als zwanzig Millionen Euro überschuldet ist (wegen der teuren Finanzierung der neuen Arena). Andererseits kommt man, anders als etwa Schalke, ohne Anleihen beim Londoner Großinvestor Stephen Schächter aus. Man nutzt den Rückenwind des Booms und die außerplanmäßigen Millionen, die der Siegeszug im Uefa-Cup in die Kasse spülte. Vor allem aber profitiert der HSV vom Aufbau eines der besten Sichtungssysteme der Liga und von einem klaren Konzept, das auch hochkarätige Profis überzeugt.“

Christof Kneer (SZ) schildert die neue Aufgabe der Hamburger Führung: „Thomas Doll muss plötzlich Grausamkeiten im eigenen Kader moderieren, und nach draußen muss er, erst recht nach dem Transferhype um Ailton und de Jong, Erwartungen schultern, die er für weit überzogen hält. ‚Im falschen Film’ wähnte sich Doll zwar angesichts einer uninspirierten Vorstellung seiner zuletzt so beseelten Elf, aber vermutlich ist das nicht die Wahrheit. Es ist derselbe Film, es ist nur die nächste Staffel. Es ist die Staffel, in der Luxus zum Problem werden kann. Auch für Doll, den Trainerhelden der letzten Monate, ist eine entscheidende Phase angebrochen. Er muss jetzt üben, wie es ist, ein Bayern-Jäger zu sein. In Nürnberg hat man herrlich erkennen können, was dieser HSV schon kann und was nicht. Er kann trotz der Ausfälle von van der Vaart, Barbarez, Atouba und Demel eine nette erste Hälfte spielen, weil sich im Team eine wohlige Spielkultur verselbständigt hat. Einen gepflegten Ball haben sie ja lange entbehren müssen beim HSV, vielleicht geben sie ihn deswegen nicht mehr gerne her. Die Nachricht dieses Spiels ist, dass der HSV inzwischen einen Luxuskader beschäftigt, dass er anders als die Bayern aber die entscheidenden Spieler doch nicht ersetzen kann.“ Jan Christian Müller (FR) rügt den Trainer: „Dass es ein Fehler des zuvor 16 Monate lang nahezu fehlerfrei agierenden Doll war, de Jong nach nur zwei Trainingseinheiten bereits dem etablierten Raphael Wicky vorzuziehen, steht außer Frage. Noch im Trainingslager hatte Doll dem in der Vorrunde stark aufspielenden Schweizer Nationalspieler attestiert, er gehöre zu den vier Leithammeln im Kader. Mit seiner ohne Not getroffenen Entscheidung für de Jong und gegen Wicky hat Doll sich nun unglaubwürdig gemacht und eine gewachsene Kader-Hierarchie empfindlich gestört.“

Leidenschaft und Siegeswillen

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ) lenkt den Blick auf den Sieger: „Ein Team stemmte sich mit Leidenschaft und Siegeswillen gegen die Unbill des Tages. Dagegen spulte der HSV sein Pensum in einem Stil ab, als würde es nach der gefälligen ersten Halbzeit schon klappen. (…) ‚Nürnberg ohne AEG ist wie Fußball ohne Fans’, lautete ein Spruchband. Nürnberg ohne Mintal und Kießling ist wie Fußball ohne Tore, ist die Zukunftsvision desillusionierter fränkischer Fußballfreunde. Mintal wird wieder eine monatelange Zwangspause einlegen müssen, und Stefan Kießling macht nur noch Abschiedsspiele, der Mittelfranke verläßt seine Heimat gen Leverkusen. Mit ihm wird die Region wieder ein bißchen ärmer. Aber in 90 Minuten haben die armen Nürnberger den Hamburgern zeigen können, daß Geld keine Tore schießt.“ Kneer (SZ) staunt über Hans Meyer: „Man darf es erstaunlich finden, was Meyer in der Kürze der Zeit aus dieser Mannschaft gemacht hat. Seine Vorliebe für offensiven, klar strukturierten Sport hat vor allem Spielern gut getan, die sich nicht auf ihre individuellen Qualitäten verlassen können, und davon gibt es viele beim Club.“

Borussia Mönchengladbach–Bayern München 1:3

Formsache

Michael Kölmel (BLZ) verortet starken Zusammenhalt in München: „Wenn nicht alles täuscht, gehen die Bayern stärker denn je aus dem Wochenende hervor. Nicht nur, weil ihr gefährlichster Mann wieder trifft, nicht nur, weil ihr Vorsprung nun noch größer ist – sondern auch, weil Magath im Fall Makaay Stärke bewiesen hat. Er hat ihm in der Krise Zeit geschenkt und ihm keinen anderen Stil aufgenötigt. Makaay hat nun nicht plötzlich brachial gespielt, sondern das Spielgerät so lässig wie immer versenkt. Ein böses Zeichen für die Liga. Die 20. Meisterschaft ist für die Bayern längst nur noch Formsache.“ Andreas Burkert (SZ) schwant Münchner Dominanz: „So souverän und selbstsicher und frei von Zweifeln hat man den FC Bayern schon Jahre nicht mehr erlebt wie in dieser ersten Dienstwoche 2006, in welcher er sich gegen Mainz erst ins Cup-Halbfinale gekämpft hat, um drei Tage später mit einem glanzvollen Vortrag bei der Borussia dem Publikum die letzten Illusionen einer offenen Konkurrenz zu nehmen. Und so werden die so genannten Verfolger der Bayern wohl bis Mai mit einem neuen Wettbewerb vorlieb nehmen müssen, für den die DFL noch rasch eine Trophäe ausloben sollte. Denn mehr als die Auszeichnung zum ‚Besten vom Rest’ ist kaum noch drin, wie Uli Hoeneß ziemlich herzlos anmerkt.“

FSV Mainz–1. FC Köln 4:2

Kölner Depression

Christoph Biermann (SZ) staunt über die Mainzer: „Obwohl Mainz oft noch als niedlicher Außenseiter gesehen wird, gehört die Elf derzeit zu den spielstärksten der Liga. Die Kölner Depression wird das vermutlich wenig relativieren.“ Wie kann sich Köln retten, Ralf Weitbrecht (FAZ)? „Vielleicht so, wie es die Mainzer getan haben. Mit Willen, mit Einsatz, mit Laufbereitschaft und mit Kampf. Gewiß, das Bemühen der Kölner, das dringend benötigte Erfolgserlebnis zu erzielen, war ansatzweise erkennbar, aber eben nur ansatzweise. Hanspeter Latour stellte sich schützend vor seine gerade in der Defensive schwächelnde Mannschaft und versprach, ‚daß ich doch jetzt nicht zu den Spielern gehe und sage, ihr habt zuwenig gekämpft’. Vielleicht aber sollte er es angesichts der prekären Tabellensituation doch tun – und sich dabei an seinen Urahnen Victor Nicolas DeFay Latour-Mauboug erinnern. Der Mann war Brigadegeneral der Kavallerie unter Napoleon, hat bei Austerlitz gesiegt und auch das Debakel von Waterloo überlebt.“ Biermann (SZ) beschreibt die Kölner Abwehr: „Es war ein Grauen.“

VfB Stuttgart–MSV Duisburg 0:1

Ein Mal waren sie da

Süße Rache – Philipp Selldorf (SZ) befasst sich mit der Rückkehr zweier, die man weggeschickt hat: „Wahrscheinlich wäre es ein Irrtum, Kohler besondere Genugtuung zu unterstellen, dass sein Premierenerfolg just an diesem Ort glückte. Vor anderthalb Jahren war der VfB drauf und dran gewesen, Kohler als Nachfolger für Felix Magath zu engagieren, und angeblich hat damals der FC Bayern sein schlechtes Gewissen wegen des Trainerraubs dadurch erleichtert, dass er dem fußballerisch noch unerfahrenen VfB-Präsidenten Erwin Staudt dringend davon abriet, Kohler zu verpflichten. Jedenfalls wählte Staudt schließlich Matthias Sammer aus, und überliefert ist folgende Äußerung: ‚Ich danke jeden Abend in meinem Nachtgebet, dass Sammer bei uns auf der Bank sitzt und nicht Kohler.’ Jetzt musste der VfB gleich doppelt büßen, denn das Siegtor erzielte ein 20-Jähriger namens Marco Caligiuri, ein schwäbischer Deutsch-Italiener, der zuvor fünf Jahre in den Nachwuchsteams des VfB gekickt und bei den Profis trainiert hat und nun als Leihgabe in Duisburg ist. (…) Nächste Woche tritt der VfB in Köln an, und dort spielen – oh weh! – die Stuttgarter Leihgaben Streller und Zivkovic.“ Der Schüler schlägt den Meister – Oliver Trust (FAZ): „Stuttgart hat freudvollere Sieger erlebt als diesen Trainerneuling, der befürchtete, durch lautstarken Jubel seinem ehemaligen Mentor noch mehr zu schaden. Es mag Trapattoni in mancher Szene während der bescheidenen neunzig Minuten leidvoll aufgegangen sein, wie gut Kohler bei seinen Lehrstunden zugehört haben muß. Duisburg konterte zuweilen, mehr sporadisch als geplant, verwendete die meiste Energie darauf, die Außenbahnen zu verrammeln und mit zehn Mann der Verteidigung des eigenen Territoriums zu frönen. Nur dies eine Mal aber waren sie da.“

Borussia Dortmund–VfL Wolfsburg 3:2

Teamgeist, eine in Wolfsburg seltene Erscheinung

Markus Bark (taz) spottet über Wolfsburger Übermut: „Die Dimensionen beim VfL Wolfsburg sind ein wenig anders als bei den anderen Bundesligisten. Als Stefan Effenberg vor ein paar Jahren in Bielefeld sein erstes Spiel für den Werksverein machte, erzählte ein aufgeregter Lokalreporter, dass montags in seiner Zeitung ein Foto zu sehen war mit zehn Leuten, die schon das Effe-Trikot gekauft und es im Stadion getragen hätten. Der Spott der Kollegen war dem Reporter sicher. In Dortmund haben sie auch gelacht, als bekannt wurde, dass so viele Wolfsburger Fans mit zum Spiel bei der Borussia kommen wie noch nie: 800. Außerhalb Wolfsburgs sorgt diese Zahl eher für Kopfschütteln, aber Rekord ist Rekord. Es gab also Gründe, daran zu glauben, wovon sie beim VfL erzählten. Es gebe eine Aufbruchstimmung, hieß es. In der Mannschaft wurde von einigen Beobachtern sogar Teamgeist ausgemacht, eine in Wolfsburg höchst seltene Erscheinung. Da Aufbruchstimmung und Niederlagen ganz schlecht korrespondieren, war dieser Effekt nach dem 2:3 schon wieder verpufft.“

Bayer Leverkusen–Eintracht Frankfurt 2:1

Jungenhaft, freundlich

Gregor Derichs (FAZ) registriert Wut bei Leverkusens Trainer: „Es war die Angst vor einem Fehlstart in die Rückrunde, die Michael Skibbe aus der Haut fahren ließ. Daß er eine umfassende Kompetenz als Trainer besitzt, ist weitgehend unbestritten. Doch gelegentlich wird angezweifelt, ob Skibbe mit seiner jungenhaften, freundlichen Art nicht zu nachsichtig sei, das chronisch zu einer lässigen Arbeitseinstellung neigende Team von Bayer 04 Leverkusen zu führen. Als die eigenen Fans auf den Halbzeitstand mit einem Pfeifkonzert reagierten, kehrte Skibbe seine autoritäre Seite hervor. ‚Ich bin sehr laut geworden, ich habe geschrien’, beschrieb er seinen Kabinenauftritt, der die Wende einleitete.“ Ulrich Hartmann (SZ) leidet mit Frankfurt: „Zum Erfolg gelangten sie allerdings nur durch einen glücklich abgefälschten Fernschuss sowie durch ein derart zweifelhaftes Elfmeterfoul, dass sich Friedhelm Funkel später vor lauter Gram und der Angst vor pekuniären Sanktionen die Schiedsrichterschelte unter großen Mühen verkniff.“

Hertha BSC Berlin–Hannover 96 1:1

Erbärmliches Bild

Ronny Blaschke (SZ) skizziert Berliner Pädagogik: „Dieter Hoeneß klang wie ein Familientherapeut. Der Manager hielt einen Kurzvortrag, der mit folgendem Seminartitel hätte versehen werden können: ‚Wie führe ich Personen zueinander, die nicht zueinander passen wollen?’ Der studierte Pädagoge sprach von ‚wichtiger Kommunikation’, der ‚Bereitschaft zum Lernen’ und einem ‚unverzichtbaren Sinn für die Gemeinschaft’. Die Rede war von 26 Berliner Berufsfußballern, denen der Teamgeist abhanden gekommen zu sein scheint. Tag für Tag wurde während der Winterpause in den Berliner Medien über den Charakter der Hertha-Profis diskutiert. Von den letzten sechs Bundesligaspielen gewannen die Berliner nur eines, beim Regionalligisten St. Pauli schieden sie kläglich aus dem Pokal aus. In der Winter-Vorbereitung blamierten sie sich gegen Offenbach und Nürnberg. Der Trend zeigt eindeutig nach unten. (…) Abgesehen davon, dass Marcelinho ab und an die Haare färbt, trottet Hertha geräuschlos durch die Liga.“ Andreas Rüttenauer (taz) klagt: „Bisweilen erinnerte das Gebaren der Berliner an eine ungehobelte Pausenhofgang mit Hobby Rudelbildung. Ständig wurde Schiedsrichter Wolfgang Stark belagert. Kam wieder einmal ein Pass nicht an, meckerten meist zwei Spieler: der Fehlpassgeber und derjenige, der nicht an den Ball gekommen ist. Kurzum: Es war ein erbärmliches Bild, das die Berliner abgaben.“ Michael Jahn (BLZ) winkt ab: „Hertha bleibt Hertha. Ein sportlicher Aufbruch samt Stimmungsumschwung nach dem viel diskutierten Aus im DFB-Pokal ist nicht gelungen. Der Klub verharrt im Mittelmaß.“

Wir sind eine Elite im Sport, da sind Werte gefragt

Dieter Hoeneß im SZ-Interview über seine Erziehungsmaßnahmen: „Wichtig ist, dass wir nicht generalisieren. Tatsache aber ist, dass viele unserer Talente aus Gegenden kommen, wo es auf der Straße rauer zugeht. Ich bin ja froh, dass wir Spieler haben, die eine gesunde Aggressivität mitbringen, Temperament im Zweikampf, eine Winner-Mentalität, die man nicht lernen kann, die man keinem Spieler beibringen kann. Und ich glaube, dass man eine gesunde Aggressivität kanalisieren kann. Sido habe ich nur als Synonym genannt: Für eine bestimmte Form der Artikulation, der Körpersprache. Aber der spielt keine Rolle, über den unterhalten wir uns hier nicht. Wir machen nicht Musik, wir sind eine Elite im Sport, da sind Werte gefragt.“

Bildstrecke 18. Spieltag, sueddeutsche.de

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