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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Champions League

Ohne Abwehr

Oliver Fritsch | Freitag, 24. Februar 2006 Kommentare deaktiviert für Ohne Abwehr

Werder Bremen–Juventus Turin 3:2

Jörg Marwedel (SZ) wühlt nach Attributen für das Bremer Spiel: „Belohnt wurde ein Team, das auf faszinierende Weise mit fliegenden Kombinationen und atemraubendem ‚One-Touch-Fußball‘ die vermeintlich beste Abwehr Europas von einer Verlegenheit in die nächste gestürzt und Torhüter Gianluigi Buffon zu Weltklasse-Paraden gezwungen hatte. Zu bestaunen aber war auch ein Novum in der Geschichte der Champions League: Es ist zuvor wohl noch keiner Mannschaft gelungen, einen Gegner der Güteklasse Juventus quasi ohne Abwehr zu bezwingen – der jedenfalls ohne eine Defensive von der auf diesem Niveau geforderten Qualität. Auch diesmal, man kennt das längst von den Bremern, hatten zwischen Wahnsinn und Wunder nur ein paar aufregende Momente gelegen, die alles hätten zunichte machen können: den pausenlosen Dauereinsatz eines Torsten Frings, der offenbar über die Kraft zweier Herzen verfügt; die manchmal unauffällige, aber stets höchst effektive Regie eines Micoud; die wieseligen, pfiffigen Aktionen des zuletzt maladen K&K-Sturms.“

Hauptdarsteller

Frank Heike (FAZ) beschreibt einen Schritt in der Entwicklung Werders: „Bremen steht längst für den unterhaltsamsten deutschen Fußball. Den Makel der fehlenden Effektivität hat Thomas Schaaf dafür in Kauf genommen und wurde vor einem Jahr durch das 0:3 und 2:7 gegen Olympique Lyon nachhaltig bestraft. Werder stand europaweit für Naivität – eine Mannschaft, der die Balance zwischen Offensive und Defensive fehlt. Am Mittwoch aber hat Werder bewiesen, daß es aus dieser Pleite gelernt hat. Der rauschhafte Bremer Fußball der ersten Halbzeit und die mit aller Macht herbeigeführte Wendung in den Schlußminuten waren in der Summe das bemerkenswerteste Ereignis dieser Runde. Das vergleichsweise kleine Bremen durfte sich als Hauptdarsteller fühlen: Es hat wieder einmal für einen Europapokal-Abend gesorgt, den es in dieser Dichte (und Häufigkeit) nur an der Weser gibt. Und doch: Bei aller Freude über dieses triumphale Erlebnis gegen den italienischen Serienmeister ist es nicht mehr als ein knapper Sieg, der den Turiner Stars alle Möglichkeiten läßt.“

Frank Hellmann (FR) protokolliert: „Roman Weidenfeller, der mit einigen Werder-Profis befreundete Torwart von Borussia Dortmund, sprach in den Vip-Logen davon, ‚dass die Art und Weise dieses Sieges der gesamten Bundesliga gut tut.‘ Nur die geschockte Juve-Fraktion wollte die Realität nicht wahrhaben. Trainer Fabio Capello analysierte die Partie in Verkennung der Tatsachen (und der Statistik, die 23:6 Torschüsse, 10:4 Ecken und 65 Prozent Ballbesitz für die Bremer auswies). Doch gilt in und um Turin die Niederlage offensichtlich eher als ärgerlicher Ausrutscher denn als Besorgnis erregender Einbruch. Und die Tifosi wird auch dieses Ergebnis nicht in Scharen zum Rückspiel in die hässliche Betonschüssel Delle Alpi locken. Noch in der Nacht bot Juves Generaldirektor Luciano Moggi der Bremer Vereinsführung ein so gewaltiges Kartenkontingent an, dass Jürgen Born befürchtete: ‚Bei all unser Begeisterung – allein können wir denen auch nicht das Stadion füllen.‘“

stern.de: Magische Bremer Nacht

FC Chelsea–FC Barcelona 1:2

Die unzerstörbare blaue Maschine zerlegt

Es war ja klar, eine Rote Karte lässt Jose Morinho natürlich nicht auf sich beruhen; Raphael Honigstein (FTD) schildert, wie ein Täter versucht, Opfer zu werden: „Die allergrößten Verlierer sind schlechte Verlierer, und auf diesem Gebiet reicht Chelseas Coach niemand das Wasser. ‚Was soll ich über ein Spiel sagen, das kein Spiel war?‘, knurrte Mourinho. Für ihn trug Terje Hauge die alleinige Schuld an der wohl schon vorentscheidenden Niederlage. Der norwegische Schiedsrichter hatte Chelsea-Verteidiger Asier Del Horno nach einem unkontrollierten Angriff gegen Lionel Messi zu Recht vom Platz geschickt, sich aber laut Mourinho dabei nur von den ‚Schauspielkünsten‘ des Flügelstürmers blenden lassen. ‚Barcelona ist eine Kulturstadt, es gibt dort großes Theater, Messi hat gut gelernt‘, ätzte Mourinho. In seinem Groll übersah er allerdings, dass Del Horno dem überragenden Messi zuvor schon einmal rotwürdig gegen das Knie getreten und sich nach der zweiten brutalen Attacke lange am Boden gewälzt hatte, um seiner gerechten Strafe zu entgehen. Damit aber nicht genug. Mourinho fordert den Sender Sky sogar auf, die Szene ‚200-mal zu zeigen‘, damit Messi nachträglich gesperrt und das Spiel wiederholt werden würde. Wenn die Uefa ihren Sitz von Nyon rechtzeitig vor dem Rückspiel nach Absurdistan verlegt, hat sein Gesuch eine Chance. Weil Chelsea auch das Hinspiel des vergangenen Jahres lange zu zehnt absolvieren musste – Didier Drogba war vorzeitig in die Kabine geschickt worden –, wittert Mourinho eine Verschwörung. Man weiß nicht genau, ob er damit nur von den Unzulänglichkeiten seines Teams ablenken will, oder ob er in seiner grenzenlosen Selbstüberzeugung tatsächlich daran glaubt, weil ein Scheitern für ihn anders nicht zu erklären ist. Die Londoner durften sich auf jeden Fall zu Recht als Opfer fühlen – Barcelona hatte die unzerstörbar geglaubte blaue Maschine listig auseinander geschraubt und schließlich komplett zerlegt. (…) Der kleine Kerl Messi ist eine ausgewachsene Sensation.“

Man ist Profi genug

Christian Eichler (FAZ) ergänzt und empfängt Signale der Versöhnung: „Es gab, wie fast immer bei den wenigen Chelsea-Niederlagen, einen guten Vorwand für Mourinho, sich betrogen zu fühlen. Letztes Jahr war es im Halbfinale gegen Liverpool ‚das Tor, das keines war‘. Diesmal, bei seiner ersten Niederlage im 50. Heimspiel, das angebliche ‚Theater‘ des kleinen Messi. ‚Wie sagt man Schauspiel auf katalanisch?‘ fragte Mourinho böse. Natürlich war es ein Schauspiel – das, was Messi am Ball bot. Wer den kleinen Argentinier wirbeln und selbst Ronaldinho überstrahlen sah, mußte zustimmen, daß von all den ‚neuen Maradonas‘, die man in den letzten zehn Jahren angepriesen bekam, Messi die bisher ähnlichste Kopie des Maestros ist. Mourinho dagegen mußte erkennen, daß seine gut geölte Maschine ein wenig stottert und die über 50 Millionen Euro teuren Verstärkungen Essien (gesperrt) und del Horno (überfordert) im Spiel des Jahres keine Verstärkung waren. Wenn es eine Mannschaft gibt, gegen die man nicht in Unterzahl geraten will, dann Barca: diese Elf, die, wenn sie die Kontrolle über Ball und Spiel bekommt, sowieso in Überzahl zu spielen scheint. (…) Sogar einen Händedruck gab es zwischen den beiden Trainern, nicht mal ein Jahr nach den bösen Szenen vom letzten Achtelfinale. Man ist Profi genug, schließlich geht es um mehr als nur um Revanche fürs Vorjahr. Es geht auch um die Rolle der neuen Premium-Marke im Weltmarkt Fußball, um Eroberungen auf den Wachstumsmärkten in Asien und Amerika. Die alten Mächte, Real Madrid und Manchester United, sind im Abstieg, die neuen, Barca und Chelsea, kämpfen um die Nachfolge. Auf dieser Ebene des Duells, der strategischen, darf man sich nicht gehenlassen als Image-Faktor auf der Trainerbank. Mehr als die Rechnungen von gestern zählen die Bilanzen von morgen.“

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