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Deutsche Elf

Wörns‘ Ärger ist verständlich, sein Rauswurf auch

Oliver Fritsch | Montag, 27. Februar 2006 Kommentare deaktiviert für Wörns‘ Ärger ist verständlich, sein Rauswurf auch

Michael Horeni (FAZ) stört sich am Ton Christian Wörns’, der von „Klinsmanns Gesabbel auf der Mailbox“ spricht und macht einen Fehler des Bundestrainers aus: „Wie der Dortmunder über seinen Boß aus Amerika herzieht, das kennt man doch aus jedem guten deutschen Betrieb. Lästern gehört zum Alltag (sagen sogar Psychologen), aber natürlich nur ganz leise. Nun mag sich der unerschrockene Wörns am Karnevalswochenende zwar für seine unverkleideten Worte selbst den Orden für den tapfersten Angestellten des Landes anstecken. Aber daß seine Zukunft als Nationalspieler nach den tollen Tagen noch weitergehen kann, mag im Ernst niemand glauben. Wenn die Nationalelf am Aschermittwoch spielt, ist auch für Wörns alles vorbei. Wörns‘ Ärger ist verständlich, sein Rauswurf auch. Er mag sich zwar selbst seit Monaten als besten deutschen Innenverteidiger hochleben lassen, aber daß sich Fans und Experten außerhalb Dortmunds aufmachten, um massenhaft seinen WM-Einsatz zu fordern, dazu reicht die Eigenwerbung in der Liga nicht aus. Denn die Erinnerungen, wie Wörns sich bei großen Turnieren mitunter vergeblich an seine enteilenden Widersacher klammert, haben sich auch bei seinen letzten Auftritten in Holland und der Slowakei nicht verflüchtigt. Der Bundestrainer dagegen hat sein Nominierungskriterium unnötig spät präzisiert. Erst im WM-Jahr sagt er, daß er im Zweifelsfall auch Bankdrücker wie Metzelder und Huth vorzieht, die zu der offensiven, mutigen Spielphilosophie besser passen. Das sichert ihm den nötigen Spielraum auch für künftige Personalentscheidungen.“

Salto rückwärts

Felix Meininghaus (StZ) hingegen hält den Verzicht auf Wörns für falsch: „Klinsmann hat ein Exempel statuiert und die pädagogische Keule rausgeholt. Mit Wörns als Bauernopfer, weil der gute Argumente hat, wenn er einen Platz im Kader der deutschen Elf reklamiert. Schließlich war es Klinsmann selbst, der die Marschroute ausgegeben hatte, nur derjenige habe bei der WM eine Spielberechtigung, der in seinem Verein eine prägende Rolle innehabe. Mit seinem Salto rückwärts macht sich der in Kalifornien lebende Schwabe nicht nur unglaubwürdig, sondern auch angreifbar. Zu Recht ist der ehemalige Weltklassestürmer für seine konsequente Art der Erneuerung mit Lob überhäuft worden, doch dieser Eindruck hat sich durch den Fall Wörns deutlich relativiert.“ Jan Christian Müller (FR) erkennt einen strategischen Fehler des Bundestrainers: „Vermutlich gibt es hier zu Lande nur zwei Fußballlehrer, die bei der Weltmeisterschaft auf die Mithilfe des erfahrenen Abwehrspieler Wörns verzichten würden: Sie heißen Jürgen Klinsmann und Joachim Löw. (… ) Der Weg, den die streitbaren Klinsmann und Löw eingeschlagen haben, ist nicht der leichte Weg. Viele Menschen werfen ihnen veritable Wahrnehmungsstörungen vor. Aber das Vertrauen zumindest in Huth und in Metzelder ist dennoch nachvollziehbar. Beide haben ihre anspruchvollsten Bewährungsproben erfolgreich gemeistert: Metzelder bei der WM 2002, Huth mit Abstrichen beim Confed-Cup, bei den Testspielen gegen Brasilien im Herbst 2004 und gegen Frankreich ein Jahr danach. Wörns‘ Klasse hat im Sommer 2005 gegen die Niederlande auf allerhöchstem Niveau nicht ausgereicht. Betrüblicherweise hat es Klinsmann durch seine eigenwillige Art der Personalführung aber zum wiederholten Male nicht geschafft, eine sensible Personalie geräuschloser zu lösen. Sein eigentliches Ziel, sich den bockigen Wörns als ‚Stand-by-Spieler’ bis zur WM warm zu halten, hat er verpasst.“

Ich bin menschlich enttäuscht und persönlich gekränkt

Christian Wörns macht in der Welt aus seinem Fußballerherzen keine Mördergrube: „Ich habe zuletzt kaum geschlafen, weil mich die ganze Sache beschäftigt. Es wäre schade, wenn es so enden sollte. Ich bin menschlich enttäuscht und persönlich gekränkt. Jürgen Klinsmann fordert Respekt ein, aber Respekt und Anerkennung sind keine Einbahnstraße. Es geht darum, daß ich trotz nachweislich guter Leistungen im Verein zum wiederholten Male zu einen Länderspiel nicht eingeladen worden bin. Wo ist denn da der Respekt vor der Leistung des Spielers? Auch die Art, wie sich der Bundestrainer mir gegenüber mitteilt, ist nicht in Ordnung. Von meiner Nichtnominierung habe ich von Journalisten erfahren. Die wußten Bescheid, während der Bundestrainer bei mir auf die Mailbox gesprochen hat. Das ist nicht respektvoll. Das ist schlechter Stil. (…) Bei einem Gespräch im Oktober sagte Klinsmann, daß er meine öffentlichen Aussagen nicht in Ordnung findet. Dann schrieb er die Namen von sechs Innenverteidigern auf einen Zettel, unter anderen meinen. Er sagte mir, daß er vier von uns mit zur WM nimmt. Dann erklärte er, daß es nach wie vor nur nach Leistung geht, daß ich mit den fünf Spielern in Konkurrenz stehe und weiterhin die Chance habe, bei der WM dabeizusein, wenn ich meine Leistung bringe. Genau da stellt sich die Frage, wie die Leistung von Mitkonkurrenten gemessen wird, die in ihren Klubs nur zweite oder dritte Wahl sind. Wenn man mir erzählt, es ginge nur nach Leistung, wiederhole ich nochmals: Das ist unehrlich, das ist nicht korrekt. Am Ende des Gesprächs habe ich noch gefragt, wie es denn für das nächste Länderspiel aussehe. Da ist er mir mehr oder weniger ausgewichen. Ich meinte noch: Jürgen, wenn ich was wissen sollte, sage es mir jetzt, und ich weiß, woran ich bin. Da kam nichts. Wir hätten sicher eine Lösung finden können, hätte er mir bereits im vorigen Jahr klar gesagt, woran ich bin. Stattdessen wurde ich hingehalten, weil man angeblich schauen wollte, ob es mit den anderen klappt. Ich habe nun das Gefühl, daß ich ohnehin nur ein Notnagel gewesen wäre. (…) Meine Aussagen waren nur eine Reaktion auf seine Provokation. Ich wurde in den vergangenen anderthalb Jahren permanent provoziert. Er soll sich mal fragen, wie gekränkt ich mich jetzt fühle.“

Christof Kneer (SZ) staunt und schluckt: „Am Fall Wörns lässt sich vorempfinden, was dem deutschen Fußball bis zur WM noch alles blühen könnte. Es war ein eigenartig gestimmtes Häuflein, das in Frankfurt zusammenkam, um von dort aus am Dienstag Richtung Florenz aufzubrechen. Man darf es ungewöhnlich finden, dass über einen eher durchschnittlichen Spieler wie Wörns eher überdurchschnittlich diskutiert wird; was soll erst passieren, wenn Klinsmann seinen Stammtorwart benennt?“

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