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Deutsche Elf

Gegen die Macht im Lande

Oliver Fritsch | Freitag, 26. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Gegen die Macht im Lande

So lange Michael Ballack für Bayern München spielte, hat er die vielen Attacken seiner Vorgesetzten Rummenigge, Beckenbauer und Hoeneß gegen ihn zwar zunehmend genervt, aber loyal ertragen und kommentiert. „Introvertiert und mißtrauisch“ sei er, „kein Stratege“ und ein ganz guter Kopfballspieler, der nur dem Geld hinterherlaufe, hieß es. Nun, nach der Bekanntgabe des Wechsels zu Chelsea, wird der Ärger Ballacks und seines Beraters Michael Becker, eines ehemaligen EU-Beamten, vernehmbarer. Ballack und Becker wehren sich gegen die Bayern. Im Interview mit dem Spiegel (siehe unten) legt Ballack seinen Schleier der Diplomatie ab und spricht, wenn auch wie immer höflich, Klartext. In der FAZ vom Montag heißt es: „Normalerweise werden die Transfers von Becker-Kunden nicht von Nebengeräuschen und Konfrontationen begleitet. Im Fall von Ballack war das anders, und das hatte sich schon seit Monaten abgezeichnet. Es war einer der schwierigsten Transfers, und seine Begleitumstände lassen Becker noch immer nicht ruhen. Vor allem auf Karl-Heinz Rummenigge sind Becker und Ballack nicht gut zu sprechen. Für die Pfiffe zum Abschied in München macht Ballack Rummenigge verantwortlich. Daß Ballack die Bayern verlassen hat, dafür habe nicht zuletzt Rummenigges Verhalten den Ausschlag gegeben.“ Gemeint ist unter anderem der populistische Rückzug des Vertragsangebots an Ballack durch Rummenigge auf der Jahreshauptversammlung im November 2005. „Das ist Ballack nähergegangen, als es nach außen wirkte“, fährt Becker fort. „Er hat einen weichen Kern. Er reagiert sehr sensibel auf Unehrlichkeit und Ungerechtigkeit.“

Becker richtet seine Speerspitze auch gegen die Bild-Zeitung, „die durch ihre fragwürdige Rolle sicher ihren Teil zur vertrackten Beziehung beigetragen hat“. Ballack sei von Bild „ständig persönlich in unsachlicher Weise angegriffen worden.“ Gegen Schlagzeilen wie „Ballack ist geldgeil“, die Bild von Rummenigges und Hoeneß‘ Lippen übernommen hat, geht Ballack inzwischen mit Rechtsmitteln vor – ein gewagtes Unterfangen, sich mit der Macht im Lande anzulegen. Doch Becker weist auf den Status Ballacks und den günstigen Wind hin: „Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff lassen sich auch nicht von Bild beeinflussen. Kein anderer Spieler als Ballack kann das durchziehen.“ Dem Bildblog entnehmen wir heute, daß die Bild-Zeitung einen EU-Politiker mit einem Zitat gegen Ballack in Stellung bringt, das sich auf eine andere Sache bezieht. Außerdem hat Bild Ballacks Gehalt, das er künftig in Pfund erhalten wird, seinen Lesern falsch und tendenziös umgerechnet.

In der Nationalmannschaft habe ich mehr Vertrauen
Auszug aus dem Spiegel-Interview mit Ballack

Spiegel: Uli Hoeneß sagt, Sie fielen in der Nationalelf mehr auf, weil Sie dort schlechtere Mitspieler um sich hätten als in Ihren vier Jahren beim Deutschen Meister. Richtig?
Ballack: Nicht richtig. Mit der Aussage macht er ja all die Nationalspieler des FC Bayern schlecht. Richtig ist: Bayern hat eine gewachsene Mannschaft, in der es etwa für einen Bastian Schweinsteiger schwer ist, vorwärtszukommen, weil Alteingesessene wie Hasan Salihamidzic oder Mehmet Scholl ebenfalls sehr ambitioniert sind. Mit Bayern hatte ich außerdem wenige große Spiele, die etwas Bleibendes haben. Leider. Dazu muss man ins Halbfinale oder Finale der Champions League kommen, möglichst sogar gewinnen. Und richtig ist auch: Bei der Nationalmannschaft habe ich einen größeren Stellenwert, vielleicht aber auch mehr Vertrauen.
Spiegel: Sie haben für zunächst drei Jahre beim FC Chelsea unterschrieben. Nur wegen der Millionen, sagen die Münchner. Auch falsch?
Ballack: Auch falsch. Mein Ziel ist es, die Champions League zu gewinnen. Es geht eben nicht immer nur ums Finanzielle. Bei anderen Stammspielern wurde diese Frage überhaupt nicht diskutiert. Willy Sagnol hat vor ein paar Monaten bei den Verhandlungen um eine Vertragsverlängerung öffentlich gesagt: „Willy will nicht mehr Geld, Willy will viel mehr Geld.“ Und keinen hat’s gestört.
Spiegel: Sie sollen in London über zehn Millionen Euro brutto im Jahr verdienen.
Ballack: Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Information haben, aber ich wurde bisher gut bezahlt und werde künftig gut bezahlt werden. Der Punkt ist: Jeder Fußballer sehnt sich nach einer großartigen Mannschaft, nach Perspektiven, danach, sich mit den Besten zu messen.
Spiegel: Hat Ihr neuer Trainer José Mourinho sich beim FC Bayern nach Ihnen erkundigt?
Ballack: Weiß ich nicht. Dann hätte er wahrscheinlich gehört: Der Ballack ist eigentlich völlig talentfrei, aber ein ganz guter Kopfballspieler.
Spiegel: Wie können Sie sich denn in London als Fußballer weiterentwickeln?
Ballack: In der Premier League wird völlig anders gespielt. Härter. Schneller. Und außerdem entwickelt man sich doch schon durch das neue Umfeld. Genau das wollte ich ja. Bei Bayern hätte ich gewusst, was ich habe. Andere sind vielleicht zu bequem und suchen die Herausforderung nicht. Mich reizt das.
Spiegel: Es wird Ihnen negativ ausgelegt, weil Sie in Ihren Münchner Jahren immer ein bisschen zu kühl und unnahbar geblieben sind. Bei Bayern denken sie: Der war nie wirklich einer von uns.
Ballack: Das stimmt nicht. Ich habe mich sehr wohlgefühlt und alles für den Verein gegeben, übrigens bis zum letzten Tag. Ich spiele mit Leidenschaft Fußball, ich bin nur nicht der Typ, der sich vollständig vereinnahmen lässt. Ich weiß doch von anderen, wie etwa Mehmet Scholl oder Oliver Kahn, dass sie auch gern mal ins Ausland gegangen wären.
Spiegel: Bayern München verschluckt seine Spieler und prägt und bremst sie?
Ballack: Sagen wir es so: Es ist ein großer, aber ein spezieller Verein. Dort herrschen eigene Gesetze.
Spiegel: Welche?
Ballack: Die lernen Sie kennen, wenn Sie zum FC Bayern wechseln.

Ich wurde immer wieder öffentlich angegriffen

Spiegel: Sie klingen bitter.
Ballack: Nein, nicht bitter, aber als ich vor vier Jahren von Bayer Leverkusen wegging, war es ein emotionaler Abschied. Da sind auf beiden Seiten Tränen geflossen.
Spiegel: Die Bayern sagen, sie seien schwer an Sie herangekommen.
Ballack: Vielleicht hätten sie am Anfang auch mehr auf mich zukommen können. Aber vielleicht war ich auch zu zurückhaltend. Früher in Chemnitz sind wir nach dem Spiel mit fünfzehn Mann weggegangen. Beim 1. FC Kaiserslautern war man zu siebt, in Leverkusen immer noch zu dritt. Bei Bayern war es dann schon schwer.
Spiegel: Kaum sind Sie weg, kündigen die Bayern an, die Ansprüche herunterzuschrauben. Nicht mal mehr der Meistertitel wird verlangt. Fühlen Sie sich geehrt?
Ballack: Müsste ich eigentlich. Denn ich bin ja neben Zé Roberto der einzige Stammspieler, der geht. Es besteht kein Grund für diese neue Bescheidenheit. Gleichzeitig haben sie auch gesagt, sie würden ohne mich jetzt besser spielen. Ja, was denn nun?, frage ich mich.
Spiegel: Felix Magath kündigte an, nach Ihrem Weggang werde die Mannschaft mehr ihre Stärken am Boden ausspielen. Was steckt dahinter?
Ballack: Das weiß ich nicht. Man wird halt bei Bayern München nicht gefeiert, wenn man kurz vor dem Abschied steht. Selbst auf Stefan Effenberg wurde am Ende geschimpft. Das vergessen heute alle. Ich kann aber auch verstehen, dass es dem Verein weh tut, dass ich ablösefrei zum FC Chelsea wechsle.
Spiegel: Liebeskummer also? Der Verlassene leidet öffentlich?
Ballack: Vielleicht. Irgendwann sollte man es jedenfalls akzeptieren, dass sich einer nach vier erfolgreichen Jahren anders orientiert.
Spiegel: War es vielleicht Bestandteil der Vereinbarungen mit Ihrem neuen Verein, dass Sie nicht offiziell sagen durften, was Sie vorhatten, weil Chelsea den Wechsel erst zum Saisonende verkünden wollte?
Ballack: Ja, natürlich. Aber intern habe ich allen, die es wissen mussten, um planen zu können, stets gesagt, wie der Stand war. Trotzdem wurde ich immer wieder öffentlich angegriffen.
Spiegel: Der wesentliche Vorwurf aus München ist, dass Sie zu lange ‚rumgeeiert‘ hätten. Seit wann wissen Sie, dass Sie zu Chelsea gehen?
Ballack: Anfang April stand es für mich fest. Es gab kein Rumgeeiere. Fußball ist ein schnelllebiges Geschäft, und ich muss nicht im Herbst wissen, wo ich im nächsten Jahr spiele. Es ist mein Leben und meine sportliche Zukunft. Es ist ausschließlich mein Risiko, keinen Vertrag zu haben, weil ich mich in jedem Training oder Spiel verletzen könnte.

Spiegel: Darf ein Führungsspieler misstrauisch, verschlossen, introvertiert sein, so jedenfalls beschreibt Rummenigge Sie?
Ballack: Herr Rummenigge kennt mich ja sehr gut, unsere Familien gehen ständig essen, und wir haben täglich ausführliche Gespräche, der kann mich schon sehr, sehr gut beurteilen …
Spiegel: Und wenn Sie Ihren Sarkasmus zügeln?
Ballack: Dann sage ich Ihnen: In den wenigen Gesprächen, die Herr Rummenigge und ich in den vier Jahren hatten, ging es ausschließlich um vertragliche Dinge. Ich bin keineswegs introvertiert. Und selbst wenn: Es gibt ausreichend Leute beim FC Bayern, die extrovertiert sind, da schadet es nicht, wenn sich der eine oder andere mal etwa zurücknimmt.

Es ist schwer, aus Bundesliga-Spielern Weltmeister zu machen

Die WM rückt näher, und der Ton wird rauher und kritischer – der Ton der Zeitungen, aber auch der Ton der Trainer. Heute befassen sich die deutschen Redaktionen mit Joachim Löws Sorgen um die Abwehr. Dabei spricht Löw generelle Mängel der Bundesliga an. Christof Kneer (SZ) entschlüsselt: „In Klinsmanns Gesamtprojekt ist Löw der Bereichsleiter Taktik, er ist es, der in Rekordzeit einen Weltmeister zusammenbauen muss. Er hat sich nicht gescheut, noch einmal ein Thema beim Namen zu nennen, das speziell die deutsche Bundesliga nicht so gern hört: die deutsche Bundesliga. Sie hat sich eine Menge anhören müssen, die Bundesliga, und vielleicht ist es ganz gut, dass die Liga gerade Urlaub macht. Eine neue Kampfdebatte kann das Projekt jetzt gerade gar nicht gebrauchen, es ist schwer mit sich selbst beschäftigt. Indirekt hat Löw nämlich vor allem eines gesagt: wie schwer es ist, aus Bundesliga-Spielern Weltmeister zu machen. Deutschland sucht seine Balance, und wenn es die eine Flanke schließt, öffnet es automatisch eine andere. Die Trainer wollen die Mannschaft hoch belasten, dürfen sie aber nicht überlasten. Sie wollen die Mannschaft belehren, dürfen ihr aber nicht das Selbstvertrauen nehmen. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, und niemand im Team weiß, ob die Zeit reicht, bis zum 9. Juni.“

Immer nur quer und zur Not zum Torhüter

Auch Matti Lieske (BLZ) fragt sich mit Löw, ob die Abwehr rechtzeitig ihre Löcher schließen wirdl: „Löw kann richtig böse werden. Robert Huth bekommt das zu spüren. Weil er beim taktischen Abwehrtraining den Ball einfach weit weg gebolzt hat, staucht ihn der Assistenztrainer zusammen, bis der Abwehrturm von der Statur des Mont Blanc auf die Größe eines Schraubstollens geschrumpft ist. Geht es allerdings um die Versäumnisse der Bundesligaklubs, wird der taktische Berater Klinsmanns ganz soft. ‚Ich denke, dass wir uns da alle in Deutschland optimieren können‘ Was Löw meint, wird dennoch deutlich: Die Vereine haben die internationale Entwicklung des Spiels verschlafen, die Trainer befinden sich komplett hinter dem Mond, und wir bei der Nationalmannschaft müssen die Sache ausbaden. Löw bemängelt nach dem Test gegen Servette Genf, mehr als 50 Prozent der Pässe seien quer gelaufen. Jenes ballsichernde Spiel also, das die meisten Profis aus ihren Klubs kennen. Es ist schwer, ihnen diese Gewohnheit auszutreiben und modernen Fußball einzutrichtern, vor allem in der kurzen Zeit, die für die WM-Vorbereitung zur Verfügung steht.“

Nächste Evolutionsstufe noch nicht erreicht

Markus Völker (taz) führt das Defizit hinten auf Versäumnisse in der Vergangenheit zurück: „Überspitzt könnte man sagen: Löw leidet daran, dass das Modell des Liberos in Deutschland so erfolgreich war – und dass der Abwehr-Schrat aus der Mannheimer Schule stets Bestnoten in der Liga bekam. Das hat mythische Figuren entstehen lassen, aber eben auch die Kettenbildung im Viererverbund erschwert. Jahrelang überlebte der Libero in einer simulierten Dreierkette. Noch heute wird in der Bundesliga gern auf diese Variante zurückgegriffen, noch heute findet der verkappte Libero in dieser Nische sein Auskommen. In der Nationalmannschaft aber soll ein 4-4-2-System gespielt werden. Oder alternativ mit vier Verteidigern, drei Mittelfeldspielern und drei Angreifern. In Genf wurde auch am 4-2-3-1-System gefeilt, mit zwei defensiven Mittelfeldspielern, darunter Michael Ballack in der Rolle des kreativen Abräumers.“ Stefan Osterhaus ([ NZZ |
http://www.nzz.ch/2006/05/26/sp/articleE5LD1.html ]) ergänzt: „Es ist sonderbar. Fussball-Deutschland hat sich von Traditionen getrennt. Früher standen solide Trikot-Zerrer wie Förster und Kohler auf dem Platz und fanden in Wörns ihren legitimen Nachfolger. Heute sind solche Textil-Prüfer kaum noch zu finden, weil sie von der Entwicklung des Fussballs hinweggespült worden sind wie die Dinosaurier vom Lauf der Zeit. Manche argwöhnen, dass Deutschlands Defensive ein Problem hat, weil die antiquierte Mannheimer Schule ausgedient hat, der deutsche Fussball die nächste Evolutionsstufe jedoch noch nicht erreicht hat – zum spielenden Verteidiger, der einer schnellen Spieleröffnung gewachsen ist und dessen Antizipationsvermögen es ihm gestattet, nicht nur Tuchfühlung zum Gegenspieler zu halten. Mertesacker, Metzelder, Lahm und Friedrich sind im Grunde keine verkehrten Exponenten. Vielleicht fehlten ihnen in der Nationalelf einfach nur die strikte Marschroute und das Gefühl, dauerhaft zu wissen, wer hinter ihnen im Tor die Bälle fängt. Wo steht er also, der deutsche Abwehrspieler? Gar nicht so schlecht. Manchmal einfach nur am falschen Platz.“

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