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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Scherbenhaufen

Oliver Fritsch | Dienstag, 30. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Scherbenhaufen

Von wegen, Bayern München leiste viel für den deutschen Fußball – der Kulturtheoretiker und renommierte Fußball-Autor Klaus Theweleit (NZZ) wirft den Bayern vor, die deutsche Konkurrenz ohne Rücksicht auf das Gesamte kleinzuhalten: „Den Zustand des deutschen Fussballs erfasst man am besten mit Blick auf seine selbst ernannten Herzstücke, die Bild-Zeitung und den FC Bayern. Punkto Grössenwahn ist der Klub konkurrenzlos. An der Spitze Uli Hoeness, ein Kampagnen-Macher, der sich nicht die kleinste Einfluss-Chance entgehen lässt. Doch weder in der Torwartfrage noch sonst hat Klinsmann auf die Bayern und auf Bild gehört. Dies wird geahndet als Majestätsbeleidigung. Klinsmann ignoriert all das, so gut es geht, und bezieht dafür Prügel. Dabei sind der FC Bayern und seine Führung das grösste Hindernis für eine Entwicklung des deutschen Fussballs auf ein höheres spielerisches Niveau: indem Hoeness gezielt jede Konkurrenz kaputtkauft und die eingekaufte Spielintelligenz unter Durchschnitts-Trainern wie Felix Magath nicht selten auf der Bank verhungern lässt. (Eine Ausnahme war Ottmar Hitzfeld.) Hoeness‘ Verfahren ist ohne Frage effektiv. Bloss: Er schwächt damit systematisch die deutschen Vereine im europäischen Vergleich. Das Nationalteam interessiert die Bayern nur in dritter Linie, als Wertsteigerungs- und Propagandainstrument für die eigenen Spieler und des eigenen Einflusses auf das Fussballgeschehen im Land. Dieser Einfluss ist allerdings sehr geschwunden. Konnten die Deutschen ‚unter Matthäus‘ oder früher ‚unter Beckenbauer‘ als Münchner Ableger gelten, so wäre es heute nur noch Ballack (an der WM nicht mehr Bayern-Spieler), der diese Fahne hochhalten könnte. Neben Ballack wäre es Kahn gewesen. Genau deshalb propagierten die Bayern Kahn als die gottgewollte Nummer 1. Genau deshalb wollte Klinsmann Kahn eben nicht in dieser Position. Das war eine Entscheidung gegen die beanspruchte Bayern-Dominanz. Bleibt der überforderte Basti Schweinsteiger; den Magath zum halben Reservisten degradiert hat. Magaths Umgang mit Schweinsteiger kann man nur als offene Destruktionspolitik gegenüber Klinsmanns Präferenzen bezeichnen. Irgendeine Hilfe bei der Vorbereitung der WM hat Klinsmann aus der Ecke Bayern nicht erhalten. Ist es Neid? Ist es Bösartigkeit? Ist es provinzialistische Grossmanns-Beschränktheit? Ich weiss es nicht. Ich sehe nur die Scherbenhaufen, die sie systematisch in die Landschaft stellen.“

Offener Kampf

Roger Repplinger (Rund) beleuchtet den Machtwillen der Bild-Zeitung und schildert ihre Versuche, die Nationalmannschaft und die Besetzung des Trainerpostens zu beeinflussen: „Für Bild ist der Bundestrainer so wichtig wie der Bundeskanzler. Mit beiden ist Auflage zu machen. (…) Unter den Spielern der aktuellen Nationalmannschaft hat Bild keinen Informanten. Angeblich hat Oliver Kahn für die Zeit nach der WM einen Exklusivvertrag mit der Zeitung. Umso blindwütiger greift Bild Klinsmann an. Dies geschieht vor allem durch WM-OK-Chef Beckenbauer, der, so hört man, eine Million Euro pro Jahr für seine Tätigkeit bei Bild bekommen soll und den uns das ZDF trotzdem als unabhängigen Experten verkauft. Über den Bild-Kolumnisten Günter Netzer, den die ARD als unabhängigen Experten verkauft. Über einige Trainer aus der Bundesliga, die Bild brauchen, um ihren Job zu sichern. Und über DFB-Funktionäre der zweiten, Politiker der dritten Reihe und enttäuschte Spieler wie Christian Wörns. Klinsmann steht für alles, was Bild ablehnt: neue Formen der Trainingsarbeit, Wissenschaft, neue Taktik, Risiko, neue Führungscrew, internationaler Trainerstab – Bild ist national. Klinsmann bedeutet einen Verlust von Macht und Einfluss. Deshalb muss Klinsmann weg. Sonst saust die sinkende Auflage weiter in den Keller. Bild hat den Nachfolger schon positioniert: Matthias Sammer. Dessen Medienberater heißt Ulrich Kühne-Hellmessen und war Chefreporter bei Bild. Sammer wurde, unter Einsatz aller Blätter des Springer-Verlags und der üblichen Trittbrettfahrer, als neuer DFB-Sportdirektor gegen Klinsmanns Kandidaten, Hockey-Nationaltrainer Bernhard Peters, durchgeboxt. Ein Erfolg. Der Ausgang des Kampfes zwischen Klinsmann und Bild ist offen. Es ist wie im Fußball. Nicht immer gewinnt der Bessere.“

Zur Bild-Kampagne gegen Jürgen Klinsmann siehe auch hier.

Wärme ist hier Konzept

Klaus Brinkbäumer (Spiegel) beäugt die rationale Arbeitsweise Jürgen Klinsmanns: „Das Projekt des Trainers Klinsmann machen zwei Dinge aus, die sich widersprechen müssten. Er will die Geschlossenheit der Gemeinschaft. Das macht aus Klinsmann den liebenden Vater, der immer an alle und ans Ganze denkt, einerseits. Aber er schneidet scharf. Aussortiert wurde Kevin Kuranyi, der eineinhalb Jahre lang dabei gewesen war und dann die Form verlor, denn das Primat der Höchstleistung ist absolut. Das macht Klinsmann zum amerikanischen Manager, der ganz gut in die Welt des Spitzensports passt. Er ist ein freier Trainer, aber seinen Teamspirit sollte kein Spieler mit Freundschaft verwechseln. Wärme ist hier Konzept, da Wärme Erfolg verspricht; sie muss nicht dauerhaft sein und nicht einmal echt. 11 Freunde? 23 Hochleister, die begriffen haben, dass sie ihre persönlichen Ziele nur erreichen, wenn sie einen Bund bilden, ohne Kompromisse, inklusive Leidenschaft, auf Zeit. (…) Fußballmannschaften können für eine gewisse Zeit genau so funktionieren – wie Südkorea 2002 oder Griechenland 2004. Oder wie eine Gruppe von Wirtschaftsmenschen, die sich zum Seminar im Wald treffen, am Feuer Gitarre spielen, einen ganz und gar neuen Blick auf ihr Leben kriegen, und am Ende versprechen sich alle, dass sie in Kontakt bleiben werden, weil sie sich so erneuert fühlen. Möglich, dass auch die Spieler des Projekts 2006 nach dem Sommer nie wieder miteinander telefonieren, aber vorher wie in Trance antreten und während der vier WM-Wochen groß und immer stärker werden. Möglich auch, dass sie nach zwölf Tagen raus sind.“

Korrektiv für die junge Abwehr

Stefan Hermanns (Tsp) befaßt sich mit der Rolle Jens Nowotnys: „Als er 26 war, galt er als bester Verteidiger der Bundesliga, und niemand zweifelte daran, dass nur Nowotny bei der Europameisterschaft 2000 der Abwehrchef der Nationalmannschaft sein könne. Niemand außer – dummerweise – Teamchef Erich Ribbeck, der lieber den fast 40 Jahre alten Lothar Matthäus als Libero spielen sehen wollte. Es könnte die bittere Ironie von Nowotnys Karriere sein, dass er 2000 zu modern war für die Vergangenheit, und jetzt, 2006, als zu altmodisch gilt für die Zukunft. (…) Öffentliche Vorbehalte haben Nowotny durch seine Karriere begleitet. Bis heute. Dass Jürgen Klinsmann ihn nominiert hat, wird ihm als Verrat an seinen eigenen Prinzipien ausgelegt. Nowotny scheint nicht zu passen in das jungdynamische Projekt des Bundestrainers. Er gilt als Hemmnis für das offensive Spiel, als Sicherheitsfanatiker und letzter Vertreter der Lieber-erstmal-quer-Philosophie. Da hilft es auch nichts, wenn Nowotny auf die erfolgreichste Zeit seiner Karriere, bei Bayer Leverkusen unter Christoph Daum, verweist: ‚Wir haben damals auch sehr risikoreich gespielt, viele Spiele 3:2 oder 4:3 gewonnen.‘ Doch wie es aussieht, wird Nowotny auch von Klinsmann eher als Korrektiv für die junge Abwehr gesehen.“

„Testosteron hat ausgedient“ – ein Kommentar in der Wochenzeitung Freitag über die Entlassung Rudi Assauers

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