indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Strafstoss

Strafstoß

Oliver Fritsch | Samstag, 10. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Strafstoß

Dem indirekten-freistoss seine Kolumne

Die Weltmeisterschaft steht vor der Tür – und unsere Kolumnisten spießen weiterhin Details auf. Zwar ist alles Wichtige aufm Platz, aber Drumherum passiert doch so viel mehr: Wie ist das Wetter in Kalifornien, kann Puma Nike und Adidas im Werbewirbel verwirren, wieviel Mentaltraining geht noch in einen deutschen Nationalspielerkopf, wie löst sich der Schnörkel im eingesetzten Rustikalen?

Strafstoß #25 – 24. August 2007

Reine Nervensache 10 – Der Queerkopf

von Herrn Mertens und Herrn Bieber

Mathias Mertens: Lieber Bieber, Mehmet Scholl ist homosexuell?

Christoph Bieber: Klar, wussten Sie das nicht? Dazu hat doch schon Moritz Bleibtreu in „Lammbock“ erschöpfend Auskunft gegeben. Ach ja, und Jarvis Cocker hat doch nicht recht – Irony is not over.

MM: Aber Jarvis Cocker is over, oder nicht. Genau wie Mehmet Scholl, der bestenfalls noch als Kegler beim FC Bayern auffallen wird. Ist das eigentlich ein männlicher Sport? Und welche fußballerischen Fähigkeiten kann man dort einsetzen?

CB: Wie bitte, Jarvis Cocker is over? Da haben Sie wohl dessen fulminantes letztes Solo-Album verpasst, mit so schönen Titeln wie „I will kill again“ und „From Auschwitz to Ipswich“. Und Scholls nächstes Solo steht ja auch unmittelbar bevor, und zwar im Kino. Über den Film mit dem bemühten Titel „Frei: Gespielt“ liest man bislang aber nichts wirklich gutes. Für eine Einschätzung des Kegelsports fehlt mir allerdings jegliche Kompetenz – für Herrn Scholl schließt sich aber wohl ein Kreis, denn er war mit dem KV Karlsruhe „Zweiter Deutscher Mannschaftsmeister in der Jugend“. Was auch immer das heißt. Um eine sportliche Wahlverwandtschaft scheint es sich jedoch nicht zu handeln, denn: „Die Oberschenkel fangen schon nach fünfzig Kugeln an zu flattern, weil man beim Stemmschritt am Ende hundert Mal das ganze Körpergewicht mit einem Fuß abfangen muss. 200 Kugeln schaffe ich zurzeit gar nicht, obwohl ich völlig austrainiert bin. Aber Fußball und Kegeln bedeuten für die Beine eine komplett unterschiedliche Belastung. Beim Kegeln bremse ich den eigenen Schwung wie mit dem Bremsschritt beim Speerwerfen ab. Beim Fußball sind die Bewegungen viel runder.“ (siehe hier).

MM: Ich bin immer wieder erstaunt, welche Fachpublikationen Sie studieren. Und das klingt ja, als ob der Scholl Ahnung von der Materie hätte, so mit Bremsen und Stemmen und Flattern und so. Aber ich fühle bei seinem Abschied so dumpfe, reaktionäre Wallungen in mir hochsteigen, wahrscheinlich, weil mir nicht aus dem Kopf geht, wie es seinem „väterlichen Freund“ Uli Hoeneß wohl beim Abschied ergangen sein muss.

CB: Wie denn?

MM: Na ja, eben so als Unvollendeter, der miterleben muss, wie ein anderer Unvollendeter die jahrelangen Bemühungen der „Abteilung Wahrheit“ so ungeniert in den Dreck tritt. Und zwar in den „Dreck, an dem unsere Gesellschaft irgendwann ersticken wird“. Nicht, dass ich seine geologischen Einschätzungen teilen würde, aber ich habe ein wenig Mitleid mit dem Menschen, dessen Weltbild so erschüttert wird. Heutzutage kokettieren Fußballer mit ihrer sexuellen Ausrichtung und nehmen den Kegelsport auf, wenn sie aufhören. Von Uli Hoeneß aus gedacht: Was ist aus der guten alten Zeit geworden, als Fußballer nach Karriereende ihre Alkoholkrankheit voll ausleben konnten und ihr Erspartes in Toto-Lotto-Annahmestellen verbrannten, um dann vom Hoeneß-Uli mit einem Torschusstrainer- oder Fanshop-Verkäufer-Posten gerettet werden zu können?

CB: Ach, das ist jetzt aber ein unangebrachter Retro-Romantizismus. Passt aber irgendwie zu ihren dumpf-reaktionären Wallungen. Herr Mertens, Sie werden doch nicht etwa … alt? Nimmt Sie der Abgang von Herrn Scholl vielleicht deshalb mit, weil sie gewisse biographische Parallelentwicklungen erkennen?

MM: Vielleicht. Der Hoeneß Uli war mit 27 ja auch schon älter, als der Scholl jemals werden wird. Es müsste mich auch stutzig machen, dass ich plötzlich Mitgefühl mit dem Herrn habe. Aber frei nach Engholm, Croce, Shaw, Fontane, Russell und Churchill (siehe hier) befürchte ich: Wer mit 14 nicht Bayern-Hasser war, hat kein Herz, wer mit 40 nicht Bayern-Fan ist, hat keinen Verstand.

CB: Oh, jetzt wird es mir doch etwas zu schwermütig. Wir reden hier doch über Mehmet Scholl und nicht von Oli Kahn. Womit ich bei ihrer Eingangsfrage wäre, bei der Sie ja auf Herrn Scholls „queere Abschiedsparty“ (O-Ton Spiegel Online) anspielen. Die Einschätzung der Veranstaltung erscheint mir nach der Lektüre des Berichts
zutreffend, nur vermisse ich ein wenig etymologische Zweikampfhärte beim Reporter: queer „bedeutet im amerikanischen Englisch so viel wie „seltsam, sonderbar, leicht verrückt“, aber auch „gefälscht, fragwürdig“; als Verb wird es gebraucht für „jemand irreführen, etwas verderben oder verpfuschen“, substantivisch steht es für „Falschgeld“. (Und das weiß sogar schon wikipedia.de, mit einer gewissen Vorliebe für abseitige Fachpublikationen ließe sich das Definitionsgeplänkel noch massiv ausweiten – empfehlen könnte ich den aktuellen Sammelband „Sport, Sexualities and Queer/Theory“ von Jayne Caudwell oder für Deutschland einfach die gesammelten Werke von Thomas Meinecke. Doch ich schweife ab, habe mich verdribbelt, vertändele den Ball …

MM: Was dem Scholl ja nie passiert wäre. Wie mir überhaupt alles, was Ihre etymologische Recherche ergeben hat, nicht so recht zu Mehmet passen will. Das klingt mir doch eher nach meinem geschätzten Mario Basler. Der war queer. Aber dann müsste ich ja auch meine Eingangsfrage modifizieren: Mario Basler ist homosexuell?

CB: Einspruch! Mario Basler ist nicht queer, der ist nur daneben. Was bei der Wort-Recherche ja verloren gegangen ist, ist nicht nur der positiv-subversive Gehalt des Konzepts, sondern vor allem die Schollsche Leistung bei dessen Übertragung auf das Feld des Fußballs. Ich denke, solche verqueren Avancen tragen bei zu einer Art „makeover“ des bisher tumb-männlich codierten Fußballsports – so wie etwa die (beinahe) weltweit erfolgreiche TV-Serie „Queer Eye (for the Straight Guy)“ zeigt, dass eine „kulturelle Transformation“ für (beinahe) jeden eine wertvolle Erfahrung sein kann. Und ich glaube, genau darum geht es bei Mehmets Mühe um mehr Kultur im Kulturgut Fußball.

MM: … denn würden die identitäten nicht länger als prämissen eines mediensportlichen syllogismus fixiert, so könnte aus aus dem niedergang der alten eine neue konfiguration des fußballs entstehen. die sportkulturellen konfigurationen von geschlecht und identität könnten sich vermehren, oder besser formuliert: ihre durch mehmet scholl entscheidend vorangebrachte gegenwärtige vervielfältigung könnte sich in den diskursen, die das das intelligible kulturleben stiften, artikulieren, indem man die binarität in verwirrung bringt und ihre grundlegende unnatürlichkeit enthüllt…
Entschuldigung! Da sind mir gerade ein paar Gedanken in die Quere gekommen. Da hilft nur intensive Verdellingung: Ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht quer. Auf keinen Fall wollte ich querschießen. Querbeet und querfeldein raste es in meinem Kopf. Es ist aber auch eine verquere Sache, dieses Thema.

CB: Da haben Sie wohl recht, ich nehme diesen Queerpass dankend auf, und beende das Gespräch an dieser Stelle mit einem Netzerismus: Ich nehme Ihnen das nicht übel, Herr Mertens, das bin ich doch von Ihnen gewohnt.

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

114 queries. 0,587 seconds.