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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Offenbarung

Oliver Fritsch | Freitag, 30. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Offenbarung

Philipp Selldorf (SZ) befaßt sich, auf die Bundesliga blickend, mit einem möglichen Ausscheiden Deutschlands und einem Rücktritt Jürgen Klinsmanns: „Es stünde das Vermächtnis einer Ära zur Disposition, die sich vielleicht nur als Intermezzo erweist. Die Kräfte des Beharrens in der Bundesliga sind erheblich, und sie haben sich schon aus Trotz gegen Klinsmanns radikalreformatorischen Anspruch vereint. Der beste Ort zwischen zwei Polen ist die Mitte. Klinsmanns maximierte Ansprüche sind auf den Ligaalltag nicht übertragbar. Aber das darf nicht bedeuten, dass man einfach weitermacht wie bisher, denn der deutsche Auftritt bei der WM hat sich als Offenbarung erwiesen. Um dies festzuhalten, braucht es auch keine pathetische Fortschrittsrhetorik. Ein Sieg gegen Argentinien würde helfen, aus dem Modell ein Versprechen für die Zukunft zu machen. Die Ligatrainer sollten sich nicht schämen, den fälligen Applaus zu spenden. Sie können mitgewinnen am Freitag.“

Zahl der Liebhaber wächst

Vor dem Spiel gegen Argentinien – Michael Horeni (FAZ) führt sich noch einmal die rasante Entwicklung der Deutschen vor Augen: „Im Berliner Olympiastadion findet, zumindest aus deutscher Sicht, schon ein gefühltes Finale statt – sportlich, psychologisch und perspektivisch. Vor zwei Monaten, ach, vor zwei Wochen noch wäre das Duell für die Gastgeber gegen das kombinierende Hochgeschwindigkeitskollektiv von Trainer Jose Pekerman als ein völlig unmögliches Unterfangen betrachtet worden. Aber das erstaunliche Sommerwachstum der Deutschen hat daraus ein Duell auf ‚Augenhöhe‘ werden lassen, wie Christoph Metzelder realistisch behaupten kann. (…) Über die argentinischen Stärken – das atemraubend schnelle Umschalten von Abwehr auf Angriff (und umgekehrt), die kühle Präzision im Paßspiel, dem mit Weltklassestürmern verschwenderisch ausgestatteten Sturm – verlieren die Deutschen nur die nötigsten, wenngleich ehrlich anerkennenden Worte. Aber viel lieber reden sie in diesen Tagen nur von sich und ihren Qualitäten. Und die Zahl ihrer Zuhörer und Liebhaber in der Fußballwelt wächst beständig.“

Auf rauen Pfaden zu den Sternen

Wie immer sehr lesenswert! Eine Portrait Miroslav Kloses als geerdeter Stürmer von Holger Gertz (SZ/Seite 3), der Klose schon vor einem halben Jahr eine herausragende Rolle an der WM prophezeit hat: „Was Klinsmann und sein Trainerstab mit ihnen gemacht haben, wie es ihnen gelungen ist, aus einer Loser-Mannschaft binnen Wochen ein Team werden zu lassen, dem viele alles zutrauen – es ist ein Geheimnis. Klar scheint zu sein, dass Klinsmann die Unterschätzung als Kraftquelle ausschöpft. Wer verhöhnt worden ist, oder wer nicht gesehen worden ist, der muss den Zeitpunkt erkennen, es den Kritikern zu zeigen. Sich beweisen wollen kann einen fliegen lassen. Per aspera ad astra, auf rauen Pfaden zu den Sternen. Der Zeitpunkt ist jetzt. Miroslav Klose, begabt und still, ehrgeizig und schüchtern, ist früher verhöhnt worden. Seine vielen Tore bei der vergangenen WM, was waren die wert, drei davon hatte er doch gegen Saudi-Arabien gemacht. Danach ist er übersehen worden, eigentlich bis zu dieser Weltmeisterschaft. Übersehen zu werden kann schlimmer sein als verhöhnt zu werden. Aber er hat es schon vielen gezeigt, den Jugendtrainern, die sein Talent nicht erkannt haben. Er hat die Zweifel wegtrainiert. Er hat es den Werder-Fans gezeigt, die seine Ablöse für zu hoch hielten. Klose kostete vor zwei Jahren fünf Millionen Euro, jetzt ist er das Sechsfache wert. Er hat es dem ehemaligen Bayern-Trainer Hitzfeld gezeigt, der ihn vor Jahren hätte holen können, aber lieber Roy Makaay wollte. Er hat es den Produktmanagern gezeigt, die vor der WM lieber mit Podolski und Schweinsteiger geworben haben und ihm erst jetzt die Bude einrennen. Poldi und Schweini sind die Helden der nabelgepiercten, über dem Steiß tätowierten Spaßgesellschaft, die im Stadion sitzt und ‚Viva colonia‘ brüllt, während die Schweiz sich gegen die Ukraine abmüht. Poldi und Schweini turnen durch die Träume der unruhigen Mädels, die sich ‚Mach mir ein Kind‘ auf den Bauch malen und aufgeregt kreischen, wenn die Kamera im Stadion ihr Bild auf den Videowürfel überträgt. Klose wirkt in diese Party-Gesellschaft wie hineinmontiert, gleichzeitig ist er im Moment ihr Zentrum. Er lässt die Massen toben, ausgerechnet er, Vater von Zwillingen, dessen Dialekt klingt wie der von Fritz Walter und der gerade vom ruhigen Bremen an den Stadtrand gezogen ist, weil es da noch ruhiger ist. Er hat es vielen gezeigt, aber es müssen immer noch welche überzeugt werden. (…) Manchmal sagt er Sachen, die nicht nach dem Klose klingen, der seine Karriere gebaut hat, ruhig und konzentriert wie ein Zimmermann einen Dachstuhl. Er hat Zimmermann gelernt. Er hat gesagt, Argentinien sei stark, ‚aber die haben leider das Pech, gegen uns zu treffen‘. Es klang gewollt martialisch. Klose sprach wie Mike Tyson, aber Klose sah wie Klose aus, und die Aussage verkehrte sich irgendwie ins Gegenteil. Es klang, als hätte ihm jemand den Auftrag gegeben, jetzt einen Spruch rauszuhauen. Klose hat inzwischen einen Medienberater, die beiden sollen geübt haben, wie man sich öffentlich verkauft, aber der sprechende Klose wirkt lange nicht so gefährlich wie der stürmende.“

Der erste Gang ist meistens in ein Nationalmuseum

Bemerkenswerte Sätze von Chefscout Urs Siegenthaler (FAZ) über seine Arbeit (um nicht zusagen: über seine Ästhetik): „Um ein Team wirklich beurteilen zu können, muß man auch kulturelle und politische Gegebenheiten eines Landes, eines Volkes und eines Menschen kennen. Erst dann bin ich in der Lage, diese Mitteilung zu geben, zu der ich stehen kann. Wir leben in einer Zeit, in der jeder sein Urteil über einen anderen ablegt, ohne ihn wirklich zu kennen. Ich habe Argentinien besucht. Der erste Gang ist meistens in ein Nationalmuseum. Das gibt mir den ersten Eindruck. Ich nehme jemanden mit, der sich auskennt, zu dem ich ein vertrauliches Verhältnis aufbauen kann. Ich will soviel wie möglich wissen über das Land, bis dahin, warum es Korruption gibt. Das sind Fragen, die sich auf Fußballspiele übertragen lassen. Zum Beispiel sagt es etwas darüber aus, in welchem Umfeld die Spieler aufwachsen. Diese kleinen Randgeschichten gewähren mir einen anderen Blick. Ich will mehr tun, als bisher in der Spielbeobachtung getan wurde. Enttäuschend für mich ist immer wieder, wie voreingenommen Menschen sein können. Wenn Sie nicht die Bereitschaft haben, gedankenneutral an eine Sache heranzugehen, dann sind Sie von Ihrer Vorgabe schon so gefesselt, daß Sie nur noch sehen, was Sie sehen wollen.“

FR-Portrait Michael Ballack, Diener der Mannschaft

SZ: Posieren auf dem Pausenhof – die DFB-Elf spielt mit ihren Muskeln und läßt es auch verbal ziemlich krachen

SZ-Interview mit Theo Zwanziger über den Bundestrainerposten

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