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Am Grünen Tisch

Wenig zu rütteln

Oliver Fritsch | Mittwoch, 5. Juli 2006 Kommentare deaktiviert für Wenig zu rütteln

Eine Sportrecht-Expertise in Sachen Frings-Sperre – Thomas Kistner (SZ) seziert die Argumentation und den Einspruch des DFB: „Für Sportjuristen wie den Marburger Strafrechtsprofessor Dieter Rössner wackelt die Position des DFB schon dort, wo er auf eine Tatsachenentscheidung des Referees Lubos Michel abhebt. Tatsache ist ja, dass Michel die Szene nach dem Spielende nicht sanktioniert hat, es liegt insofern eben keine Entscheidung vor. Dies aber setzt nicht automatisch alle ungeahndeten Vorgänge ins Recht – sonst gäbe es all die nachträglichen Verfahren mit Hilfe von TV-Bildern nicht, wie die jüngsten Sanktionen nach der WM-Qualifikationspartie Türkei–Schweiz. Beispielhaft für den Sinn der Tatsachenentscheidung ist auch das WM-Viertelfinale Italien–Spanien 1994, als Italiens Tassotti seinem Gegenspieler Luis Enrique per Ellbogenhieb das Nasenbein zertrümmerte, um einen Torerfolg zu verhindern. Statt des Führungstors für Spanien fiel im Gegenzug das 2:1 für Italien, gleich darauf war das Spiel vorbei. Die Fifa sperrte Tassotti für acht Spiele, der Ausgang der Partie blieb davon unberührt, obwohl er sichtlich durch das Foul beeinflusst war. Dies zeigt: Die Tatsachenentscheidung dient vor allem als Konstrukt, um den Spielausgang zu sichern. Die persönliche Verantwortung einzelner Spieler für individuelle Entgleisungen, die dem Referee entgehen, berührt sie nicht. Bleibt die spannende Frage, ob der DFB stärker auf andere Sachverhalte hätte zielen können? Dies legt die zerknirschte Reaktion der Fifa nahe. Inwieweit war die erste Mitteilung der Disziplinarkommission am Sonntag bindend? Rössner meint, dass solche offiziellen Feststellungen ‚normalerweise Rechtskraft‘ erlangen. Wie verhält es sich da mit dem Vertrauensgrundsatz? Oder war die Fifa-Erklärung, dass deutsche Spieler aus dem Schneider seien, nur Interpretation der Medienabteilung? Ein Feld, in das nicht vorgestoßen worden ist; das hätte den Fall ins Trudeln bringen können. Die Fifa, überrumpelt, will nun nachbessern. In der Uefa wirkt die Verfahrensordnung klarer, sie hat auch eine Anklage-Instanz. Für die mit medialer Unterstützung in Wallung gebrachte Fußballvolksseele gilt aber: Am milden Urteil für eine Tätlichkeit gibt es wenig zu rütteln. Wenn sich der Sport vor Tumulten schützen will, braucht er einen Sanktionsrahmen. Den muss er auch anwenden, sonst wird er unglaubwürdig.“

Tragische Zufälle

Christoph Biermann (SZ) fordert eine Änderung der Gelbsperrenregel: „Man will bei Weltmeisterschaften die besten Spieler der Welt auch wirklich sehen. Doch nach dem Halbfinale zwischen Frankreich und Portugal könnte es nun durchaus sein, dass das Endspiel ohne Patrick Vieira, Lilian Thuram oder Zinédine Zidane angepfiffen wird. Oder es fehlen bei Portugal Luis Figo, Ricardo Carvalho, Nuno Valente und Torhüter Ricardo, weil sie die zweite Verwarnung gesehen haben. Angesichts der vielen gelben Karten für leichte Vergehen besteht die Gefahr, dass im größten Fußballspiel, das es nur alle vier Jahre gibt, die größten Spieler wegen einer Lappalie nicht dabei sind [of: Man denke an Michael Ballacks erste Verwarnung im Achtelfinale der WM 2002]. Daher sollte sich die Fifa für ihre kommenden Turniere einen neuen Modus überlegen, nach dem es Sperren etwa erst nach der vierten gelben Karte im gesamten Turnier gibt. Das würde tragische Zufälle ausschließen.“

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