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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Trash Talker

Oliver Fritsch | Donnerstag, 13. Juli 2006 Kommentare deaktiviert für Trash Talker

Joachim Mölter (SZ) kommentiert Marco Materazzis Beleidigungen im WM-Finale: „In amerikanischen Profiligen ist der Trash Talk über das Stadium hinweg, das man als Affekt bezeichnen könnte – die Provokation wird gezielt eingesetzt, in entscheidenden Phasen, gegen entscheidende Spieler. Genau das werfen die Franzosen den Italienern vor: dass sie Zidane von Beginn des Finales an provozierten. Und genau wussten, was sie zu tun hatten. Zinédine Zidane hat fünf Jahre in Italien gespielt; er hat in dieser Zeit fünf rote Karten gesehen wegen seines Jähzorns. Zwei seiner ehemaligen Mitspieler liefen am Sonntag für Italien auf, Gianluca Zambrotta und Alessandro Del Piero. Aber alle Italiener kannten ihn und seine Reizbarkeit. Frankreichs Trainer Domenech unterstellte offen, dass Materazzi gezielt auf Zidanes Platzverweis hingearbeitet habe. In Amerika gibt es ja solche Profis, deren Aufgabe nur darin besteht, das Spiel des Gegners zu zerstören, auf welche Weise auch immer.“

Größter Triumphzug der Geschichte

Birgit Schönau (SZ) schreibt über den Römer Empfang der Weltmeister: „Erinnert sich noch jemand an Forza Afrika? Vor vier Wochen waren ein paar Römer auf die Idee gekommen, bei der WM Ghana, Angola, Togo, Tunesien und die Elfenbeinküste zu unterstützen. Bloß nicht die eigene Nationalmannschaft mit fünf Juventus- und Milan-Spielern, angeführt vom ehemaligen Juve-Coach Marcello Lippi. Also, man kann jetzt ganz offiziell feststellen: Forza Afrika ist nicht mehr. Irgendwo zwischen Achtel- und Viertelfinale verlorengegangen, wahrscheinlich aber viel, viel früher. Als diese Juventini und Milanisti nämlich aus Germania zurück in Rom ankamen, da war das wie Weihnachten, Ostern und das antike Wolfsfest Luperkalien zusammen. Der größte Triumphzug der Geschichte, nicht einmal Cäsar hatte nach seinem Siegen über die Gallier so viele Menschen zusammengebracht.“

Hoffentlich werden wir den Deutschen eines Tages ähnlich sein

Die spanische Zeitung Marca bewundert das gastgebende Deutschland: „Eine Weltmeisterschaft in der ersten Person zu erleben läßt Dich in den Genuß unvergesslicher Momente kommen, die auf dem kleinen Bildschirm weit entfernt bleiben: zu sehen, wie ein Volk wie das deutsche sich über seinen dritten Platz freut, auf die Straßen von Berlin springt und dadurch eine der großen Hauptstädte der Welt kollabiert, obwohl ihr Ehrgeiz war, Weltmeister zu werden. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn sie das Finale erreicht hätten. Auf jeden Fall hätte die Feier nicht größer sein können als das, was ich gesehen habe: Menschen, die sich in ihrer kollektiven Ekstase geradezu auf die Straßen warfen, bengalische Lichter, lange Autokorsos, die mit Pfiffen ihren Triumph feierten … Ich kann mir nicht einmal vorstellen, was in Spanien passiert wäre, wenn wir Dritter geworden wären, aber auf jeden Fall hätten wir aus dem Sieg nicht so eine Hingabe rausgeholt. Wahrscheinlich würden wir, wenn wir im Halbfinale verlieren würden, gleich sagen, daß es eine Niederlage war, und daß man ins Finale hätte kommen können. Ich weiß nur, daß Deutschland durchaus auf das Höchste hinaus wollte und den dritten Platz feierte wie einen Triumph über alle. Davon sollten wir lernen! Niemand rieb Ballack seine schlechte Partie gegen die Italiener unter die Nase, und keiner erinnerte mehr daran, daß Klinsmann in den USA lebt und das ein Problem für die Mannschaftsführung darstellt, niemand machte irgendjemandem Vorwürfe, man feierte einfach nur das Fest des Fußballs. Denn das ist, was hier einen Monat lang gelebt worden ist: ein wahres Fußballfest. Ein Land, das König Fußball ergeben ist und alles daran setzt, daß seine Besucher sich an seiner liebsten Leidenschaft mitfreuen. Ich hatte das Glück, beim Finale der letzten WM dabei zu sein, und muß sagen, die Deutschen haben die Japaner und die Koreaner mit beachtlicher Tordifferenz geschlagen. Und ich sage es noch einmal: Uns schlagen sie auch, indem sie sich mit ihrer Mannschaft freuen. Hoffentlich werden wir ihnen eines Tages ähnlich sein.“

Im Ausland ist man auf mich aufmerksam geworden

Urs Siegenthaler im FR-Interview über seine Arbeit als Taktikexperte und die (ehemaligen) Defizite deutscher Nationalspieler
FR: Viele Bundesligisten behaupten, sie würden vieles von dem, was bei der Nationalmannschaft praktiziert wird, längst machen.
Siegenthaler: Wenn ich meiner Frau erkläre, ich gehe seit 20 Jahren zum Musikunterricht, dann kauft sie mir irgendwann ein Klavier und sagt: „Dann spiel mir mal was vor!“ Dann antworte ich, das und jenes kann ich nicht. Dann fragt sie: „Ja, was hast du denn 20 Jahre lang gemacht?“ Ich höre immer: Das machen wir schon, das ist nicht neu. Dann kann ich nur entgegnen: Und warum haben wir solche Trainingsübungen wie in Genf machen müssen? Das haben wir gesehen: einfachstes Taktiktraining für die Innenverteidiger. Rein- und rausrücken, verschieben im Verbund. Das sah aus wie ein Abc-Kurs für Fußballprofis. Die Trainer – allen voran Joachim Löw – haben alles im Detail auch mit mir besprochen: Wir haben uns an der Realität orientiert. Wenn ich nicht gut Englisch kann, muss ich einfach anfangen: „Ich gehe zur Schule“ / „I go to school“. Da kann ich drauf aufbauen und dann weitere Sätze in Englisch bilden. Wir hatten keine kleinen Kinder vor uns, die noch nie gegen den Ball getreten haben. Aber es galt, das versteckte Können und Talent zu wecken. Es macht mich stolz, dass Per Mertesacker und Christoph Metzelder am Ende der WM die besten Zweikampfwerte aller Abwehrspieler hatten und zu den besten deutschen Spielern zählten.
FR: Die Bundesliga erweckt nicht den Eindruck, als sei sie offen für Entwicklungen.
Siegenthaler: Es braucht Kompetenz und Offenheit. Man muss sich selbst hinterfragen und auch selbst mal den Spiegel vors Gesicht halten. Dann erlangt man auch eine soziale Kompetenz. Wenn man die nicht hat, dann sagt man: „Das ist mir alles bekannt.“ Dann kommt man aber nicht vorwärts. In der Wirtschaft ist eine andere Vorgehensweise und Denkensart undenkbar.
FR: Haben Sie Anrufe von Bundesligatrainern erhalten?
Siegenthaler: Nein. Es gibt aber Anfragen aus dem Ausland. Dort ist man auf mich aufmerksam geworden.
FR: Sie würden weiter gerne im deutschen Fußball arbeiten, um bei der EM 2008 den Gastgeber zu ärgern?
Siegenthaler: Wissen Sie, ich habe die Autowerkstatt eingerichtet, ich habe alles Werkzeug mir besorgt, ich habe die ersten Aufträge bekommen und durfte die ersten Autos flicken. Jetzt wäre es schön, wenn ich mit diesen auch noch mal zwei, drei Jahre fahren dürfte.

Man hat mich als Wichtigtuer hingestellt

Pedro Gonzalez, dessen Doktorarbeit über das Konditionstraining in der Bundesliga im letzten Herbst viel Wirbel verursacht hat, sieht sich durch die WM bestätigt: „In Sachen Fitness ist Italien hervorragend aufgestellt. Was beim DFB vor der Ära Klinsmann kaum beachtet wurde, ist dort seit langem gang und gäbe. In Italien gibt es eine spezielle Ausbildung für Fußball-Fitness-Trainer, eine Fachlizenz. Das gibt es in Deutschland nicht. Es gibt in Florenz ein nationales Fußball-Forschungsinstitut. Die Italiener haben früh erkannt, wie wichtig das Thema Fitness und Leistungsdiagnostik ist. In der Serie A hat jeder Klub mindestens einen Fitness-Trainer, eine ganze Reihe hat zwei, die großen wie AC Mailand haben sogar drei. Da hinkt die Bundesliga weit hinterher. Wie meine Untersuchung ergab, hat bei uns nur die Hälfte der Vereine einen Fitness-Coach. Hier gibt es immer noch Trainer, die glauben, einer allein kann alles trainieren: Taktik, Technik, Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit. Wenn man manche reden hört, meint man, sie könnten sofort als Professor an die Uni gehen. Auch die Italiener haben im Jahr vor der Weltmeisterschaft alle sechs oder acht Wochen normierte Fitnesstests gemacht, man muß beinahe von ganzen Testbatterien reden. Was noch auffiel: Sie haben sehr stark nach individuellen Plänen trainiert, in kleinen Gruppen. Zusammen gespielt haben sie meist nur eine oder anderthalb Stunden am Tag. Zu ihrem Betreuerteam gehörten vier Fußballtrainer, zwei Fitness-Trainer, zwei Ärzte, ein Ernährungsberater und drei Physiotherapeuten. Aber der Aufwand hat sich ja gelohnt, nicht nur bei den Italienern. Die Nationen, die sich akribisch und mit wissenschaftlicher Unterstützung auf die WM vorbereitet haben, sind jedenfalls weit gekommen. Das kann kein Zufall sein. Auch einige kleinere Fußballnationen wie die Ukraine oder Ecuador waren übrigens athletisch erstaunlich gut ausgebildet. Manche haben es allerdings übertrieben. Costa Rica hatte während der WM drei Trainingseinheiten pro Tag. Das war eindeutig zuviel des Guten. Die Brasilianer haben offenbar gedacht, mit ein bißchen Ball hochhalten könnten sie Weltmeister werden. Auch die Engländer waren physisch nicht auf der Höhe. Daß die Nationalmannschaft fit war, lag vor allem an Klinsmann und an seinem Betreuerstab. Professor Kindermann, der Internist des Nationalteams, hat es doch bestätigt: Die Fitness-Werte waren vor der WM-Vorbereitung schlecht. Es muß sich ganz oben etwas ändern, im DFB und in der DFL. Die Ausbildung der Trainer muß verändert werden. Die Themen Fitness und Leistungsdiagnostik muß man neu aufrollen. Man hat mich als Wichtigtuer hingestellt, als ich meine Untersuchung vorgestellt habe. Die gleichen Leute waren es, die Klinsmann belächelt haben. Doch jetzt hat Klinsmann die Entwicklung zum Hochleistungssport hin angestoßen. Die Welle läßt sich nicht mehr aufhalten.“

Weltwoche: Die WM der Westeuropäer

WM-Geschichten der FR-Reporter

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