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Bundesliga

Realitätsschock

Oliver Fritsch | Montag, 25. September 2006 Kommentare deaktiviert für Realitätsschock

Enttäuschung über einen Spieltag ohne Höhepunkte / Bayern sucht nach wie vor Ordnung und Hierarchie / Zufriedenheit in Bremen und Hamburg nach dem 1:1 / Schalker Rührstück / Mißtrauen in Stuttgart gegen Armin Veh

Gerd Schneider (FAZ) gibt am 5. Spieltag den Wunsch endgültig auf, die Bundesliga würde sich von der WM inspirieren lassen: „Der Abpfiff der zauberhaften Weltmeisterschaft ist noch nicht einmal drei Monate her. Aber gefühlt könnte es schon ein Jahr her sein oder länger. Erst recht nach einem tristen, niveauarmen und unspektakulären Spieltag wie diesem. War es blauäugig zu hoffen, es ließe sich in den Ligabetrieb etwas hinüberretten von dem Schwung und der Frische, die die Nationalelf unter Klinsmann verbreitet hat? Vielmehr machen die Klubs dort weiter, wo sie in der vergangenen Saison aufgehört haben, als wäre dazwischen nichts gewesen. Daß etwa Branchenführer Bayern auf dem Spielfeld leuchtende Vorstellungen gab, liegt lange zurück.“ Schneiders Ausweg ist die Melancholie, also Sönke Wortmanns WM-Film: „Es war eine Illusion, darauf zu hoffen, dem großen Sommermärchen könnte ein kleines Spätsommermärchen folgen. Erstaunlicherweise scheint das Liga-Einerlei die zahlende Kundschaft (noch) nicht zu stören. Romantischen Naturen, die den Realitätsschock noch nicht überwunden haben, bleibt ja noch der Gang ins Kino.“

Jan Christian Müller (FR) hakt ein: „Die taktisch auffälligste Neuerung der WM – ein einziger hoffnungsloser Stürmer zugunsten einer dichteren Defensive – wurde glücklicherweise nur selten zum Vorbild genommen.“ Er findet aber ebenso wenig Gefallen an den Spielen: „Dennoch ist dabei bislang kaum attraktiver Fußball herausgekommen.“

Nach wie vor auf der Suche nach einer Hierarchie

Philipp Selldorf (SZ) spürt eine anhaltende und offenbare Distanz zwischen der Bayern-Führung und Felix Magath, nachdem Karl-Heinz Rummenigge die Arbeit des Trainers letzte Woche erneut, dieses mal aber nicht nur indirekt in Zweifel gezogen hat: „Zu seiner Position in München hat Magath ein fatalistisches Verhältnis entwickelt. Eine innere Distanz, die es ihm erlaubt, die Phänomene des Saisonverlaufs, die guten und die schlechten, in stoischer Beherrschtheit zu ertragen. Als ob er dem Glaubenssatz folgen würde: Irgendwann setzen sie mich sowieso vor die Tür. Es handelt sich um eine Magathsche Wandlung des arabischen Inschallah – so Gott will. Daß man auf diese Situation zusteuert, ahnen spätestens seit Frühling alle Beteiligten: Rummenigge, Hoeneß und Magath. Niemand spricht es aus, aber jeder glaubt: Es wird passieren.“

Beim 2:1 gegen Aachen beanstandet Thomas Becker (FR) die Feigheit des Bayern-Trainers: „Magath trug zum Verwaltungskick bei: wechselte in Minute 65 den aktivsten Spieler Schweinsteiger aus, um nicht Scholl oder Karimi oder dos Santos, sondern, Demichelis, einen Ergebnishalter, zu bringen. Gegen einen Klub, der zuletzt vor 36 Jahren Bundesliga gespielt hat, beginnt der Rekordmeister eine halbe Stunde vor Abpfiff mit der Ergebnissicherung, weil es angeblich immer schon so war bei den Bayern – Magath muß sich nicht wundern, daß seine Statements zuletzt immer öfter von ungläubigem Stirnrunzeln begleitet werden.“ Elisabeth Schlammerl (FAZ) sucht nach einer Erklärung für die Kraftlosigkeit der Bayern und schließt zwei populäre Gründe aus: „Das reinste Vergnügen ist der FC Bayern in dieser Saison wahrlich noch nicht. An der Mehrfachbelastung liegt es sicher nicht, weshalb der FC Bayern derzeit weit entfernt ist von den Ansprüchen der Öffentlichkeit und den eigenen. Die verkorkste Vorbereitung nach der WM mag vielleicht immer noch eine kleine Rolle spielen, aber ausschlaggebend dürfte eher sein, daß die Mannschaft nach wie vor auf der Suche nach einer Hierarchie ist, nach einer neuen Ordnung, einem neuen System.“

Mach dies, mach jenes, stell dich hierhin, spiel nach dort!

Unentschieden im Spiel zweier hinkender Bayern-Konkurrenten – doch das 1:1 „wird in Hamburg und in Bremen als Schritt aus der Krise gewertet“ (SZ) und „als Gewinn verbucht“ (FAZ). Roland Zorn (FAZ) verweist auf den Widerstand und die Härte, denen sich die beiden Teams ausgesetzt gesehen haben: „Es ging in der milden norddeutschen Spätsommerluft im Zweifel rauh und wenig herzlich zu. Immerhin glaubten schließlich sowohl die aggressiveren Hamburger als auch die kühleren Bremer eine wichtige Etappe auf dem Weg zur wochenlang vermißten mannschaftlichen Geschlossenheit hinter sich gebracht zu haben. Hamburg und Bremen leisten einander Aufbauhilfe Nord.“

Viele Umarmungen erhält der Hamburger Neue, Juan Pablo Sorin; Axel Kintzinger (FTD) schreibt: „Daß ausgerechnet Frings und Sorin die besten Spieler auf dem Platz waren und sich auch in den Zweikämpfen untereinander nichts schenkten, ließ eine schöne Erinnerung aufkommen an den herrlichen WM-Sommer und an das Viertelfinale Deutschland gegen Argentinien, in dem diese beiden auch schon die besten waren. Und danach federführend ein Handgemenge betrieben, das für Frings und die deutsche Nationalmannschaft fatale Folgen haben sollte.“ Die Eindeutschung des Bremer Neuen, Diego, erweise sich jedoch als Zwang und Einengung: „Diego, der Künstler, ist verunsichert. Während des Spiels reden seine Kollegen dauernd auf ihn ein: Mach dies, mach jenes, stell dich hierhin, spiel nach dort! Das Ergebnis war, daß auch dieses Spiel wieder weitgehend vorbeilief an Diego. Kopf der Bremer Mannschaft ist eindeutig Frings. Aber kann ein übellauniger Leader die Elf zu Höhenflügen animieren?“ Jörg Marwedel (SZ) fügt hinzu: „Die angeblich fortgeschrittene Integration des Brasilianers Diego hat vor allem darin bestanden, daß der intern hart gescholtene Spielmacher die Bälle brav beim Oberkritiker Frings ablieferte und sich sonst wenig zutraute.“

Eine Randnotiz, über die heute fast jede Zeitung den Kopf schüttelt: Der HSV-Stadionsprecher Lotto King Karl, der „grenzdebile Koksbarde“ (taz), ist seiner Pflicht, die Hamburger Fans dazu aufzufordern, es sein zu lassen, mit Schnapsfläschchen den Bremer Torwart zu bewerfen, mit dem Gag nachgekommen: „Bitte keine Getränke mehr an Herrn Wiese verabreichen!“ Oskar Beck (StZ) ärgert sich: „Wir wissen nicht, wo die Hamburger diesen Stadionsprecher gefunden haben – aber auf jeden Fall sollten sie ihn schnell wieder zurückgeben. Vielleicht kriegen sie noch Pfand.“

FR: Erhöhte Aggression beim Nordderby und ein bemerkenswertes Debüt von Sorin

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