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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Fortsetzung: Der Egon Krenz des deutschen Sportjournalismus

Oliver Fritsch | Freitag, 29. September 2006 Kommentare deaktiviert für Fortsetzung: Der Egon Krenz des deutschen Sportjournalismus

In der vorletzten Ausgabe wendet die Sport Bild nun ihre Hälse: „Wo sind sie nun, die Erben? Also Bundesliga-Klubs, die ihre internationale Konkurrenz in Erstaunen versetzen wie das DFB-Team im Sommer? Es ist ein Jammer, daß die Euphorie an manchen spurlos vorübergegangen ist“, beschwert sich die Zeitung, an der die sommerliche Klinsmann-Euphorie spurlos vorübergegangen ist. „Wo bleibt sie, die Fortführung des neuen deutschen Spiels? Wo der Offensivgeist, wo der hemmungslose Optimismus?“, fordert der ehemalige Generalsekretär des deutschen Pessimismus. Mit Blick auf die Europacupspiele (der ersten Runde) heißt es: „Die deutschen Auftritte waren nicht nur größtenteils erfolglos, nein, sie waren uninspiriert, ohne erkennbaren Plan und Ziel, also völlig frei von allem, wofür Jürgen Klinsmann und Joachim Löw stehen. Haben Sie vor dem Europapokalstart einen deutschen Trainer gehört, der gesagt hat: ‚Egal, wie schwer es ist, wir wollen den Wettbewerb gewinnen!‘?“ Wo er recht hat, hat er ja recht; doch wie oft packte die Sport Bild Klinsmann am Kragen und drängte ihn zur Revision seines Ziels, Weltmeister zu werden? Und wie gerne hätten sie ihn nach einem Ausscheiden im Achtelfinale dafür ausgelacht!?!

Selbst im Zurückrudern kann man zu weit gehen

Der Kommentar zum Hockey-WM-Titel im Innenteil muß ein Selbstgespräch sein, eine Selbstgeißelung, eine Beichte in der dritten Person: „Im Gegensatz zu den Fußballern sind die Hockey-Männer Weltmeister geworden und zum zweiten Mal in Folge bestes Team der Welt. Und beide Male hieß der Bankverantwortliche Bernhard Peters. Jener Mann, den man im DFB vor der Fußball-WM abgelehnt hat. Wegen vor allem im Fußball gern gepflegter Borniertheit, daß Vergleiche mit anderen Sportarten unzulässig seien und insofern kein Beratungsbedarf bestehe – erst recht nicht von einem Hockeytrainer. Die vielen ach so irren Personalien, die Klinsmann dennoch durchsetzte, sind längst kleinlaut für gut befunden worden. Bei Peters hätte man wohl auch Abbitte geleistet. Vielleicht wäre Deutschland 2006 mit ihm als Berater sogar zweimal Weltmeister geworden: im Hockey und im Fußball.“ Wer die verächtlichen Kommentare der Sport Bild gegen Peters oder (vor allem) gegen Mark Verstegen, auf den hier angespielt wird, auch nur schemenhaft in Erinnerung hat, dem dürfte man an dieser Stelle ein vorsichtiges Einhaken nicht verwehren. Mal abgesehen davon, daß nie geplant war, Peters vor der Fußball-WM einzubinden, sondern erst jetzt – nach der Hockey-WM. Selbst im Zurückrudern kann man zu weit gehen.

Worauf wir uns in nächster Zeit freuen? Auf den Kommentar Peter Neururers oder eines anderen eitlen Vogels über die Kabinenansprachen Klinsmanns, die in Sönke Wortmanns Sommermärchen wohl von Millionen bestaunt werden. Werden wir den Satz hören: „Das mach ich doch schon seit Jahrzehnten (wahlweise auch: nicht mehr) so!“?

SZ: Robert Enke wahrscheinlich dritter Torhüter, Timo Hildebrand wird nach seinem Einsatz gegen Georgien um seinen Platz kämpfen müssen

Jugendstil mit viel Tamtam

Peter Heß (FAZ) kommentiert den angeblichen Bundesliga-Trend zu jungen Deutschen, wie ihn die DFL soeben verkündet: „Mancher Verein wurde durch die finanzielle Not zum Jugendstil gezwungen. Einige stiegen ab, wie Kaiserslautern in der vergangenen Saison, als die Pfälzer spät mit dem eigenen Nachwuchs versuchten, den Rückstand wettzumachen, den das Legionärsteam herbeigeführt hatte. Aber es gibt Gegenbeispiele wie den VfB Stuttgart vor einigen Jahren oder wie derzeit die Frankfurter Eintracht und Hertha BSC – Mannschaften mit einem stark regionalen Charakter, die erfolgreich spielen. Und natürlich ist Klinsmanns Nationalmannschaft das beste Beispiel dafür, wie weit es deutsche Spieler bringen können, wenn man sie fördert und läßt.“ Christoph Biermann (11 Freunde) stellt klar: „Den Weg der Jugend zu gehen, versucht hierzulande konsequent nur ein einziger Verein: Der SC Freiburg definiert sich als Ausbildungsklub, und im Profikader stehen derzeit ein Dutzend Spieler, die aus der eigenen Fußballschule kommen. Ob das für den Bundesligaaufstieg reicht und ob die Fans unerfahrenen Spielern aus eigener Jugend auch langfristig Fehler verzeihen, muß sich noch weisen. Aber in der Zwischenzeit macht bestimmt ein anderer Klub mit viel Tamtam auf seinen ‚Jugendstil‘ aufmerksam. Nur, wie steht es eigentlich um die Finanzen, Hertha BSC?“

NZZ: Sportmedizin: Über die hohe Bedeutung der Ausdauer im Fußball

Zeit: Ein Interview mit dem selbstgerechten Johannes Kerner über die Kritik des ZDF an seinen Werbeverträgen und der „Kernerisierung“ des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, der Kernerisierung, die man neulich wieder im ZDF-Sportstudio beobachten konnte: Joachim Löw ist zu Gast, und Kerner umschifft jedes heikle Thema: Verhältnis zu Sammer, Kooperation mit der Liga, Verhältnis zu den Medien, mögliche Vorbehalte gegen ihn wegen seiner „Verwandtschaft“ mit Klinsmann. Stattdessen reden Sie über – ja worüber eigentlich? Gefühle bei der Nationalhymne? Kochrezepte? Ich weiß es nicht mehr.

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