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Am Tropf des Kremls

Oliver Fritsch | Dienstag, 10. Oktober 2006 Kommentare deaktiviert für Am Tropf des Kremls

Das bevorstehende Geschäft zwischen Gasprom und Schalke weckt die Skepsis und eine diffuse Furcht in der deutschen Presse; sie warnt vor dem russischen Versuch, ungebeten Einfluß zu nehmen

Die Russen kommen – wie oft und in wievielen Zeitungen haben wir in den letzten Tagen diese mahnende Schlagzeile gelesen? Das Erdgasförderunternehmen Gasprom, eine Aktiengesellschaft die mehrheitlich in Staatshand ist, steigt sehr wahrscheinlich als generöser Hauptsponsor bei Schalke 04 ein. Das Geschäft soll am Rande des Treffens zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin in Dresden verkündet werden.

Vor dem wachsenden Einfluß russischer Geschäftsleute auf Europas Fußball hat die deutsche Presse in den letzten Monaten häufig gewarnt, allerdings eher aus der Distanz, beschränkte sich das Zugriffsgebiet schließlich hauptsächlich auf England. Daß nun ein deutscher Verein beteiligt ist und daß die Politik ins Spiel kommt, beunruhigt die Kommentatoren. Bisher finden sie jedoch keine handfesten Anhaltspunkte zur Kritik; doch aus den Texten sprechen Skepsis und Mißtrauen, auch gegenüber dem „lupenreinen Demokraten“ Putin und dessen Ansicht von der Meinungsfreiheit.

Image-Politur

Klaus Hoeltzenbein (SZ) argwöhnt, daß sich Šалке für Verschleierung hergeben könnte: „Posdrawlenie! Glückwunsch!, Schalke, das muß man erst einmal schaffen, die Weltpolitik derart auszuspielen, daß vor dem 6. Petersburger Dialog ein notleidender Bundesligist die Nachrichtenspalten füllt. Und damit alles in den Hintergrund drängt, was sonst noch – und viel weiter oben – auf der Tagesordnung steht: die Terrorismusfrage, die Beziehung zwischen Rußland und der EU, die Pressefreiheit nach dem Mord an der populären Journalistin Anna Politkowskaja oder die Energiepolitik. Da sind die Schalker eigentlich Randfiguren, aber nicht wenigen werden sie als Tarnung willkommen sein, wenn der Klub verkündet: Die Quelle, von der jeder Darbende träumt (Schalkes Verbindlichkeiten werden auf plusminus 200 Millionen Euro geschätzt), ist angezapft, Gasprom, der russische Mischkonzern für Gas, Öl und sonstige Macht- und Wirtschaftsfragen, sprudelt in Kürze als Trikotsponsor herein. Womit schon bei Verkündung des für die Bundesliga so revolutionären Geschäfts ein erster Zweck erfüllt wird: eine Image-Politur für den Konzern. (…) Schalke hängt künftig am Tropf des Kremls.“

Russen kommen immer durch die Hintertür

Richard Leipold (FAZ) hat sich in der Fußballszene umgehört und referiert Warnungen: „Skeptiker halten die Verbindung für riskant, weil russischen Unternehmen mitunter ein rabiates Geschäftsgebaren nachgesagt wird. Formaljuristisch scheint diese Sorge aufgrund des deutschen Vereinsrechts unbegründet. Schalke ist keine Kapitalgesellschaft, sondern ein eingetragener Verein, der nicht ohne weiteres übernommen werden kann wie etwa ein börsennotiertes Unternehmen.“ Aber es seien warnende Stimmen vernehmen: „Ein Hauptsponsor hat praktisch immer die Möglichkeit, Einfluß auszuüben“, zitiert Leipold einen anonymen Bundesliga-Manager: „Je größer die Summen sind, desto größer die Gefahr der Einflußnahme. Die Russen kommen immer durch die Hintertür, niemals durch den Haupteingang.‘“

Daniel Theweleit (BLZ) grübelt über das Vorhaben Gasproms: „Was will Gasprom in Gelsenkirchen? Der Konzern kann in Deutschland erst Gas an den Endverbraucher verkaufen, wenn der Energiemarkt weiter liberalisiert wird, weshalb sich sofort Befürchtungen regten, Gasprom könne sich neben den Brustflächen der Trikots auch Einfluß im Klub zusichern lassen.“ Doch über Wingas, ein Gemeinschaftsunternehmen von Gasprom und der BASF-Tochter Wintershall, liefert Gasprom zumindest an viele deutsche Stadtwerke und Gasunternehmen.

Christian Eichler (FAZ) gibt zu bedenken: „Die Kombination aus der Höhe russischer Zuwendungen und der Höhe Schalker Schulden wird den Verdacht einer größeren Einflußnahme nicht so schnell zerstreuen.“ Mit Blick auf das Ausland beleuchtet Eichler die Gründe der russischen Geldgeber, indem er sie mit den amerikanischen vergleicht: „Der Trend geht zum russischen Fußball-Imperium mit Klubs in mehreren Ländern. Weil die Regeln das verhindern sollen, dürften Bieter mehr und mehr im Hintergrund agieren. Während die amerikanischen Investoren, Malcolm Glazer bei Manchester United und kürzlich Randy Lerner bei Aston Villa, auf Rendite setzen, schwingt bei russischen Käufern mehr mit. Sähe Abramowitsch in Chelsea nur ein Geschäft, es wäre wohl das schlechteste, seit die Russen Alaska an die Amerikaner verkauften. An die 700 Millionen Euro hat es ihn bisher gekostet. Über die Motive schweigt er. Die häufigste Vermutung besagt, er habe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: ein Hobby, das ihm Trophäen und die Nähe zu Fußballstars beschert; und eine Art Lebensversicherung, die ihn durch Präsenz und Prominenz im Westen vor dem Zugriff der russischen Staatsmacht schützt.“

FAS: Bestürzt sind deutsche Manager von übernommenen Firmen, wenn sie mit dem russischen Führungsstil in handfesten Kontakt kommen
SZ: Über die Rolle Gerhard Schröders bei der Einfädlung dieses Deals und seinen „Verrat“ an einem seiner Lieblingsvereine Borussia Dortmund
FR/Hintergrund: Russische Wirtschaft drängt auf Westeuropas Märkte – der Einstieg des Energie-Riesen Gasprom bei Schalke 04 ist das jüngste Engagement von russischen Unternehmen in Deutschland. Moskau wünscht mehr Investitionen heimischer Firmen im Westen

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