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Bundesliga

Sieben Monate im finstren Tal

Oliver Fritsch | Dienstag, 24. Oktober 2006 Kommentare deaktiviert für Sieben Monate im finstren Tal

Daß sich Hamburgs Trainer nach dem 2:1 in Leverkusen bei seinen Vorgesetzten Bernd Hoffmann und Dietmar Beiersdorfer bedankt, sie aus der Schußlinie nimmt und sich selbst in die Verantwortung für die gemachten Fehler einschließt, wertet Richard Leipold (FAZ) als Charakterstärke und als Indiz für das ungewöhnliche Vertrauen in der Hamburger Führung: „Thomas Doll wußte, bei wem er sich zu bedanken hatte: bei zwei Männern, die seine Kreditlinie stets verlängert hatten. Die beiden Vorstandsmitglieder sahen sich heftiger Kritik ausgesetzt, weil sie frühere Leistungsträger hatten ziehen lassen, ohne sofort gleichwertigen Ersatz parat zu haben. Unter diesen Umständen haben die sogenannten Mechanismen der Branche diesmal nicht gegriffen. Hier war ausnahmsweise nicht der Trainer das schwächste Glied in der Kette der Unzulänglichkeiten. Die Fans hätten ihn ‚rausgenommen aus der Kritik‘, sagt Doll. Das habe ihn einerseits gefreut, andererseits habe er es als ungerecht empfunden, weil er die Personalpolitik des Vorstands mitgetragen habe. Der Trainer als Fürsprecher seiner Vorgesetzten – dieses vorläufige Ende der Krise unterscheidet die Lage beim HSV von den gewöhnlichen Szenarien, die nach anhaltendem Mißerfolg entstehen.“ Zudem unterstreicht Leipold Dolls Ehrlichkeit und den Verzicht auf Larmoyanz: „Auch deshalb mögen Doll die Herzen zufliegen, auch außerhalb Hamburgs. Er weiß, was er kann und was er sagt, und er hat auch in schwachen Momenten der Versuchung widerstanden, in Selbstmitleid zu versinken: etwa als neben den verkauften auch noch verletzte Leistungsträger ausfielen.“

Ulrich Hartmann (SZ) hält den ersten Hamburger Saisonsieg für Legendenstoff: „Manchmal schreibt der Fußball Geschichten von biblischem Charakter. Es geht dann um Schuld und Sühne, Glaube und Erlösung. Wenn aufrechte Männer einem schlimmen Martyrium entkommen und ihr festes Vertrauen an eine übergeordnete Gerechtigkeit zum rettenden Faktor stilisieren, dann handelt es sich entweder um ein Gleichnis – oder um eine Anekdote aus der Bundesliga. Die wackeren Helden des Hamburger SV haben solch ein Martyrium durchlitten. Beinahe sieben Monate lang wandelten sie durchs finstre Tal und verloren beinahe ihren Glauben, doch in letzter Sekunde wurden sie entschädigt für all die Momente des Leidens.“ Ein wenig Haarspalterei an dieser Stelle: Ein Martyrium enthält, im theologischen Sinne, den Aspekt der Freiwilligkeit. Hartmann beim Wort genommen, ließe diese These eine neue Deutung der Hamburger Sieglosserie zu (die so sieglos, wir wiesen darauf hin, nie war, sonst hätte der HSV nicht im August die Qualifikation für die Champions League geschafft).

BLZ: Hamburger Seligkeit nach dem 2:1 in Leverkusen

Sie sind gerecht, sie teilen die Punkte, so oft es geht

2:2 im Heimspiel gegen Nürnberg, doch Frohsinn in Frankfurt – Ralf Weitbrecht (FAZ) hebt die neue hessische Bescheidenheit hervor: „Die Eintracht scheint aus der Vergangenheit gelernt zu haben, und es entspricht den von Vorstandschef Bruchhagen vorgegebenen Geschäftsgrundsätzen, sportlich dezent und mit wohltuender Bescheidenheit aufzutreten. Daß der Klub erstmals seit elf Jahren wieder in drei Wettbewerben steht, wird dankend angenommen. Erstaunlich ist dabei, daß sich das von Funkel angeleitete Team auf einem konstanten Niveau bewegt. Bundesliga-Durchschnitt nur, ‚doch mir macht es Spaß, dieser Mannschaft zuzuschauen‘, sagt Trainer Funkel. Den Zuschauern wohl auch, denn seitdem sie in Frankfurt durch den Neuaufbau über eine konkurrenzfähige Arena verfügen, strömen die Massen. Das Duell der beiden Remis-Spezialisten wollten 50.300 Zuschauer sehen. Eine starke, beeindruckende Kulisse, passend zu einem Spiel, das abwechslungsreich war und von beiden mit hoher Intensität geführt wurde.“ Andreas Burkert (SZ) hat ein großes Lob für die Nürnberger übrig: „Natürlich kann der Club nicht konkurrieren mit den Größen der Szene, er ist ja weiterhin sehr darauf bedacht, die Altschulden zu tilgen. Doch auch in Frankfurter zeigte er gegen leidenschaftlich kämpfenden Gastgeber und einen lauten Chor aus 50.000 Stimmen, welche Spielkultur in seiner Mannschaft steckt. Reif und modern kombininierte er sich vorbei an wild entschlossenen Hessen.“

Andreas Lesch (BLZ) hingegen verweist auf die Gefahr der Frankfurter und Nürnberger Eichhörnchentaktik: „Die zwei Remis-Könige verdienen Mitleid. Sie demonstrieren die Kontinuität, die andere sich wünschen – aber ihre Serien werden als Langweiler verschmäht. Sie tun keinem weh, sich selbst nicht und nicht dem Gegner, sie sind gerecht, sie teilen die Punkte, so oft es geht – aber niemand schlägt sie für einen Fair-Play-Preis vor. Sie beruhigen die Gemüter, sie machen die Liga gemütlich, sie sorgen dafür, daß jeder sich mit jedem versteht. Sie sind der perfekte diplomatische Dienst. Und dann wird die Saison zu Ende sein, die Nürnberger werden 32 Unentschieden gesammelt haben und die Frankfurter 33. Die Remis-Könige werden sich erinnern, daß es da diese dumme Drei-Punkte-Regel gibt, die das Unentschieden so gar nicht honoriert. Sie werden schreckerfüllt auf die Tabelle starren, und wenn sie Pech haben, werden sie ihre Serien bald neu beginnen können: in der zweiten Liga.“

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