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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Deutschland den Deutschen, Sachsen raus!

Oliver Fritsch | Donnerstag, 16. November 2006 Kommentare deaktiviert für Deutschland den Deutschen, Sachsen raus!

Peter Richter (FAS/Feuilleton) reagiert auf die Empörung der Sport Bild, die in ihrer Ausgabe vom letzten Mittwoch die „Fan-Hölle“ von Dresden entdeckt haben will. Richter schreibt: „Das hätte man aber auch schon vor zwanzig Jahren schreiben können, denn das, liebe Sport-Bild, war nie anders. Die Berliner haben in Dresden immer Südfrüchte geworfen und dafür Steine geerntet. ‚Wir haben Bananen und ihr nicht‘, war zwar als Beschreibung der Versorgungslage korrekt, wirkt als Fußballgesang aber bis heute als Hohn. Bei den Berlinern hieß es immer ‚Deutschland den Deutschen, Sachsen raus!‘ – und die Antwort der Dresdner lautet seit Menschengedenken, Erich Mielke sei homosexuell sowie ‚Juden-Berlin‘. Aber ein Berliner kann sich eigentlich nur dann davon beleidigt fühlen, wenn er entweder Berlin oder eben Juden überhaupt als Schimpfwörter erkennt und akzeptiert.“ Zwar ist Richter weit davon entfernt, die Fan-Blöcke zu romantisieren, doch warnt er davor, sie als Keim des Bösen zu verteufeln: „Spieltage sind Tage, an denen Menschen, die es ohnehin schon nicht leicht haben, sogar ihr eigenes Niveau sowie die letzten zivilisatorischen Standards, die ihnen im Gedächtnis geblieben sind, noch einmal mutwillig unterlaufen. Für die Suche nach den Quellen des Antisemitismus sind die Stadien trotzdem der falsche Ort, denn dort wird immer nur ausgebeutet, was das Wertesystem der Welt draußen so hergibt. Und das sollte einem vielleicht noch mehr Angst machen als neunzig Minuten in der Fan-Hölle von Dynamo.“ Die Frage, die dieser Text uns Lesern auch auferlegt: Wer ist näher dran am Fußball und den Fußballfans – die Sport Bild oder das Feuilleton?

Sportgerichte sind für den Kampf gegen Rassismus ungeeignet

Eine Leserzuschrift von Malte Zander aus Magdeburg: „Zur Berufung des Halleschen FC und den Kommentar in der Berliner Zeitung muß ich mich zu Wort melden. Zunächst sei vorausgeschickt, daß ich als Fan des 1. FC Magdeburg keinerlei Sympathien für den Erzrivalen HFC hege, noch große Zuneigung für Dynamo Dresden verspüre. Gewalt und Rassismus ekeln mich an, egal wo sie stattfinden. Dennoch empfinde ich es als richtig, wie das Sportgericht des NOFV in seiner Berufungsverhandlung entschieden hat. Zunächst noch einmal zurück zu den Ereignissen von Leipzig. Dort haben offenbar Anhänger des HFC den Leipziger Spieler Ogungbure rassistisch beleidigt. Solche Vorkommnisse sind zu verurteilen, aber auch die gesamte Situation zu berücksichtigen. Die Presse geht nicht auf die Behauptung von Augen- und Ohrenzeugen ein, wonach große Teile des anwesenden HFC-Anhangs versucht hätten, die Rufer zum Schweigen zu bringen, oder die anwesenden (Leipziger) Ordner dazu aufzufordern, die Rufer aus dem Stadion zu entfernen. Beides ist nicht geschehen, und hier liegt ein Versagen der Ordner vor. Dabei ist selbstverständlich anzuerkennen, daß die ihnen dort gestellte Aufgabe keine leichte gewesen wäre, aber für Aufgaben, die der Ordnungsdienst nicht lösen kann, gibt es ja auch noch die Polizei. Dennoch gelang es nicht, die Rufer aus dem Stadion zu entfernen, noch sie einwandfrei zu identifizieren. Darauf, daß die Aufdeckung der Vorfälle unter recht merkwürdigen Umständen vonstatten ging (es geht das Gerücht, zu den Vorfällen habe sich nichts im Spielbericht gefunden, und auch der Spielbeobachter der NOFV habe sie nicht registriert), möchte ich hier nicht weiter eingehen. Was folgte, war eine Sportgerichtsverhandlung, in der der HFC zur Austragung eines ‚Geisterspiels‘ verurteilt wurde, und die Auflage erhielt sicherzustellen, ‚daß es auf den Rängen keine fremdenfeindlichen Bekundungen gibt‘.

Die konkrete Umsetzung wurde jedoch dem chronisch klammen Oberligisten überlassen. Zusätzlich gab es noch eine Geldstrafe in Höhe von 2.000 Euro. Die Interpretation der Auflage ist schwierig, ich halte sie für schwammig formuliert, daß sie auch zur Spielmanipulation ausgenutzt werden könnte. Zumindest ist mir nicht bekannt, daß es sich nur auf die Fans des Halleschen FC beschränkt, sondern es erstreckt sich meiner Ansicht nach auf die Geschehnisse bei allen Spielen des Vereins, sowohl daheim als auch auswärts. Ich bin vielleicht nicht phantasiebegabt, aber ich kann mir kein Szenario vorstellen, in dem der HFC den Auflagen dieses Urteils nachkommen könnte. Insofern halte ich ein Aufhebung dieser Auflage nur für konsequent. Das hat nichts damit zu tun, daß die Beleidigung des Spielers Ogungbure weniger schlimm wäre.

Was ich für viel problematischer halte, ist die Relation zwischen dem Verhalten des DFB und seines Unterorgans NOFV im Falle rassistisch motivierter Schmähungen und des Verhaltens bei gewaltsamen Ausschreitungen. Bestes Beispiel ist der 1. FC Dynamo Dresden. Fans dieses Vereins sind Wiederholungstäter, was Ausschreitungen angeht. In den ersten Spieltagen der Regionalligasaison 2006/07 lief kein Spiel der Dresdner ohne Zwischenfälle ab, so daß der Verein mehrfach wegen Ausschreitungen seiner Anhänger zu Geldstrafen verurteilt wurde. Dann kam es zu den in der Presse stark thematisierten Ausschreitungen beim Spiel gegen Hertha BSC II, in deren Folge der Präsident des DFB sich mit den Vereinsspitzen in Dresden trifft – und ihnen Hilfe zusichert. Die Aussagen von Herrn Zwanziger, wonach die Probleme durch die infrastrukturellen Probleme des Vereins begünstigt seien, sind für mich nur in Teilen plausibel, erklären sie doch nicht jene Ausschreitungen außerhalb des Stadions in Dresden. Dennoch halte ich es nicht für falsch, wenn der DFB dem Verein Dynamo Dresden Hilfe beim Kampf gegen Gewalt zusichert. Im Gegenteil, der DFB nimmt durch diese Zusicherung (so, sie denn umgesetzt wird) einen Teil der Verantwortung wahr, die er als großer und reicher Sportverband in der Gesellschaft hat. Jedoch darf es nicht sein, daß sich diese Hilfe auf den 1. FC Dynamo Dresden beschränkt. Die Hilfe für Dresden kann nur Teil eines Programms sein, mit dem man vor allem die finanziell benachteiligten Vereine unterstützt, indem man sich noch stärker als bisher an Fan-Projekten beteiligt. Tut man das nicht, entsteht erstens der Eindruck einer Extrabehandlung. Zweitens – fast noch schwerwiegender – ist der Polemik, Dynamo würde für seine gewalttätigen Fans auch noch belohnt, Tür und Tor geöffnet. Lange Rede, kurzer Sinn: Sportgerichtsurteile können nicht das alleinige Mittel im Kampf gegen Rassismus und Gewalt im Fußball sein, sie sind dazu vielmehr ungeeignet. Aber solange sich der DFB und seine Unterorganisationen nach der Verhängung einer Strafe entspannt zurücklehnen und meinen, alles getan zu haben, wird sich die Situation in den unteren Ligen nicht ändern.“

FR-Interview mit Volker Seifert, dem zurückgetretenen Präsidenten des FSV Zwickau

Oberbayerisches Volksblatt: Aldi-Tüten, Affenlaute und Fladenbrot – Rassismus und Anti-Rassismus in der Bundesliga und in Bayern

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