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Ball und Buchstabe

Der, mit dem etwas aus der Welt schwindet

Oliver Fritsch | Sonntag, 19. November 2006 Kommentare deaktiviert für Der, mit dem etwas aus der Welt schwindet

Stimmen aus der Presse zum Tod von Ferenc Puskás

Der ungarische Schriftsteller Peter Esterhazy schreibt in Welt am Sonntag: „Das große und vollständige Leben eines großen Menschen ist zu Ende gegangen. Auch sein Leiden hat ein Ende. Die Ungarn betrachten sich gern als ewige Verlierer, als Opfer, als die Leidtragenden der Geschichte; einmal überfallen die Türken unser verwaistes Land, ein anderes Mal die Kommunisten, und wieder ein anderes Mal lässt uns der Westen im Stich. Im Grunde genommen gibt es nur zwei Ausnahmen, König Mathias Corvinus (15. Jahrhundert) und Ferenc Puskas. Er war für uns Ungarn wie der Garant einer Parallelwelt, in der Gerechtigkeit herrscht, wo bei Abseits gepfiffen wird und uns alle offensichtlichen Elfmeter gegeben werden; er war wie der jüngste Königssohn im Märchen, dem – an unserer Statt – alles gelingt. (Fast alles, dieses ‚fast‘ aber, wie er sich aus der unergründlichen Tiefe des Entscheidungsspiels 1954 wieder in höchste Höhen erhob, das macht diese Größe nicht nur größer, sondern auch wahrhaftiger.) Dadurch, daß man in Ungarn nach 1956 kaum von ihm sprechen durfte (ein wenig in der Art, wie man auch von der 1956-er Revolution nicht sprechen durfte), dadurch war er uns zugleich sehr nahe und sehr fern. Wie es eben einer Legende geziemt. Schon im Leben hatte er etwas Wundersames an sich, etwas Überirdisches, wie gesagt, eine märchenhafte Größe, der in wundersamer Weise wir alle und das ganze Land teilhaftig wurden. So konnte er mehr sein als ein ausgezeichneter Fußballspieler, so konnte er ein Symbol werden. Auch deshalb schrieb ich oft über ihn, oft und gern, und den Moment, in dem ich ihn persönlich kennen lernen durfte, zähle ich ohne jegliche literarische oder anekdotische Übertreibung zu den großen Momenten meines Lebens. Gleichwohl würde ich diesen Augenblick kaum wahrhaftig nennen. Puskas ist also der, mit dem etwas aus der Welt schwindet, anders wird, sich verändert, nicht mehr so ist wie vordem, und auch nie wieder so sein wird.“

Der ungarische Schriftsteller Péter Zilahy (FAZ) schildert die Bedeutung Puskás‘ für das Volk Ungarns: „1954 waren wir die größe Macht auf der Welt, trotzdem haben wir verloren. 1956 waren wir die kleinste Macht der Welt, trotzdem haben wir gewonnen. Es geht um einen einzigen Zug. Wir haben die Sowjetunion ausgedribbelt, die ganze Welt hat es gesehen und wollte ihren Augen nicht trauen, das ganze Stadion jubelte sozusagen. In dem Augenblick war das Land eine Mannschaft, und das kam selten vor in unserer Geschichte. Dazu brauchte es natürlich auch den Gegner (der nicht größer hätte sein können), und den Blick des Amateurs. Auch auf Panzer loszurennen entsprach nicht ganz den Spielregeln, auch damit hat niemand gerechnet. Viele wissen nur wegen dieses Dribblings, daß es dieses kleine Land gibt. Viele wissen nur dank Puskás, daß Ungarn auf der Welt leben.“

Javier Cáceres (SZ) erinnert an 54: „Nur der Weltmeistertitel widerstand ihm, Ungarn verlor das Finale von Bern 3:2 gegen Deutschland. Wobei nicht unwesentlich war, daß ihn Werner Liebrich beim Erstrundensieg Ungarns (8:3) so schwer verletzt hatte, daß Puskas im Finale nur mit halber Kraft spielte. Er erzielte dennoch ein Tor; der Treffer, der den 3:3-Ausgleich bedeutet hätte, wurde wegen einer wohl irrigen Abseitsentscheidung aberkannt. Zudem war Puskas stets davon überzeugt, daß die Deutschen ihr Wunder mit Doping bewirkt hätten; den Vorwurf nahm er später, halbherzig, zurück. Als Real 1959 das Europapokalfinale in Stuttgart gegen Stade Reims gewann, fehlte Puskas. Madrids Präsident Santiago Bernabéu soll gefürchtet haben, die Deutschen könnten sich durch Puskas provoziert fühlen. (…) Zuletzt zerriß sein Anblick die Seelen derer, mit denen er die größten Freuden geteilt hatte. Als Alfredo Di Stéfano gewahr wurde, daß Puskas, sein Partner bei Real Madrid, nicht nur die Kraftausdrücke vergessen hatte, mit denen er sein putziges Spanisch garnierte, sondern ihn auch nicht mehr erkannte, schloß er sich weinend im Hotelzimmer ein.“

NZZ: Zu Recht gilt Puskás als einer von einem halben Dutzend herausragenden Spielern des 20. Jahrhunderts
FAZ: Ferenc Puskás gestorben – die Ungarn trugen ihn auf Händen
SpOn: Jahrzehnte lebte er im spanischen Exil, die Verehrung seiner ungarischen Landsleute war dennoch grenzenlos und Liebrichs Attentate auf Puskas
FR: Der ungarische Schriftsteller Györgi Dalos zum Tode Puskas‘
taz-Interview mit Ottmar Walter

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