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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Die faszinierende Aura des Zerfalls

Oliver Fritsch | Montag, 27. November 2006 Kommentare deaktiviert für Die faszinierende Aura des Zerfalls

Pressestimmen zum 14. Spieltag: Nach der erneuten Niederlage findet die Hamburger Personaldiskussion Fortsetzung, Vertiefung und Verästelung / Sebastian Deislers Comeback öffnet die Herzen der Fußballfreunde; Bayern München, eine seltsame Mannschaft / Die Fußballexperten verneigen sich vor Miroslav Klose / Hat Schalke bald zu viele gute Spieler? / Resignation in Mainz? / Das Spiel Wolfsburg gegen Nürnberg macht die Journalisten ohnmächtig, wütend und enttäuscht

Matthias Linnenbrügger (Welt) schöpft aus der Quelle Internet, um die schwindende Liebe der HSV-Fans zu Thomas Doll belegen zu wollen: „Daß sie längst nicht mehr so geschlossen wie noch vor Wochen hinter ihm stehen, läßt sich in den Internetforen ablesen. Dort wird er als ‚Pattex-Dolly‘ verspottet – weil er an seinem Stuhl klebe. Nach dem Bayern-Spiel wurde die ‚Initiative Trainerwechsel‘ ins Leben gerufen: Unter dollraus.de.vu werden Fans dazu aufgefordert, sich für die Entlassung auszusprechen.“

Jan Christian Müller (FR) befaßt sich mit Hamburger Personaldiskussionen: „Beiersdorfer, Doll und Hoffmann, alle drei noch relativ jung in diesen Positionen im Geschäft, haben Fehler gemacht. Dennoch wäre es ein herber Rückschlag für den Klub mit seinen hervorragenden Rahmenbedingungen für Spitzenfußball, wenn diese drei, denen der Verein eine Herzensangelegenheit ist, im Sog der Erfolglosigkeit in toto weggespült würden. Der HSV hatte sich nach der ebenfalls nur für kurze Zeit erfolgreichen Ära Hackmann/Hieronymus/Pagelsdorf sinnvoll neu aufgestellt. Aber falls es in Bochum wieder eine Niederlage setzt, sollte Doll die Konsequenzen ziehen. Er würde als Fußballtrainer dennoch seinen Weg machen.“

Die Einsamkeit des Trainers

Oke Göttlich (taz) verdeutlicht die hohe Trainingskultur beim HSV: „Die Vereinsführung bleibt ihrer Linie treu, die Ursachen eher bei der Einstellung der Profis und der Verletzungsmisere zu suchen als bei dem Trainer, der ja ein wichtiger Mosaikstein im gesamten sportlichen Aufbau des Vereins ist. Einen fünfstelligen Betrag investiert der Verein gerade in das neue HSV-Labor. Alle Blut-, Puls-, Laktat- oder Fettwerte, Trainings- und Matchreports sollen in einer Datenbank erfaßt werden. Inspirieren ließ sich Beiersdorfer wie in vielen Dingen aus der Serie A, in der Doll wie er gespielt haben. Man stelle sich mal Peter Neururer oder einen anderen Trainer aus der Feuerwehrmann-Kaste bei der wissenschaftlichen Auswertung dieser Daten mitsamt der Auswirkungen auf die Aufstellung vor. Trainer und Vorstände, die derart fortschrittliche Leistungsdiagnostiken nutzen, gibt es in Deutschland nicht viele. Und somit auch nicht viele Trainer, auf die ein solches Anforderungsprofil zuträfe.“

Frank Heike (FAZ) verliert die Hoffnung: „Das traurigste Thomas-Doll-Bild gibt es nach der Pressekonferenz. Man muß kein Mitleid haben mit einem hochbezahlten Fußball-Trainer. Wie Doll aber die zehn Meter vom Podium zum Ausgang schleicht, mit stierem Blick zur Seite, hängenden Schultern, matt, müde und ganz klein, das ist ein Bild des Jammers. Es ist die Einsamkeit des Trainers in der nicht enden wollenden Krise. Woher soll dieser Mann die Kraft nehmen, seine Mannschaft wieder stark zu machen? Vom Hamburger SV geht in diesen Tagen eine irgendwie auch faszinierende Aura des Zerfalls aus.“ Heike kann die zweite Halbzeit im Spiel gegen Bayern nicht akzeptieren: „Wieder einmal hat der HSV nur eine Halbzeit gekämpft und alles gegeben. In anderen Vereinen wäre das ein Indiz dafür, daß der Trainer die Mannschaft nicht mehr ‚erreicht‘. Ein Kündigungsgrund. Beim HSV nicht.“

Geschmeidigkeit im Unterschenkel

Das geglückte Comeback Sebastian Deislers läßt den Beobachtern das Herz aufgehen. Markus Lotter (Welt) streut Blumen: „Deisler, das vom Schicksal gebeutelte Ausnahmetalent, hat sich eindrucksvoll zurückgemeldet. Mit zwei kreativen Momenten, die demonstrierten, daß er auch in den vergangenen acht Monaten, die er zur Rehabilitierung eines Knorpelschadens im rechten Knie benötigte, nichts von seiner Andersartigkeit eingebüßt hat. Wie ein kleines Fußballwunder erscheint es, daß er nach sechs Knieoperationen und einer im Profifußball wohl unvergleichlichen Leidensgeschichte immer noch dazu fähig ist, den Unterschied auszumachen.“ Klaus Hoeltzenbein (SZ) schnalzt mit der Zunge: „Die zahlende Kundschaft bekam in wenigen Aktionen vermittelt, was der Bundesliga in den letzten acht Monaten wieder einmal fehlte. Die Geschmeidigkeit scheint geblieben zu sein, Deisler hat immer noch diesen leichten, eleganten Schlag aus dem Unterschenkel, mit dem er dem Ball in Kurvenlagen befördern kann, wie nur wenige außer ihm.“

Doppelgesichtigkeit

Matti Lieske (BLZ) schreibt den Siegern seine Kritik hinter die Ohren: „Die Bayern werden es in dieser Saison schwer haben, einen Champions-League-Rang zu erreichen, wenn sie sich nicht gravierend verbessern. Ihr derzeitiger Tabellenplatz entspricht jedenfalls nicht den bisher gezeigten Leistungen, was sich durch einen simplen Umstand illustrieren läßt. Hätten die Münchner gegen ein normales Team gespielt und folgerichtig verloren, dann hätten sie jetzt eine Niederlage mehr auf dem Konto als der HSV, das ausgewiesene Krisenteam der Bundesliga.“ Hoeltzenbein hebt die Doppelgesichtigkeit der Bayern hervor: „Diese seltsame Mannschaft hat ja schon vielerlei gezeigt oder unterlassen in dieser Saison, aber so extrem wie beim HSV hatte sie es bislang nicht getrieben: die erste Hälfte komplett verschlafen, das Spiel aber am Ende nicht nur 2:1 gewonnen, sondern auch mit dem bleibenden Eindruck abgeschlossen, daß die Spätstarter aus München bei Bedarf natürlich doch wieder all die Kraftquellen besitzen, um ihren Titel verteidigen zu können.“

Die große Miro-Klose-Show

Bremen unterjocht Bielefeld mit 3:0, und Roland Zorn (FAZ) läuft das Wasser im Mund zusammen: „Die Profis von Werder Bremen gelten seit längerem als kundenfreundlichste deutsche Mannschaft. Sie liefern nicht nur Siege wie auf Bestellung ab, sondern außerdem die Zugabe für den Fußball-Gourmet. Drei Tage nach dem klug erkämpften Fünfsterne-de-Luxe-Erfolg über den FC Chelsea zelebrierte Werder den Sieg über Arminia Bielefeld mit einer Freude am Beruf, die die Zuschauer vor allem nach der Pause faszinierte. Das Publikum bekam die große Miro-Klose-Show geboten.“ Ralf Wiegand (SZ) bezeichnet die Vorstellung Kloses als die „wohl beste Einzelleistung eines Bundesligaprofis in dieser Saison.“

Tsp: Wie lange kann Bremen Klose noch halten?

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