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Die Heuschrecken kaufen die Bundesliga

Oliver Fritsch | Freitag, 22. Dezember 2006 Kommentare deaktiviert für Die Heuschrecken kaufen die Bundesliga

„TV-Revolution“ – die Schlagzeile der Bild-Zeitung unterscheidet sich, ausnahmsweise, nicht von den Schlagzeilen anderer Zeitungen. Die Entscheidung über das Recht, die Bundesliga, „das wichtigste Fernsehgut dieses Landes“ (FAZ), zu senden, ist gefallen – ein sehr großes Thema für Deutschlands Sport-, Wirtschafts-, Medien-, Politik- und Feuilletonredaktionen. Es gibt eine Sensation zu melden und zu kommentieren: Premiere ist raus und samt Chef Georg Kofler der große Verlierer. „Koflers gescheiterte Provokation“, meldet die SZ. Er hat zu hoch gepokert, indem er ausschließlich ein Angebot abgegeben hat, das vorsah, die Sportschau vom Markt zu drängen. Doch die Sportschau, das (Schau-)Fenster der Bundesliga, hat sich auch dank seiner Lobby aus Politik und Wirtschaft nicht verdrängen lassen. Gewinner sind die ARD, die Bundesliga und die Sponsoren, deren Einfluss wohl mitentscheidend gewesen ist. Verhandlungsführer Christian Seifert von der DFL ist der „gefeierte Mann des Tages“ (FAZ). Unterschiedlich bewerten die Autoren die Bedeutung des Ergebnisses für die TV-Zuschauer. Nicht alle teilen den Beifall der SZ: „Fans können ihre Fernseh-Gewohnheiten weitgehend beibehalten und sparen auch noch Geld.“ Skeptisch beurteilen die Zeitungen den neuen Inhaber der teuren Live-Rechte, Arena, eine Vereinigung aus Kabelanbietern. „Darauf haben die Kapitalismus-Kritiker nur gewartet: Die ‚Heuschrecken’ kaufen die Bundesliga“, nimmt die FAZ einen ihr wesensfremden Vorwurf vorweg. Alles in allem wird die Sache positiv bewertet, doch es gibt eine Menge Facetten und Nebenwirkungen, die die Presse kritisiert und beargwöhnt.

Grundnahrungsmittel

Michael Hanfeld (FAZ/Seite 1) ordnet das Ergebnis aus Sicht des Kunden in einen medienökonomischen Zusammenhang ein: „Es ist eine tektonische Verschiebung im Rundfunk im Gange; der Fußball als kommerziellster Sport und hochgeschätztes Marktgut zeigt als Gradmesser, wohin die Reise geht. Die Wertschöpfung wächst, die Preise steigen, und doch sollen die Gebühren für ein Bundesligapaket bei Arena in den nächsten drei Jahren ‚nicht über 20 Euro im Monat’ liegen. Das muß einen aber nicht schmerzen, wenn man als Anbieter auch die Kabelkosten erhöhen kann. Und über die Rundfunkgebühr werden die Kosten für den Sport umgelegt auf alle, die wir uns in den nächsten Jahren ohnehin einen Decoder zulegen müssen, wenn das bisherige, analoge Fernsehen abgeschaltet und durch den digitalen Rundfunk ersetzt wird. Beim Fußball zeigt sich, wie das Spiel funktioniert.“ Joachim Huber (Tsp) kann die hohe Summe, die die ARD zahlt, nicht mit der Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Senders vereinbaren: „Fußball, auch das macht die Entscheidung für die Sportschau und gegen Premiere deutlich, ist eine Art Grundnahrungsmittel für viele Deutsche. Gegen die Fans, gegen die Sesselsportler, geht nichts in diesem Land. Das kann den großen Rest der öffentlich-rechtlichen Zuschauer auch empören. Wenn die ARD tatsächlich 80 Millionen Euro für eine Saison ausgibt, dann entspricht das der Summe, die der größte und reichste ARD-Sender, der Westdeutsche Rundfunk, für seine fünf Hörfunkprogramme in einem Jahr aufwendet. Bei Fußball und Fernsehen liegen Wahnsinn und Vernunft ganz eng zusammen. Der unschuldige Gebührenzahler, so er denn den Fußball verlacht, hat keine Chance. Fußball ist unser Leben, das muss jetzt auch der letzte Leder-Muffel begreifen!“

Zufriedenheit

Jörg Hahn (FAZ) lobt den Weitblick der DFL: „Die Vollversammlung hat sich vor dem Hintergrund, Konflikten aus dem Weg gehen zu müssen, wohl das Maximum an Verbreitung und Rendite beschert. Hut ab! Beim in erster Linie am Bildschirm konsumierenden Fan kommt vor allem die Botschaft an, daß seine Bedürfnisse ernst genommen werden, er also weder zwangsläufig zusätzlich zur Kasse gebeten, noch seine Sehgewohnheit komplett auf den Kopf gestellt wird. Zufriedenheit herrscht auch bei den Sponsor-Partnern.“ Christoph Albrecht-Haider (FR/Seite 3) sieht es ähnlich: „Die DFL hat nicht aus reinem Altruismus auf Geld verzichtet und das höhere Premiere-Angebot abgelehnt. Die Club-Manager wissen, dass nur das Volkssport wird und bleibt, was vom Volk auch gesehen werden kann. Nicht von ungefähr haben die attraktivsten Sportligen in den USA ihre wichtigsten Verträge immer mit frei empfangbaren Sendern abgeschlossen. Die Sponsoren der Bundesligisten wären nicht erbaut gewesen, hätte man ihre Werbeeinsätze in die Nachtstunden verlegt.“

Vabanquespiel

Marcus Theurer (FAZ/Wirtschaft) hingegen warnt vor Unwägbarkeiten mit dem neuen Partner Unity, einem Teil des Arena-Konsortiums: „Die Risiken sind enorm. Unity ist sehr wahrscheinlich auf eine Zusammenarbeit mit dem größeren Betreiber Kabel Deutschland angewiesen, um genügend Fußballfans zu erreichen. Ob die jedoch kartellrechtlich zulässig wäre, ist zweifelhaft. Außerdem fängt Unity beim Aufbau eines Abonnentenstamms für sein Bundesliga-Bezahlfernsehen praktisch bei Null an. Für die Refinanzierung der teuren Rechte braucht der Kabelbetreiber also einen langen Atem. Auch die rein technischen Risiken sind nicht zu unterschätzen. (…) Mit dem neuen Partner läßt sich die Bundesliga auf ein Vabanquespiel ein.“ Ralph Kotsch (BLZ) verweist auf die Nachteile für den Pay-TV-Zuschauer: „Trotz all der Freude unter den Fußballfunktionären und vielen Fernsehchefs darf die unbefriedigende Lösung für das Bezahlfernsehen nicht übersehen werden. Ein Neuling hat den Zuschlag bekommen, der weder über Erfahrung noch über das für Fußballübertragungen erforderliche Personal verfügt. (…) Leidtragende dieser neuen Situation auf dem Markt der Bezahlsender sind die Fußballfans. Viele von ihnen haben sich mit 12- oder 24-monatigen Verträgen an Premiere gebunden. Wollen sie ab nächsten Sommer die Spiele live sehen, müssten sie einen weiteren Vertrag mit Arena abschließen. Zwei Verträge sind künftig auch für diejenigen erforderlich, die Bundesliga und Champions League sehen wollen.“

Katastrophe

Michael Hanfeld (FAZ/Medien) klagt über die Kommerzialisierung der Sportschau: „Die ARD hat sich – was eingefleischten Fußballfans die Sportschau verleidet – dem Kommerzprodukt Fußball verschrieben, macht soviel Werbung wie möglich, bedient die Sponsoren und hat so nach eigenen Angaben die Kosten für die Erstsenderechte wieder hereinbekommen. Ob das noch properes öffentlich-rechtliches Fernsehen ist, das steht auf einem anderen Blatt. (…) So hoch wie Georg Kofler hat im deutschen Fernsehgeschäft wohl noch niemand gepokert. Und noch niemand hat je so hoch verloren.“ Hans-Jürgen Jakobs (SZ/Medien) befasst sich mit Premiere und Kofler: „Für Premiere geschah das schier Unfassbare: die Niederlage im schwersten Spiel, der Knacks in der Karriere eines Managers, der seine Firma im März 2005 trotz schwieriger Voraussetzungen an die Börse gebracht hat. Premiere hängt von exklusiven Fußballangeboten ab – wie soll die Zahl von 3,4 Millionen Kunden da gesteigert werden?“ Peer Schader (taz) fügt hinzu: „So was hat es in der deutschen Medienlandschaft noch nicht gegeben: einen TV-Manager, der mit wehenden Fahnen in den Untergang reitet. Kofler hat seinen Sender in eine tiefe Krise gestürzt. Für Premiere ist dieser Verlust kein Unglück. Es ist eine Katastrophe!“

ARD-Programmdirektor Günter Struve sagt der SZ über den Konkurrenten Premiere: „Herr Kofler war von Anfang an brüsk. Er wollte alles, nur die Sportschau nicht, was ich für seinen Grundirrtum halte. Das war schon der Grundirrtum von Leo Kirch: zu glauben, dass Pay-TV nur funktioniert, wenn die Free-TV-Auswertung erst mit großem zeitlichen Abstand möglich ist. Das ist unsinnig, weil die Abonnentenzahlen bei Premiere nach oben gegangen sind, seit wir die Sportschau erfolgreicher gestalten als Sat1 den Vorgänger ran. Der Zuschauer wird angefüttert mit Zusammenfassungen und bekommt Appetit auf Live. Diesen Hunger kann nur das Pay-TV stillen. (…) Wir haben allen klargemacht, dass, wenn eine Sportart im Pay-TV verschwindet, sie schnell die Massenbasis verlieren kann. Unser Beispiel war Eishockey. Eishockey interessierte vor zehn Jahren fast 20 Prozent der Deutschen, 2004 waren es nur noch 10.“

FTD: Premiere vergibt Wachstumschance

Mit wie viel Geld Peter Ahrens (SpOn) wohl gerechnet haben mag? Wohl mit mehr als 420 Millionen pro Jahr: „Die allerbesten deutschen Talente werden künftig noch früher die Bundesliga verlassen. Die Bundesliga fällt damit endgültig auf den Standard der niederländischen Ehrendivision zurück. Für die Bundesliga mag es heute ein guter Tag gewesen sein, für die Aussichten der deutschen Clubs in der Champions League der kommenden Jahre war es ein schlechter.“ Die FAZ hingegen schreibt: „Wer so viel Geld erlöst, muß dafür auch (erhöhte) Qualität bieten. Der neue Vertrag wird zwar nicht automatisch dazu führen, daß deutsche Teams international konkurrenzfähiger sind. Einen Wettbewerbsnachteil im europäischen Vergleich sollten sie jetzt allerdings wirklich nicht mehr beklagen.“

Die Fans haben verloren

Von wegen im Sinne Fans – in den Augen Ralph Kotschs (BLZ) ist das eine Mär: „Sieger sind die Vereine, die sich über 120 Millionen Euro mehr im Jahr freuen dürfen. Das Gejammer der Manager, allen voran der Herren von Bayern München, hat geholfen. Für horrende Spielergehälter und für Abfindungen bei pausenlosen Trainerwechseln steht jetzt allen mehr Geld zur Verfügung. Bezahlen müssen das die Fernsehsender, die viele Euro draufgelegt haben, ohne mehr Ware zu bekommen. Im Gegenteil. Sie und die Fans haben verloren, weil das Freitagsspiel erst am Samstagabend gezeigt werden darf, weil die Zusammenfassung in der Sportschau erst zwanzig Minuten später beginnt, weil die Sonntagsspiele im DSF erst um 22 Uhr gezeigt werden. Wer Premiere abonniert hat, um gegen Gebühr die Spiele live sehen zu können, ist völlig angeschmiert.“

Der nächste Zoff kommt bestimmt

Auch Philipp Selldorf (SZ) hält Fans und Zuschauer nicht für Sieger und verweist auf einen kommenden Konflikt: „Hurra, es gibt viel mehr Geld für unsere Bundesliga! Das kann doch nur Gutes bedeuten für den deutschen Volkssport, oder? Heißt das, dass die Fußballspiele in Deutschland künftig besser aussehen? Dass ein Spiel zwischen, zum Beispiel, Duisburg und Wolfsburg demnächst aussieht wie derzeit eine Partie zwischen Bremen und Hamburg? Werden die Fußballer für mehr Geld mehr trainieren und mehr laufen? Wird es also zu einer Revolution der Qualität kommen, weil noch bessere Spieler noch besser bezahlt werden? Auf diese Fragen wird niemand ernsthaft ein Ja erwarten. Mit einer Ausnahme: Die Honorare der Spieler werden steigen, und damit auch die Einkünfte ihrer Agenten, Anwälte, Anlageberater, Steuergehilfen, Mätressen und Hoflieferanten. (…) Bringt also das schöne Geld gar nichts? Doch, durchaus. Zuerst einen Streit zwischen den reichen, weniger reichen und armen Klubs, wie die neuen Euros verteilt werden sollen. Und am Ende wird der FC Bayern Meister.“ Köstlich! Roland Zorn (FAZ) beäugt die Harmonie der Ligavertreter: „Die im Augenblick selige Liga wird sich im Januar wieder streiten. Von den 120 Millionen Euro mehr, die jetzt zu verteilen sind, beanspruchen die führenden Klubs einen größeren Anteil, als ihn die kleineren zugestehen wollen. Der nächste Zoff kommt bestimmt, doch nicht mehr vor dem Fest. Viel hätte nicht gefehlt, und die Bundesliga hätte sich gemeinsam mit dem Lied ‚O du fröhliche’ vom alten Jahr verabschiedet.“

Die kleinen Vereine müssen aufholen

Duisburgs Präsident Walter Hellmich (SZ) meldet Anspruch an: „Man darf jetzt auf keinen Fall den Verteilerschlüssel zu Lasten der kleineren Vereine verändern. Schon jetzt ist das Leistungsgefälle in der Liga zu groß. Die kleinen Vereine müssen aufholen, und das geht nur mit Geld. Die kleinen Vereine haben, wenn sie vernünftig haushalten, im Moment klare Defizite. Das Geld soll genauso fair verteilt werden wie bisher. Ich habe Vertrauen in die Gremien der DFL, dass sie die Interessen der kleineren Vereine auch künftig berücksichtigen. Vereinen, die über ihre Verhältnissen leben, kann man sowieso nicht helfen. Den korrekt wirtschaftenden Klubs aber sollte geholfen werden, indem der Schlüssel nicht zu deren Ungunsten verändert wird.“

FAZ-Interview mit Werner Hackmann: „Wir haben gezeigt, daß die Liga nicht geldgierig ist“
BLZ: Aussagen aus der Branche
Tsp: Reaktionen aus der Liga

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