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Am Grünen Tisch

Der große Sieger ist Blatter

Oliver Fritsch | Montag, 29. Januar 2007 Kommentare deaktiviert für Der große Sieger ist Blatter

Uneinheitliche Bewertungen des Wahlsiegs Michel Platinis im Kampf um den Uefa-Vorsitz; Theo Zwanziger gerät in den Ruf des schlechten Verlierers

Jens Weinreich (BLZ) bringt dem neuen Uefa-Präsidenten wegen dessen Nähe zum Fifa-Boß Mißtrauen entgegen: „Vielleicht tut man Platini Unrecht, wenn man ihn als trojanisches Pferd des Joseph Blatter bezeichnet. Vorerst aber gibt es gute Gründe, skeptisch zu sein. Ausgerechnet Blatter kontrolliert nun nicht nur die Milliarden der Fifa, sondern auch die Geldströme im reichsten Kontinentalverband. Das ist ein Rückschlag für all jene Funktionäre, die sich Transparenz und Demokratie verschrieben haben. Es ist ein weiteres Alarmzeichen. Nichts für Romantiker.“ Thomas Kistner (SZ) sieht das ähnlich: „Platini, bisher als Arbeitstier eher unverdächtig, wird nicht nur zeigen müssen, daß er den eigenen Ansprüchen gewachsen ist, sondern auch, daß er nicht nur Blatters Strohmann spielen will. Andernfalls ist es so, daß der schillernde Schweizer mit der von Affären gespickten Funktionärsvita alle wesentlichen Geldläufe im internationalen Fußball kontrolliert; de facto, und auf Jahre hinaus. Ganz schön gruselig.“

Auch Ralf Köttker (Welt) warnt vor wachsendem Einfluß Blatters: „Der neue Uefa-Präsident konnte ohne die Stimmen der mächtigsten Nationalverbände gewählt werden, er kann aber nicht ohne sie regieren. Wenn er erfolgreich sein will, gilt auch für ihn: Nur die Wirtschaftskraft der Starken schafft die Voraussetzungen, den Schwachen helfen zu können. Sorgen müssen einem deshalb weniger seine rebellischen Wahlkampfversprechen, als vielmehr seine enge Verbindung zum Präsidenten der Fifa machen. Joseph Blatters von Korruptionsvorwürfen und Vetternwirtschaft belasteter Verband und die bisher skandalfreie Uefa rücken künftig dichter zusammen. Bisher hat Johansson als Korrektiv für den in immer neue Skandale verwickelten Fifa-Präsidenten gewirkt. Mit der Wahl hat der machtbewußte Schweizer einen Vertrauten an strategisch wichtiger Stelle platziert. Der Gewinner des Uefa-Kongresses heißt Platini. Der große Sieger ist Blatter.“

Empfindliche Schlappe für das Old-Boys-Pfründe-Network

Roland Zorn (FAZ) hingegen gibt dem Neuen eine Chance und traut ihm Unabhängigkeit zu: „Platini hat sich erst gar nicht wie ein Triumphator geriert. Mit dem Gespür des vor allem fairen Sportsmanns ist er auf Johansson und dessen Lager zugegangen, wissend, daß er den neuen Uefa-Ehrenpräsidenten und einen Teil seiner Gefolgsleute noch brauchen wird. Um nun zu einem Egotrip durch die Uefa-Gremien aufzubrechen, ist Platini viel zu intelligent. Der Mann kann zuhören und entscheiden, liebt Diskussionen und scheut die Verantwortung nicht. Einer wie Blatter, der hocherfreut über den Sieg seines langjährigen Schülers, Freundes und Beraters war, sollte nicht zu sicher sein, daß aus der Uefa nun eine kleine Fifa wird. Dazu ist Platini zu eigen und zu selbstbewußt.“ Das tazblog Volk ohne Raumdeckung feiert den Erfolg Platinis als Umbruch: „Wenn Platini, der neue Danton der Uefa, die ‚Großen‘ respektive Großkopfeten aufs Normalmaß zurückstutzt, wird mittelfristig wieder mehr Chancengleichheit innerhalb der Ligen und zwischen den Ländern einziehen. Das Old-Boys-Pfründe-Network im europäischen Fußball hat mit Platinis Wahl eine empfindliche Schlappe erlitten. Und Blatter zeigte mal wieder, daß neben einem kleinen Don Vito Corleone auch ein kleiner Robin Hood in ihm steckt.“

Wolfgang Hettfleisch (FR) zweifelt am Wahlprogramm Platinis: „Vieles von dem, was Platini konstatiert, ist ja richtig. Doch die Möglichkeiten der Uefa, an diesen Dingen etwas zu ändern, sind begrenzt. Der professionelle Fußball läßt sich nicht in einen Zustand der Unschuld zurückversetzen. Wer anderes glaubt, ist naiv. Die Entwicklung zum Milliardenspiel ist unumkehrbar. Daß der Fußball ein riesiges Geschäft ist, mag man beklagen, ändern läßt es sich nicht mehr. Die Uefa hat, wie die Fifa, von der alles durchdringenden Ökonomisierung des Spiels finanziell enorm profitiert. Sie hat sie, wie die Fifa, selbst vorangetrieben. Daß die sogenannten Kleinen nun Platini den Weg zum Thron geebnet haben, heißt nicht, daß sie ihm folgen, falls er tatsächlich versuchen sollte, das Spiel ein Stück weit aus der Umklammerung von Wirtschaft und Politik zu befreien. Sie wollen nur mehr vom großen Kuchen. Daran werden sie den neuen Uefa-Präsidenten bei nächster Gelegenheit erinnern.“

Provinzielle Herkunft

Felix Reidhaar (NZZ) empfiehlt Platini den Austausch mit Straßburg und Brüssel: „Die wahren Uefa-Problemfelder liegen anderswo: Was unternimmt der Verband in seinem Hoheitsgebiet gegen Bestechung, Wettbetrug und Spielmanipulation, die den Fußball ebenso in Mitleidenschaft ziehen wie grassierende Gewalt und wuchernder Rassismus? Auch die zuletzt engen Beziehungen zur EU bedürfen einer vertieften Pflege, damit der Sport seine Autonomie unter beidseits gewährleisteten Rahmenbedingungen wahren kann. Mit lauter Opposition und hochnäsiger Attitüde ist dieser Diskurs nicht zu führen.“

Theo Zwanziger, der mit dem DFB vergeblich Lennart Johansson unterstützt hat, wird in vielen Zeitungen mit den Worten zitiert: „Die Kleinen haben gesiegt. Wenn man sieht, wer da hochgesprungen ist: Das waren alles Nationen mit nicht mehr als hundert Einwohnern. Jetzt muß sich die Sozialromantik an der Realität messen lassen.“ Zorn hält ihm vor, ein schlechter Verlierer zu sein: „Zwanziger, daheim ein respektabler Fußball-Präsident, erfuhr bei seinem ersten wichtigen Termin auf dem Parkett der internationalem Sportpolitik, daß er dort noch viel lernen muß, um zu einem Schwergewicht dieser von ausgebufften Profis angeführten Szene zu werden. In Düsseldorf verriet der DFB-Präsident allzu viel von seiner provinziellen Herkunft, als er nach Platinis Wahl höhnen zu müssen glaubte: Starke Worte, schwacher Auftritt.“ Michael Horeni (FAS) gibt zu bedenken: „Zwanziger hat Ambitionen auf einen Posten im Exekutivkomitee der Uefa. Da wird er auch auf die Stimmen der kleinen Verbände angewiesen sein. Sie werden sich an Zwanzigers Worte erinnern. Und falls sie seinen Beitrag vergessen haben sollten, werden sie daran ganz sicher freundlich und staatsmännisch erinnert.“

FAZ-Portrait Platini
BLZ-Portrait Johansson
FAZ: Pressestimmen

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