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Ball und Buchstabe

Gewalt und Fußball gehören leider oft zusammen

Oliver Fritsch | Mittwoch, 14. Februar 2007 Kommentare deaktiviert für Gewalt und Fußball gehören leider oft zusammen

Die Randale in Leipzig beschäftigen die Sportpresse: Kritik an der Politik wegen mangelndem Präventionswillen

Philipp Selldorf (SZ) empfiehlt Sozialarbeit, um der Gewalt entgegenzuwirken: „Die Fußball-Gewalt ist vor allem im Osten akut. Dort wird die von mangelnden sportlichen Erfolgen ihrer Vereine frustrierte Fan-Szene von Rechtsradikalen unterwandert. Eine Abgrenzung läßt sich – wie es im Westen gelungen ist – nur durch gezielte Fan-Arbeit erreichen. Das verlangt Zeit, ist mühsam und kostet Geld, das der Freistaat Sachsen bisher nicht aufzubringen bereit war. Aber es ist allemal besser, als zu Spielen der fünften Liga Hundertschaften der Polizei zu entsenden. Wenn alles nichts nützt, bliebe nur der italienische Weg: ohne Publikum spielen zu lassen.“

Michael Horeni (FAZ) stört, daß die Politiker ihren Liebling schnell vergessen kann: „Die Reaktionen der beiden großen Fußballnationen, wenn der Lieblingssport ihrer Gesellschaften seine Fratze zeigt, sind nahezu identisch. Wie in Italien will nun auch in Deutschland die Politik nicht mehr mitspielen, wenn Leib und Leben von Beamten und Zuschauern regelmäßig in Gefahr geraten. Geisterspiele oder eine Spieltagsabsetzung sind nach den Ausschreitungen auch im deutschen Osten nicht mehr fern. Die einschneidenden Maßnahmen sind aber auch das Eingeständnis, daß der Sport und die Politik an der präventiven Lösung des Gewaltproblems bisher kläglich gescheitert sind.“

Boris Herrmann (BLZ) trennt die Gewalt in Italien von der in Deutschland: „Das deutsche Konzept hat das Problem des Hooliganismus keineswegs gelöst, es hat die Gewalt nur aus dem Blickfeld der Fernsehkameras heraus in die unteren Spielklassen verdrängt. Deutschland freut sich zwar gern über seine hochmodernen WM-Arenen und zeigt mit dem Finger nach Sizilien, aber an Standorten wie Leipzig und Dresden sind die Mitarbeiter der Fan-Projekte weiter heillos überfordert und chronisch unterfinanziert. Auch wenn es naheliegt, es geht an der Realität vorbei, die Ereignisse von Catania und Leipzig als zwei Symptome derselben Krankheit zu sehen. Dafür ist das Gemisch der Ursachen von Jugendgewalt zu komplex, die Fan-Kultur in Italien und Deutschland zu unterschiedlich. Eine Parallele läßt sich dennoch ziehen: Die Probleme werden so lange verdrängt, bis Blut fließt und alle hinschauen. Dann werden so lange populistische Vorschläge gemacht, bis alle gelangweilt sind und wieder wegschauen.“

Thomas Kistner (SZ) ordnet die Randale in Leipzig in einen großen Zusammenhang ein: „Gewalt und Fußball gehören leider zu oft zusammen, auch wenn die Unterhaltungsindustrie Profifußball mit ihrer ins Wirtschaftssystem integrierten Medienmaschine davon sehr geschickt abzulenken weiß. Wie sonst könnte unter dem Eindruck von Leipzig schon in Vergessenheit geraten, daß gerade erst im Siegerland-Kreis ein ganzer Spieltag abgesagt wurde: Dort spielten sich die Jagdszenen auf dem Rasen ab, und die Schiedsrichter hatten Angst, bestimmte Teams zu pfeifen. Vergessen der Berliner Kreisligist, dessen Spieler und Betreuer nach Ausfällen gegen den jüdischen Klub Makkabi via Sportgericht zum Besuch von Antirassismus-Seminaren verurteilt werden mußten. Und haben nicht Millionen die Kabinenpredigt des Bundestrainers im Sommermärchen-Film noch im Ohr, von den Polen, die es durch die Wand zu hauen gilt? Auch der Fußball spielt mit.“ Wolfgang Hettfleisch (FR) ergänzt: „Wer nun mit dem Finger auf die Schmuddelkinder aus Leipzig zeigt, ignoriert die Ausmaße des Problems. Die Jagd auf Polizisten wird in einschlägigen Internet-Foren bereits schamlos beklatscht. Der Haß ist grenzenlos. Und er gilt auch dem Staat.“

SpOn: In Fanprojekte und Sozialarbeit will die Landesregierung nicht investieren – stattdessen fließen Millionen in Polizeieinsätze
FAZ/Hintergrund: Über Fan-Arbeit in Leipzig
FAZ/Hintergrund: „Der finanzielle und ideelle Schaden ist schwer zu ermessen. Doch die schlimmste Erkenntnis des Geisterspieltags liegt darin, daß die Ultras in ihrem Krieg gegen Polizei, Staat und friedlichen Fußball nicht so schnell kapitulieren werden.“
taz: Leipziger Allerlei – erfahrene Hooligans stiften gewaltbereite junge Ultras zu einer Schlacht gegen Polizisten an; die Fanszene des 1. FC Lokomotive Leipzig gerät in den Fokus
BLZ: Nach den Ausschreitungen in Leipzig setzt der sächsische Fußballverband sechzig Spiele am Wochenende ab
SZ-Feature über die Krawalle von Leipzig

NZZ: Der Calcio auf der Intensivstation

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