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Champions League

Die urbritische Art, ein Fußballspiel bei der Gurgel zu packen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 12. April 2007 Kommentare deaktiviert für Die urbritische Art, ein Fußballspiel bei der Gurgel zu packen

Die deutsche Presse zeigt nach dem dreifachen Erfolg englischer Vereine im Viertelfinale Sympathie und Abneigung, auf jeden Fall aber Achtung / Kann José Mourinho die Champions League überhaupt gewinnen oder nur nicht-verlieren?

Christian Eichler (FAZ) findet die Ursache der neuen Stärke der englischen Vereine im großen Herz der Spieler: „Was die englische Liga in der globalen Vermarktung längst ist, nämlich die Weltliga des Fußballs, ist sie mehr und mehr auch im sportlichen Resultat. Was sind die Gründe? Es ist nicht das Geld allein – wenngleich die hohen Gehälter, verbunden mit günstigen Steuern und guter Atmosphäre in den Stadien, England zum Traumziel der meisten Profis gemacht haben. Es ist auch nicht nur das Tempo. Es ist, nachdem Defizite bei Technik und Taktik gegenüber Spanien und Italien in den letzten zehn Jahren ausgeglichen wurden, die ureigene mentale Stärke, die nun den Ausschlag gibt: der Mumm und der Mut, Gegner und Gangart zu dominieren. Es ist die urbritische Art, ein Fußballspiel bei der Gurgel zu packen.“

Über das 7:1 von Manchester United gegen den AS Rom schreibt er bewundernd: „Am Ende verzeichnete die Statistik den Saisonrekord von zweiundzwanzig Torschüssen, einer alle 73 Sekunden, in denen United den Ball hatte. Doch für die wichtigsten Komponenten des Fußballs gibt es kein statistisches Maß, für Tempo etwa oder Spielwitz, dafür muß man sich die Dribblings und Läufe des immergrünen Ryan Giggs anschauen und des zu Weltklasse gereiften Cristiano Ronaldo (…) So verprügelt sind seit Obelix keine Römer mehr nach Hause geschickt worden.“ Chelseas Erfolg in Valencia führt er auf dessen Beharrlichkeit zurück: „Chelsea zeigte die andere Seite der englischen Stärke, die Zähigkeit: mit dem 22. Saisontor in den letzten zehn Minuten. Nach dem Ausgleich zogen sich die Spanier in ihre Schale zurück wie eine erschrockene Schildkröte.“

Vulgärkicker

Raphael Honigstein (Tagesspiegel) hingegen läßt sich seine Zweifel an der Qualität Manchesters von sieben Toren nicht nehmen: „Die komplette Beherrschung des AS Rom drängt den Betrachtern nun Superlative auf und Manchester United in die Favoritenrolle im Wettbewerb. Doch man sollte sich von dem gewaltigen Glanz des Resultats nicht blenden lassen: Dies ist keine Übermannschaft, nur ein gut eingespieltes Ensemble, das im diesjährigen, auf überschaubarem Niveau veranstalteten Fußball-Grand-Prix stark auffällt, weil es im Gegensatz zu vielen Künstlern einfach den Ton trifft. Hinter den großen Solisten Rooney und Cristiano Ronaldo werkelt auch ein Haufen Mittelmaß. Und· es fällt schwer, einer Mannschaft die Extraklasse zu attestieren, das für einen wild in der Gegend herumgrätschenden Vulgärkicker wie Alan Smith einen Startplatz findet. Aber solche Nuancen wurden von der Macht der Zahlen zerquetscht. Am Ende einer in ihrer Einseitigkeit fast grausamen zweiten Hälfte standen Zahlen, die niemand glauben mochte – 7:1.“

In Abramowitschs Reich kann man mehr lernen als nur Geld zählen

Ronald Reng (SZ) bemängelt die Ästhetik Chelseas: „Ohne Sinn für Schönheit unterwarf Chelsea den FC Valencia, knurrend, aggressiv, abgehackt in seinen Spielzügen. Obwohl die Partie viele großartige Zutaten hatte – eine den Verstand raubende Parade von Santiago Canizares bei einem Kopfball von Michael Ballack; den unaufhörlichen Zweikampf zweier Giganten, Fabián Ayala gegen Chelseas Stürmer Didier Drogba; den Schall von 55.000 Berauschten –, so wird das Spiel nicht in Erinnerung bleiben. Vielleicht, weil Chelseas Spiel nie für die Ewigkeit taugt? Paßkombinationen existieren nicht. Der Ball wird schnellstmöglich nach vorne geleitet, auf die Genauigkeit kommt es dabei nicht an, nur auf das Tempo; sie sind sich sicher, daß den freien Ball aufgrund ihres Positionsspiels, ihrer Laufstärke und Kraft fast immer ein Chelsea-Spieler gewinnt. So ruckelt und zuckelt Chelseas Spiel, es herrscht der halbhohe, scheinbar herumirrende Ball. Derart dominierten sie die zweite Halbzeit in einer erschlagenden Klarheit, woran Ballack seinen Anteil hatte.“

Michael Horeni (FAZ) zieht allen, die Michael Ballacks Wechsel nach Chelsea voreilig bekrittelt haben, am Ohr: „Vor Jahresfrist hatte Ballack unter ständigem bayerischem Nachtreten seinen Wechsel verkündet. Er wollte europäisch vorankommen und suchte nach einem Klub, mit dem er die Champions League gewinnen kann. Nachdem er über Monate hinweg in den Medien ziemlich schlecht wegkam und sein Wechsel in Deutschland schon als mißglückt galt, wird nun allmählich sichtbar, daß es Ballack mit seinem finanziell verschwenderischen Arbeitgeber auch sportlich so schlecht nicht getroffen hat. (…) Chelsea reift auf seine Weise, und wie sich das auch für den deutschen Fußball auszahlen kann, haben die letzten Spiele der Nationalelf gezeigt. Während die englischen Stars wie Lampard und Terry im Nationaltrikot schrumpfen, überragte Ballack als zupackender Anführer, zuletzt beim 2:1 in Prag. Das Beispiel Ballack kann da wenigstens ein kleiner Trost für alle Fußballfans jenseits von Chelsea sein: In Abramowitschs Reich kann man tatsächlich mehr lernen als nur Geld zählen.“

Mourinho gestreßt, gehetzt

Reng befaßt sich mit Chelseas Trainer und der Mutmaßung, daß er in dieser Saison gar nicht gewinnen könne, sondern nur nicht-verlieren: „José Mourinho, nach eigenen Worten ‚der Besondere‘ unter den Trainern, versucht, seine vermeintlich beschlossene Entlassung durch die Eroberung der Champions League abzuwenden. Nach drei Jahren grenzenlosen Investments in die Elf ist Abramowitsch der Triumph im wichtigsten Klubwettbewerb offenbar nicht mehr ein Wunsch, sondern eine Pflicht; nach sechs Jahren, in denen er nur triumphierte, lernt Mourinho erstmals, daß es eine andere Seite des Trainerjobs gibt. Auf Mitleid kann Mourinho dabei schwerlich hoffen, zu sehr hat er sich in Erfolgszeiten mit Pathos, Selbstlob und Hetze bewußt als Großkotz inszeniert. Nun, gestreßt, gehetzt, mit dem Rücken zur Wand, unterläuft Mourinho die merkwürdigste Wandlung. Er wird fatalistischer; lustiger.“ Boris Herrmann (Berliner Zeitung) rechnet in jedem Fall mit Mourinhos Entlassung: „Chelsea kann noch immer drei Titel gewinnen in dieser Saison. Aber zwei davon (Meisterschaft und Pokal) existieren gar nicht im Reich Abramowitschs, und der dritte, die Champions League, kann Mourinho wohl auch nicht mehr retten. Er hat den Mann, der aus der Kälte kam, schon zu lange warten lassen. (…) Mourinho hat seinem Team risikofreien Ergebnisfußball beigebracht – aber es war bislang ein Ergebnisfußball ohne zufriedenstellende Ergebnisse.“

Die Highlights der ersten Halbzeit zwischen Manchester und Rom

Die Highlights der zweiten Halbzeit

Highlights Valencia–Chelsea. Achten Sie auf José Mourinho beim Terry-Interview (etwa bei 2:55)!

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