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Bundesliga

Die Bundesliga, eine Not-und-Elend-Vereinigung

Oliver Fritsch | Montag, 16. April 2007 Kommentare deaktiviert für Die Bundesliga, eine Not-und-Elend-Vereinigung

Vortrauer um Mönchengladbach / Respekterzeugungen nach Cottbus / Lincoln, der Schalker Meistermacher? / Stuttgart siegt ohne Schwung u.v.m.

Ulrich Hartmann (SZ) teilt uns mit, welcher Film gerade in Mönchengladbach läuft: „Borussia Mönchengladbach wäre ein Fall für Danny Rose. Rose war Agent für gescheiterte Varietékünstler. Er betreute eine einbeinige Stepptänzerin, einen blinden Xylophonisten und einen stotternden Bauchredner. Eine Fußballmannschaft ohne Torschützen würde ihm gut ins Sortiment passen. Seinen Film ‚Broadway Danny Rose‘ drehte Woody Allen einst als wehmütige Reminiszenz an die Liebenswürdigkeit des grandiosen Scheiterns. So ähnlich war die Stimmung auch im Borussiapark, wo sich die örtliche Fußballmannschaft im sechstletzten Spiel der Saison aus der Bundesliga zu verabschieden begonnen hat. (…) Gladbach zeigte noch einmal ein Highlight-Programm aus dieser völlig mißlungenen Spielzeit. 15 Mal schossen sie in einer überlegenen ersten Halbzeit Richtung Hamburger Tor. Getroffen haben sie nicht. Gladbach war in dieser Saison wie ein Vampir ohne Gebiß, wie eine Dynamitstange ohne Lunte, wie ein Tintenfisch ohne Tinte.“

Stefan Hermanns (Tagesspiegel) kommt angesichts der Wortbeiträge verschiedener Gladbacher Fußballrentner nicht um Sarkasmus herum: „Wie schlimm es wirklich steht, läßt sich nicht nur an der Tabelle ablesen, sondern auch daran, wer jetzt ungefragt seine Hilfe anbietet. Nachdem Stefan Effenbergs selbstlose Offerte, als Sportdirektor einzuspringen, einfach ignoriert wurde, hat sich nun Berti Vogts über die Gladbacher Undankbarkeit beschwert. Vogts hatte seinem alten Klub Lothar Matthäus als Trainer angedient und sich selbst als Berater. Angesichts solcher Ratschläge fragt man sich natürlich, ob der Abstieg in die Zweite Liga wirklich schon das Ende der Entwicklung ist. Selbst ohne Vogts’ Zutun ist ein weiterer Verfall nicht auszuschließen. Die Gladbacher sind Experten darin, hohe Erwartungen zu wecken und sie dann locker zu verfehlen.“

Christian Eichler (FAZ) stellt uns Cottbus als Sherwood Forest des deutschen Fußballs vor: „Cottbus ist ein schönes Beispiel dafür, wie der wenn schon nicht totgesagte, dann doch immer wieder krankgeschriebene Osten wunderbar zurechtkommen kann. Natürlich ist es kein repräsentatives Beispiel, es geht ja nur um Fußball. Und doch wird hier gezeigt, wie man auch ohne Westniveau bei Gehältern und ohne ewige Alimente konkurrenzfähig sein kann – die einzige Transferleistung aus dem Westen sind die Punkte, die der Rest der Liga daläßt. (…) Wenn Petrik Sander, ganz kulleräugiges Schlitzohr, die Beutezüge seiner bunten Truppe erläutert, dann braucht man nur etwas Phantasie, um ihn sich in grünen Strumpfhosen als Robin Hood des Fußballs vorzustellen. “

Strahlung

Peter Heß (FAZ) schildert, wie ihn Schalke beim Sieg in Mainz imponiert und gesteht Lincoln einen Leistungsimpuls zu, würde aber seine Hand nicht dafür ins Feuer legen, daß die Harmonie bis zum Saisonende hält: „Das 3:0 ließ keine Schalker Wünsche offen. Die Leistung war tatsächlich von der Art, daß es nur noch heißen konnte: Macht genau so weiter, dann klappt es mit dem Titel! Freilich können die Schalker nicht darauf hoffen, es immer so leicht gemacht zu bekommen wie von den desolaten Rheinhessen. Aber der Tabellenführer ließ in vielen Szenen spüren, daß er noch eine Menge Luft nach oben hat. Der Auslöser der Qualitätsverbesserung war unschwer zu erkennen: Lincoln kehrte in die Mannschaft zurück, und mit ihm wuchs jeder einzelne Profi um ein paar Zentimeter. (…) Der Brasilianer mit dem Selbstverständnis, ein Star zu sein, hat den ‚Königsblauen‘ häufig mit seiner Genialität genutzt, aber auch schon einige Male geschadet, als er sich aus verletzter Eitelkeit zu Unbeherrschtheiten hinreißen ließ. Im Moment sind sie alle Lincoln-Fans auf Schalke. Die Konkurrenz kann nur darauf hoffen, daß das fragile Verhältnis des Spielmachers zu sich, seiner Arbeit und seinen Kollegen kippt. Kein anderer Meisterschaftskandidat kann ihnen mehr gefährlich werden. Nur Schalke vermag sich noch den Weg zum Triumph zu verbauen.“

Philipp Selldorf (SZ) ergänzt: „Mit dem Genie des Brasilianers hat das Publikum immer wieder Schwierigkeiten: Man bejubelt ihn für seine Absatzkicks und übersinnlichen Pässe, aber wie allen Meistern des Okkulten widerfährt ihm zugleich Mißtrauen und Ablehnung. Diesmal gab es keine zwei Meinungen über ihn. Seine Leistung war exzellent. Und was noch wichtiger ist für das Finale im Titelkampf: Mit Lincoln ist die ganze Mannschaft entscheidend besser, sein Vermögen überträgt sich auf die Nebenleute, als ginge eine Strahlung von ihm aus.“

Bibbernder Haufen

Oliver Trust (FAZ) beschreibt seine Enttäuschung über das Spiel der Stuttgarter beim 2:1 gegen Hannover: „Wie ein Spitzenteam präsentierte man sich nicht. Die sonst so munteren Stuttgarter boten diesmal das Bild eines bibbernden Haufens, der auf unerwarteten Beistand hoffen muß. Fehlpässe, stockender Spielaufbau und überhaupt wenig Erbauliches bestimmten das Spiel. Am Ende aber stand ein mit minimalem Aufwand erzielter knapper Erfolg.“

SZ: Müde bis zum Migräneanfall: Nur dank eines kuriosen Mißverständnisses der Hannoveraner Abwehr bleiben die Stuttgarter im Titelrennen

Angsthasenfußball, Absicherung, Durchhalteparolen

Rainer Moritz (Financial Times) macht seiner Wut über die Schwerfälligkeit und den Krampf des Bundesligafußballs Luft: „Ideenarmut waltet fast überall, und die Spielanlage ist so differenziert wie Günther Oettingers Filbinger-Gedenkrede. Oder mit Frank Rost gesagt: Das ‚Fußballerische‘ kommt in der Bundesliga zu kurz, eine schmerzhaft wahre Formulierung. Man stelle sich vor, beim Handball fehle das ‚Handballerische‘, beim Skispringen das ‚Skispringerische‘. Rost hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Wir müssen uns daran gewöhnen, daß die Bundesliga, von Bremer Sternstunden abgesehen, eine Ansammlung mittelmäßiger Not-und-Elend-Vereinigungen ist. ‚Gelingt ein Déjà-vu zum letzten Wochenende?‘, fragte grammatikalisch kühn ein ARD-Reporter, als die Wolfsburger sich kurzzeitig aufmachten, ihren 0:3-Rückstand wettzumachen. Ja, bei Lichte besehen, erleben wir jedes Wochenende ein Déjà-vu: immer der gleiche Angsthasenfußball, immer Absicherung, immer Durchhalteparolen. Da ist es nur logisch, daß Werner Lorant im deutschen Profifußball wieder Fuß faßt. Irgendwo wird sich auch wieder ein Plätzchen für Egon Coordes oder Rolf Schafstall finden. Und könnte Peter Neururer nicht rasch das Ruder in Mainz übernehmen? Kommt auch nicht mehr drauf an.“

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