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Bundesliga

Tatenlos, phantasielos, mutlos, chancenlos

Oliver Fritsch | Montag, 23. April 2007 Kommentare deaktiviert für Tatenlos, phantasielos, mutlos, chancenlos

Pressestimmen zum 30. Spieltag: Dem 2:0 des VfB Stuttgarts gegen Bayern München folgen Abgesänge auf die Verlierer, insbesondere deren Management; über die Gewinner liest man wenig / Neu: Schalkes Hartnäckigkeit sowie Wolfsburg und Bielefelds Unterhaltungswert / Alt: Bremens Schönheit

Michael Horeni (FAZ) hält der Bayern-Führung den Spiegel und ihr selbstgerechtes Genörgel an Jürgen Klinsmann vor und überzieht sie mit beißender Kritik: „Wenn der FC Bayern nur halb so bedeutend wäre wie die Nationalmannschaft, gäbe es schon seit vielen Monaten eine Task Force. An deren Spitze stünden dann ganz sicher Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, denn wer sonst im Fußballand käme nach eigenem Selbstverständnis der Unfehlbarkeit so nahe wie das bayerische Führungsduo? Unglücklich nur, daß sie in diesem Krisenfall einmal über ihre eigene Arbeit zu befinden hätten – und man den Niedergang beim Rekordmeister auch mit Wohnsitzdebatten (‚Hoeneß muß nach München ziehen‘) und der Torwartfrage so schnell nicht stoppen könnte. Die Bilanz der zwar immer wieder laut tönenden, aber inhaltlich vollkommen sprachlosen sportlichen Führung in diesem Jahr ist niederschmetternd. Platz vier ist die schlechteste Plazierung seit über zehn Jahren in der Liga – und dies, obwohl der ökonomische Vorsprung der Bayern in dieser Zeit immer größer, ja riesig geworden ist. Nach der Kosten-Nutzen-Rechnung haben sie in diesem Jahr das Zeug zum Abstiegskandidaten, spieltechnisch war das 0:2 nur die letzte Bankrotterklärung in einer mit an hilflosen Auftritten überreichen Saison. (…) Ob Hoeneß und Rummenigge die Phantasie, Führungsstärke und auch den Fleiß aufbringen, mit einem neuen Konzept ihre sportliche Abteilung zu renovieren, ist fraglich.“

Michael Kölmel (Berliner Zeitung) vergleicht die Evolution zwischen Bayern und Stuttgart: „Seit Jahren ignoriert der FC Bayern Symptome des Stillstandes, geblendet von sieben Meistertiteln seit 1997, die in erster Linie durch die im nationalen Vergleich überbordende individuelle Klasse zustande kamen. In den Jahren unter Trapattoni, Hitzfeld, Magath und nun erneut Hitzfeld hat sich der FC Bayern einen Pseudofußball angeeignet. Lange Bälle sollen Spielkultur ersetzen, Flanken aus dem Halbfeld imitieren Angriffe, Pöbeleien suggerieren Aggressivität. Im Vergleich zu dem jungen, bescheidener besetzten VfB gleicht der FC Bayern einem auferstandenen Tyrannosaurus Rex.“ Auch Ludger Schulze (SZ) empfiehlt den Bayern die radikale Wende: „Dieses Team muß an Haupt und Gliedern renoviert werden. Neue Häuptlinge braucht’s und frische Indianer. In Anbetracht eines höchst schwierigen internationalen Transfermarkts stehen Manager Hoeneß und Vorstandschef Rummenigge jedoch vor einer Aufgabe, die weitaus problematischer und umfassender ist als in gewöhnlichen Jahren. Wenn die Bayern nicht den Anschluß verlieren wollen, muß der nächste Anzug sitzen.“

Das Ancien Régime des deutschen Fußballs

Roland Zorn (FAZ) beobachtet den FC Bayern beim Schrumpfen: „Tatenlos, phantasielos, mutlos, chancenlos – das sollten die großen Bayern sein? Das Publikum bekam nicht einmal eine schlechte Kopie des Rekordmeisters, es bekam gar nichts von den Münchnern zu sehen, die sich eingeschüchtert wie eine biedere Durchschnittstruppe vom jugendlichen Elan der Stuttgarter überrollen ließen. Jung, aufstrebend, dynamisch, das ist der VfB Stuttgart des Jahrgangs 2006/07. Die Bayern aber, ohne jeden frischen Glanz und Chic, verkörpern derzeit nur noch das Ancien Régime des deutschen Fußballs. Es wird von niemand mehr gefürchtet und hat sich überlebt.“ Schulze fügt hinzu: „Der FC Bayern hat sowohl eine irritierend hilflose Vorstellung geboten wie auch jede moralische Berechtigung verspielt, künftig unter den Champions der gleichnamigen Europaliga mitzukicken. Der FC Bayern wird wohl vom Gipfel sorgsam gepflegter Arroganz in die Niederungen der Uefa-Cup-Demut hinabsteigen und nach Craiova oder Hammarby reisen müssen.“

Oskar Beck (Welt) porträtiert den FC Bayern als eine Art Scheinriesen: „‘Die Bayern kommen‘ – aus Sicht der VfB-Fans klang das immer so, als würden die Russen kommen. Schon Tage vor den Spielen brach in Stuttgart die nackte Verzweiflung aus, aus panischer Angst vor dem Feind hätten die schreckhaften Schwaben am liebsten von der Ausfahrt Köngen auf der A 8 bis Cannstatt weiße Fähnchen gehißt, Panzersperren errichtet und sämtliche Neckarbrücken gesprengt, um den Mannschaftsbus der Bayern an der Fahrt ins Gottlieb-Daimler-Stadion zu hindern. Doch plötzlich ist alles anders. Der Respekt vor dem FC Allmacht bröckelt.“

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Mehrwert

Richard Leipold (Tagesspiegel) mißt Schalkes Fortschritt beim 2:0 gegen Cottbus: „Es war vor allem ein Lernerfolg. Die Schalker haben offenbar verinnerlicht, daß im Titelkampf mit Nervenstärke und Geduld vieles zu erreichen ist, wofür spielerische Klasse allein nicht ausreicht. Die Kandidaten in Königsblau haben aus ihren Fehlern gelernt. Sie haben gelernt, gegen hartnäckig hinten drinstehende Mannschaften auf ihre Chance zu warten, statt übereifrig gegen solche Bollwerke anzurennen. (…) Der Mehrwert dieses Sieges, der den Vorsprung von zwei Punkten sicherte, liegt für Schalke in der Erkenntnis, eingangs der Zielgeraden einem besonderen psychologischen Druck gewachsen zu sein, den die Mannschaft nicht gewohnt ist. Zuletzt hatten sie selbst vorlegen können, und Verfolger Werder Bremen mußte nachziehen, um den Anschluß zu halten. Diesmal lief es andersherum.“

Das Schönste

Matti Lieske (Berliner Zeitung) tipt auf einen anderen: „Nicht immer wird Schalke einen freundlichen Gegner finden, der den Ball ins eigene Tor stolpert. Die Meisterschaft muß man sich an den letzten Spieltagen mit Selbstbewußtsein, Mut und Kaltblütigkeit verdienen. Insofern spricht alles für Werder Bremen, deren Saison so verläuft, wie es sich für einen Champion gehört: am Anfang stark und am Ende stark.“ Ralf Wiegand (SZ) fühlt sich beim 3:1 Bremens gegen Aachen sehr gut unterhalten: „Aachen wird wohl bis zur letzten Sekunde gegen den Abstieg kämpfen. Weil sie das aber in Bremen mit viel Mut taten und die Bremer wiederum durch die Einwechslung zweier Offensivspieler schon zur Pause das Risiko fast fahrlässig erhöhten, kam ein Fußballspiel wie ein süffiges Boulevardstück zustande. Später flogen im Presseraum so viele Komplimente zwischen den Trainern Schaaf und Frontzeck hin und her wie vorher Bälle in die Strafräume. Im Wettstreit um den Titel haben die Bremer sich selbst und der verbliebenen Konkurrenz aus Schalke und Stuttgart zu verstehen gegeben, daß sie die Saison wenn schon nicht als Erste, dann wenigstens als Schönste beenden wollen.“

Alles anders

Andreas Pahlmann (FAZ) reibt sich die Augen und läßt sich von Wolfsburg und Bielefeld mitreißen: „Wolfsburg gegen Bielefeld, das ist so etwas wie die perfekte Beschreibung des grauen Bundesliga-Alltags und verhält sich zum großen Fußball ungefähr so wie ein halbes Schmalzbrot zum Fünf-Sterne-Menü. Wolfsburg gegen Bielefeld, das war in der Vergangenheit oft genug ein Spiel, nach dem man Worte finden mußte für all das, was nicht passiert ist. Am Samstag war alles anders. Zum ersten Mal in der Bielefelder Bundesliga-Geschichte gab es Arminia-Tore in Wolfsburg – gleich drei Stück. Mit 3:2 gewann das kämpferisch bessere Team ein Spiel, das wesentlich mehr Reize hatte, als es die Ansetzung versprach.“

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