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Alpha-Tiere kommen in den seltensten Fällen miteinander aus

Oliver Fritsch | Freitag, 21. September 2007 Kommentare deaktiviert für Alpha-Tiere kommen in den seltensten Fällen miteinander aus

Dass das Zerwürfnis José Mourinhos mit Roman Abramowitsch zur Trennung Mourinhos von Chelsea geführt hat, schlägt auch in Deutschlands Presse Wellen / Spekulationen über Mourinhos Zukunft

Christian Eichler (FAZ) führt den Gang der Dinge auf den Konflikt zweier Ich-Menschen zurück, die keine Ich-Menschen neben sich dulden: „Arroganz muss man sich leisten können, Mourinho konnte es immer, seine Ergebnisse sprachen für ihn. In etwas mehr als drei Jahren hat der Portugiese der Premier League seinen Stempel aufgedrückt wie so schnell kein anderer Trainer zuvor. Während Alex Ferguson in Manchester fast fünf Jahre auf den ersten Titel warten musste und dabei mehrmals vor der Entlassung stand, ehe er zum erfolgreichsten Klubtrainer der Welt wurde, brachte Mourinho, gestützt von den Millionen des Klubbesitzers Abramowitsch, den Erfolg unmittelbar mit. Der Mann machte Chelsea umgehend zur großen Siegmaschine Englands. Mit seinem von Wucht, Physis und taktischer Sicherheit geprägten Spiel gewann Chelsea überlegen zwei Meistertitel und im letzten Jahr den Pokal. Und doch gewann Mourinhos Maschine nie etwas, was ManU oder Arsenal gelang: die Zuneigung der neutralen Fußballfans. Zuletzt verlor sie sogar die des wichtigsten Chelsea-Fans, die von Abramowitsch. Abramowitsch wollte mehr Flair und weniger Trainermacht. (…) So stehen in den nächsten Monaten die Trainer fast aller Spitzenklubs in Europa unter Erfolgsdruck, denn Mourinho steht vor der Tür, der Mann, dem die meisten Präsidenten gern den roten Teppich ausrollen würden. Vielleicht aber macht er den Traum, seine Karriere als Nationaltrainer Portugals zu beenden, schon jetzt wahr, denn Luis Felipe Scolari steht nach seiner Sperre von vier Spielen wegen seines Faustschlags gegen einen serbischen Spieler in der Kritik.“

Thomas Becker (sueddeutsche.de) fügt hinzu: „Der Rücktritt kam nicht ‚out of the blue‘, wie die Briten so schön sagen. Es musste so kommen. Alpha-Tiere kommen in den seltensten Fällen miteinander aus. Und dem Gesetz des Stärkeren folgend, flüchtete der Rüpel-Trainer nun endlich vor dem allmächtigen Millionär. Man muss kein Freund des nur bedingt sympathisch wirkenden Mannes aus Setubal sein, um seine Entscheidung zu verstehen. Immer wieder hatte Abramowitsch ihm in den vergangenen drei Jahren in sportliche Belange hineinregiert. (…) Und Mourinho? Der Welt-Klubtrainer der Jahre 2005 und 2006 ist dermaßen unberechenbar, dass man ihm sogar zutrauen würde, sich irgendwann einmal für den FC Bayern zu interessieren – wenn da bloß nicht diese Alpha-Tiere-Trias Beckenbauer/Hoeneß/Rummenige wäre.“

Der beste Trainer, den Chelsea wohl je gehabt haben wird

Simon Barnes (Times) deutet Mourinhos Trainerkarriere als Kompensation für fehlendes Talent zum Starspieler: „Bei Chelsea war immer nur der Trainer der Star. Die Spieler, wen interessierten die schon? Wie Alfred Hitchcocks Schauspieler waren sie nichts als auswechselbare Herdentiere. Mourinhos gesamte Karriere war eine Art Rache an den Fußballgöttern, die ihn mit zu wenig Talent ausgestattet hatten, um selbst ein erfolgreicher Spieler zu werden. Allerdings ging es ihm nie um den Fußball selbst, sondern um Macht. Das war seine Stärke und gleichzeitig sein Verhängnis. Denn im Fußball zählen Spontaneität und Momente individueller Brillanz. Aber Mourinho hasste Spontaneität. Er wollte Kontrolle. Und er wollte keine Künstler, denn er traut ihnen nicht. Er bevorzugte stets durchschnittlich talentierte Spieler, die er zu großer Form aufbauen konnte: Terry, Lampard, Makelele, Drogba. Dies sind alles Spieler, die ihm nicht die Show stahlen. Das Motto war: ‚Le club, c’est moi.‘ (…) Chelsea unter Mourinho war stets ein unheimlich effektives Team, aber das wahrhaft Außergewöhnliche lag ihnen immer fern. Vielleicht weil Mourinho das Verständnis dafür fehlt. Wie sonst lässt sich sein Versagen im Verhältnis mit Ballack und Schewtschenko erklären? Dass es mit einem der beiden Stars nicht klappt, kann noch Pech sein; aber dass es gleich mit beiden solche Probleme geht, deutet in Richtung Persönlichkeitsstörung. Beide Spieler waren Stars und passten deshalb nicht in Mourinhos Pläne. Sie stellten eine Bedrohung für ihn dar. Es war wichtig für ihn, dass sie scheiterten, und sie taten es.“

Giles Smith (Times) hält ihn für unersetzlich und wischt sich die Tränen von der Wange: „Mourinho war der beste Trainer, den Chelsea je hatte und wohl je gehabt haben wird. Er war brillant, leidenschaftlich, gefährlich, witzig und manchmal all das innerhalb von fünf Sekunden. Großartige Anzüge trug er auch. (…) Sicher, seine Magie verblasste ein wenig über die Jahre, und die letzte Saison war eine herbe Enttäuschung. Aber, auch wenn Abramowitsch Frank Rijkaard als neuen Chef und Guus Hiddink als seinen Assistenten vorstellen würde, auch wenn er ankündigen würde, dass die beiden Ronaldinho bei Chelsea willkommen heißen würden – alles das wäre keinerlei Trost für den Verlust von Mourinho. Die Fans würden ihn jeden Augenblick zurücknehmen.“

Lehrreich

Auf allesaussersport lesen wir: „Von Guus Hiddink hieß es beim Amtsantritt als Nationaltrainer Russlands, dass er eh nur von Abramowitsch dort ‚geparkt‘ werde, um dann als Mourinho-Nachfolger zu Chelsea zu kommen. Der Weggang von Mourinho zur Unzeit, dürfte diesem Plan einen Strich durch die Rechnung machen: vier Spieltage vor Ende der Euro 2008-Qualifikation geht man nicht von Bord. Möglicherweise ist dies Teil der Rache von Mourinho: ein Abgang mit einigen Giftgeschenken. Ein Hiddink, der sich jetzt nicht von seinem Posten loseisen lässt. Ein Ballack der bis zum Jahresende nicht in der Champions League eingesetzt werden kann. Mourinho hatte jedenfalls Zeit genug, seinen Abgang zu planen, denn alle Gründe, die nun zu diesem Schritt geführt haben, lagen eigentlich auch schon vor einem halben Jahr vor: der immer größer werdende Dissens zwischen Abramowitsch und Mourinho sowie der stete Krach mit der Holland-Fraktion rund um Sportdirektor Frank Arnesen.“

Markus Hesselmann (Tagesspiegel) diskutiert den Fall als Heuschrecken-Phänomen: „Das Experiment Chelsea ist lehrreich für die Bundesliga. Auch hier drängen die alleinherrschenden Investoren auf den Markt. Noch schützt das Statut der DLF die Vereine vor solchen Übernahmen. Davon sollte die DFL auf keinen Fall abweichen. Der Fall Carl Zeiss Jena ist dafür ein vergleichsweise kleiner, aber wichtiger Test.“

Tagesspiegel-Interview mit dem skeptischen DFL-Geschäftsführer Christian Müller über Jenas russischen Investor

FR: Mourinhos risikoscheuen Ergebnisfußball ohne Ergebnisse konnte Abramowitsch nicht mehr goutieren

(Fast) ein Pop-Star

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