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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Diego, ein Opfer?

Oliver Fritsch | Montag, 25. Februar 2008 Kommentare deaktiviert für Diego, ein Opfer?

Diego und Kyrgiakos spielen Zidane und Materazzi; Mario Gomez nennt seinen Gegenspieler im Fernsehen ein „Arschloch“ (das zitiert man doch gerne, oder? Dokumentationspflicht); Michael Frontzeck hat in Bielefeld jeden Kredit verspielt (Kredit? Welchen Kredit?); Schalkes Keeper Manuel Neuer zieht momentan das Pech an; Felix Magaths Wolfsburg gewinnt an Kontur – die Pressestimmen zum 21. Spieltag

Ein Spieltag mit viel Gift: Diego und Kyrgiakos spielen Zidane und Materazzi, Mario Gomez nennt seinen Gegenspieler im Fernsehen ein „Arschloch“ (wir zitieren das doch gerne, liebe Kollegen, oder? Dokumentationspflicht), Michael Frontzeck hat in Bielefeld jeden Kredit verspielt (Kredit? Welchen Kredit?). Außerdem Manuel Neuer zieht momentan das Pech an.

Zu Diego ist das gleiche zu sagen wie zu Zidane: Kann es nicht sein, dass er in dem entscheidenden Moment deswegen so gereizt war, weil er fair vom Ball getrennt wurde? Das trifft einen Künstler viel mehr als ein Foul, das er ja als Kompliment nehmen kann. Die Leute vom Fernsehen konnten beim Frankfurt-Spiel noch so viel nach harten Fouls an Diego suchen – ihre These, dass es sich um die Revanche des Opfers handele, konnten sie nicht stützen. Nebenbei: Geht’s Kyrgiakos eigentlich wieder besser? Er hat ja offensichtlich arge Schmerzen gehabt. Doch im Vergleich mit England ist, wie wir gerade wieder erfahren, das, was sich Bundesliga-Profis antun, Händchenhalten.

Gomez’ Charakteranalyse Maik Franz’ können und möchten wir nicht weiter prüfen, doch dass Oliver Bierhoff und andere Zitat zum Anlass nehmen, sich über „Persönlichkeiten“ zu freuen, die „nicht stromlinienförmig“ Tacheles reden, erstaunt mich … eigentlich nicht. Also, wenn es im Fußball genügt, jemanden ein „Arschloch“ zu nennen, um als Persönlichkeit zu gelten … Persönlichkeit könnte man ja beispielsweise durch eine Absage an Homophobie im Fußball erlangen oder durch die kritische Frage: Warum macht eigentlich ein Sportverband Werbung für Alkohol? Aber dieser Wunsch ist vermutlich zu verkopft.

Manuel „Babyface“ Neuer kassiert in dieser Saison die Eier, die ihm später, hoffentlich, erspart bleiben werden. Zudem muss ich gestehen, dass ich davon überrascht bin, dass er von den „Experten“ das Tor nicht angekreidet bekam, denn es war angesichts der Flugkurve des Balls schwer zu verhindern. Sollte es etwa einen Kompetenzzuwachs beim DSF in Sachen Torwartspiel geben? Ich bleibe dabei: Neuer wird in wenigen Jahren zu den weltbesten Torhütern zählen, was nicht unbedingt heißt, dass er Deutschlands Nummer 1 sein wird.

Was noch auffällt: Jetzt bekommt Wolfsburg sogar nach einem 0:0 gegen Hertha Küsschen von der Presse.

Die Pressestimmen

Roland Zorn (FAZ) erörtert die Verwandlung des Opfers zum Täter am Beispiel Diego: „Diese Männer, die mit dem Ball tanzen, bestimmen so aufreizend souverän die Aktionen ihrer Mannschaften, dass sie härter und häufiger attackiert werden von weniger bemittelten und deshalb manchmal von Minderwertigkeitskomplexen geleiteten Profis. Diego ist derzeit der vielleicht beste Bundesligaspieler – und muss gerade deshalb mehr als andere leiden. Eine verquere Logik, aus der es kein Entrinnen gibt, da Schiedsrichter nicht dazu da sind, Boni zu vergeben, sondern Taten zu beurteilen. Die Farbe Gelb wäre der Tätlichkeit, die Diego begangen hat, nicht gerecht geworden. Rot war richtig – und trotzdem geschah dem Täter irgendwie auch Unrecht. Wenn Diego nach seiner Sperre zurückkommt und sein Spiel zum Selbstschutz veränderte, wären seine Fans traurig. Zum Glück aber kann Werders Bester gar nicht anders, als den Fußball als eine Kunstform zu begreifen. Daran wird kein für den passenden Augenblick noch so tief getroffener und deshalb prompt fallender Ligaschrank à la Kyrgiakos etwas ändern.“

Uwe Marx (FAZ) lässt die starke Leistung Werders nicht unter den Tisch fallen: „In Frankfurt wurde zur Petitesse, dass die Bremer in Unterzahl überlegen waren, dass sie genug Chancen für einen Sieg hatten und sich keine vierzig Stunden nach dem 1:0 bei Sporting Braga zu einer bemerkenswerten Leistung aufrafften, der Müdigkeit nicht anzumerken war.“

Archaisches Duell

Christof Kneer (SZ) erkennt beim Kampf Franz gegen Gomez Verhaltensmuster aus dem Fußballmittelalter: „Es war ein Kampf der Systeme: hier der klobige, unter Stürmern gefürchtete Maik Franz, der sich recht wacker schlägt in der modernen Raumdeckungsepoche, im Grunde aber der guten, alten Holzmichl-Schule entstammt – dort der Stürmer Mario Gomez, der mit so deutlichem Abstand der beste Stuttgarter ist, dass es für Verteidiger ein verführerischer Gedanke sein mag, ihm den Schneid abzukaufen, wie das in der Holzmichel-Sprache heißt. So zerrten, rangelten und keilten die beiden von der ersten Sekunde an, und praktischerweise ließ sich – je nach Parteilichkeit – der jeweils andere als der größere Aggressor darstellen. Es war ein Zweikampf wie vor zwanzig Jahren, als der Sinn des Fußballs noch nicht darin bestand, gegen den Ball, sondern gegen den Mann zu spielen. Gegen dieses archaische Duell zweier Spieler hatte das moderne Duell zweier Teams kaum eine Chance. So spektakulär Gomez vs. Franz war, so unspektakulär war VfB vs. KSC.“

Am besten lassen Sie beide Clips gleichzeitig laufen

Geht alles den Bach runter?

Peter Penders (FAZ) räumt Bielefelds neuem Trainer nach dem 0:2 gegen Duisburg fast keine Chance mehr ein und sieht schwarz für den Rest der Saison: „Seit Samstag ist in einer Saison, in der vieles in Bielefeld zu Bruch ging, nun auch noch das Band zerschnitten, das Fans und Verein zusammenhielt. Vor allem die Antipathien, die Michael Frontzeck entgegenschlagen, überraschen in ihrem Ausmaß. Für die Zusammenstellung des Kaders kann er nichts. (…) Arminia sah so alt aus, wie es dieser Rekord vermuten ließ: Mit dem Durchschnittsalter von 30,9 Jahren bot die Arminia die älteste Mannschaft auf, die je für den Klub in der Bundesliga gespielt hat. Das sagt einiges über die Fehler aus, für die auch Sportgeschäftsführer Reinhard Saftig verantwortlich ist. Die Arminia ist überaltert, was auch erklärt, warum sie ihren noch vor ein, zwei Jahren unter den Trainern Rapolder und von Heesen erfolgreich praktizierten Systemfußball nicht einmal mehr ansatzweise präsentieren kann. Diese Art Fußball setzt nämlich nicht nur Laufbereitschaft, sondern vor allem auch Laufvermögen voraus, das dieses in die Jahre gekommene Team nicht mehr besitzt.“

Ulrich Hartmann (SZ) pflichtet bei: „Die Mannschaft von Arminia Bielefeld hat in Form einer dramatisch schwachen 0:2-Niederlage gegen den Tabellenletzten MSV Duisburg zum fünften Mal in Serie ein Fußballspiel verloren. Es war das fünfte Spiel unter dem neuen Trainer Frontzeck. Der neue Trainer Frontzeck ist bereits der fünfte Bielefelder Trainer binnen eines Jahres, und diese neue Kooperation gilt auch schon wieder als gescheitert. (…) Während in diesen Wochen das Stadion in den Himmel wächst, kollabiert drunten auf dem Feld der Bielefelder Fußball. Als ausgangs des Jahres 2006 der mit ansehnlichem Konzeptfußball glänzende Trainer Thomas von Heesen um die Verlängerung seines Vertrags, die Verbesserung seiner Bezüge und mehr Einfluss auf die strukturelle Ausrichtung des Bielefelder Fußballs kämpfte, sagte er: ‚Ohne mich geht hier alles den Bach runter!’ Das war eine selbstgefällige und taktische Aussage, doch sie droht sich derzeit sportlich zu bewahrheiten.“

Da wächst ein interessantes Fußballteam heran

Peter Unfried (taz) erkennt trotz des 0:0 gegen Berlin Farbkonturen in Wolfsburg: „Während die Welt von Gott erschaffen wurde, war für die Erschaffung von Wolfsburg bekanntlich ein anderer verantwortlich. Das hängt der Stadt immer noch nach und selbst dem nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Klub. Seit seinem Urknall hat der VfL Wolfsburg außerdem noch nie einen Titel gewonnen. Insofern ist das Viertelfinale im DFB-Pokal gegen den Hamburger SV von dreifacher Bedeutung: Man verdient Geld. Man kann mit nur noch drei Siegen bleibenden Ruhm und einen Uefa-Cup-Platz gewinnen. Und es ist eine der raren Gelegenheiten, live und öffentlich- rechtlich Imagepflege für Klub und Standort zu betreiben. Zum ersten Mal kann sich auch eine breitere Öffentlichkeit zumindest ein Fernsehbild machen von Felix Magaths ‚work in progress’. Das 0:0 gegen Hertha BSC Berlin hat zwei Annahmen über den VfL erhärtet. Erstens: Da wächst mit Hilfe von VW ein interessantes Fußballteam heran. Zweitens: Nach zwei Jahren Abstiegskampf wird diese Saison wohl mit der Rückkehr ins gepflegte, aber unspektakuläre Mittelfeld der Bundesliga enden. Was ja nicht wenig ist.“

Sebastian Stiekel (FAZ) notiert auch bei Hertha Fortschritte: „Der VfL Wolfsburg bewies abermals, dass er mittlerweile zu jeder Zeit und gegen jeden Gegner die Initiative sucht. Die Zeit der Destruktivität ist unter Felix Magath vorbei. Bei Hertha ist ein Fortschritt ebenfalls zu sehen, auch wenn er sich langsamer vollzieht als der des VfL. Vom schnellen Kombinationsfußball, der Lucien Favre vorschwebt, war auch diesmal nichts zu sehen, aber die Berliner haben ihre Strategie geändert, um ihn irgendwann doch noch spielen zu können. Sie wirken wie ein Langstreckenläufer, der ein ehrgeiziges Ziel im Visier hat, auf dem Weg dorthin aber ein paar Mal gestolpert ist. Nun hat er das Tempo reduziert und bewegt sich nur in kleinen Schritten voran – das aber beständig.“

Horrorshow

0:1 in Leverkusen – Philipp Selldorf (SZ) schildert Schalker Stillstand und leidet mit seinem Torhüter: „Spielerisch stagniert das Team, obendrein entspricht die neue Kadermischung mit den vielen Flügelspielern nicht Slomkas Umstellung aufs breit angelegte 4-4-2. In Leverkusen setzte Schalke wieder viel Kraft ein, die Angreifer Asamoah und Kuranyi schufteten vorbildlich, doch sie bewegten sich ohne Steuerung und Ziel und blieben total wirkungslos. Auch im Mittelfeld wurde beinhart gearbeitet, was zwar Bayers Spielkunst störte, aber kein inspiriertes oder gar planvolles Angreifen hervorbrachte. (…) Den Treffer, den Schalkes Schlussmann Manuel Neuer als ‚Traumtor’ bezeichnete, erlebte er als Albtraum. Neuer sprach zudem von einem ‚Glückstor’, was Schütze Friedrich bestätigte, denn der 37-Meter-Schuss unters Dach war eine verrutschte Flanke, aber für den Schalker Torwart ist es typisch, dass er dabei der Unglückliche sein musste. Landauf, landab wird es nun wieder heißen, dass ausgerechnet ihm dieser irre Ball ins Netz gelegt wurde, und wenn er ihn auch wirklich nicht halten konnte, so wird es doch an ihm nagen. Von dem Selbstbewusstsein, das er in seiner Einstandssaison verkörperte, ist derzeit nichts mehr zu sehen.“

Jedem Spiel das Tor, das es verdient – Daniel Theweleit (Financial Times Deutschland): „Eine endgültige Antwort auf die Frage, ob das Tor zu verhindern war, wird niemals gefunden werden – aber mit Gewissheit war dieser Aus-Versehen-Treffer der passende Höhepunkt eines wenig erbaulichen Fußballspiels. Lange veranstalteten die beiden Teams eine Horrorshow aus verunglückten Freistößen, misslungenen Ballannahmen, und haarsträubenden Ungenauigkeiten im Passspiel. Und einer dieser unzähligen Fehlversuche landete dann eben im Tor.“

Trend ins Mittelmaß

Freddie Röckenhaus (SZ) kommt bei dem Gerücht um einen Wechsel Sebastian Kehls zu Jürgen Klinsmanns Bayern München die Vergangenheit in den Sinn: „Ende 2001 hatte Kehl als Jungtalent einmal eine Vereinbarung mit Bayern-Chef Uli Hoeneß über einen Wechsel. Unter großem Zetern von Hoeneß hatte sich Kehl damals aber im letzten Moment für eine Unterschrift beim BVB entschieden – und war mit Dortmund prompt Meister geworden. Szene-Beobachter halten es für unwahrscheinlich, dass die alten Wunden von damals verheilt sind und Kehl tatsächlich Kandidat bei Hoeneß sein könnte. (…) Ob Kehls Zögern ausschließlich am lieben Geld liegt, wird in Dortmund aber bezweifelt. Auch in der laufenden Saison hat sich der Trend des BVB ins Mittelmaß verstärkt. Wegen der andauernden Abstinenz des einstigen Champions- League-Siegers von internationalen Wettbewerben, wird es offenbar immer schwieriger, Top-Spieler wie Kehl zu halten – oder gar von anderswo zu verpflichten.“

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